Künstler: Lana Del Rey
Song: Young and Beautiful – veröffentlicht auf dem Soundtrack zum Film „The Great Gatsby“ (Universal Music, 2013)
Lana Del Rey ist eine der unauffälligsten, aber zugleich einflussreichsten Musikerinnen der letzten Zeit. Songs wie „Summertime Sadness“ oder „Born to Die“ sind bekannter als sie selbst. Dabei ist ihre Karriere allemal eine nähere Betrachtung wert, denn sie erzählt eine der faszinierendsten Geschichten über persönliche Freiheit im modernen Pop-Genre – und mit ihrem unverwechselbaren Stil inspirierte sie unter anderem einige der aktuell größten Pop-Künstler der Welt.
Ihr Widerstand richtete sich gegen die Strukturen der Musikindustrie: In den 2010er-Jahren, als Popstars von Plattenfirmen durch massenmarktorientierte Strategien in einheitliche Klangbilder und Ästhetiken gepresst wurden, wählte sie einen radikal anderen Weg. Sie stellte sich nicht nur gegen die Erwartungen der Branche, sondern auch gegen das Außenbild, das man ihr anfänglich aufzwingen wollte.
Bevor sie als Lana Del Rey bekannt wurde, veröffentlichte sie nämlich unter diversen anderen, so auch unter ihrem echten Namen, Lizzy Grant, Musik, die sich stilistisch stark von späteren Werken unterschied. Diese frühen Aufnahmen zeigten eine andere Gesangstechnik, eine andere Tonlage und eine völlig andere Ästhetik. Ihre Stimme war heller, der Stil verspielter. Fast schon naiv wirkte das Gesamtbild. Das war es, was Grant – wie so vielen anderen – auferlegt wurde: Wie viele Künstler vor ihr wurde auch sie in eine Form gepresst, die gefällig und markttauglich war.
Doch direkt nach ihrem Debütalbum lehnte sie es ab, sich für den Erfolg zu verstellen – der zu dieser Zeit ohnehin noch vergleichsweise moderat war. Ihre Rebellion begann mit einer fundamentalen Entscheidung: Sie erschuf sich selbst neu. Und damit nahm ihre Karriere erst richtig Fahrt auf!
Der Name Lana Del Rey und der Stil, den sie damit schuf, sind inspiriert von der Sehnsucht nach einer vergangenen Ära von alter Hollywood-Ästhetik. Wie das musikalische Äquivalent des Films „The Great Gatsby“ mit Leonardo DiCaprio – an dessen Soundtrack sie nicht zufällig mitgewirkt hat: Ihr Grammy-nominierter Song „Young and Beautiful“ spielt dabei eine zentrale Rolle, da er in mehreren entscheidenden Szenen zu hören ist. Ihre Musikvideos wirkten durch entsprechend eingesetzte Filter und Effekte wie alte Filmaufnahmen, ihre Texte waren durchzogen von Referenzen an vergangene Jahrzehnte und geprägt von „alten Werten“, so beispielsweise Patriotismus und dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau. Es war ein bewusster Rückgriff auf das Vergangene – nicht als einfache Retro-Romantik, sondern als eine Art kultureller Gegenentwurf zur Beliebigkeit der Gegenwart. Zusammenfassend kann man sagen, dass sie sich nicht als typisch makellose Pop-Ikone, sondern als verletzliche, nachdenkliche Figur, außerhalb der modernen Popwelt positionierte.
Schon ihr Gesang an sich war eine bewusste Abkehr von dem, was Popstars normalerweise taten. Während viele Künstlerinnen ihre Stimmen überhöhten und sich an stereotype, sexualisierte Weiblichkeit anpassten – wofür Britney Spears DAS Paradebeispiel schlechthin ist – entschied sich Lana Del Rey für das genaue Gegenteil: Ihre tiefe, fast flüsternde Stimme wurde zu ihrem Markenzeichen.
