Künstler: The Doors
Song: People Are Strange – veröffentlicht auf dem Album Strange Days, 1967 Elektra Records
Es ist ein schwerer, schwüler Morgen in Paris. Das Kopfsteinpflaster glänzt, noch feucht vom nächtlichen Regen, die Regenwolken stehen weiterhin dicht, die Stadt schläft noch halb. In einem unscheinbaren Gebäude abseits des Stadtzentrums liegt ein junger Mann tot in der Badewanne seiner Wohnung. Herzversagen. Doch die Dinge scheinen ihren normalen Lauf zu nehmen. Langsam zwitschern die ersten Vögel – die Welt dreht sich weiter …
Ein paar wenige Stunden später, gegen neun Uhr, macht die Nachricht die Runde. Und dann kommt eine Schockmeldung, wie sie bis dato nur selten gegeben wurde: Einer der größten Stars der Rockmusik ist an diesem 3. Juli 1971 vorzeitig mit 27 Jahren verstorben – James „Jim“ Morrison, Sänger der legendären US-Band The Doors.
Keine Paparazzi, kein Drama vor Publikum – sein Tod kommt pragmatisch. Fast beiläufig. Aber er mischt die Karten neu – denn er trifft eine ganze Generation mit voller Wucht.
Die Umstände seines Todes werden nie aufgeklärt. Da nach französischem Recht keine Obduktion erforderlich war, wenn kein Verdacht auf Fremdeinwirkung vorlag und der Tod als „natürlich“ eingestuft wurde, wurde keine durchgeführt. Das trug natürlich stark zu Spekulationen bei – etwa, dass Morrison seinen Tod vorgetäuscht habe, oder dass die Behörden dahinterstecken, um seinen enormen Einfluss auf die Massen zu stoppen. Beweise dafür existieren jedoch nicht.
Morrison war nicht einfach ein Musiker, er war ein Symbol. Seinerzeit das Symbol schlechthin – für Unangepasstheit, für Rebellion, – für das, was jenseits von glattgebügelten Radio-Hits, und damit symbolisch dem, was Autoritäten anderen vorschreiben, passiert.
Jim Morrison wurde durch seinen frühen Tod zum ersten bekannten Mitglied eines Phänomens, das später als „Club 27“ bezeichnet wurde – einer Gruppe von Musikern, die im Alter von 27 Jahren verstarben. Namen wie Janis Joplin, Jimi Hendrix, später auch Kurt Cobain und Amy Winehouse – um nur ein paar zu nennen – finden sich hier wieder. Sie alle verband ein intensives Leben, das von Exzessen, inneren Konflikten und dem Druck des Ruhms geprägt war – und mit 27 Jahren, meist selbstverschuldet, durch Suizid oder Drogenmissbrauch, ein Ende fand.
Der Begriff „Club 27“ entwickelte sich über die Jahre zu einem popkulturellen Mythos – eine fragwürdige Verklärung eines eigentlich tragischen Themas. Der frühe Tod, verbunden mit einem oft kometenhaften Aufstieg zum Ruhm zuvor, wurde von vielen durch diese vermeintliche Exklusivität romantisiert. So äußerte beispielsweise Kurt Cobain selbst als Jugendlicher, er wolle berühmt werden, „schnell leben“ und mit 27 sterben – in Anlehnung an seine Vorbilder, zu denen auch Jim Morrison zählte. Und bekannterweise erfüllte sich diese düstere Prophezeiung auch tatsächlich …
Doch warum war gerade Morrison dieses Symbol des Widerstands gegen die Norm – und warum ließen sich so viele Künstler von seinem Schaffen inspirieren?
Der Sound der Doors war von Anfang an ein Bruch mit vielem, was in ihrer Zeit als üblich galt. Sie machten eine Mischung aus Rock, Blues, Jazz, Klassik und Psychedelic – gerade in ihrer Schaffenszeit, fiel das völlig aus dem Raster. Auffällig war unter anderem auch das Fehlen eines festen Bassisten – stattdessen prägten Ray Manzareks tiefe, fließende Keyboardlinien das Fundament (wobei er meist mit der linken Hand ein Piano Bass und mit der rechten Hand eine elektrische Orgel spielte). Robby Kriegers Gitarre klang oft jazzig und zurückgenommen. Auch John Densmores Schlagzeugspiel war ungewöhnlich feinfühlig. Und Jim Morrison hatte eine äußerst vielfältige Stimme: Sie konnte schleichen, schreien – und manchmal sogar fast beschwörend sein.
Die Songs der Band waren nicht darauf aus, gefallen zu wollen – sie wollten wirken. „Riders On The Storm“, „People Are Strange“, „The End“ – das waren keine „normalen“ Rocknummern, sondern kleine Grenzverschiebungen. Texte, die mehr Fragen stellten als Antworten gaben. Musik, die nicht von außen kam, sondern von irgendwo tief drinnen.
„People Are Strange“ ist für mich der eine Doors-Song, der den „Geist“ der Band am treffendsten einfängt. In erster Linie begeistert mich die Atmosphäre dieses Werks – es fühlt sich (für mich) wie ein Traum an, in dem die Realität vertraut scheint, aber doch alles irgendwie leicht „verschoben“ ist.
