Avaritia, der Geiz, ist eine Untugend – das weiß jeder; und gleichzeitig ist Geiz im Grunde, als Kapitalsammelverhalten, auch eine Grundlage unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Grillen werden am Ende immer die Ameisen beneiden: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, sagt man nicht umsonst. Wobei … übertriebene Sparsamkeit ist geradezu ein wirtschaftlicher Non-Burner. Es ist besser, man haut die Kohle raus und bringt den Laden zum Laufen, als miesepetrig den Konsum Konsum sein zu lassen.
Dass die ursprünglichen Kapitalien durch Sparsamkeit zustande gekommen seien, ist letztlich doch ein Märchen. Die Spanier haben das Gold in Südamerika einfach geraubt, die Amerikaner ihre Wälder abgeholzt, und die Engländer wussten auch, wie es geht. Nur der Schwabe singt das Lied vom Sack voller „Batzen“ hinter dem Bett der Schwiegermutter, der nicht nur seine Begehrlichkeit weckt. Auch andere Nationen suchen ja gern „die eine“, die die Lokalrunden bezahlt, die sie geschmissen haben.
Nun scheint Geiz eine notwendige Eigenschaft im Kapitalismus zu sein – besser: Sparsamkeit –, aber wo ist da die Grenze? Die Qualifikation als Todsünde verweist natürlich auf ein Problem: Was gula – die Gier – hereingeschaufelt hat, soll nicht ausgegeben werden, sondern in eine Art Nibelungenhort oder Dagoberts Goldbad wandern. „Sicher ist sicher“, und die Rente ist es wahrscheinlich nicht. Der Kluge baut vor.

Nun will ich mir hier eine kleine Abschweifung erlauben, um zu zeigen, dass die Sonntagsreden-Moral bundespräsidialer Feiertagsansprachen leider mit der christlichen Moral schlicht unvereinbar ist. Zu allen Feierterminen beschwört unsere Eule im Schloss Bellevue, mit zum Himmel gerichtetem feuchtem Blick wie die Magdalenen diverser Barockbilder, „unsere Demokratie“ und ihre jüdisch-griechisch-christliche Grundlage – so, als hätten Moses, Sokrates und Petrus und Paulus gemeinsam im Sandkasten gesessen.
Diese Abendlandsbeschwörungen, gern auch mit Kippa auf dem Kopf vorgetragen, haben nur einen Fehler: Sie blenden gewisse Realitäten aus. Der jüdische Gott hat sein Volk bei der Implementierung im Gelobten Land erst mal mit der Ausrottung der Ureinwohner unterstützt – ich sage nur Amalek und Jericho –, die gelegentlich auch heutzutage als Blaupause für politisches Handeln dienen. Sokrates wurde von seinen demokratischen Mitbürgern vergiftet, und nebenbei war es damals üblich, auch verdiente Strategen wie Themistokles ins persische Exil zu schicken, während Demagogen wie Alkibiades die Katastrophe der sizilianischen Expedition organisierten, die Athen an den Abgrund brachte. Abgesehen davon, dass die meisten griechischen Stadtstaaten Tyranneien oder wenigstens Oligarchien waren, beruhend auf Sklavenarbeit und der Ausbeutung der Heloten. Aber lassen wir das.
Und das Christentum? „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sprach unser Erlöser – und er hat vermutlich Recht. Die wirtschaftliche Organisation der Urgemeinde war eine Art radikaler Kommunismus in Erwartung der nahenden Wiederkunft, und das galt, bis die römischen Bischöfe etwas Realismus und Ordnung in die Chose brachten.
Seitdem hört man nichts mehr von den „Lilien auf dem Felde, die nicht weben noch spinnen, aber Salomo …“ – Sie wissen schon – und von den Vögeln des Himmels, die nicht säen oder ernten.
Schon die Kirche fing an, „ihr Säckle beisammen zu halten“, und das Zölibat wurde nur eingeführt, damit die gerafften Güter der Kleriker nicht vererbt werden konnten. Um Sexualität ging es nur am Rande – aber die fällt unter den Begriff luxuria, und den hatten wir schon.
Halten wir fest: Die Moral des Christentums ist sehr schön – gegenüber dem platten Steinigungsethos des Alten Testaments –, aber sie ist großenteils in der bösen Welt unpraktikabel. Und Judentum, Antike und Christentum trennt doch ein recht heftiger Graben, was noch heute zu Kulturkämpfen führt, wie derzeit in den USA, wo Bösewichter wie Tucker Carlson gegen den etwas engen, religiös motivierten Nationalismus des Netanjahu-Israel wettern.
Aber genug der Abschweifungen; wenden wir uns der individualpsychologischen Problematik der „avaritia“ zu.
