Zur Ermordung des amerikanischen Influencers Charlie Kirk ist schon manches in dem Sinne gesagt worden, dass Kirk, bei seiner politischen Einstellung, an seiner Ermordung quasi selbst schuld sei. Schon der Wikipedia-Artikel über Kirk hat eine erhebliche Schlagseite in die übliche Richtung.
Drei ergänzende Punkte sollen hier noch angemerkt werden:
Erstens: Kirk äußerte sich oft unverblümt zu Themen, die ihm wichtig waren – etwa zu den hunderten Milliarden Dollar an US-Hilfe für Kiew. Als sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj 2023 auf einen Besuch in Washington vorbereitete, um weitere Unterstützung zu erbitten, reagierte Kirk empört auf Äußerungen, die er als Drohung seitens Kiews gegen amerikanische Kritiker des Landes betrachtete.
Sarah Ashton-Cirillo, ein US-Amerikaner, Transgender, der zu dieser Zeit das englischsprachige Outreach-Programm der ukrainischen Territorialverteidigung leitete, schwor, diejenigen, die er als „Kreml-Propagandisten“ bezeichnete, „zu jagen“, und fügte hinzu, dass ein Angriff auf eine von Russlands Präsident Wladimir Putin favorisierte Person unmittelbar bevorstehe.
„Werden sie Steve Bannon oder Tucker Carlson oder mich ermorden oder versuchen, uns zu ermorden?“, fragte Kirk in seiner Antwort und bezog sich damit auf andere konservative US-Medienpersönlichkeiten.
„Keiner von uns ist eine Marionette Putins oder ein russischer Propagandist, aber die New York Times nennt uns so, Twitter nennt uns so“, sagte Kirk in seiner Sendung. „Und diese Person, die vom US-Finanzministerium finanziert wird, sagt: Wir werden euch ermorden.“
Dass die Ukraine „Killing Lists“ führt, auf denen auch deutsche Politiker wie Frau Wagenknecht stehen sollen, ist bekannt.
Zweitens: Kirk war in den letzten Jahren ein vehementer Unterstützer Israels, scheint aber seine Haltung in allerletzter Zeit zunehmend hinterfragt zu haben. Dazu ist anzumerken, dass gerade konservative Kreise in den USA die enge Verflechtung der amerikanischen Politik mit der Netanjahu-Regierung massiv kritisieren und auch das Agieren der Israel-Lobby infrage stellen. Wäre Kirk von dieser Linie abgewichen, hätte das für Israel zumindest atmosphärische Folgen gehabt.
Drittens: Kirk war bekennender evangelikaler Christ. Nun ist das amerikanische Christentum für Europäer, milde gesagt, gewöhnungsbedürftig. Man hat fast den Eindruck, alle seien mit Jesus im Sandkasten gewesen und würden später persönlich von ihm in den Himmel gehoben. Andererseits ist eine radikal-christliche Grundeinstellung schlecht fürs Geschäft: Der militärisch-industrielle Komplex dürfte davon wenig profitieren, und die meisten Konservativen – auch Kirk – sind eher isolationistisch und gegen das Konzept der USA als Hegemon.
Soweit, so kurz.
Bleibt aber dennoch die Frage, warum Kirk, quasi ein Sokrates der rechten Debatte in den USA eine derartige Ablehnung hervorrufen konnte, dass sein Tod in den sozialen Medien geradezu bejubelt wird. Ich versuche dieses Rätsel zu beantworten.
Dummheit und Anspruchsdenken
Ein berühmter Roman der englischen Autorin Jane Austen heißt Pride and Prejudice, auf Deutsch Stolz und Vorurteil. Auf Jane Austen will ich gleich noch einmal zurückkommen.
Noch immer schlagen die Wellen hoch wegen des Mordes an Charlie Kirk. Unsere deutschen Chefkommentatoren, Elmar Theveßen und Dunja Hayali, haben sich erwartungsgemäß mit aus dem Kontext gerissenen Zitaten und „klammheimlicher“ Freude gründlich blamiert. Es bleibt zu hoffen, dass Theveßen, der „Aufwiegler”, vielleicht sogar vom Secretary of State ein Einreiseverbot erhält. Aber ruhig Blut: Pjöngjang wäre schließlich auch eine Option für einen erfahrenen Korrespondenten, dort gäbe es ebenfalls einiges einzuordnen.
