Deutschlands vernachlässigte Ressource: Die Bildung

Bildung stellt das Fundament unserer Gesellschaft dar und ist eine der wichtigsten Ressourcen, die wir in Deutschland haben. Und unser (Aus-)Bildungssystem ist eines, auf das viele Staaten einen neidischen Blick werfen! 

Deshalb könnte man meinen, dass die Ressource Bildung gesellschaftlich und politisch als wichtiges Element wahrgenommen und entsprechend unterstützt wird und dass zum Beispiel die öffentlichen Ausgaben diese Wichtigkeit widerspiegeln.

Dies ist aber nicht der Fall. Der Bildungssektor ist seit Jahrzehnten nicht ausreichend finanziert, jedenfalls nicht so, wie es notwendig wäre, um beste Bildungsstandards zu erreichen. Einige sprechen sogar von einer strukturellen Unterfinanzierung des Bildungssystems. 

Doch wer nicht selbst Schüler, Student oder Lehrer ist bzw. schulpflichtige Kinder hat, bekommt davon eher wenig mit. So will ich als Studentin an der Universität Erfurt heute mit Ihnen einige meiner Beobachtungen, Erfahrungen und Erkenntnisse teilen. (Der Text ist ein gekürzter Auszug aus dem von mir im vergangenen Jahr zusammen mit Jürgen Grossmann und Dominik Pförringer verfassten Buch Aus der Zeit gefallen – Drei Generationen wider den Zeitgeist). 

Weitreichende Konsequenzen

Während meines Studiums in Erfurt habe ich mich einige Jahre für den RCDS in der Hochschulpolitik engagiert (mehr dazu in meinem neuen Buch Black Box Uni). Dabei habe ich oft genug erlebt, dass Bildung ein Politikbereich ist, mit dem man sich nicht wirklich hervortun kann, denn Erfolge guter Politik treten meist erst viele Jahre später zu Tage. Politiker mögen das überhaupt nicht. Das ist ein Grund, weshalb sich nicht viele für dieses Ressort interessieren. 

Der andere ist die Komplexität des Bildungsföderalismus. Sie verschleiert die Probleme, öffnet Tür und Tor für politische Stellvertreterdebatten und trägt dazu bei, dass zu lösende Schwierigkeiten an ungeklärten Finanzierungen oder Zuständigkeiten scheitern. Wer hier etwas verbessern will, kann sich politisch nur verbrennen. 

Zu dieser allgemeinen Ausgangslage hinzu kommt nun der Umstand, dass in den vergangenen Jahren vor allem die Coronapandemie, aber auch andere Effekte wie Zuwanderung, die Zunahme von Gewalt und Mobbing-Attacken von Jugendlichen (auch befeuert durch Soziale Netzwerke) und demografische Effekte zu weitreichenden Konsequenzen für einen trägen und komplexen Bildungssektor geführt haben.

Alarmierende Ergebnisse

Der Lehrermangel nimmt seit einigen Jahren überhand, mit dem Personalmangel geht auch sinkende Qualität an den Schulen einher. Coronapandemie, Distanzlehre und Homeschooling haben ihr Übriges getan. 2022 kommt eine Studie des Münchner ifo-Instituts zu dem Befund, dass weltweit zwei Drittel der Jugendlichen keine grundlegenden Fähigkeiten, die in der Schule vermittelt werden sollen, erreichen. Deutschland landet dabei gerade mal auf Platz 30 – noch hinter Russland. 

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, denen grundlegende Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen fehlen, ist hierzulande mit 23,8 Prozent relativ groß. Noch aktueller ist die internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu). Im Mai 2023 präsentiert sie die alarmierenden Ergebnisse: Jedes vierte Kind in der vierten Klasse in Deutschland kann nicht richtig lesen. 25 Prozent der Kinder erreichen nicht das Mindestniveau beim Textverständnis, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre. Bei der letzten Iglu-Erhebung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, lag der Anteil dieser Gruppe noch bei 19 Prozent. Diese Kinder werden in ihrer weiteren Schullaufbahn erhebliche Schwierigkeiten in fast allen Schulfächern haben, sofern sie den Rückstand nicht aufholen können. 

Kinder, die nicht richtig lesen und schreiben können, werden immer seltener zurückgestuft. Müssten sie wiederholen, hätten sie die Chance, den Stoff noch einmal zu verinnerlichen und Kompetenzen aufzuholen. Aus meinem persönlichen Umfeld kenne ich viele Lehramtsstudenten und angehende Lehrer, die als Referendare an den Schulen arbeiten. Sie erzählen, dass die Kinder, die eine Klasse nicht schaffen bzw. nach der vierten Klasse eben nicht richtig Lesen oder Schreiben können, trotzdem in die weiterführenden Schulen geschickt werden! 

Die Kapazitäten reichen hinten und vorne nicht mehr aus, um die Versäumnisse beispielsweise der Coronapandemie auszugleichen. Um jedes vierte Kind zurückstufen zu können, müssten zusätzlich Lehrer eingestellt werden. Da es ohnehin an allen Ecken und Enden und in nahezu jeder Schulart an Lehrern mangelt, ist das also eine Wunschvorstellung. 