Wie gesagt: Was gula – die Gier, die Völlerei – hereingeschaufelt hat, will die avaritia nicht mehr herausgeben. Der Fluss des Lebens wird unterbrochen; es kommt zu einer Art Isolation des Geizigen, der sich aus dem Kreislauf des Nehmens und Gebens ausklinkt. Besitz wird abstrakt – und das ist er in der Gegenwart ohnehin. Vermögen ist nur noch eine digitale Ziffer in irgendwelchen Computern, und dagegen ist das südländisch geprägte Geprotze mancher Gruppen, wie der Bayern und so, schon fast sympathisch.
Das Oktoberfest mag nicht jedermanns Sache sein, aber da wird wenigstens etwas auf den Kopf gehauen – eine Art Potlatch, wie bei den amerikanischen Indianern, die von Zeit zu Zeit ihren Besitz verschenkten und zur Not auch verbrannten.
Geiz ist häufig gepaart mit Sorge: Sorge, dass es nicht reicht; Misstrauen gegen den böswilligen Nebenmenschen. Und schon Jesus meint, man solle sich nicht mit irdischen Schätzen aufhalten, wo Rost und Motten sie verzehren, sondern einen Schatz im Himmel anhäufen – wo immer der sein mag.
Überhaupt strotzt das Neue Testament vor Stellen, die nicht nur können, sondern kapitalismuskritisch gedeutet werden müssen. Am besten kommt noch der arme Lazarus weg, der am Ende zur Rechten des Herrn sitzt; und Partei wird auch für die arme Witwe ergriffen, während die Pharisäer eine schlechte Presse haben.
Geiz bedeutet Verengung – Verengung auf das Materielle – und damit beeinflusst er den psychischen Haushalt negativ. Aber wie gesagt: Das Christentum ist hart. Auf die Frage eines Jünglings, was er denn tun solle, um das Himmelreich zu erlangen, antwortet er: „Verkauf alles und folge mir nach!“ Man kennt das Ende: Er wurde traurig und wandte sich ab.
Harter Tobak – der sollte in den üblichen Sonntagsreden besser nicht so betont werden.
Die Auseinandersetzung mit der Todsünde des Geizes zeigt auf das Problem hin, dass vom moralischen Standpunkt die Auseinandersetzung mit sozialen Forderungen nicht unterkomplex laufen darf. Und das tut sie in manchen libertären Diskursen. Die menschliche Ungleichheit ist ein Fakt des „Geworfenseins“ und die Aufforderung, den eigenen Beutel nicht allzu sehr zuzuklemmen ist ein integraler Teil jeder Religion. Der Zehnte musste immer abgegeben werden und ob dieser Zehnte heutzutage bei 50 Prozent Abgabenquote wirklich bei den Erniedrigten und Beleidigten ankommt, kann man bezweifeln. Armut ist ein Geschäft für viele, Migration auch, und das Geschäft machen nicht immer die Bedürftigen. Aber auf dem auszubrütenden goldenen Ei zu sitzen, macht auch ein bisschen einsam.





1 Kommentar. Leave new
Der Text ist sprachlich versiert, leidet jedoch an einer grundlegenden begrifflichen Unschärfe. Geiz (avaritia), Sparsamkeit, Kapitalbildung und gesellschaftliche Ordnung werden wiederholt ineinander geschoben, obwohl sie unterschiedlichen Ebenen angehören. Avaritia ist eine moralische Herzenshaltung, Sparsamkeit eine Tugend verantwortlicher Haushalterschaft, Kapitalbildung ein ökonomischer Prozess. Wer diese Kategorien vermischt, erzeugt moralische Wirkung, aber keine analytische Klarheit.
Auch historisch bleibt die Argumentation fragwürdig. Die These, Kapital entstehe primär durch Raub und Gewalt, erklärt Imperien, nicht funktionierende Marktwirtschaften. Nachhaltige Kapitalbildung setzt Rechtssicherheit, Eigentumsschutz und freiwilligen Tausch voraus – nicht Beute oder Geiz.
Theologisch wird die Bibel eher illustriert als ausgelegt. Gerichtstexte des Alten Testaments werden ohne Bundesverortung moralisch kommentiert, die Praxis der Urgemeinde fälschlich als „Kommunismus“ etikettiert, obwohl sie auf Freiwilligkeit beruht und Privateigentum nicht aufhebt.
Der entscheidende Mangel liegt in der fehlenden Unterscheidung zwischen moralischer Forderung und legitimer Zwangsordnung. Nächstenliebe und Großzügigkeit sind religiöse Pflichten – aber keine politischen Kompetenzen. Wo diese Grenze verwischt wird, kippt Moral in moralischen Zwang.
So bleibt ein engagierter Text mit kultureller Breite, der jedoch dort schwach ist, wo begriffliche Präzision, saubere Exegese und ordnungstheologische Klarheit nötig wären.