In den USA scheint man einerseits zu fürchten, der Mord könnte etwas Bürgerkriegsähnliches auslösen. Selbst wichtige konservative Kommentatoren wie Tucker Carlson rufen dazu auf, den Ball flach zu halten. Andererseits löst die tausendfach geäußerte Freude über Kirks Ermordung und die Behauptung, er sei als angeblicher „Nazi“ und „Rassist“ letztlich selbst schuld, blankes Entsetzen aus. Die USA wirken gespaltener denn je.
Kirks Unterstützer betonen stets, er habe nur debattieren wollen – als Vertreter der freien Rede und des herrschaftsfreien Diskurses.
Dazu ein oft übersehener Punkt: Das Setting seiner Debatten. In der Regel fanden sie auf Universitätsgelände statt. Kirk saß auf einem Hocker in einem Pavillon mit Mikrofon. Im Publikum gab es ein weiteres Mikrofon, über das man Fragen stellen oder Statements abgeben konnte. Ich habe mehrere solcher Videos gesehen, eines mit einer Milliarde Klicks. Drei typische Situationen:
- Ein Student erklärte, seine Eltern hätten ihm ein Studium der englischen Philologie und Literaturwissenschaft finanziert, weshalb er kompetent sei. Kirk fragte, welchen Roman von Charles Dickens er gelesen habe. Keine Antwort. Dann die Frage nach Jane Austen. Offensichtlich ebenfalls unbekannt. Gelächter im Publikum, völlige Blamage. Mit wenigen Fragen hatte Kirk die Unwissenheit – oder Dummheit – des Studenten bloßgelegt. Dankbar war der Betroffene sicher nicht.
- Im Zusammenhang mit Kirks Pro-Trump-Haltung erklärte ein Student, er wolle Kamala Harris wählen. Auf Kirks Nachfrage nach einem konkreten Erfolg Harris’ als Vizepräsidentin blieb er stumm.
- Kirk betonte, wie es sich für einen Konservativen gezieme, Amerika aus tiefstem Herzen zu lieben. Eine Frau im Publikum, das Gesicht von einer überdimensionierten Maske verdeckt, erklärte, sie hasse Amerika. Kirk fragte, ob sie an Auswanderung denke. Die Frau verneinte – und begann zu hyperventilieren.
Solche Szenen waren typisch. Nach meiner Einschätzung hat Kirk vielen schlicht ihre Dummheit vor Augen geführt. Zustimmung dafür zu erwarten, ist psychologisch unklug. Angesichts von Douglas Murrays Beschreibungen des US-College-Systems – Rücksicht auf „Schneeflocken“, Triggerwarnungen vor Klassikern, Verherrlichung von Genderismus und LGBTQ – wundert das alles wenig.
Während Debatten der 1960er und 70er Jahre, geprägt von Denkern wie Adorno, zumindest intellektuell und sprachlich anspruchsvoll waren, scheint seither ein deutlicher Abstieg eingesetzt zu haben. Von einem Mann wie Kirk, der keinen Collegeabschluss hat, Dummheit attestiert zu bekommen, muss für viele, die Diskussionen gewohnt sind, die sofort mit „Nazi“- oder „Rassist“-Vorwürfen enden, besonders schmerzhaft sein – und Hass auslösen.
Damit wären wir wieder bei Jane Austen: Pride and Prejudice. Viele glauben, allein durch ihren Abschluss Anspruch auf Anerkennung ihrer Intelligenz zu haben. Wird ihnen dann implizit Dummheit nachgewiesen, ist das sehr unangenehm. Da helfen am Ende nur noch „Hass und Hetze“ – oder im schlimmsten Fall eine beschriftete Kugel.
Apropos: Gestern habe ich ein Video-Statement von Elon Musk gesehen. Sehr empfehlenswert. Inhalt: Die westliche ökonomische Dominanz ist „Toast“. Und passend zum Thema: Kalifornische IT-Firmen rekrutieren ihr Personal längst eher aus China, Korea oder Indien als vom heimischen College-Markt.
Soweit, so schlecht.