Digitaler Euro: Ritt auf einem toten Pferd?

Auf der Buchmesse im Oktober wurde am Stand der Deutschen Bundesbank für ein bislang wenig geliebtes Projekt geworben. In einem englischsprachigen Flyer priesen die Vertreter der Frankfurter Währungshüter die angeblichen Vorteile des geplanten digitalen Euro. Das Resümee lautete: „A means of payment to make your lives easier“ (auf Deutsch: „Ein Zahlungsmittel, um unser Leben einfacher zu machen“). 

Ob man damit die Menschen in den Eurostaaten und vor allem die skeptischen Deutschen und Österreicher überzeugen und für die digitale Zentralbankwährung begeistern kann, ist wenig wahrscheinlich. Laut Umfragen haben etwa 60 Prozent bislang noch nie etwas vom digitalen Euro gehört. Und von denen, die informiert sind, sagt fast jeder Zweite, dass er die neue Währung „wahrscheinlich nicht“ oder „auf keinen Fall nutzen“ werde.

Furcht vor „schwarzen Schwänen“

Möglicherweise stellt sich diese Frage in der Praxis auch gar nicht, denn was noch vor einiger Zeit undenkbar schien, wird in der Frankfurter Financial Community immer häufiger diskutiert, bislang noch hinter vorgehaltener Hand: Dass der digitale Euro kommt, sei längst keine ausgemachte Sache, auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) erst Ende Oktober die nächste Vorbereitungsstufe für dieses Projekt einleitete. Denn die Widerstände wachsen an mehreren Fronten. 

Gleichzeitig fürchtet man „schwarze Schwäne“, die um die Ecke kommen könnten – eine neue Bankenkrise etwa, ausgelöst durch die Probleme mittelständischer US-amerikanischer Geldinstitute, oder eine Staatsschuldenkrise, ausgehend von Frankreich, mit erheblicher Ansteckungsgefahr auch für Staaten mit bislang noch vergleichsweise guter Bonität. Das wäre in der Tat ein denkbar schlechtes Umfeld, um ein neues und sehr teures Währungsexperiment wie den digitalen Euro durchzuführen. 

Schon jetzt drei Jahre Verspätung

Aber auch ohne exogene Schocks könnte der digitale Euro trotz all der kostspieligen Vorarbeit am Ende noch scheitern. Ein entscheidendes Jahr wird 2026 sein. Ursprünglich plante die EZB dann bereits, die Digitalwährung, die im Grunde kein Mensch braucht, mit viel Tamtam auszurollen. Doch dieser Zeitplan ist längst obsolet. 

Nun soll laut Bundesbankvorstand Burkhard Balz im Jahr 2026 zunächst das sogenannte Trilogverfahren zu diesem Thema beginnen, in das die EU-Kommission, der Europäische Rat und das Europaparlament involviert sind. Danach könne das Gesetzgebungsverfahren „hoffentlich abgeschlossen werden“, sagte Balz im letzten Oktober in Stuttgart. Nach fester Überzeugung klingt das nicht. 

Doch selbst wenn die Hoffnung des Bundesbankers erfüllt würde, dürften mindestens noch zweieinhalb, vermutlich sogar drei Jahre ins Land ziehen, bis der digitale Euro Realität werden könnte. „Die Einführung des digitalen Euro ist ein ambitioniertes, gesamteuropäisches Vorhaben, das sorgfältig vorbereitet werden muss“, erklärt Balz die erhebliche Verzögerung des Projekts. 

Eine plausiblere Erklärung ist indessen die Tatsache, dass es im Europäischen Parlament erheblichen Widerstand oder zumindest deutliche Skepsis gegenüber dem digitalen Euro gibt. 

Auch sind längst nicht alle Euroländer von den angeblichen Vorteilen der digitalen Währung überzeugt. Allen voran Deutschland. Und in Österreich spricht die stärkste Oppositionspartei FPÖ von einem „ultimativen Überwachungs- und Enteignungsmechanismus“. Auch aus den Niederlanden und der Slowakei sind skeptische Stimmen zu vernehmen. 