Diese Entscheidung war nicht von feministischen Idealen geprägt – im Gegenteil, zum Feminismus äußerte sie sich mehrfach kritisch – sie entsprang ihrer persönlichen Vision, was sie als Künstlerin ausdrücken wollte. Während sich der Mainstream-Pop in den frühen 2010er-Jahren auf elektronischen Dance-Pop und glatte, massentaugliche Produktionen konzentrierte, setzte sie auf Orchesterarrangements und melancholische Melodien. Während andere auf glitzernde Beats setzten, ließ sie ihre Lieder langsam und schwermütig klingen. Während andere auf von Songwritern verfasste, massenkompatible Refrains und oberflächliche Party-Hymnen setzten, besang sie tiefgründige Themen, die sie wirklich beschäftigten: Vergänglichkeit, Depressionen, unglückliche Liebe, die Schattenseiten des amerikanischen Traums – und damals nicht mehr selbstverständlich: Alle Songs stammten aus ihrer eigenen Feder. Sie brach auch musikalische Konventionen, indem sie Elemente verschiedener Genres verband, darunter neben Pop auch Swing, Alternative Rock und Hip-Hop – einige Songs beinhalteten sogar orchestrale Elemente.
Lizzy Grant widersetzte sich darüber hinaus dem Druck, ihre Musik an die Mechanismen von Streaming-Algorithmen anzupassen. Während Lieder immer kürzer und eingängiger wurden, um auf Plattformen wie Spotify erfolgreicher zu sein, blieb sie ihrem Stil treu und veröffentlichte weiterhin lange, atmosphärische Stücke, die Zeit brauchten, um sich zu entfalten.
Mit dem Aufkommen von Streaming-Diensten veränderte sich nämlich der Aufbau von Songs: Viele Künstler verzichteten auf längere Einstiege oder einleitende Strophen und sprangen direkt zum Refrain – der markantesten und wiedererkennbarsten Passage, die die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Abspielens erhöht. Zudem wird auf Spotify ein Play ab der 30. Sekunde gewertet, was es strategisch vorteilhafter macht, sofort mit dem Refrain zu beginnen, um die Aufmerksamkeit der Hörer zu gewinnen. Diese Entwicklung prägt bis heute die „Mainstream-Norm“ der Musikproduktion.
Doch Lizzy Grant ging ihren eigenen Weg – und trotz ihrer unkonventionellen Herangehensweise, brachen ihre Streamingzahlen zu ihrer Spitzenzeit Rekorde.
Lana Del Reys Karriere war ein konstantes „Nein“ zu all den Zwängen des Business. Doch das hatte natürlich seinen Preis. Wie anfangs erwähnt, hat sich ihr Name, trotz großem Erfolg, nicht langfristig im kollektiven Bewusstsein der Musikgeschichte verankert – sie wird nicht ihrer großartigen Arbeit entsprechend gewürdigt. Sie wurde oft missverstanden, kritisiert und als Kunstprodukt abgestempelt – ironischerweise genau für das, wogegen sie sich auflehnte; ihr gesamtes Schaffen war ein Protest gegen die Oberflächlichkeit der Musikindustrie, doch ausgerechnet Oberflächlichkeit wurde ihr von Kritikern vorgeworfen.
Dennoch ist Lana Del Reys Einfluss auf die heutige Musikszene unbestreitbar. Künstler wie Billie Eilish, Olivia Rodrigo und Gracie Abrams sind von ihrem melancholischen Stil und Stimmeinsatz geprägt, während Lorde oder Weyes Blood ähnliche cineastische Klangwelten erschaffen.
Die Arctic Monkeys, eine der erfolgreichsten neumodernen Bands, ließen sich von ihrem Vintage-Look inspirieren. Auch The Weeknd, mit dem sie mehrfach zusammenarbeitete, bezeichnet sie als Muse. Taylor Swift, eine der größten Popstars aller Zeiten, hat sie als „wichtigste Songwriterin unserer Generation“ bezeichnet – und dankte ihr öffentlich für den Einfluss, den sie, besonders auf ihrem Album „Midnights“, hatte. Lizzy Grants Entschlossenheit, ihre eigene künstlerische Vision zu verfolgen und sich nicht den kommerziellen Erwartungen zu beugen, hat den Weg für eine neue Generation „freierer“ Künstler geebnet.
Lana Del Rey hat eindrucksvoll gezeigt, dass künstlerische Integrität für sie wichtiger ist als Prestige – eine Haltung, die ich grundsätzlich immer bewundere. Lana Del Rey hat nicht nur bewiesen, dass es möglich ist, sich selbst treu zu bleiben, sondern auch, dass wahre künstlerische Freiheit ihren Platz im Mainstream haben kann. Genau darin liegt ihr größter Erfolg.




