Auf dem Plattenspieler: Martha Wash

Künstler: Martha Wash

Song: Gonna Make You Sweat – live auf dem Rewind Festival in Remenham, England, 2014

Everybody dance now!

Schon während ich diese Worte lese, setzt die Melodie in meinem Kopf ein – geht es Ihnen auch so? Ein Effekt, der nur ganz großen Hits vorbehalten ist: Songs, die so allgegenwärtig waren, dass sich deren Phrasen unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.

Meist stammen sie von großen Künstlern, manchmal von One-Hit-Wondern. Doch es gibt eine seltene dritte Kategorie: die Songs, bei denen trotz ihrer Omnipräsenz kaum jemand weiß, wer sie eigentlich gesungen hat.

Der 80er-Hit „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“ ist dafür ein Paradebeispiel. Als Interpret gilt die C+C Music Factory – die ikonische Gesangsstimme jedoch, die den Song ausmachte, gehört jemandem, dessen Name noch unbekannter ist: Martha Wash.

Dabei war Wash nicht nur das Genie hinter dieser Nummer, sondern prägte zahlreiche Dance-Klassiker: etwa „It’s Raining Men“ der Weather Girls oder den Großteil aller Black Box-Singles, darunter „Ride on Time“ und „Everybody Everybody“ – allesamt enorme Erfolge. Ihre Stimme gehörte jahrelang zu den populärsten überhaupt, nicht zuletzt auch aufgrund ihres hohen Wiedererkennungswertes.

Warum diese Tracks trotzdem unter dem Namen anderer liefen und Martha Wash kaum gebührend gewürdigt wurde? Dahinter steckt eine ungewöhnliche und fesselnde Geschichte. Eine Geschichte, die allemal eine genauere Betrachtung wert ist …

Martha Wash’ Weg begann lange vor den Dancefloors: 1953 in San Francisco geboren, sang sie in ihrer Kindheit und Jugend in Kirchenchören, in denen Gesang weniger als künstlerische Leistung, sondern als Ausdruck von Glauben und Gemeinschaft verstanden wurde; das erklärt vermutlich, warum ihre Stimme später selbst auf stumpfen Party-Songs so eindringlich wirkte.

Mitte der 1970er öffnete sich für Martha Wash die Tür in eine spannende neue Welt: die der tanzbaren, elektronischen Musik. Der Disco-Sänger Sylvester, damals eine große Nummer, entdeckte sie über Kontakte in der lokalen Musikszene San Franciscos – und holte sie gemeinsam mit Izora Rhodes, die wie Wash aus dem Gospelbereich kam, als Backgroundsängerinnen ins Studio. 

Bei der Zusammenarbeit mit Sylvester standen die beiden letztlich jedoch nicht im Hintergrund, sondern mitten im Zentrum: sichtbar, hörbar, unverwechselbar. Und aus diesen Beiträgen heraus gründeten Wash und Rodes das Duo The Weather Girls, das 1979 mit „It’s Raining Men“ einen Track veröffentlichte, der bis heute als Klassiker gilt.

Doch Anfang der 80er-Jahre änderten sich die Spielregeln der Musikindustrie: Musikfernsehen gewann an Bedeutung – Bilder wurden wichtiger als Namen, Körper wichtiger als Stimmen. Die Musik rückte in den Hintergrund; entsprach ein Künstler nicht dem gängigen Schönheitsideal, erhielt er weniger Förderung.

Genau hier begann deshalb etwas, das Martha Wash fortan wie ein Fluch verfolgen sollte: Zunächst subtil, dann immer offensichtlicher wurde sie zu einer Stimme, die man hören, aber nicht als Person zeigen wollte – weil sie als korpulente schwarze Frau als „unvermarktbar“ galt.

Zunächst zeigte sich dieses Muster bei den Weather Girls eher subtil, durch fehlende Marketinginvestition seitens der Plattenfirma – bis das Duo „vergessen“ war. Dann auch direkter, bei der Girlgroup Seduction, für die Wash Ende der Achtzigerjahre als Sängerin engagiert wurde: Der Song „(You’re My One and Only) True Love“, letztlich der größte Hit der Band, trug Wash’ Lead-Vocals – doch ein Model sollte ihre Stimme „verkörpern“.

Wash widersprach und zog sich aus dem Projekt zurück – doch das System war mächtiger als die Entscheidung eines Einzelnen: Ohne Regelungen blieb ihr jedes Recht verwehrt; Seduction startete mit ihrer Stimme, aber ohne sie.

Nur wenige Monate später trat dasselbe Problem erneut auf, als das Produzententeam Black Box 1989 nach einer Stimme für seine Tracks suchte und sich mit Wash einigte. So entstand „Ride on Time“, ein Song, der ebenfalls weltweit die Charts dominierte. 