Aber darf der digitale Euro überhaupt scheitern? Immerhin wäre es eine absolute Blamage für die EZB und Frankreich, die beide als treibende Kräfte hinter dem Währungsprojekt stehen, obwohl Paris derzeit eigentlich ganz andere Probleme hat. 

Beim digitalen Euro handelt es sich um eine Central Bank Digital Currency (CBDC), also um eine digitale Zentralbankwährung. Solches Geld wurde bereits in einigen außereuropäischen Ländern eingeführt, allerdings mit mäßigem Erfolg. 

Flops überall

Nigeria war der erste große Staat, der schon im Jahr 2021 den eNaira als nationale CBDC einführte. Zwei Jahre später wurde die eNaira-App gerade einmal von 0,5 Prozent der Bevölkerung aktiv genutzt. Die Nigerianer zahlen lieber mit Bargeld oder nutzen Mobile-Money-Systeme wie „Paga“ oder „OPay“. Ende Februar 2023 musste die nigerianische Führung das vorläufige Scheitern ihrer CBDC eingestehen. Zusammen mit US-amerikanischen Finanzsoftwarefirmen sollte der eNaira attraktiver gemacht werden. Außerdem wurde die Bevölkerung Repressalien ausgesetzt. Dazu gehörten die Verknappung des Bargeldes sowie hohe Gebühren und geringe Limits bei Bargeldabhebungen vom Bankkonto. Diese Maßnahmen lösten in Nigeria landesweite Proteste aus. Die digitale Währung gibt es zwar nach wie vor, sie spielt wegen massiver Akzeptanzprobleme jedoch kaum eine Rolle. 

Zu den ersten Ländern, die eine CBDC einführten, zählte ferner die Karibikinsel Jamaika. Dort kam Ende 2021 der JAM-DEX auf den Markt – unter der Kontrolle der Bank of Jamaica (BOJ). Es handelt sich um vergleichsweise einfaches digitales Geld, das nicht auf der Basis einer Blockchain arbeitet. Im vergangenen Jahr zog Bruce Bowen, CEO der jamaikanischen National Commercial Bank (NCB), eine ebenso nüchterne wie ernüchternde Zwischenbilanz. Die Kunden hätten „kein Interesse an der digitalen Währung“, so sein Urteil.

Die Bahamas können zwar für sich in Anspruch nehmen, das erste Land gewesen zu sein, das schon 2020 eine digitale Zentralbankwährung lancierte – den Sand Dollar. Doch der Stolz der Verantwortlichen währte nicht lange. Durch den Zusammenbruch der Kryptowährungsbörse FTX geriet auch die digitale Zentralbankwährung in eine prekäre Situation. Immerhin unterhielt FTX – einst die größte Kryptobörse der Welt – ihren Sitz auf den Bahamas. Doch schon zuvor hatte es im CBDC-Gebälk geknistert. Die Bürger des kleinen Landes hatten die digitale Währung ihrer Notenbank nicht eben mit überschwänglichem Enthusiasmus begrüßt. Die Verantwortlichen hatten für diesen Fehlstart schnell einen Sündenbock gefunden – Corona. Bis jetzt wird der Sand Dollar kaum genutzt. In Ecuador wurde der Dinero Electrónic sogar bereits 2018 eingestellt.

In Schweden, wo der „War on Cash“ seit Jahren besonders bizarre Blüten treibt und man nicht einmal seinen Espresso am Flughafen mit etwas Kleingeld zahlen kann, wollten Regierung und Reichsbank (Riksbank) offenbar zur europäischen Avantgarde in Sachen digitaler Zentralbankwährung avancieren. Die Riksbank startete schon 2017 die Vorbereitungen für die E-Krona. Mittlerweile liegt das Projekt erst einmal auf Eis. Es sei noch keine Entscheidung gefallen, ob, wann oder in welcher Form die E-Krona tatsächlich eingeführt werde, heißt es in einem Statement der Riksbank. So blieben technische Fragen offen. Sie seien zwar lösbar, aber mit „erheblichen Sicherheits- und Usability-Herausforderungen verbunden“. Man werde nun den Fokus auf die Beobachtung der globalen Entwicklung digitaler Währungen legen. 

