Auf dem Plattenspieler: The-Dream

Künstler: The-Dream

Song: Umbrella – Reference Track, der durch einen Leak veröffentlicht wurde, 2007

Die wahren Genies der Musikbranche stehen oft gar nicht im Rampenlicht. Sie tauchen nicht auf roten Teppichen auf, ihre Gesichter zieren keine Magazincover – und doch sind sie es, die den Soundtrack ganzer Generationen prägen. Die Stars, die für die Songs gefeiert werden, sind hingegen meist nur das sichtbare Ende eines langen kreativen Prozesses.

Die Rede ist von Songwritern – den stillen Architekten hinter (fast) jedem Hit. Ihre Entwürfe wandern von Hand zu Hand, werden verändert, ergänzt und neu interpretiert – bis das Endprodukt schließlich bereit ist, in die Welt hinauszugehen.

Ein zentraler Bestandteil dieses Systems sind sogenannte Reference Tracks: Demos, die die Songwriter selbst einsingen, um zu vermitteln, wie das Lied, das sie erschaffen haben, klingen soll. Diese Aufnahmen sind in der Regel unausgearbeitet – Harmonien, Arrangement und Produktion sind noch provisorisch –, enthalten aber bereits alles Wesentliche: Melodie, Hook und Struktur. Was fehlt, ist „nur“ die endgültige Interpretation und die sorgfältige Ausarbeitung.

Normalerweise bleiben solche Reference Tracks streng unter Verschluss – sie sind eine Art „Betriebsgeheimnis“ der Musikbranche. Dass so ein Reference Track an die Öffentlichkeit gelangt, ist eine absolute Ausnahme – im heutigen digitalen Zeitalter aber, dringt hin und wieder eines dieser Demos doch an die Oberfläche. Und dann wird sichtbar, wie „die Maschine“ wirklich funktioniert …

Einer dieser seltenen Fälle: „Umbrella“ – die Nummer, die US-Sängerin Rihanna im Jahr 2007 in das Spotlight der Weltbühne katapultierte. 

Der Songwriter The-Dream, bürgerlich Terius Nash, hatte gemeinsam mit Produzent Tricky Stewart die Idee zu diesem Stück. Zu der Zeit war The-Dream selbst als R&B-Künstler aktiv – erfolgreich, aber noch ohne den großen Durchbruch. Parallel versuchte er sich ebenfalls als Songwriter im Hintergrund – doch auch hier fehlte bislang der eine Hit, der ihn nach vorne bringen würde …

Ursprünglich war das Ziel deshalb, nach den Sternen zu greifen und zu versuchen, für US-Superstar Britney Spears zu arbeiten; Tricky Stewart hatte genug Kontakte, um ihrem Team etwas vorlegen zu können. Voller Tatendrang machten sich die beiden an die Arbeit – und wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, entstand „Umbrella“ bereits in der allerersten Session, innerhalb von nur einer Nacht!

Britney Spears befand sich damals mitten in ihrer „Blackout“-Phase, in der sie durch zahlreiche Skandale zunehmend an Ansehen verlor und dringend einen Tapetenwechsel benötigte. „Umbrella“ hätte stimmlich perfekt in ihr Repertoire gepasst (hören Sie es einmal gedanklich mit ihrer Stimme – meiner Meinung nach ist sofort herauszuhören, dass das Lied für sie gemacht ist!), dennoch lehnte ihr Team ab; sie suchten etwas noch Ausgefalleneres. Stattdessen präsentierte Spears später den Track „Gimme More“ – ein Stück, das tatsächlich um einiges gewagter und frischer wirkte, als „Umbrella“ es für sie getan hätte.

Danach wanderte der Reference Track weiter zu Mary J. Blige. Für sie war „Umbrella“ jedoch vermutlich wiederum zu gewagt; auch ihr Team lehnte den Track am Ende ab.

Ab hier verliert sich die Spur – der Song soll jedoch noch an eine Handvoll anderer Künstler gegangen sein … bevor er schließlich beim legendären Multitalent L.A. Reid landete. 

