Kriegstüchtig – Sprache, die Leben kostet

Die Diskussion um die Wehrpflicht ist zurück, lauter als seit Jahren und voller Widersprüche. Kaum ein politisches Feld verbindet Sprache, Sicherheitspolitik, Gesellschaftsbild und historische Erwartungen so eng miteinander wie diese alte, neue Frage: Was verlangt ein Staat eigentlich von seinen Bürgerinnen und Bürgern – und warum gerade jetzt? Wird hier das Individuum einmal mehr Mittel zu staatlicher Problemverwaltung? 

Das gefährliche Verschieben der Sprache

Während von „Wehrpflicht“ gesprochen wird, geht es tatsächlich um etwas anderes: um eine politische Neuausrichtung, die weit über Personalgewinnung hinausreicht. Die Wortwahl hat sich verändert, und mit ihr die Zielsetzung. Aus „Verteidigung“ wird „Kriegstüchtigkeit“ – ein Begriff, der nicht beschreibt, sondern programmiert.

Diese Rhetorik markiert eine Verschiebung im politischen Denken: weg vom Schutz, hin zur Bereitschaft für immer größere militärische Verantwortung. Tragen soll sie das Individuum, und das Individuum wird nicht gefragt.  

Und bevor die Strukturen stehen, bevor Ausrüstung, Ausbildung oder Strategie geklärt sind, wird bereits an der Sprache gearbeitet, die all das legitimieren soll. Und im Gegensatz zu Ausrüstung und besser geschultem Personal ist Sprache kostengünstig.

Pathos statt Plan

Pistorius sagte bereits 2023: „Wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ 

Er war damit nicht der Erste; auch die damalige Außenministerin Annalena Baerbock sah „uns“ im Krieg mit Russland. Dabei ist Kriegstüchtigkeit etwas gänzlich anderes als wehrhaft zu sein. Krieg wird damit normalisiert und landet mitten im politischen Erwartungshorizont, als ob nicht die Vergangenheit gezeigt hätte, dass Krieg letzten Endes keine sinnvolle Option darstellt.

Anders als „wehrhaft“ oder „verteidigungsbereit“ trägt „kriegstüchtig“ den Klang von Angriff und Intervention in sich, bleibt politisch vage und öffnet damit Raum für Interpretationen, die von umfassender Mobilisierung bis hin zu gesellschaftlicher Pflichteinbindung reichen. Militäroperationen gewinnen dank der Scholz’schen Zeitenwende gegenüber der Diplomatie den Vorzug. So sagte Friedrich Merz im März 2025 (pun not intended) gegenüber der ARD: „Putin ist nicht willens, sich auf Diplomatie einzulassen – wir müssen den Aggressor stoppen, koste es, was es wolle.“

Ein Begriff mit blutigem Stammbaum

„Whatever it takes“ möchte auch Roderich Kiesewetter der Ukraine zum Sieg verhelfen: „Der Sieg der Ukraine gegen den russischen Aggressor [ist] das wichtigste außenpolitische Ziel dieser Zeit. […] Europäer müssen der Ukraine zum Sieg verhelfen, mit allem, was möglich ist.“ 

So äußerte er sich im Juli 2025 gegenüber dem NDR. Zahllose andere Beispiele könnten hier folgen, etwa Äußerungen von Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron oder EU-Ratspräsident António Costa. Das Vorbild dieser Rhetorik stammt aus dem absoluten Gruselkasten der Weltgeschichte, genauer aus dem Völkischen Beobachter vom 18. Oktober 1941. Darin schrieb der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels: „Wir bleiben dabei: Wir müssen diesen Krieg gewinnen, koste es, was es wolle. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Wir müssen in jedem Sinne kriegstüchtig bleiben und kriegstüchtiger werden, als wir es bisher gewesen sind.“ 

Bis 1945, auch in der berühmten Sportpalastrede, tauchte dieser Begriff auf. Je schlechter die Wehrmacht dastand, desto häufiger.

Kann eine solche rhetorische Figur überhaupt eine geistige Grundlage für einen modernen westeuropäischen Staat im Hinblick auf seine Wehrfähigkeit darstellen? 

Nein, das kann sie nicht.

Die Armee ist nicht bereit – aber die Gesellschaft soll es sein

Doch nicht nur rhetorisch und inhaltlich ist der Begriff eine Katastrophe. Die daraus resultierende Einberufung von Wehrpflichtigen wird so nicht funktionieren können. Die größte Baustelle der Bundeswehr ist die Ausbildung, und genau hier droht die ganze Zeitenwende zu scheitern. 

Rekruten kommen, aber sie können kaum richtig ausgebildet werden. Es fehlen Ausbilder, Plätze und Material. Statt separater Rekrutenzentren müssen die ohnehin ausgedünnten Kampftruppen selbst die Neuen anlernen – das raubt ihnen die eigene Gefechtsausbildung. Was bedeutet das im Ernstfall? Menschenverluste.

