Auf dem Plattenspieler: Rockwell

Künstler: Rockwell

Song: Somebody’s Watching Me – veröffentlicht auf dem gleichnamigen Album, 1984 Motown 

Der Beginn einer Musikkarriere folgt oft einem vertrauten Muster: Ein junger Künstler arbeitet, allein oder im Team, an seinen ersten Songs. Das Management wählt aus, welche Stücke als Singles veröffentlicht werden und wie sie inszeniert werden sollen. Und über allem schwebt die alles entscheidende Frage: „Wie sorgen wir für Aufmerksamkeit?“

Zahlreiche Hebel gibt es, um aus der Masse hervorzustechen. Doch einer zählt zweifellos zu den mächtigsten: Ein bereits etablierter Superstar steuert einen Gastpart bei – und katapultiert den Newcomer mitten in das Spotlight der Weltbühne. In den allermeisten Fällen bleibt dies aber eine Wunschvorstellung. Was sollte der prominente Künstler schließlich auch von einer solchen Zusammenarbeit haben? 

Die Ausnahme bestätigt bekanntlich die Regel. Und im Jahr 1984 trat genau so ein „Wunderfall“ ein: Ein bis dahin vollkommen unbekannter Musiker namens Rockwell veröffentlichte seine erste Single – und im Refrain erklang die Stimme des größten Popstars aller Zeiten: Michael Jackson!

Schon dieser Fakt macht deutlich, dass Rockwell, bürgerlich Kennedy William Gordy, alles andere als ein gewöhnlicher Newcomer war. Als Sohn von Berry Gordy, dem Gründer der legendären Plattenfirma Motown, wuchs er in einem Kosmos auf, der generationsprägende Ausnahmekünstler wie Stevie Wonder oder Marvin Gaye hervorgebracht hatte. 

Auch die Jackson Five hatten ihre Musik bei Motown veröffentlicht – und aus dieser Verbindung heraus entstand eine enge Freundschaft zwischen den Familien Gordy und Jackson (Michael und Kennedy waren Kindheitsfreunde; Jermaine Jackson heiratete Rockwells Schwester Hazel). Das Feature auf „Somebody’s Watching Me“ war für den Newcomer also weniger Glücksfall als schlichtweg das Ergebnis seiner familiären Verbindungen.

Motown war in den 1980er-Jahren längst nicht mehr der unangefochtene Tonangeber der Musikszene wie zuvor. Neue Labels, neue Sounds, neue Helden hatten sie abgelöst – allen voran Epic Records, die 1982 mit Michael Jacksons „Thriller“, dem meistverkauften Album aller Zeiten, einen unvergleichbaren Prestige-Status erlangten.

Rockwell musste also, um sich in der Musikszene zu behaupten, mehr sein als der Sohn des Motown-Chefs – und trug zudem die Last, der Plattenfirma neuen Glanz zu verschaffen. Sein entscheidendes Mittel dafür sollte eben dieser Track, „Somebody’s Watching Me“, sein.

Musikalisch trägt das Stück unverkennbar den Stempel seiner Zeit: Ein kühles, minimalistisches Synthesizer-Riff und eine elektronische Stimme eröffnen das Lied. Der Bass und die elektronischen Drums treiben den Puls voran. Rockwells Stimme, nervös und gehetzt, verkörpert die Angst und Unsicherheit der Strophen, in denen es um Paranoia geht; um das ständige Gefühl, beobachtet zu werden:

When I come home at night

I bolt the door real tight

People call me on the phone, I’m trying to avoid

But can the people on TV see me, or am I just paranoid?

When I’m in the shower, I’m afraid to wash my hair

‚Cause I might open my eyes and find someone standing there

Im Refrain setzt dann Jacksons Stimme ein – hell, melodisch, fast geisterhaft – und gibt die Kernbotschaft des Werks wider:

I always feel like somebody’s watchin‘ me

And I have no privacy 

I always feel like somebody’s watchin‘ me

Tell me, is it just a dream?

Das Musikvideo übersetzte diese Gedanken in Bilder: Rockwell stolpert durch ein Spukhaus, verfolgt von grotesken Figuren und surrealen Szenen. Überdimensionierte Augen, schattenhafte Gestalten und eine Ästhetik zwischen Horror und Komödie verstärken das Gefühl von Albtraum und Übertreibung. 

Fast unvermeidlich wirkt hier, vor allem im Kontext der Zeit, der Vergleich zu Michael Jacksons „Thriller“-Video, das den „Horror-Pop“ weltweit populär gemacht hatte. Ob bewusst oder nicht, hatte der King of Pop Rockwell hier stilistisch stark inspiriert.

