Der politpsychologische Frühstückssmoothie #42
Die Zeiten ändern sich. Seitdem Boris Pistorius Verteidigungsminister geworden ist, wird von „Kriegstüchtigkeit” gesprochen. War es vielleicht doch besser, dass eine komplett unfähige Verteidigungsministerin in Stöckelschuhen durch schwieriges Gelände gestapft ist?
Ein wichtiges semantisches Tabu wurde mit der Vokabel der Kriegstüchtigkeit gebrochen. Zuerst in der Sprache, dann in den Köpfen, dann in der Realität.
Was soll Kriegstüchtigkeit sein? Der Eifer, einen Krieg zu führen? Die Fähigkeit, in den Krieg zu ziehen? All das kann und darf nicht, aus humanistischen, ethischen und psychologischen Gründen – oder einfach: Um Frieden und Freiheit zu bewahren.
Für die Lust auf Krieg braucht es einen Gegner, noch besser: einen Feind oder gar Dämon, den man verachten und hassen kann. Je intensiver, desto besser für die Kriegstreiber. Am besten einen Dämon, der alles Böse verkörpert und gegen den man mit religiösem Eifer zu Felde ziehen kann.
Ursprünglich war Wladimir Putin für diese Rolle nicht vorgesehen. Er hat sich seit 2022, nicht aber seit 2014, im Westen als Hauptfeind fest etabliert. Sicher nicht zu Unrecht. Aber warum erst so spät? Und wozu sind im Westen Tausende Diplomaten beamtet? Drei Jahre lange verschleuderte die Ex-Außenministerin Baerbock sinnlos Geld für eine „feministische“ Außenpolitik, brachte aber in Sachen Diplomatie rein gar nichts zustande. Es muss erst ein Polterpräsident wie Donald Trump kommen, um die Dinge in Bewegung zu bringen.
Schlafwandler
Die heraufziehenden Kriegsgefahren richten sich gegen alle Menschen. Aber Männer sind davon in besonderer Weise betroffen, wie der Ukraine-Krieg seit Februar 2022 wieder einmal zeigt. Auch dies ist ein Tabu. Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton meinte – meist unwidersprochen -, dass die Frauen den größten Tribut im Krieg zahlen. Es ist obszön, solche Aufrechnungen zu machen. Aber wenn es schon geschieht, dann sollte die Wahrheit anerkannt werden, dass der Krieg traditionell für Männer das schlimmste Schlachthaus darstellt, was Herrschende ihren Untertanen bereiten.
Verschiedene Quellen, darunter die New York Times, bestätigen diese Tragödie. Dort wurde berichtet, dass der Ukraine-Krieg bereits mehr als eine Million Tote und Verletzte gefordert hat – über 90 Prozent davon Männer.
Der Tod wurde schon einmal als Meister aus Deutschland bezeichnet. Zu Recht. Dieses Land braucht keine neue Kriegstüchtigkeit. Die Parallelen zu 1913 sind für alle, die die Geschichte kennen, zu offensichtlich. Schon damals sind „Schlafwandler” (Christopher Clark, 2013) in einen Krieg hineingestolpert, der 10 Millionen tote Männer kostete und unendliches Leid verursachte. Die politische Inkompetenz dieser Schlafwandler erinnert – nicht von ungefähr – an die der heutigen Politiker.
Die Fähigkeit, nicht in den Krieg zu ziehen
Was in Deutschland fehlt, ist eine gesellschaftliche Debatte über Friedenstüchtigkeit. Das Gerede von der Kriegstüchtigkeit muss als das entlarvt werden, was es ist: Kriegspropaganda.
Gerade Deutschland sollte diesen Diskurs führen: Über die Fähigkeit, nicht in den Krieg zu ziehen. Über den Mut, sich nicht in Feindbildern zu verlieren und einen realen Gegner vorschnell zu dämonisieren. Über die Kunst, Konflikte zu deeskalieren. Über das Ethos des Gewaltverzichts – nicht aus Schwäche, sondern aus Stärke. Deutschland soll verteidigungsfähig sein, nicht mehr und nicht weniger. „Meine Söhne bekommt Ihr nicht!“, muss die offensive Botschaft sein, die den Kriegstreibern entgegengehalten wird. „Schickt Eure eigenen, wenn Ihr es so wollt!“
Philosophisch verweist die Unfähigkeit zum Frieden auf ein tiefes kulturelles Defizit. Der norwegische Soziologe Johan Galtung unterschied zwischen „negativem Frieden” (Abwesenheit direkter Gewalt) und „positivem Frieden” (Abwesenheit struktureller Gewalt).
