Künstler: The Police
Song: Every Breath You Take – veröffentlicht auf dem Album „Synchronicity“, 1983 A&M Records
Wir schreiben das Jahr 1997. Es ist Sommer in New York. Auf den Straßen des Big Apple sind vielerorts noch immer Kerzen, Plakate und Graffitis für die Rap-Legende The Notorious B.I.G. zu sehen, der wenige Monate zuvor erschossen worden war.
Im Radio, im Fernsehen, sogar auf Beerdigungen läuft ein neuer Song rauf und runter: „I’ll Be Missing You“ von P. Diddy, Faith Evans und 112 – eine Hommage an den verstorbenen Rapper, der bei Diddys Label Bad Boy Entertainment unter Vertrag stand. Eine ganze Generation singt das Lied mit, weint dazu, feiert es … Es ist gewissermaßen wie ein kollektives Trauergebet.
Und doch steckt in der Nummer eine der folgenreichsten Rechtsverletzungen der Musikgeschichte! Denn das Herzstück des Liedes stammt bekanntermaßen nicht von Diddy selbst – sondern von Sting und seiner Band The Police.
Sting schrieb das Original im Jahr 1983 – ein Stück über Obsession, Überwachung, Stalking:
Every move you make
And every vow you break
Every smile you fake
Every claim you stake
I’ll be watching you
Der Text ist alles andere als romantisch – auch wenn Millionen Hörer das Lied ironischerweise jahrzehntelang als Liebesballade missverstanden haben; und es teils bis heute tun.
P. Diddy hingegen formte mit „I’ll Be Missing You“ etwas ganz anderes aus der Melodie: Statt von Kontrolle und Besitz zu handeln, spricht der Text von Verlust, Schmerz und dem Weiterleben nach dem Tod seines Freundes. Theoretisch, wie ich finde, ein guter Ansatz: dieselbe Melodie, zwei völlig gegensätzliche Botschaften – das macht Sampling interessant!
Auch rein Musikalisch könnten die Songs trotz des Samples eigentlich kaum unterschiedlicher wirken. „Every Breath You Take“ halte ich für ein Meisterwerk des Minimalismus: ein glasklares, ruhiges Gitarrenriff, reduzierte Bass- und Drum-Linien, Stings warme, fast beschwörende Stimme. Es ist hypnotisch und, gerade mit Blick auf den Songtext, bedrohlich zugleich.
„I’ll Be Missing You“ dagegen füllt den Raum: orchestrale Samples, Gospel-Chöre, Rap-Passagen, dazu Faith Evans’ kraftvoller Gesang. Wo Sting Zurückhaltung wählte, setzt Diddy auf Größe und Pathos – ein Monument aus Klang, das eben perfekt zur Trauerfeier für einen gefallenen Gangster-Rapper passte.
Doch die emotionale Wirkung des Stücks täuschte nicht darüber hinweg, dass der Rapper tatsächlich keinen Cent an Sting gezahlt, ja, nicht einmal mit ihm geredet hatte. Kein Sample-Clearing, kein Vertrag. Sting, der alleinige Urheber von „Every Breath You Take“, reklamierte seine Rechte gerichtlich – und bekam sie selbstredend auch zugesprochen.
Seitdem fließen sämtliche Einnahmen von „I’ll Be Missing You“ in Stings Geldbeutel. Legendär wurde die Zahl: um rund 2.000 Dollar pro Tag soll es sich handeln!
Hochgerechnet auf über 25 Jahre seit der Veröffentlichung, ergibt das nach konservativen Schätzungen zwischen 50 und 70 Millionen Dollar – allein aus diesem einen Song. Manche Quellen sprechen sogar von über 100 Millionen – ein Betrag, der in der Branche beispiellos wäre; der jedoch weniger verwundert, wenn man bedenkt, dass „I’ll Be Missing You“ bis heute einer der meistverkauftesten Rap-Songs aller Zeiten ist. Sting selbst sagte, dass diese Einnahmen alleine ihn hätten in Rente schicken können. Und das alles, ohne dass er eine einzige Note neu geschrieben hätte!
Um zu verstehen, warum dieser Fall so besonders ist, lohnt auch ein Blick auf die Band, die den Ursprung überhaupt geschaffen hat: The Police. Gegründet 1977 in London, benannten sich Sting, Andy Summers und Stewart Copeland so, weil Copeland Sohn eines amerikanischen Polizisten war – und weil der Name kurz, scharf und international verständlich klang.
