Auf dem Plattenspieler: Journey

Künstler: Journey

Song: Wheel in the Sky – veröffentlicht auf dem Album Infinity, 1978 Columbia Records 

Welche Melodie – wenn Sie diese Erfahrung denn kennen – war es bei Ihnen? 

Manche Melodien begleiten viele von uns seit der Kindheit, ohne dass wir je ihren Ursprung kennen. Zufällig irgendwo zwischen Werbespots und Radiowellen aufgeschnappt, nisten sie sich ein und bleiben, leise und unscheinbar, über Jahre hinweg im Hinterkopf …

Und dann passiert es: Ein Akkord, ein Refrain, ein sonstiges Element ertönt – und etwas in Ihnen antwortet sofort. Zum ersten Mal ziehen Sie die Verbindung und hören das Lied bewusst.

So ging es mir mit „Wheel in the Sky“: Ein Teil des Refrains hatte sich tief in mir eingebrannt, lange bevor ich wusste, von wem er stammte. Erst kürzlich entdeckte ich: Es war die Band Journey. Zum ersten Mal hörte ich bei dem Song aufmerksam zu und er zog mich unmittelbar hinein …

Einige Zeilen des Textes trafen mich so sehr, dass es mir vorkam, als hätte der Song all die Jahre auf mich gewartet, um mir seine Geschichte zu erzählen – nun, da meine eigenen Erfahrungen mir erlauben, seine Worte wirklich zu verstehen:

I’ve been trying to make it home

Got to make it before too long

Ooh, I can’t take this very much longer, no

Don’t think I’m ever gonna make it home again

The morning sun is risin‘, it’s kissin‘ the day

Oh, the wheel in the sky keeps on turnin‘

Szenenwechsel, Ende der 1970er-Jahre: Eine Pizzabude in Amerika. Neonlicht flackert über die Tresen, Stimmengewirr erfüllt den Raum, Rauchschwaden von Zigaretten hängen in der Luft. Zwei Männer sitzen an einem Tisch. Einer von ihnen, der Sänger Steve Perry, steht auf und geht zur Jukebox. Mit einer Münze in der Hand wählt er einen Song – ohne Neal Schon, seinem Freund und Gitarristen, zu verraten, welche Nummer er wählt. Dann kehrt er an den Tisch zurück, und ihr Gespräch geht weiter …

Plötzlich erklingen die ersten Töne – und Perrys eigene Stimme erfüllt den Raum; nicht aus den kontrollierten Studio-Lautsprechern, wie so oft in den vergangenen Monaten, sondern endlich live, öffentlich, mitten unter Fremden. Neal Schon grinst breit, ein leises Lachen entfährt ihm – denn, dass die Platte kurz nach der Veröffentlichung bereits in der Jukebox auswählbar ist, zeigt: Der Song ist auf dem besten Weg, ein Hit zu werden!

Um die Bedeutung dieses Augenblicks besser nachzuempfinden, lohnt ein Blick noch weiter zurück …

Journey war 1973 in San Francisco gegründet worden – hervorgegangen aus den „Überresten“ von Santana, der legendären Latin-Rock-Band um Gitarrist Carlos Santana (die Ende der 1960er-Jahre mit Hits wie „Black Magic Woman“, „Oye Como Va“ und ihrem legendären Woodstock-Auftritt weltbekannt wurde). 

Neal Schon, der bereits mit 15 Jahren an der Seite von Carlos Santana spielte, und einer seiner Bandkollegen, Keyboarder und Backgroundsänger Gregg Rolie, träumten von musikalischer Freiheit – davon, jenseits der „Santana-Regeln“ zu agieren. Sie trennten sich von der Band, und der Bassist Ross Valory sowie der Schlagzeuger Aynsley Dunbar, die beide Schon und Rolie kannten, schlossen sich ihnen an, um gemeinsam eine neue Gruppe zu gründen.

Ihre ersten drei Alben waren technisch nahezu brillant und musikalisch einzigartig, doch für die breite Masse schwer zugänglich – ein Publikum fanden sie kaum. Columbia Records, die Plattenfirma, bei der Journey unter Vertrag stand, stellte die Bandmitglieder schließlich vor die Wahl: Entweder sie komponierten Songs, die Menschen wirklich berührten, oder die Band würde aufgelöst.

Genau dann, durch reinen Zufall, betrat Steve Perry die Bühne der Band – und seine Stimme traf sofort wie ein Blitz: Hoch, klar, voller Schmerz und Wärme zugleich, durchdrang sie jeden Ton, den die Instrumente spielten. Anfangs begegneten ihm die anderen skeptisch – eine Band, die vor allem endlose Instrumentalpassagen liebte, wusste nicht, wie sie mit einer solchen Intensität im Gesang umgehen sollte. Doch allen war klar: Genau das war der fehlende Baustein, der Journey endlich vollenden konnte!

