Strategien des Neids

Diesen Text gibt es auch als Episode im Podcast des Sandwirts: Hier.

Es scheint nicht ganz leicht, dem Neid – der, wie ich gelesen habe, der Makel ist, den man am wenigsten gern zugibt – noch neue oder wenigstens interessante Aspekte abzugewinnen. Zu simpel scheint seine Funktion und Mechanik. Er beruht einerseits auf dem Vergleich (mit bevorzugten Anderen), andererseits auf dem Anspruch auf fundamentale Gleichheit, wie ihn etwa ökonomische Sozialismen fordern – wenn nicht gar auf dem Hochmut eines ungern eingestandenen Anspruchs auf singuläre Bevorzugung: Jeder ist schließlich sich selbst der Nächste.

Nun sind die Möglichkeiten des Vergleichens in der Moderne massiv ausgeweitet. Höhere soziale Mobilität, Internet und Bilderflut konfrontieren uns im Dauerbeschuss mit Neidobjekten: Jemand ist schöner, reicher, besser angezogen – und am fatalsten von allem: hat unverdient mehr Glück, im Sinne des alten Begriffs Fortuna. Glück, das eigentlich der Neider verdient hätte – und nicht der Beneidete. Damit wären wir wieder beim modernen Gefühl des Entitlement, dem Anspruch auf etwas, aus welchen Gründen auch immer – oder einfach letztlich grundlos. Gelegenheiten, sich zurückgesetzt und benachteiligt zu fühlen, gibt es unzählige.

Man sagt, jemand sei „grün vor Neid“ – eine interessante Metapher, beschreibt sie doch eine Verfärbung ins Pflanzliche. Der Neid reduziert den Neider auf eine Art Pflanzenhaftigkeit, auf den imaginierten Kampf um den besten Platz an der Sonne.

Die Nichtakzeptanz des Offensichtlichen – nämlich der fundamentalen Ungleichheit der Menschen von Geburt an, sei es intellektuell, familiär, geografisch oder finanziell – nagt am Neider, schließt ihn von seiner Umwelt ab und fixiert ihn zugleich auf diese. Zufrieden und dankbar im Hier und Jetzt zu leben wird so unmöglich. Irgendwer ist immer überlegen, irgendein Wunsch bleibt immer unerfüllt.

Neid hat viel mit der Wunschnatur des Menschen zu tun: ein schnelleres Auto, ein größeres Haus, und all das, was man haben könnte oder wollte – alles nagt an der Seele und macht sie unzufrieden.

Interessant zum Thema Neid ist ein Zitat von Nietzsche: „Der weiß noch nichts von der Bosheit, der nicht erlebt hat, wie die niederträchtigste Verleumdung und der giftigste Neid sich als Mitleid gebärden.“

Hier findet sich der Gedanke, dass negative Gefühle sich tarnen können: Neid als Mitleid, Verachtung als Hilfsangebot, Minderwertigkeitsgefühle als Demut – oder, heutzutage oft in Beziehungen, Ungleichheit als Einladung zur „Therapie“. Das klingt human und partnerschaftlich, doch hinter manchen dieser Interventionen verbirgt sich reiner Neid und das Bedürfnis nach Selbsterhöhung.

Nicht zu vergessen, dass Neid wohl auch einer der Hauptantriebe für Konsum im Kapitalismus ist. Man definiert sich über den Besitz von Waren und vergleicht sie – was wiederum neue Wünsche hervorruft. Ohne Fleiß kein Preis – ohne Neid wenig Konsum. Oder?

Neid ist nun aber ein moralischer Fehler, der sich gut als Waffe gegen unliebsame Diskussionen oder Forderungen wenden lässt. Jede Kritik an sozialer Ungleichheit, die ja durchaus berechtigt sein kann, wird flugs als „Neiddebatte“ diffamiert. Schon die Frage, warum Pensionäre so massiv besser gestellt sind als Rentner und warum bei sozialen Problematiken wie der Wiedervereinigung oder den Ukraine-Flüchtlingen gerne nur in die Rentenkasse gegriffen oder die gesetzliche Krankenkasse belastet wird, wird als Ausfluss von „Neid“ qualifiziert.

Dabei sind das im Kern Gerechtigkeitsfragen: Es ginge um eine angemessene Verteilung von Lasten in der Bevölkerung, wobei faktisch immer der schwer arbeitende Teil und die Nettosteuerzahler belastet werden, während die „Staatsdiener“, oder besser gesagt jene Schichten, die sich als Staat fühlen und von ihm gepampert werden, sich bei der Übernahme von Lasten eher zurückhalten. Jedem Aufbegehren wird nun mit der moralisierenden Qualifikation „Neid“ der Mund gestopft. Beispiele für alternative Strategien, wie etwa in Mileis Argentinien, wo der Staat zurückgebaut wird, haben eine schlechte Presse.

Wie lange das gutgeht, bleibt abzuwarten – und ob die belasteten Schichten auf Dauer immer nur „Kuchen essen“ sollen. Schiefgegangen ist die Neidstrategie schon öfter.

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