Es gibt sicherlich auch Moden im Wahnsinn – abgesehen davon, dass dieser oft Methode hat. Sichten Sie die Seiten der großen deutschen Medienportale, dann können Sie zwei Tendenzen erkennen: zum einen ADHS als Modediagnose, zunehmend auch für Erwachsene, und zum anderen Narzissmus. Die Gazetten quellen über von Artikeln mit guten Ratschlägen, wie man – oder häufiger: Frau – sich des narzisstischen Partners entledigen oder ihn am besten schachmatt setzen kann. Auch Erfahrungsberichte leidgeprüfter Opfer von Narzissten finden sich zuhauf. Ja, sogar weibliche Therapeuten auf YouTube warnen Männer vor Narzisstinnen. Empfehlenswert zum Thema Narzissmus sind übrigens die erstaunlich zahlreichen Videos der leider verstorbenen Vera F. Birkenbihl, die die Thematik mit einfachen Worten und oft humorvoll behandelt.
Kurz definiert ist Narzissmus eine übermäßige Selbstbezogenheit, die sich durch ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung, mangelndes Einfühlungsvermögen und ein übersteigertes Selbstwertgefühl auszeichnet. Dass diese Haltung nicht gerade förderlich für Beziehungen ist, scheint einleuchtend.
Leider ist die Prognose für Narzissten im Verlauf des Lebens nicht gerade erfreulich. Während narzisstische Tendenzen in der Jugend noch einigermaßen funktionieren, werden sie mit zunehmendem Alter obsolet. Schon der Mythos gibt Hinweise: Der Mythos von Narziss stammt aus der griechischen Mythologie und erzählt die Geschichte eines schönen jungen Mannes namens Narziss, der von allen wegen seiner Schönheit bewundert wird, aber niemanden lieben kann – außer sich selbst. Eines Tages sieht er sein eigenes Spiegelbild in klarem Wasser und verliebt sich unsterblich darin, ohne zu erkennen, dass es nur ein Abbild ist. Aus Sehnsucht nach diesem unerreichbaren Bild verdorrt er schließlich und stirbt. An der Stelle, an der er gestorben ist, wächst eine Blume – die Narzisse.
Immerhin ein positives Ergebnis.
Die Frage, die sich nun stellt, ist, warum das Phänomen Narzissmus in der Gegenwart so häufig vorkommt – sprich, welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die narzisstische Persönlichkeitsstörung fördern. Das soll im Folgenden auch unter dem Begriff „Entitlement“ diskutiert werden.
„Entitlement“ – und ich bleibe bewusst bei dem englischen Begriff – meint Anspruchsdenken, das Einfordern von Lohn ohne Leistung, allein aufgrund des bloßen Daseins der eigenen Person. Der krasse Gegensatz dazu wäre die christliche Haltung der Demut, wobei gerade Politiker beim Reden von „Demut“ oft nur ihren eigenen Narzissmus kaschieren.
Narzissten in der Innensicht
Zunächst sollen biografische Gründe für die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeit dargestellt werden. Wichtige Faktoren sind:
- Übermäßige Bewunderung und Idealisierung:
Wenn Kinder ständig übermäßig gelobt und als „besonders“ oder „besser als andere“ dargestellt werden, kann sich ein unrealistisches Selbstbild entwickeln. - Mangel an echter Zuwendung oder emotionaler Wärme:
Kinder, die zwar Anerkennung für Leistung, aber keine bedingungslose Liebe erfahren, lernen oft, dass sie nur durch Erfolg oder Perfektion wertvoll sind. - Überforderung und überhöhte Erwartungen der Eltern:
Wenn Eltern ihre eigenen unerfüllten Wünsche auf das Kind projizieren, entsteht oft ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung durch Leistung. - Frühe Kränkungen oder Zurückweisungen:
Ein Gefühl innerer Unsicherheit oder Minderwertigkeit kann durch eine „Fassade“ aus Überlegenheit und Kontrolle kompensiert werden. - Inkonsistente Erziehung:
Der Wechsel zwischen Verwöhnung und Vernachlässigung führt dazu, dass das Kind lernt, Aufmerksamkeit durch Selbstdarstellung zu erzwingen.
Narzissmus entsteht also häufig als Schutzmechanismus gegen tiefsitzende Unsicherheiten, Verletzungen oder ein instabiles Selbstwertgefühl, das in der frühen Beziehung zu den Eltern geprägt wurde.