„Wheel in the Sky“ markierte erstmals klar die neue Ausrichtung der Band: weg von ausufernden Instrumentalpassagen, hin zu Songs, die Melodie, Rhythmus und Emotion auf den Punkt bringen. Die Grundlage lieferte ein Gedicht von Diane Valory, der Ehefrau des Bassisten, das die zentrale Bildsprache des Liedes vorgab.

Der Star-Produzent Roy Thomas Baker (u. a. Co-Produzent der ersten Queen-Alben) schuf mit der Band daraus mehr als eine typische Rocknummer der späten Siebziger: Schon der treibende Rhythmus des Schlagzeugs und die pulsierende Basslinie geben dem Lied eine unaufhaltsame Bewegung. Neal Schons Gitarrenriffs setzen punktuelle Akzente, mal scharf und explosiv, mal melodisch geschmeidig, während Perrys Stimme der rote Faden ist, der durch die Geschichte des Stücks trägt. Im Zusammenspiel all dieser Elemente erhält „Wheel in the Sky“ diese prägnante, drängende und zugleich emotional fesselnde Dynamik, die die Nummer bis heute auszeichnet.

Als ihr viertes Album „Infinity“ 1978 erschien, trat „Wheel in the Sky“ als erste Single in die Welt hinaus – und öffnete umgehend die Türen zu den Charts, lief in Radiosendern hoch und runter, kurz: Der Song machte die Gruppe weit über die engen Rockkreise hinaus bekannt, in denen sie bisher stattfand. Es war der Moment, in dem Journey aus der Phase ihrer verkopften Kompositionen herausbrach.

Der Songtext schildert einen Getriebenen, der nie wirklich ankommt, dessen Zukunft ungewiss ist und der keinen Ort seine Heimat nennen kann – wobei er sich doch nach einer Heimat sehnt. „Wheel in the Sky“ fängt also das Gefühl endloser Bewegung ein – Rastlosigkeit, Sehnsucht und die Unruhe eines Lebens unterwegs – und spiegelt damit nicht nur die Figur im Lied, sondern auch die Realität der Band nach diesem ersten großen Erfolg wider: Busse, Hotels, schlaflose Nächte, immer ein neuer Ort, immer ein weiteres Publikum.

Mit Steve Perry brachte Journey nämlich auch in den darauffolgenden Jahren eine Reihe unvergesslicher Klassiker hervor: „Don’t Stop Believin’“, „Open Arms“, „Stone in Love“ oder „Separate Ways“, um nur einige zu nennen. „Don’t Stop Believin’“ entwickelte sich schließlich sogar zum meistverkauften Rocksong überhaupt – ein Rekord, der erst Jahrzehnte nach der Veröffentlichung sichtbar wurde; durch die kumulierten Verkäufe über mehrere Jahrzehnte. 

Doch Erfolg hat natürlich immer auch seinen Preis. Steve Perry war eigentlich kein Rockstar im klassischen Sinne – er war introvertiert, vorsichtig, beinahe scheu. Ein Perfektionist, zerrieben zwischen den Erwartungen, die ständig an ihn gestellt wurden, und dem eigenen Anspruch, immer wieder alles zu geben. Endlose Tourneen, Studioarbeit, Promotermine … Irgendwann wurde die Belastung unerträglich für ihn.

Als Krankheiten Anfang der 1990er-Jahre die Belastung noch verschärften, zog Perry sich endgültig zurück; bis heute ist er auch nicht wieder aktiv geworden. Die Band existierte zwar weiter, mit wechselnden Stimmen und gelegentlichen Tourneen, doch ohne ihn fehlte schlichtweg ein Stück „ihrer Seele“. An die großen Erfolge früherer Jahre knüpfte sie nie wieder an – der Glanz von „Wheel in the Sky“ und all den Klassikern blieb unnachahmlich.

Und dennoch dreht sich das „Rad am Himmel“ immer weiter. Für Journey, für Steve Perry, für all jene – wie ich es erlebt habe und vielleicht auch Sie –, die irgendwann eine Folge von Tönen oder Worten hören und spüren, dass sie Teil einer Geschichte sind, die größer ist als sie selbst. In diesem Moment wird vielleicht klar: Etwas, das Sie Ihr Leben lang begleitet hat, hat all die Jahre nur darauf gewartet, seine wahre Bedeutung zu offenbaren – und genau dieses Aufeinandertreffen von Musik und Erinnerung lässt jeden Ton unvergänglich erscheinen …

Hier für Sie „Wheel in the Sky“ von Journey, mitsamt Musikvideo, auf Youtube.

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Der nächste Gang …

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