Mit Notfallhandy in die Klasse

Immer weniger Lehrer bedeuten immer größere Klassen. Wenn in einer Klasse dann noch eine Handvoll Schüler Probleme damit hat, Texte zu verstehen oder Rechenwege nachzuvollziehen, werden sie innerhalb der Gruppe schnell abgehängt. Auch Lehrer können dem nur noch bedingt entgegenwirken. 

Abgehängt zu sein ist nie schön. Schule und Lernen wird für diese Schüler zur Belastung, vielleicht fangen sie an zu stören, Lehrer sind genervt. Wenn man sie schon trotz fehlender Kompetenzen weiter hochstuft, bräuchten diese Kinder eigentlich eine besondere Betreuung, die unter aktuellen Umständen jedoch nicht mehr leistbar ist.

Dies führt unter anderem dazu, dass die angehenden Lehrer in meinem Freundeskreis einen immer pessimistischeren Blick auf ihren späteren Beruf haben. Obwohl es Menschen sind, die von Herzen gerne Lehrer werden wollen und Spaß daran haben, Wissen zu vermitteln und mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. 

Auch mit Gewaltausschreitungen sind Lehrer konfrontiert. Eine Freundin – sie studiert Berufsschullehramt – erzählte mir von sogenannten BVJ-Klassen. Die Abkürzung „BVJ“ steht für Berufsvorbereitungsjahr. Sie bereiten teilweise straffällig gewordenen Jugendliche auf ihren Berufsabschluss vor. Nicht nur dort ist es mittlerweile weit verbreitet, dass sich Lehrer nur noch mit einem Kubotan, einer legalen Selbstverteidigungswaffe, die als Druckpunktverstärker wirkt, in ihre Klasse trauen. Und das betrifft nicht nur weibliche, sondern auch männliche Lehrer. 

Ist der Beruf denn noch attraktiv, wenn Studenten sich heute fragen: Wird es auch mich irgendwann betreffen, dass ich nur noch mit Notfallhandy in meine Klasse gehen kann? Komme ich überhaupt noch zum Unterrichten oder bin ich mit pädagogischen Fragen dauerkonfrontiert?

Durchlässig nach unten

Vom Ideal der guten Bildungspolitik Deutschlands mit gleichen Chancen kann nicht mehr gesprochen werden – zumindest nicht in Berlin. Im Stadtstaat nehmen Eltern in Kauf, ihre Kinder auf Schulen in andere, weiter entfernte Bezirke zu schicken. 

Denn in manchen Vierteln funktioniert der Unterricht nicht mehr so, wie er sollte. Es wird viel gestört und auch Mobbing ist ein Thema. Lehrer kriegen Burnout, andere müssen sie vertreten und sind mit dem gewachsenen Aufgabenpensum überfordert. Deutschkenntnisse sind immer weniger vorhanden. Das Potenzial vieler Kinder wird daher nicht ausgeschöpft bzw. kann nicht mehr ausgeschöpft werden. 

Vor kurzem bedrückte mich folgender Satz, den ich in der Zeitung las: „Durchlässig ist das deutsche Schulsystem vor allem nach unten.“ Das, worauf wir stolz waren, worauf auch ich sehr stolz war, die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems (nach oben!), scheint passé. 

In Berlin packte Ende 2020 eine Lehrerin aus. Sie erzählte vom Schulalltag an einer sogenannten Berliner Brennpunktschule. Rund 250 Schulen gelten in der Bundeshauptstadt als Brennpunkt. „Wenn Dir ein neunjähriger Schüler die Mittelfinger zeigt oder erwidert ‚Ich f***e Dein Klassenbuch‘, was soll ich dann tun?“, fragte die Lehrerin in einem Interview mit der BZ. 

Obwohl sie als Deutsch-Lehrerin in der Willkommensklasse Flüchtlinge unterrichten sollte, kam sie erst gar nicht dazu. „Ich wurde von Anfang an als Vertretungslehrerin für alle anderen Fächer eingesetzt: Mathe, Englisch, Kunst, sogar Sport, obwohl ich gar nicht dafür qualifiziert war“, sagte sie. 

28 Kinder waren in einer Klasse – viele aus Problem-Familien, die Hälfte ohne Deutsch-Kenntnisse und dazu fünf Inklusionskinder ohne Hilfslehrer. Ein normaler Unterricht nach Lehrplan sei so nicht möglich.

Spätestens an den sogenannten Brennpunktschulen wird deutlich, dass es immer weniger um Wissensvermittlung als vielmehr um Erziehung geht. Dafür – so sieht es auch das Grundgesetz vor – sind eigentlich die Eltern zuständig. Nicht die Schule und auch nicht die Lehrer. Zunehmend wird Bildung mit Erziehung gleichgesetzt. 