Die angeführten Faktoren erklären sich fast von selbst: Das Phänomen des Einzelkindes, auf das alle Erwartungen der Eltern projiziert werden, spricht für sich. Leistungsdenken und Aufstiegserwartungen gegenüber dem Nachwuchs – jeder Lehrer kann ein Lied davon singen – sind Ausdruck dieser Dynamik. Idealisierung und gleichzeitige Überforderung durch die Eltern sind leicht vorstellbar. All dies sind Bedingungen eines Familienlebens, das sich massiv von der erweiterten Großfamilie vergangener Zeiten unterscheidet.
Narzisstinnen und Narzissten sind im Kern isoliert und vereinsamt, ohne wirkliche Beziehungen nach außen. Vom Selfie-Wahn über das Konzept der Selbstoptimierung durch Schönheitsoperationen, exzessives Training oder Diäten – immer gibt es das Ziel, Gegenstand der Bewunderung und des Neids zu sein. Doch oft reichen die eigenen Anlagen dafür nicht aus. Deshalb die Neigung zur Manipulation, zum Herabsetzen des Partners, das Bedürfnis nach Kontrolle, die irrige Annahme, alles besser zu wissen, und das Sitzen auf einem hohen moralischen Ross.
Narzissten mit Anspruch
Nun dehnt sich der Kreis der Narzissmusanfälligen durch das moderne Entitlement massiv aus.
Ein Narzisst liebt sich selbst nicht nur, weil er sich für schön und klug hält, sondern weil er sich berechtigt fühlt – wenn schon nicht durch persönliche Vorzüge, so doch zumindest durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder im Notfall durch den Status des „privilegierten Opfers“.
Man verdient Aufmerksamkeit, weil man eine Frau ist, weil man einer bestimmten ethnischen Gruppe angehört, weil man Opferprivilegien für sich beansprucht, weil man glaubt, die Schuldgefühle seiner Umgebung bewirtschaften zu können – und am besten ist man dran, wenn gleich mehrere dieser Determinanten zusammentreffen.
Das führt zu Selbstinszenierungen, zur Inanspruchnahme von Leistungen, die andere bereitzustellen haben, zu unsensiblen Handlungen nach außen, die letztlich einem selbst schaden. Ohne ins Detail gehen zu wollen: Beispiele dafür finden sich in allen Parteien unserer Republik. Privilegien werden mitunter schamlos in Anspruch genommen, Konkurrenten beiseite gedrängt, und selbst wenn das eigene Handeln etwas unterkomplex ist, merkt man es nicht. Kritik wird als Majestätsbeleidigung empfunden und mindestens moralisch diskreditiert, wenn nicht gar juristisch bekämpft und bewirtschaftet.
Selbstreflexion findet nicht statt; man bleibt fixiert auf das eigene Bild. Eine Umwelt, die stören könnte, wird nicht wahrgenommen – oder bekämpft.
Das Gefühl, die eigene Position verdient zu haben, wird nicht hinterfragt. Das ist „Entitlement“ im ursprünglichen Sinne des Wortes: Die „Diener des Volkes“ wirtschaften ungeniert in die eigene Tasche, solange es eben geht.
Die Prognose für den Narzissten ist dabei eher düster: „Schönheit vergeht, Tagwerk besteht“, sagen die schwäbischen Bauern zur Frage, wie man denn eine geeignete Gattin wählen solle. Auch der Zeitgeist überrollt so manche für sicher gehaltene Gewissheit, und mancher Narzisst nähert sich – meist, ohne es zu merken – der von mir sogenannten Peinlichkeitsgrenze: „Peinlich“ im Sinne jener Fremdscham, die pubertierende Jugendliche empfinden, wenn ihre Eltern versuchen, sie zu imitieren.
Das nun ist tödlich für das Selbstwertgefühl eines Narzissten – so tödlich wie unausweichlich, muss man vermuten.
Narzissmus und Identitätspolitik
In der Folge soll die Vorstellung entwickelt werden, dass Narzissmus nicht nur eine Symptomatik auf individueller Ebene sein kann, sondern sich auch auf Kollektive beziehen und im politischen Leben sogar gefördert werden kann.
Verfolge ich das Handeln eines Staatsmannes wie Donald Trump – und dies ausdrücklich, ohne sein Vorgehen politisch zu bewerten –, so fällt doch sofort Folgendes auf: eine deutliche Tendenz zur Grandiosität, zur Überschätzung der eigenen Person. Dazu die Fähigkeit, effektive parlamentarische Kontrollmechanismen auszuschalten und bewusst eine genehme Echokammer mit willfährigen Untergebenen einrichten zu können, die bei Meinungsverschiedenheiten rasch entlassen werden. Ein Beispiel liefert Elon Musk.