Wieder machte ihre Stimme die Nummer zum Hit, doch erneut wurde sie aus dem Bild gedrängt: Für Videos und Auftritte stand ein Model vor der Kamera, während Wash unsichtbar blieb. Dasselbe Prinzip – diesmal noch größer und globaler.

Anschließend veröffentlichte Black Box tatsächlich noch zahlreiche weitere Hits mit ihrer Stimme – ohne die Streitigkeiten zu klären oder Wash namentlich zu nennen! Als sie daraufhin klagte und es zu einer außergerichtlichen Einigung kam, wurden ihre Beiträge, neben einer finanziellen Entschädigung, bei weiteren Albenpressungen korrekt genannt … doch das war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Dann begann das Kapitel C+C Music Factory … David Cole, neben Robert Clivillés einer der Köpfe der Band, war lange in der Clubszene aktiv und kannte Martha Wash schon viele Jahre. Als seine Anfrage kam, einige Background-Vocals aufzunehmen, rechnete Wash also nicht damit, dass es wie bei Seduction oder Black Box laufen könnte – und sagte zu.

Für lediglich rund tausend Dollar steuerte sie einige Background-Vocals bei – doch in den finalen Songs, wie „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“, wurde ihr Part ohne Absprache in den Vordergrund gerückt … und der Track explodierte förmlich! Es hagelte geradezu Gold- und Platinauszeichnungen, die C+C Music Factory spielte riesige Konzerte, räumte Preise ab – und schon wieder lag der Erfolg vor allem an Wash’ unverkennbarer Stimme, ohne dass sie dafür anerkannt wurde.

Und ein weiteres Mal war auch ein anderes Gesicht im Video zu sehen: Model und Sängerin Zelma Davis. Martha Wash traf das wie ein Schlag – sie erfuhr es selbst erst, als der Song im Fernsehen lief! 

Das Single-Cover von „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“ spricht für sich.

So erstaunlich es klingt, war dieses Vorgehen an sich damals weniger ungewöhnlich, als es heute wirkt: Gerade in der elektronischen Musik wurden Vocals häufig ohne namentliche Nennung verwendet – eine Stimme galt als funktionales Element, nicht als künstlerische Identität.

Dieses System war wiederum Teil einer größeren Logik der Popvermarktung. Besonders deutlich zeigte sich das im fast zeitgleichen Milli-Vanilli-Skandal, der noch öffentlicher machte, wie Stimmen und Gesichter getrennt wurden, um bestimmte Bilder zu verkaufen. Erst nach solchen Extremfällen begannen Labels und Produzenten, verbindlichere Regeln und mehr Transparenz einzuhalten.

Auch Martha Wash klagte diesmal nicht nur wegen der Verletzung ihrer Rechte, sondern auch wegen der Irreführung der Öffentlichkeit. Und genau das machte den Unterschied: Die Verfahren endeten mit Entschädigungen und der Verpflichtung zur korrekten Nennung, lösten vor allem aber, zusammen mit dem Milli-Vanilli-Fall, eine riesige öffentliche Debatte über Authentizität aus, die das Vorgehen der Branche nachhaltig veränderte.

Erst Anfang der 2010er erhielt Martha Wash endlich die Anerkennung, die ihr längst zustand: In den sozialen Medien konnten Fans nachvollziehen, wer hinter den alten Dance-Hits stand. Ihr Name gewann folglich an Popularität und sie wurde fortan regelmäßig auf großen Bühnen gebucht.

Besonders beeindruckend finde ich, dass Martha Wash nach den konfliktreichen Jahren nicht in Bitterkeit versank, sondern sich einfach neu ordnete: Sie veröffentlichte weiterhin Musik, egal wie klein ihr Publikum wurde, und sprach offen und ehrlich über ihre Erfahrungen, ohne sich auf sie reduzieren zu lassen. Und ganz am Ende ihrer Karriere zahlte sich genau das aus.

Der Song „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“ und Martha Wash’ Wirken generell stehen also nicht nur für Euphorie und Tanz. Sie zeigen, dass Ausdauer und der Mut, für die eigene Stimme einzustehen, mehr verändern können als kurzfristige Erfolge oder bloße Popularität – sie erinnern daran, dass Integrität und Standhaftigkeit langfristig den wahren Wert ausmachen …

Hören und sehen Sie hier das Musikvideo zu „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“ von der C+C Music Factory.

Und hier Martha Wash‘ Solo-Interpretation von 2014. Sie lieferte diese Performance im Alter von 61 Jahren ab!

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