Chinesische Zwangsbeglückung

Und sogar im repressiven China, wo die Menschen mit dem digitalen Yuan zwangsbeglückt wurden, weil sich die Regierung davon eine noch effizientere Überwachung der Bürger und des Zahlungsverkehrs verspricht, hat sich diese Währung nicht gerade als Erfolgsmodell erwiesen. Des Bargeldes entwöhnt, zahlen die Menschen vorzugsweise mit WeChat und Alipay. 

In den USA schließlich ist noch keine Entscheidung für oder gegen CBDCs gefallen. Der Widerstand der Bevölkerung scheint sehr ausgeprägt zu sein, viele fürchten einen „Überwachungsdollar“. Und Donald Trump präferiert ohnehin Stablecoins auf Dollar-Basis, also private Kryptowährungen, die an den Greenback gebunden sind, hinter denen aber keine Zentralbank steht. 

Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass noch kein CBDC mit einer Erfolgsgeschichte brilliert hat. Selbst repressive staatliche Maßnahmen führten nicht zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ist auch in Deutschland und anderen Staaten des Euroraums nicht zu erwarten. Denn auch hier grassiert in der Bevölkerung, sofern sie über die Pläne der EZB überhaupt informiert ist, die Sorge, der digitale Euro sei programmierbar und mit einem Verfallsdatum ausgestattet. Da mag mitunter von interessierter Seite auch viel Panikmache im Spiel sein, völlig grundlos ist diese Sorge aber nicht. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn Behörden ein Instrument zum Schnüffeln haben, dann wird auch geschnüffelt. Dass dabei die Bürger oft unter Generalverdacht gestellt werden, wird billigend in Kauf genommen. 

Viele befürchten schließlich, die Einführung des digitalen Euro sei ein weiterer Schritt zur Bargeldabschaffung. Deshalb wählen die Verantwortlichen von EZB und Bundesbank eine sedierende Rhetorik und nennen das geplante Geld „Eurozwilling“.

Banken fürchten Milliardenaufwand

Gäbe es nur den Widerstand der Bürger, würde die digitale Währung von den Regierungen und Notenbanken wohl irgendwie „durchgedrückt“, so wie seinerzeit der Euro. Massive Vorbehalte kommen aber auch von Seiten der Geschäftsbanken, vor allem von den Genossenschaftsbanken und Sparkassen, die den größten Teil des deutschen Privatkundengeschäfts ausmachen. Sie sehen hohe Kosten auf sich zukommen. Eine Studie von Pricewaterhouse Coopers (PwC) beziffert die den Geldhäusern entstehenden Kosten für die Einführung des digitalen Euro auf bis zu 30 Milliarden Euro. 

Zwar hat die EZB inzwischen ein Gegengutachten vorgelegt und verweist auf synergetische Effekte bei der Umstellung. Dadurch soll das Projekt „nur“ mit 5,77 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Viele halten diese Kalkulation angesichts der technischen und datenschutzrechtlichen Komplexität der Aufgabe für reine Schönfärberei. 

Welche Schätzung auch immer zutreffen mag, es ist ein zu hoher Preis für ein Produkt, das niemand braucht. Das Beratungsunternehmen PaySys Consulting veröffentlichte 2024 eine von den Volks- und Raiffeisenbanken in Auftrag gegebene Studie, in der es heißt, die Verbraucher verfügten bereits heute über vielfältige Möglichkeiten zu bezahlen. „Es ist nicht erkennbar, dass Onlinezahlungen mit dem digitalen Euro gegenüber den bestehenden Möglichkeiten einen zusätzlichen Nutzen bringen.“ Ähnlich äußerten sich auch führende Sparkassenvertreter. 