Die Paranoia war jedoch nicht nur ein künstlerisches Motiv, sondern auch ein Kommentar auf die eigene Rolle: Ein Musiker, der nie unbemerkt agierte, weil sein Familienname immer mitschwang. Von Anfang an stand Rockwell unter Beobachtung: von anderen Künstlern, von Medien, von der Öffentlichkeit. In diesem Sinne ist „Somebody’s Watching Me“ fast schon autobiografisch; ein ironisches Selbstporträt im Gewand eines Popsongs …

1984 war zugleich auch das „Orwell-Jahr“, in dem der Begriff „Big Brother“ plötzlich überall präsent war. Technologien wie Videokameras und Fernsehen bekamen zunehmend Einzug in den Alltag – und die Angst, ständiger Beobachtung ausgesetzt zu sein, wurde für viele erstmals wirklich greifbar. Rockwell griff diese Stimmung auf – allerdings nicht mit politischem Ernst, sondern in einer ironisch überhöhten Pop-Inszenierung.

Der Erfolg des Tracks war sofort spürbar: „Somebody’s Watching Me“ stieg in den US-Charts schnell nach oben, erreichte auch in zahlreichen europäischen Ländern Spitzenplätze – und fand sogar im asiatischen Raum ein großes Publikum. Radiosender spielten den Song rauf und runter, das Musikvideo wurde nicht weniger präsent im Fernsehen ausgestrahlt – es entstand eine breite mediale Präsenz, die Rockwell über Nacht weltbekannt machte. Für Motown war das ein großer Lichtblick.

Doch der Erfolg blieb einmalig: Alle nachfolgenden Singles und Alben des Künstlers konnten nicht annähernd die gleiche Wirkung erzielen – weder in den Charts noch in der öffentlichen Wahrnehmung. Bald schon wurde Rockwell als klassisches One-Hit-Wonder eingeordnet.

Kritiker führten später oft an, Michael Jackson sei der alleinige Grund für den Erfolg von „Somebody’s Watching Me“ gewesen. Doch diese Sicht greift meiner Meinung nach zu kurz: Erst Rockwells nervöse, fast theatralische Strophen in Kombination mit Jacksons souveränem, hellem Refrain erzeugen diese markante Spannung, die den Song so besonders macht. Jacksons Stimme sicherte zweifellos große Aufmerksamkeit – doch ohne Rockwells künstlerischen Beitrag wäre dieser Erfolg dennoch kaum möglich gewesen.

Eine Sache, die ich besonders bewundere, sollte auch nicht unerwähnt bleiben: Michael Jackson taucht im Song nicht als offizielles Feature auf – keine Nennung, kein Auftritt im Musikvideo, keinerlei öffentliche Bekennung zu dem Track – im Gegenteil, Jackson stritt seine Beteiligung daran jahrelang ab! Wahrscheinlich sollte dadurch verhindert werden, dass Jacksons Name Rockwells völlig überschattet und seine Karriere dadurch langfristig negativ beeinflussen würde. Dennoch verlangte es große Entschlossenheit seitens Rockwell, sich ein offizielles Michael-Jackson-Feature entgehen zu lassen – wie viele hätten in seiner Lage wirklich so gehandelt?

Inzwischen lässt sich der Song, der 1984 noch wie eine schräge Popfantasie klingen mochte, fast als Vorwegnahme der digitalen Realität lesen: Smartphones, die sekundenschnell den Aufenthaltsort seiner Besitzer tracken, Kameras an jeder Straßenecke und in fast allen öffentlichen Gebäuden, Algorithmen, die unser Verhalten analysieren und vorhersagen, soziale Netzwerke, in denen viele selbst kleinste persönliche Details zur Schau stellen … Wir leben in einer Kultur, in der private Räume zunehmend öffentlich sind.

„Somebody’s Watching Me“ ist deshalb in meinen Augen viel mehr als ein 80er-Hit. Es ist ein einzigartiges Werk, das Talent, Zufall, persönliche Verbindungen, kulturellen Kontext und eine gewisse Prophetie verbindet. Rockwell blieb im Schatten seines Debüts, doch dieses lebt weiter – mit einer Mischung aus Ironie und Ernst und Tanzbarkeit und Unbehagen, die bis heute fesselt …

Genießen Sie Rockwells „Somebody’s Watching Me“ mit dem Musikvideo hier auf Youtube.

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Der nächste Gang …

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