Ideologische Schulpolitik

Auch außerhalb Berlins wird der Lehrermangel größer und mit ihm die Konsequenzen. Viele Lehrer sind in kurzer Zeit in Rente gegangen, der Lehrerberuf wurde durch die teilweise und zwischenzeitliche Abschaffung der Verbeamtung (!) gänzlich unattraktiv gemacht und die Kapazitäten für die Lehrerausbildung wurden an den Hochschulen – je nach Bundesland – heruntergeschraubt. Man kann davon ausgehen, dass der Lehrermangel auch weiter stetig steigen wird. 

Gerade in Thüringen begleitet uns der Lehrermangel schon seit vielen Jahren, andere Bundesländer sind nun ebenfalls damit konfrontiert. Während der Freistaat aber zum einen dieses Problem nicht in den Griff bekommt, treibt seine linke Landesregierung zum anderen unbeirrbar ihre bildungspolitischen Ideologieprojekte voran. 

So plant die Ramelow-Regierung in Thüringen eine Schulgesetznovellierung, bei der jede Grundschule eine Zweizügigkeit mit mindestens 15 Schülern pro Klasse vorweisen muss. Jede vierte Grundschule in Thüringen müsste schließen. Während die wenigen Städte immer genug Schüler haben, sieht es in den ländlichen Regionen anders aus, dort müssten Kinder viele Kilometer in die umliegenden Orte oder Kleinstädte gefahren werden: mit dem Auto! 

Ähnlich handelt die Landesregierung in Thüringen auch bei den weiterführenden Schulen. Gymnasien haben weitaus schwerer zu erreichende Quoten für Klassengrößen und Jahrgangsstärken zu erfüllen als die von linken Parteien befürworteten Gesamtschulen. Auch hier schließen Schulen auf dem Land. Wie groß ist wohl der CO2-Fußabdruck dieses Gesetzes einer Regierung, in der die Grünen mit von der Partie sind? Wahrscheinlich steht die linke Gleichmacherei über dem Klimaschutz. Ideologische Schulpolitik hat noch niemandem geholfen, am meisten werden die Kinder darunter leiden. 

Zweiklassen-Bildungssystem

Wir haben es mit offensichtlichen Problemen in der Bildungspolitik zu tun, mit Strukturen, die umgehend reformiert werden müssen. Immer öfter frage ich mich, ob der Bildungsföderalismus ohne bundeseinheitliche Standards weiterhin funktionieren wird. 

Klar, in Bundesländern wie Bayern, die ohnehin ein hohes Bildungsniveau haben und auch genügend Geld aufwenden können, um etwaige Probleme an den Schulen und in der Lehrerausbildung einzudämmen, wird jede Form des Eingriffs in die Landeshoheit abgelehnt. Das kann ich nachvollziehen. Dann muss aber auch in Kauf genommen werden, dass die Schere im Bildungssystem weiter aufgehen wird und dieses zu einem Zweiklassensystem mit unterschiedlichen Wissensstandards verkommt. 

Ich lehne es ab, etwaige bundeseinheitliche Standards dem durchschnittlichen Bildungsniveau – beispielsweise beim Deutschlandabitur – anzugleichen. Darauf aber würde es (mindestens übergangsweise) hinauslaufen, wollte man diese Vereinheitlichung erreichen. 

Bis heute bin ich in dieser Frage ambivalent, habe aber selbst miterlebt, wie meine Kommilitonen aus Nordrhein-Westfalen und Bremen in unserem ersten Semester an der Universität einen Mathematik-Intensivkurs belegen mussten, um überhaupt die Grundlagenvorlesungen im Wirtschaftsstudium mitverfolgen zu können. Das war 2016. Während ich zwar nur fünf Punkte in meinem (bayerischen) Mathematik-Abitur erreichte, konnte ich im Gegensatz zu anderen wenigstens die Kurvendiskussion rauf und runter!

Bildungspolitik als Infrastrukturpolitik

Fakt ist, dass sich etwas ändern muss, denn die Menschen heute sind nicht dümmer als andere Generationen vor ihnen, auch nicht gewalttätiger. Aber die Welt verändert sich schneller und das Wissen wird komplexer. Die Rahmenbedingungen und Strukturen sind veraltet, einige Entscheidungen in der Bildungspolitik waren schlichtweg falsch. 

Fakt ist auch, dass dieses Land viele und gute Lehrer braucht, deren Arbeit und Verdienst unbezahlbar sind. Umso mehr muss ihnen Anerkennung entgegengebracht werden.

Die Bildung, Deutschlands einzige wirkliche Ressource mit Weltpotenzial, droht richtig einzubrechen. Gelöst werden können die Probleme nur, wenn Bildungspolitik endlich als Infrastrukturpolitik verstanden wird, genügend Geld zur Verfügung steht, Ideologie dieses Politikfeld niemals beherrscht und Strukturen zum Wohle der Bildung, der Kinder und Jugendlichen, der Wirtschaft und unseres Landes geschaffen werden.

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