Die Band kombinierte Reggae-Rhythmen, Punk-Energie und Pop-Melodien zu einem unverwechselbaren Sound, der sie zu einer der größten Gruppen ihrer Zeit machte. Hits wie „Roxanne“, „Message in a Bottle“, „Don’t Stand So Close to Me“ und schließlich „Every Breath You Take“ prägten die 1980er-Jahre und machten The Police zu einer Kultband, deren Einfluss bis heute reicht.
The Police – allen voran Sting, mit seiner unverwechselbaren Stimme und seinem prägnanten Songwriting – wurden im Laufe der Jahre zu einer Art Goldmine für Coverversionen und Samples. Dass P. Diddy, der zu dieser Zeit bereits international bekannt war, sich dennoch ohne Absprache an einem Werk dieser Größenordnung bediente, erscheint mir völlig unverständlich.
Doch nicht nur Diddy griff unabgesprochen auf Stings Musik zurück: Auch Rapper Juice WRLD musste für seinen Megahit „Lucid Dreams“ von 2018 nachträglich hohe Summen abtreten, weil er das Gitarrenriff aus „Shape of My Heart“ übernommen hatte. Bei ihm finde ich die Situation allerdings nachvollziehbarer, da er den Song noch vor seinem großen Durchbruch aufgenommen hatte – und vermutlich schlichtweg nicht damit rechnete, dass Sting selbst darauf aufmerksam werden könnte.
Natürlich nutzten verschiedenste Künstler und Bands auch ganz regelkonform Stings Werke: Coldplay etwa adaptierte melodische Elemente aus „Every Breath You Take“ in etliche Live-Arrangements, der britische R&B-Künstler Craig David legte mit „Rise & Fall“ Stings „Shape of My Heart“ neu auf, Jazz- und Soul-Musiker – von Herbie Hancock bis Mary J. Blidge – interpretierten ebenfalls diverse Stücke immer wieder neu. Selbst in elektronischer Musik finden sich Samples von ihm, zum Beispiel in Tracks von Disclosure oder The xx, die subtile Anlehnungen an seine Melodien nutzen.
Es ist fast ein Running Gag in der Branche, dass Sting an den unerwartetsten Orten auftaucht.
Dass so etwas überhaupt möglich ist, liegt an der langen Geschichte des Urheberrechts. Noch im 18. Jahrhundert hatten Komponisten kaum Schutz; ihre Werke wurden oft einfach kopiert – und sie konnten sich schlichtweg nicht dagegen wehren. Erst internationale Verträge (wie die Berner Übereinkunft von 1886) legten den Grundstein für heutige Standards.
Heute unterscheidet man strikt zwischen Urheberrecht (Melodie, Text, Komposition) und Leistungsschutzrecht (Aufnahme, Produktion, Interpretation). Wer sampelt, also Teile einer Originalaufnahme verwendet, muss in der Regel beides klären – sonst drohen rechtliche Konsequenzen, wie Diddy schmerzhaft lernen musste.
Bei Coverversionen oder beim Nachspielen einer Melodie und sonstigen Elementen eines Originals verhält es sich dagegen anders: Hier wird zwar das Urheberrecht des Komponisten berührt, die Originalaufnahme selbst bleibt jedoch ungenutzt, sodass in der Regel keine Genehmigung für die Leistungsschutzrechte erforderlich ist.
Anders als üblich ging es im Streitfall von Sting und Diddy nicht nur um Prozente oder einmalige Abfindungen – Sting erhielt 100 Prozent der Tantiemen. Maßgeblich für dieses Urteil war die Dreistigkeit Diddys, die benötigten Verhandlungen einfach zu umgehen.
Interessanterweise stammt der ikonische Gitarrenlauf, der dem Song seinen unverwechselbaren Charakter verleiht, jedoch eigentlich nicht von Sting selbst – sondern von The Police-Bandmitglied Andy Summers. Dieser erhielt bis heute keinen Cent für seine Leistung, da Sting, wie eingangs erwähnt, als alleiniger Rechteinhaber eingetragen ist – ein bitteres Detail, das zeigt, wie ungerecht die Mechanismen des Musikrechts manchmal sein können.
So wurde jedenfalls aus einem ungeklärten Sample einer der teuersten Fehler der Musikgeschichte – Für Diddy eine Last, für Sting ein goldener Scheck, der seit 1997 nie versiegt. Und für die Musikwelt ein Paradebeispiel: Ein einziger Song kann nicht nur Karrieren prägen, sondern auch über Jahrzehnte Millionen bewegen – manchmal weit mehr durch Verträge und Rechte als durch die Kunst allein …
Hören Sie hier „Every Breath You Take“ von The Police auf Youtube.
Zum Vergleich: Hier „I’ll Be Missing You“ von P. Diddy, Faith Evans und 112.