Am kommenden Sonntag wählt Argentinien einen Teil seines Parlaments neu. Bei den Zwischenwahlen stehen die Hälfte der Abgeordneten im Abgeordnetenhaus (kleine Kammer) sowie ein Drittel der Senatoren (große Kammer) zur Abstimmung. Das Ergebnis gilt als Stimmungstest über die Reformpolitik des libertären Präsidenten Javier Milei, auch wenn er selbst nicht zur Wahl steht.
Mileis Programm, in Deutschland und Europa als ultraliberal und sozial kalt verrufen, setzte in den letzten knapp zwei Jahren auf eine radikale Verschlankung von Staat und Gesetzgebung. In einem ersten Schritt beseitigte die Regierung die eklatantesten Ineffizienzen und Überregulierungen – aus einem einfachen Grund: Argentinien war de facto pleite, bei einer monatlichen Inflation von rund 25 Prozent.
Schon im ersten Monat seiner Amtszeit gelang es Milei, das Haushaltsdefizit in einen Budgetüberschuss zu verwandeln, indem Verwaltung und Staatsausgaben um rund fünf Prozent der Wirtschaftsleistung gekürzt wurden. Eine Vielzahl an Reformgesetzen wurde in den darauffolgenden Monaten verabschiedet – teils per Dekret, teils durch kluge Einbindung wirtschaftsliberaler Kräfte aus der politischen Mitte.
So stammen etwa Mileis Minister für Deregulierung und Staatsreform, Federico Sturzenegger, sowie Sicherheitsministerin Patricia Bullrich aus der liberal-konservativen Partei PRO. Letztere war bei den Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren noch eine Gegenkandidatin Mileis. Zunächst für Bullrich hatte Sturzenegger, ursprünglich Wirtschaftsprofessor und ehemaliger Chef der argentinischen Notenbank, seit 2021 mit einem kleinen Team jedes Gesetz und jede Verordnung auf ihre Notwendigkeit geprüft. Das Ergebnis: ein Berg von tausenden überflüssigen Regulierungen, die Mileis Regierung im ersten Amtsjahr abschaffte. Der Schlüssel zum Erfolg, so Sturzenegger kürzlich bei einem Vortrag an der Universität Zürich, lag in der akribischen Vorbereitung der Umsetzung dieser Maßnahmen.
Die größten Erfolge von Mileis bisheriger Präsidentschaft sind unbestritten: Die Inflation sank drastisch auf derzeit rund 2 Prozent pro Monat, die Armutsquote fiel von 41,7 Prozent zum Ende der Vorgängerregierung auf 31,6 Prozent im ersten Halbjahr 2025. Bemerkenswert hierbei ist insbesondere die Tatsache, dass Milei den Wählern vor der Wahl reinen Wein einschenkte und sie auf harte Zeiten vorbereitete. Seine Politik, betont er immer wieder, sei ein Marathon, kein Sprint – und ihre erfolgreiche Umsetzung werde mehr als eine Legislaturperiode dauern.
Um sein Reformprogramm parlamentarisch abzustützen, setzt Milei auf ein starkes Abschneiden seiner Partei La Libertad Avanza (LLA) bei den anstehenden Zwischenwahlen. Derzeit verfügt sie nur über 38 von 257 Abgeordneten und 6 von 72 Senatoren. Entsprechend intensiv fiel der Wahlkampf der LLA in den vergangenen Wochen aus – teils aggressiv, teils spektakulär inszeniert. Hierzu trug auch das mäßige aber dennoch respektable Abschneiden bei den Wahlen Anfang September in der Provinz Buenos Aires bei, welche eine Hochburg der Peronisten und Linken ist. Unbeirrt bereist Milei die Provinzen, oft in kurzer Taktfolge und teils spontan. Am 6. Oktober veranstaltete er in Buenos Aires eine legendäre Show in einer Mischung aus Rockkonzert, Wahlkampfrede und Präsentation für sein soeben erschienenes Buch.
Die anfänglich hohen Zustimmungswerte von knapp 50 Prozent sind inzwischen gesunken – nicht zuletzt wegen eines mutmaßlichen Korruptionsskandals, in den auch Mileis Schwester Karina verwickelt sein soll. Allerdings handelt es sich hierbei zunächst um Anschuldigungen der peronistischen Opposition; stichhaltige Beweise oder Verurteilungen der beschuldigten Personen liegen bislang keine vor. Man könnte daher auch eine Schmutzkampagne der Peronisten vermuten. Ironischerweise ist es deren vormalige Präsidentin, Cristina Kirchner, welche derzeit rechtskräftig verurteilt mit einer Fußfessel unter Hausarrest steht.
An den internationalen Finanzmärkten sorgten die Unsicherheiten um Mileis Regierung und den weiteren Reformkurs zuletzt für Nervosität. Der argentinische Peso geriet unter Abwertungsdruck. Um die Währung zu stabilisieren und eine Krise vor den Wahlen – und womöglich eine regionale Ansteckung – zu verhindern, stellte die US-Regierung kurzfristig eine Kreditlinie über 20 Milliarden US-Dollar für eine Umschuldung bereit. Dies unterstreicht die starke Unterstützung von Donald Trump für Javier Milei, die vergangene Woche zudem mit einem Treffen im Weißen Haus samt medienwirksamen Fotos untermauert wurde.
Wenngleich der Wahlausgang am kommenden Sonntag mit Spannung erwartet wird, dürfte Milies LLA die Anzahl ihrer Abgeordneten signifikant erhöhen können. In Parteikreisen wäre ein Ergebnis von über 40 Prozent eine Sensation, wobei realistische Prognosen eher von einem Resultat von 30-35 Prozent ausgehen.
Wie stark Mileis Lager letztlich abschneidet wird darüber entscheiden, ob und in welchem Tempo das Land den eingeschlagenen Reformweg weitergeht oder ob es zu einem Rückschritt kommt. Komplexe und umstrittene Reformen von Steuer- und Bildungssystem als auch in der Rentenversicherung wurden bislang nicht oder nur vereinzelt angegangen. Sie werden jedoch ausschlaggebend sein für die nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen und die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
Diesen Beitrag im Wurlitzer anhören:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.
Alternativ können Sie den Podcast auch bei anderen Anbietern wie Apple oder Overcast hören.




