Stellen Sie sich vor, in Deutschland würde Sankt Michael – 29. September – zum Feiertag erklärt, weil er Schutzpatron der Deutschen ist. So etwas ist in Italien (wieder) passiert. Von 2026 an wird der Franziskustag, der 4. Oktober, nationaler Feiertag. Bereits bis 1977 war das der Fall. „San Francesco“ gilt als Schutzpatron Italiens.
Reine Schaufensterpolitik? Wie ist dann die Einführung von islamischen Feiertagen in Schleswig-Holstein zu werten? Anbiederung? Relativismus? Aufgabe der eigenen Traditionen? Und: Warum gibt es dann bis heute in keinem Bundesland einen jüdischen Feiertag, obwohl das Judentum deutlich länger hierzulande verbreitet ist, und Juden mehr Anteil an der kulturellen Prägung hatten – ganz zu schweigen von der schicksalhaften Verknüpfung der Geschichte des deutschen und jüdischen Volkes im 20. Jahrhundert?
Also doch: Feiertage sind mehr als reine Repräsentation. Dass ausgerechnet das nördlichste deutsche Bundesland vorangeht, ist freilich Luxus. Verglichen mit Regionen wie NRW gibt es dort kaum brodelnde Ballungsräume mit Stadtteilen, die längst eine eigene staatliche Form gewonnen haben. Aber der Präzedenzfall wird insbesondere noch von den grün-mitregierten Regierungen dankbar mitgenommen werden.
Feiertage als Identitätsmarker
Man kann die Frage nach Feiertagen in die Identitätsschublade stecken. Man kann sie jedoch auch als ein Detail in der Auseinandersetzung zwischen linken und rechten Prioritäten interpretieren. Grundstock linken Denkens ist seit der Französischen Revolution die Gleichheit. Rechtes Denken erkennt den Ordnungsgedanken als maßgeblich an. Ordnung bedeutet nicht nur Sicherheit; es bedeutet auch eine „natürliche“ Ordnung, etwa nach den Grundsätzen des Naturrechts.
Hierarchien, Rituale, Symbole und das, was die Gesellschaft als „heilig“ einstuft, entspringt demnach nicht positivistischen Grundsätzen, sondern der Überzeugung, dass Traditionen einen „Sinn“ haben – manchmal auch einen, den man gar nicht mehr kennt, bei dem sich die Vorfahren aber etwas gedacht haben.
Den Gedanken hat Chesterton mehrfach auf den Punkt gebracht. Tradition ist die Demokratie der Toten: „Die Tradition ist eine Ausdehnung des Wahlrechts. Tradition heißt, der unbekanntesten aller Klassen – unseren Vorfahren – Stimmen zu geben.“
Auch ein altes Gartentor auf einer Weide, von dem man gar nicht mehr weiß, wieso es dort steht, hat ein Existenzrecht – denn es kann sein, dass erst nach seinem Abriss klar wird, warum es dort stand und nicht abgerissen wurde.
Tradition als „Demokratie der Toten“
Der Ordnungsgedanke erscheint daher exkludierend, etwa, weil er nur die „christlichen Feiertage“ zählt. Aber auch, wenn die Zahl der Christen in Deutschland erheblich zurückgegangen ist und selbst zahlreiche getaufte Katholiken und Evangelische nicht mehr wie praktizierende Christen leben, so ist es doch die christliche Prägung dessen, was Deutschland ausgemacht hat. Selbst das als säkular wahrgenommene Grundgesetz, das einige als „Ersatzbibel“ heranziehen, ist nicht zuletzt aus der christlichen Überzeugung zahlreicher Väter des Grundgesetzes erwachsen, die sich „vor Gott verantwortet“ haben; die rheinische Spielart des Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft, basiert zu einem Großteil auf Ideen aus der katholischen Soziallehre.
Man muss also nicht erst das Mittelalter und die Frühneuzeit heranziehen, um auf das Christentum als Baustein deutscher Identität zu kommen. Das ist auch der Grund, warum die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, immer noch zahlreiche Menschen bewegt. Linkerseits versteht man die Ablehnung des Islams als Ablehnung der Muslime; rechterseits ist dies aber keine Individuenfrage, sondern Identitätsfrage. Der Islam hat nichts zur Identität der deutschen Kultur oder der deutschen politischen Verfasstheit beigetragen. Die Ablehnung eines Konzepts ist nicht gleichbedeutend mit der Ablehnung von Menschen. Es gibt auch zahlreiche Anarchisten in Deutschland, aber würde man deswegen behaupten wollen, der Anarchismus gehöre zu Deutschland?
Die Konstitution wird linkerseits als etwas veränderbares, flexibles erachtet, das sich anpassen muss, rechterseits ist sie ein Eigenwert, ein „Ordnungswert“, den man nicht verändern kann, weil dann „alles erlaubt wäre“.