Doch nicht nur die hohen Kosten für die Einführung des digitalen Geldes stellen eine Herausforderung für die Kreditinstitute dar, sondern auch die Gefahr eines „Bank-Runs“, wenn Kunden ihre Guthaben von ihren Geschäftsbanken abziehen und sie zur EZB verlagern, weil Notenbanken die bestmögliche Einlagensicherung bieten und faktisch insolvenzgeschützt sind. 

Weil offenbar auch in den Geldhäusern die Skepsis wächst, ob der digitale Euro tatsächlich kommt, haben Banken und Sparkassen in Deutschland, Frankreich und Belgien das europäische Sofortzahlungssystem Wero (steht für We + Euro) ins Leben gerufen. Im Jahr 2026 sollen weitere Banken in der Eurozone diesen Service einführen. Manche Kreditinstitute warten jedoch noch ab, wie es mit dem digitalen Euro weitergeht. Sie wollen natürlich keine teuren Doppelstrukturen aufbauen. Auch wenn sich keine Bank bislang dezidiert gegen den digitalen Euro ausgesprochen hat, so dürfte doch im Gesetzgebungsverfahren der Druck der Bankenlobby wachsen, allenfalls eine deutlich abgespeckte Variante des digitalen Euro auf den Markt zu bringen. 

Die Angst der Euro-Fürsten

Und dann wäre da noch die Angst der Euro-Fürsten in Brüssel und Frankfurt, mit der Einführung des digitalen Euro könnten die europakritischen Parteien weiter gestärkt werden, vielleicht sogar Regierungsverantwortung übernehmen und somit einen politischen oder gesellschaftlichen Backlash auslösen. Slogan: „Stoppt die Überwachungswährung!“

Doch wie realistisch ist nun ein Scheitern des digitalen Währungsprojekts? In der Financial Community wird die Möglichkeit des Scheiterns etwa ebenso hoch eingestuft wie die einer erfolgreichen Umsetzung. Überwiegend wird jedoch die Meinung vertreten, dass der Digitale Euro in einer abgespeckten Version zwar kommen könnte, er in der Praxis aber kaum eine Rolle spielen dürfte, weil er keine Akzeptanz bei den Bürgern findet. Salopp ausgedrückt: Brüssel und die EZB reiten ein totes Pferd. 

Was aber kann der Bürger tun, um diesen ebenso teuren wie überflüssigen Überwachungswahnsinn noch zu verhindern? 

Cash bleibt fesch

Die einfachste Methode: Wo immer möglich, Bargeld nutzen, und zwar durchaus auch ein wenig ostentativ. Wichtig ist ferner, dass viele Bürger wissen, was da geplant ist. Denn wie eingangs erwähnt, wissen die wenigsten, was sich hinter dem digitalen Euro verbirgt. Manche halten ihn für eine Kryptowährung, ähnlich dem Bitcoin. Dabei ist der digitale Euro alles andere als „krypto“. 

Im Bekannten-, Freundes- und Kollegenkreis sollte man dieses Thema durchaus anschneiden, schließlich geht es um etwas sehr Wichtiges – um unser Geld. Auch Briefe und E-Mails an die Europaabgeordneten kann den Adressaten deutlich machen, dass eine große Zahl von Bürgern (und somit von Wählern) den digitalen Euro nicht wünscht. Hier sind die Namen und Adressen der Parlamentarier abrufbar.

Schließlich kann man Petitionen starten bzw. unterstützen. Beispielsweise die Kampagne „Lasst uns unser Bargeld!” der Atlas Initiative.

Sollte der digitale Euro dann trotzdem im Jahr 2029 oder später eingeführt werden, kann die Strategie nur lauten: Weiterhin auf die gewohnten Zahlungsmittel setzen, weder ein Konto auf diese Währung eröffnen noch damit bezahlen. Ohne Nutzer bleibt das Projekt erfolglos. Es dümpelt vor sich hin und wird früher oder später möglichst diskret und gesichtswahrend eingestellt.

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