Frieden ist mehr als kein Krieg – er verlangt nach Gerechtigkeit, Konflikt- und Verständigungsfähigkeit. Ohne diese Fähigkeiten bleibt Frieden ein fragiles Schweigen. Und heutzutage wird noch nicht einmal mehr dieser fragile Frieden angestrebt. Selbst im Kalten Krieg bis 1989 war niemals von Kriegstüchtigkeit die Rede, auch wenn man bis an die Zähne bewaffnet war. Man ging vom Verteidigungsfall aus.
Die gesellschaftliche Friedensfähigkeit leidet unter technokratischer Politik und manipulativen Massenmedien, durch die die Menschen von der politischen Willensbildung und kritischer Information immer mehr ausgeschlossen werden. Freie Meinungsäußerung – auch zu existentiellen Fragen von Krieg und Frieden – wird immer mehr stigmatisiert. Konflikte werden immer stärker moralisch aufgeladen, die unbedingt nötigen Diskurse werden eingeengt. Wer heute zur Deeskalation mahnt, riskiert, als illoyal etikettiert zu werden. Es fehlt nicht nur an politischer Diplomatie – es fehlt an einer Kultur des Friedens.
Psychologische Basiskompetenz
Die Psychologie weist darauf hin, dass Friedensfähigkeit psychologische Voraussetzungen hat: Empathie, Frustrationstoleranz, Mut zur Wahrheit, Fähigkeit zur Perspektivübernahme, Sanftmut, Ambiguitätstoleranz. Wo diese Fähigkeiten fehlen – individuell oder kulturell –, wächst die Wahrscheinlichkeit von Feindbildprojektionen, Nationalismus, Dämonisierung, Eskalation und Sprachlosigkeit. Der Friedensfähige ist klar, mutig, der Wahrheit verpflichtet und ohne falsches Gehabe.
Männer sind besonders gefährdet, in den Bann von Kriegsnarrativen gezogen zu werden: durch Rollenbilder, Männlichkeitsmythen, Konformität gegenüber Autoritäten, historische Traditionslinien und schlichtweg auch durch die Wehrpflicht, von der nur Männer betroffen bzw. bedroht sind.
Umso wichtiger wäre es, Friedenstüchtigkeit auch als männliche Reifungskompetenz zu denken – als Ausdruck von Autonomie, Mündigkeit, Selbst- und Fremdfürsorge. Denn nicht schwach, sondern souverän ist es, sich dem Krieg zu verweigern!
Das Grundgesetz erlaubt dies. Dennoch sollten Männer grundsätzlich nicht einer Wehrpflicht unterliegen. Interessanterweise wissen die meisten jungen Männer in Deutschland ohnehin nicht, wozu sie ihr Leben im Krieg einsetzen sollten. Sie haben keine Identifikation mit Heimat, Nation und Deutschland an sich. Nur etwa 30 Prozent sind bereit zum Kriegseinsatz für ihr Land. Die Identifikation mit diesem Land ist – nicht zuletzt durch die politischen Entwicklungen der letzten zehn Jahre – nahezu auf dem Nullpunkt.
Die Tatsache, dass genau jene Politiker, die lautstark getönt haben, Deutschland zu verachten und mit der Nation nichts anfangen zu können, nun die Aufrüstung und Kriegsfähigkeit des Landes propagieren, besitzt eine selten sarkastische Ironie. Aber keiner braucht Angst zu haben, dass der „Russe“ hier einmarschiert. Da sind schon – im wahrsten Sinne – die Polen davor, die ein völlig anderes Verhältnis zu ihrer Heimat und deren Verteidigung haben.
Friedenstüchtigkeit heißt nicht, naiv zu sein. Es heißt, wachsam zu sein gegenüber dem Missbrauch der Sprache, der Dämonisierung des Anderen, der Hybris der moralischen und militärischen Überlegenheit und dem Gefühl, einzig und allein Recht zu haben. Es heißt, zu spüren, wenn die Menschen manipuliert werden in Richtung Feindschaft, Hass und Gewaltbereitschaft.
Friedenstüchtigkeit ist Kritikfähigkeit – und Selbstkritik. Und ganz viel Mut. Zum Widerspruch, zum Andersdenken, zum Durchdringen scheinbarer Wahrheiten und Alternativlosigkeiten. Wenn führende Politiker heute Kriegstüchtigkeit einfordern, müssen sie ein klares „Nein“ als Reaktion erhalten. Friedenstüchtigkeit beginnt im Kopf – und verlangt Charakter.