Das Problem bleibt, dass die politische Linke nicht zwischen „der Islam“ und „die Muslime“ unterscheiden will, womit sie ironischerweise das islam-extremistische Narrativ übernimmt. Linkes Denken ist Systemdenken, kein Individualdenken, auch, wenn es häufig das Gegenteil behauptet.
Die Rückkehr des Heiligen Franziskus
Der Vorstoß in Italien ist deswegen auch bemerkenswert, weil das italienische Parlament bereits 2005 versucht hatte, dem 4. Oktober wieder neue Bedeutung zu verleihen. Damals sollte der einstige Franziskustag als „Tag des Friedens, der Brüderlichkeit und des Dialogs zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen und Religionen“ wieder in Erinnerung gerufen werden. Die Bedeutung eines nationalen Feiertags bekam er nicht. Die Berlusconi-Regierung wagte es auch nicht, den Tag mit religiösem Inhalt zu erfüllen, sondern blieb bei einem relativistischen Ansatz.
Noch vor 20 Jahren erschien die Rückkehr des italienischen Schutzpatrons geradezu als anstößig, nicht so sehr wegen der religiösen Minderheiten, sondern auch aufgrund der linken Prägung im politischen und kulturellen Betrieb. Das Wertefundament der Berlusconi-Regierung war kein konservatives. Auch für seine Partei war die Rückkehr eines religiösen Festes daher utopisch.
In einen ähnlichen Kontext gehört die Trauerfeier für Charlie Kirk. Es wurde neuerlich versucht – wie schon bei der Ermordung – das linke Narrativ über die Zeremonie zu stülpen. Auch das hat außerhalb der Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wenig funktioniert. Die Übertragung zeigte eben keinen Aufruf zum Kreuzzug, sondern Szenen der Vergebung und des Zusammenrückens.
Das, was linke Meinungsführer über exkludierende Strategien versuchen herbeizuführen – etwa durch die Scheidung in hell und dunkel, demokratisch und rechtsextrem, informiert und desinformiert, Hass und Liebe – findet dort ganz ohne spaltendes Moment statt: das Zusammenführen von verschiedenen Menschen unter eine gemeinsame Idee. Auch einen Monat nach den Unkenrufen deutscher Politiker, Medienleute und Influencer hat Trump das Attentat nicht genutzt, um den Faschismus einzuführen …
Das 21. Jahrhundert wird wieder religiös sein
Nicht nur in Italien und den USA ist die Rückbesinnung auf die eigene Identität verpönt oder gar ein Politikum. Große Teile der internationalen Rechten haben nunmehr verinnerlicht, dass ein säkularer oder wirtschaftsliberaler Patriotismus nicht ausreicht – insbesondere nicht in einem Zeitalter der Renaissance der Religion. André Malraux, französischer Schriftsteller und Kulturminister unter Charles de Gaulle, kündigte bereits in den 1960ern an: Das 21. Jahrhundert wird wieder religiös sein – oder es wird nicht sein. Jahrzehntelang hatten westliche Länder mehrheitlich darauf gesetzt, dass ein neuer Säkularismus und Laizismus das Problem eingrenzen könnte.
Deutschland dagegen bleibt strikt auf dem Sonderweg. Hier wurden das Kirk-Attentat und die Kirk-Bestattung genutzt, um die Positionen eines gemäßigten Konservativen als rechtsextrem darzustellen. Der Spiegel und unbedeutende Amerika-Analytiker mögen über „Gotteskrieger“ lästern, zeigen damit jedoch, dass der Zug der Geschichte ohne sie abfährt. Nicht nur der Islam ist zurückgekehrt. Selbst im kommunistischen China erfährt die alte Staatsphilosophie des Konfuzianismus bereits seit Ende des 20. Jahrhunderts eine Wiederbelebung im Gewand der Ideologie der roten Mandarine. Ein aggressiver Hindu-Nationalismus hat Indien im Griff. Der Buddhismus Südostasiens wird Identitätsmerkmal der Länder, die zwischen China und Indien zerquetscht zu werden drohen.
Der globale Kontext religiöser Rückkehr bleibt dem deutschen Provinzialismus Kieler Prägung bloßes Enigma. Man fühlt sich fortschrittlich, ohne zu wissen, dass der eigene Fortschritt aus dem 19. Jahrhundert stammt, in dem die Abwicklung der Religion als rückständiger Hemmschuh nur eine Frage der zeit schien. Insofern sehen die „Progressiven“ die Einführung islamischer Feiertage als Geste von Weltoffenheit und Toleranz. Es wird von dieser Seite paradoxerweise als „säkulares Geschenk“ gedeutet.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die Empfängerseite kann es nämlich durchaus als Identitätsgeste auffassen. So spielt auch die deutsche Linke – gewollt oder ungewollt – der Rückkehr der Religion in die Hände.
Allerdings nicht der eigenen.