„People Are Strange“ drängt sich dem Hörer nicht auf – eher zieht er den Hörer hinein. Jim Morrison erzählt hier eigentlich nichts besonderes – aber er öffnet einen Raum, in dem sich vieles spiegeln kann:
People are strange
When you’re a stranger
Faces look ugly
When you’re alone
(…)
When you’re strange
Faces come out of the rain
When you’re strange
No one remembers your name
Klanglich entzieht sich das Stück jeglichen Kategorien; es ist ein einziges Spiel mit Ambivalenzen: zugleich ruhig und psychedelisch, melancholisch und fröhlich. Die „Orgel“ klingt beispielsweise wie das Echo eines Vergnügungsparks – das jedoch ins Groteske verzerrt wurde. Morrisons Stimme kommt stellenweise beinahe teilnahmslos rüber – doch genau in dieser gewissen Resignation liegt auch ein Teil des Zaubers, dass er wiederum gefühlvoll klingt.
Trotz – oder gerade wegen? – dieser markanten Ästhetik wurde „People Are Strange“ ein äußerst langlebiger Erfolg. Der Track erreichte nach Veröffentlichung zwar „nur“ Platz 12 in den US-Charts – es gibt also definitiv deutlich erfolgreichere Lieder von The Doors –, hielt sich jedoch lange in den Top 100 – und vor allem aber, wurde es für viele Fans zu dem Symbol der Doors-Ära.
Der Song tauchte später auch in zahlreichen Filmen auf – erstmals besonders markant in „The Lost Boys“ von 1987, wozu die Band Echo & the Bunnymen eine düstere Coverversion beisteuerte. Und auch vier Jahrzehnte später noch fand „People Are Strange“ seinen Weg in die Kinos: 2009, bei „Watchmen“ – als ironisch-dunkler Kommentar zur Superheldengesellschaft.
In solchen Kontexten zeigt sich: „People Are Strange“ ist mehr als ein Song – es ist sowas wie ein psychologisches Stimmungsbild. Das Lied passt in sein Erscheinungsjahr ebenso wie in die Gegenwart – das Gefühl, nicht dazuzugehören, scheint keine Zeit zu kennen.
Da auch die Doors selbst nie klangen wie ein Produkt ihrer Zeit, konnten sie entsprechend weiter wirken: Ihre Spuren finden sich nämlich beispielsweise sogar in elektronischer Musik und im Hip-Hop – Genres also, die lange nach der Doors-Ära entstanden, oder zumindest dann erst an signifikanter Relevanz gewannen.
Jim Morrison hat viel über sein Ende geschrieben, gesungen, gesprochen. Vielleicht zu viel. Vielleicht war das aber auch kein Zufall: Vielleicht hat er sein Ende kommen sehen – oder sich selbst, bewusst oder unbewusst, immer weiter an diesen Punkt gedrängt? Was auch immer die Wahrheit ist – sie bleibt irgendwo im Nebel dieses Pariser Morgens …
Hören Sie hier auf Youtube „People Are Strange“ von The Doors.





2 Kommentare. Leave new
Herzlichen Dank, dass Sie an diese ungewöhnliche Band der späten 1960er Jahre erinnern.
„Die Songs der Band waren nicht darauf aus, gefallen zu wollen – sie wollten wirken.“
Das scheint mir ein wesentlicher Grund für die Bedeutung der DOORS bis in die heutige Zeit zu sein. Diese Band war keine Unterhaltungstruppe, sie wollte auch nicht nur den Rock’n_Roll oder den Blues auf die Bühne bringen. Die Musik dieser Band war gefährlich. Es lag stets etwas in der Luft. Ihre Musik fing die Stimmung jener Zeit mehr ein als andere Bands, sie nahm sie teilweise vorweg. Ich denke da an die Tate-Morde 1969, ausgeübt von der Manson Family in Los Angeles, der Wirkstätte der Doors. Auch während ihrer Auftritte konnte jederzeit etwas passieren. Und damit denke ich nicht nur an die exzessiven und provokativen Bühnenauftritte von Morrison. Die ganze Band, ihr Erscheinen, ihre Musik, hatte etwas Unheimliches, etwas Bedrohliches. Ich verspüre dieses Gefühl noch heute, wenn ich die großartigen Songs der DOORS höre.
Das ist für mich das Wesen, das die Musik dieser Gruppe durchzieht.
Schön mal wieder was von den Doors zu lesen. Danke! Im Club der 27 fehlt natürlich noch der Gründer, ergo Erstmitglied des Ganzen Brian Jones von den Stones. Die unheimliche, knisternde Atmosphäre ihrer Musik, empfand ich immer in den Live-Auftritten der Band, die ich persönlich ( Jahrgang 63) nie erlebt habe, aber in zahlreichen Bootlegs, der in den späten 80ern auf dem Markt erschienen Live-Aufnahmen zugenüge genießen durfte. Die doors sind und waren für mich bisher die einzigartigste Rockband, die sich in kein Schema pressen läßt. Doors forever!