Ein Mensch wie Trump steht gern im Mittelpunkt der Kameras. Pressekonferenzen werden zu Inszenierungen eines royalen Auftritts. Nicht zufällig lautete das Motto jüngster Proteste in den USA: „No king!“
Doch Sie müssen gar nicht in die Ferne schweifen, um Ähnliches zu beobachten. Die Stylisten und Hoffotografen mancher grüner Spitzenpolitiker der letzten Koalition sprechen eine eigene Sprache und hätten eher an den Hof Ludwigs XIV. gepasst als in ein demokratisches Staatswesen. Kritik wird nicht ertragen, sondern mit Paragraphen gegen Majestätsbeleidigung bekämpft – manche machen daraus sogar ein profitables Geschäftsmodell.
Selbstoptimierung findet nicht intellektuell statt, sondern optimiert die Oberfläche, den „Look“ einer Person. Annalena Baerbocks mangelhafte Beherrschung nicht nur des Englischen, sondern auch der Muttersprache scheint sie weder zu stören noch ihren Selbstwert infrage zu stellen; die Stimme des Volkes interessiert sie ebenso wenig. Ähnliches ließe sich über andere politische Protagonisten sagen: Meinungen und Haltungen werden gewechselt wie Unterhemden, wenn es der eigenen Glorie dient.
Ein Musterbeispiel ist „Maggus“, der sich medienwirksam durch jede Bratwurst beißt und sich als Volkstribun einer „antiwoken Normalität“ gebärdet. Wir allerdings – er ist ja Franke – würden ihm empfehlen, die Rostbratwürste zwischen Elisenlebkuchen zu legen: Das wäre erst eine echte Demonstration wahrer Heimatverbundenheit. Scherz beiseite – das muss man heute wohl ausdrücklich dazu sagen.
Identitätspolitik oder DEI (Diversity, Equity, Inclusion) meint im Kern die narzisstische Aufwertung gesellschaftlicher Gruppen als Kollektive.
Das amerikanische Selbstverständnis als „shining city on the hill“ und „indispensable nation“ trägt unverkennbar grandios-narzisstische Züge und führt folgerichtig zu der vielfach beobachteten Unfähigkeit, andere Lebenshaltungen überhaupt zu verstehen – was im Ernstfall recht provinziell wirken kann. Ähnlich Israel: Das „auserwählte Volk“, definiert durch Religion, Genetik und den unbeirrbaren Anspruch, Gottes bevorzugte Truppe mit verbrieftem Anspruch auf bestimmte Ländereien zu sein. Übertrüge man diese Haltung auf den Rest der Welt, käme einiges in Bewegung – und durcheinander. Die Völkerwanderung müsste rückabgewickelt werden und die Mayflower zurück nach „merry old England“ segeln. Höchstens der Chinese dürfte wohl sitzenbleiben, wo er immer schon saß.
Auch der typisch deutsche Narzissmus, der für bestimmte Kreise auf der Annahme moralischer Überlegenheit und der Maximierung von „Aufarbeitung“ und Reue über die Verbrechen des 20. Jahrhunderts beruht, trägt im Kern eine verkapselte Grandiosität in sich. Man darf nicht einfach normal egoistisch sein – das sind schon die „bösen Anderen“ –, und man bezahlt gerne, fühlt sich dabei gut, wie einer, der ständig Lokalrunden spendiert.
Dass das psychologisch nach hinten losgehen kann, ließe sich erläutern, doch wir wollen die Geduld des geneigten Lesers nicht überstrapazieren.
Der Spiegel der neuen Narzissten ist nicht mehr die Pfütze der Mythologie, sondern das Handy mit seinen aufgeblähten Rückkopplungen und der Flatrate ins Kollektiv. Nicht nur die ungeheure Flut an Selfies und Selbstdarstellungen, sondern auch die Idee, den Narzissmus als Influencer zu einer profitträchtigen Profession zu machen – notfalls über Pornoseiten – zeigt, wie sich die narzisstische Persönlichkeitsstörung, gepusht durch eine satte Portion Entitlement, zur narzisstischen Gesellschaftsstörung entwickelt hat. Und leider gibt es viel zu viele, die überhaupt keine Peinlichkeitsgrenze zu haben scheinen.
Und das Fazit aus allem? Aufschlussreich ist es jedenfalls, sich das Gegenteil dieser Haltungen vorzustellen. Mir fällt als Erstes die christliche Ethik ein: Der Erste soll der Diener aller sein. Es gibt zahllose Aussagen in diese Richtung – vielleicht lohnt es sich, dem weiter nachzugehen.