2025 und 2026 gibt es realistisch nur 5.000–7.000 Ausbildungsplätze gleichzeitig, obwohl Experten sofort 20.000 fordern. Dazu kommt: kaum Übungsmunition, leere Depots, fehlende Panzer, kaum Schießbahnen. Viele Rekruten schießen nur 100–200 Patronen statt weit über 1.000, fahren bestenfalls als Beifahrer.

Milliarden versickern

Was ist mit Kasernen? Der große Neubau mit 40.000 Plätzen beginnt erst 2027. Gleichzeitig wird behauptet, Putin könnte morgen angreifen. Bis dahin schlafen Neue oft in Containern oder blockieren die wenigen Hallen der Berufssoldaten. Ohne eine schnelle Lösung – eigene Ausbildungszentren, massive Übungsmunitionsbeschaffung, Container-Kasernen – bleibt das angekündigte Personalwachstum Makulatur.

Auch die Überverwaltung der Bundeswehr ist bei weitem nicht beendet. Trotz Reformen und Rekordhaushalten verschwinden weiterhin Milliarden in Strukturen, die für die Einsatzfähigkeit praktisch bedeutungslos sind. Ein zweistelliger Milliardenbetrag fließt jedes Jahr in Verwaltung und Overhead, während zugleich an Munition, Technik und Ausbildung gespart wird. 

Die Realität zeigt: Das Geld spielt keine Rolle – außer dort, wo es gebraucht wird. Doch der Staat fordert, er fordert um seine eigenen Defizite zu verstecken. Nötigenfalls sogar das Leben seiner Bürger. 

Moderne Kriege töten anders

Während Milliarden in Verwaltungsschleifen kreisen, fehlt es an dem, was im Ernstfall wirklich zählt: an moderner Technologie. Und damit rückt ein Szenario näher, das niemand aussprechen möchte: Wer nicht in Drohnenabwehr, Infrastruktur und digitale Kriegsführung investiert, investiert am Ende in tote Soldaten.

Die derzeitigen Verluste in der Ukraine, zu rund 80 Prozent durch Drohnen verursacht, machen deutlich, was eine unterausgerüstete Armee heute erwartet. Wehrpflichtige wären in einem solchen Szenario nicht Kanonen-, sondern Drohnenfutter.

Viele Drohnen, viele Verluste

Genau an diesem Punkt setzen auch sicherheitspolitische Expertinnen und Experten an. So warnt die Drohnenforscherin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations, dass bloße Massenbeschaffung von Drohnen nicht ausreicht. Die Technik veraltet schneller, als sie beschafft werden kann; entscheidend sei nicht Masse, sondern eine skalierbare und innovative Produktion. 

Ihre Warnung trifft den Kern: In einem hochdynamischen Krieg wirken große Menschenansammlungen nicht wie Stärke, sondern wie Rückständigkeit – und sie erhöhen die Verluste, ohne militärisch etwas zu gewinnen.

Ähnlich argumentiert der israelische Militärexperte Evangelos Bengo. Er kritisiert, dass die Bundeswehr durch ihre bürokratischen Strukturen viel zu langsam lerne. Im Ernstfall, so seine Prognose, würde die Truppe „erst durch hohe Verlustzahlen Lehren ziehen“. Ein Massenheer ohne moderne Technologie produziert vor allem eines: Massen an Gefallenen.

Pflicht als Notlösung 

Der Begriff „Kriegstüchtigkeit” wirkt wie ein Echoraum alter Irrtümer: 1914 marschierte Deutschland mit Pflichtbewusstsein in einen Weltenbrand, 1939 wurde ein Angriffskrieg als Friedensmission verkauft, und selbst der jahrzehntelange Afghanistaneinsatz endete im Scheitern. – Die politischen Versprechen waren stets größer als das, was am Ende übrig blieb.

Heute soll die gesamte Gesellschaft „kriegstüchtig“ werden – nicht, weil wir strategisch vorbereitet wären, sondern gerade weil wir es nicht sind. Wer nicht modernisieren kann, fordert Pflicht. Wer die Strukturen nicht reformiert, ruft nach der Bevölkerung. Und wer außenpolitisch keine Perspektive entwickelt, kompensiert mit Alarmstimmung.

Ein Begriff, der Leben kostet

Die Wahrheit ist brutal einfach: Wenn Kriegstüchtigkeit Wirklichkeit wird, bedeutet das vor allem eines – unnötige Opfer. Opfer, die eine moderne Armee, eine vorausschauende Diplomatie und eine ernsthafte Sicherheitsstrategie verhindert hätten. Statt Technik fordert man Menschen; statt Lösungen verlangt man Opferbereitschaft. Je größer die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, desto lauter wird das Wort.

Darum bleibt „Kriegstüchtigkeit“ am Ende kein Konzept der Sicherheit, sondern ein rhetorisches Pflaster über politische Versäumnisse. Ein Panzer aus Sprache – und darunter eine Armee, die weit entfernt ist von dem, was ihre Rhetorik verspricht.

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