Reid, der vor der Jahrtausendwende Hits für Größen wie Whitney Houston, Boys II Men und Madonna geschrieben hatte, in den 2000ern Künstlerinnen wie Pink und Avril Lavigne entdeckte, zeitweise CEO von Arista Records war und seit 2004 Island Def Jam Records leitet (was für ein Werdegang!), war gerade auf der Suche nach einem Song für seine noch junge Künstlerin Rihanna, die bei ihm unter Vertrag stand.

Auf ihren beiden bisherigen Alben wirkte die damals 19-jährige Musikerin noch wie das brave, exotische Mädchen – charmant, aber harmlos. Ihr Label wollte nun ein neues Kapitel aufschlagen und die junge Sängerin stärker, selbstbewusster, aufregender positionieren. Der Titel ihres dritten Albums, auf dem „Umbrella“ dann auch erschien, brachte es auf den Punkt: „Good Girl Gone Bad“ – ein Muster, das sich durch die gesamte moderne Popgeschichte zieht, etwa bei Christina Aguilera, Miley Cyrus, Fergie, Taylor Swift, Halsey, Dua Lipa; die Liste ist unfassbar lang.

Als L.A. Reid die ersten Sekunden von „Umbrella“ hörte, soll er sofort gewusst haben: Das ist der Song, der Rihanna neu definieren würde – noch bevor diese selbst überhaupt die Chance hatte, ihn zu hören!

Und Reid irrte sich nicht: „Umbrella“ wurde nach der Veröffentlichung blitzschnell zu einem weltweiten Phänomen. Der Song erreichte Platz eins in über zehn Ländern, blieb in Großbritannien ganze zehn Wochen an der Spitze der Charts, brachte Rihanna ihren ersten Grammy ein und erzielte bis heute mehr als eine Milliarde Klicks auf Youtube!

Auch für The-Dream bedeutete „Umbrella“ einen entscheidenden Wendepunkt: Das Lied etablierte ihn als gefragten Songwriter und ebnete den Weg für eine Reihe weiterer Hits für Größen wie Beyoncé, Justin Bieber und Mariah Carey. Auch seine eigene Karriere als R&B-Künstler gab er nicht auf und veröffentlichte erfolgreiche Alben wie „Love vs. Money“ – doch in erster Linie blieb er der kreative Kopf hinter den Kulissen.

The-Dreams Arbeit an „Umbrella“ zeigt die eine Seite der Medaille: ein Songwriter, der gemeinsam mit einem Produzenten in einem Studio eine Idee in wenigen Stunden auf den Punkt bringt. 

Üblicher ist jedoch die andere Herangehensweise: sogenannte Songwriting-Camps. Dabei mieten sich mehrere Songwriter und Produzenten für mehrere Tage oder Wochen in einem Hotel oder Studio ein und arbeiten eng zusammen, um möglichst viele potenzielle Hits zu produzieren. Ideen werden hin- und hergereicht, Harmonien entwickelt, Beats ausprobiert und Texte geschliffen. Was in solchen Camps passiert, ist sozusagen Fließbandarbeit für die Hitmaschine der Popmusik.

„Umbrella“ ist in diesem Zusammenhang fast ein didaktisches Beispiel: Ein Werk, dessen Ursprung man rekonstruieren kann; dessen Transformation vom Reference Track zur globalen Hymne nachvollziehbar ist. Und ein Beweis dafür, dass ein großartiger Song bereits im Kern funktioniert – egal, wer ihn singt. 

Dass solche Reference Tracks so selten öffentlich zugänglich sind, zeigt, wie sehr das Popgeschäft auf Verschleierung baut … Die Magie soll wirken, aber nicht erklärt werden. Und doch liegt in genau dieser Transparenz, wie sie „Umbrella“ erlaubt, auch eine eigentümliche Schönheit: Sie zeigt die unsichtbare Hand hinter der Kunst. Die Stimme, die zuerst sang, bleibt im Schatten – doch ohne sie gäbe es den Regenbogen darüber nicht …

Tauchen Sie ein in die Entstehungsgeschichte eines Hits – mit dem Reference-Track von „Umbrella“, eingesungen von The-Dream.

Hören Sie hier das Endprodukt – „Umbrella“ von Rihanna und Jay-Z.

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