Zum Ächzen schwer fällt jedermann das Leben in Deutschland – anstrengend und kompliziert, jede Bewegung in der Atmosphäre gesellschaftlichen Gegeneinanders; unverständlich und unbegreiflich jeder Versuch des Hindurchmanövrierens durch den staatsgestrickten Bürokratiedschungel. Alles Wollen ist ungewollt, jedes Sein unsinnlich und das Morgen bereits gestrig, im Morast der Lebensschwere versunken.
Können Sie sich ein Miteinander in einer Gesellschaft vorstellen, das leichtfällt? Ein Zusammenleben, das pragmatisch erdacht und organisiert, einfach gestrickt und verständlich ist? Wo dem Wollen Einzelner nicht nur nichts entgegengesetzt, sondern ihm gar Raum zur Entfaltung gegeben wird?
Als ich nach Georgien auswanderte, war mir nicht bewusst, auf welche Lebensleichtigkeit ich stoßen würde. Im Gegensatz zur Schwerfälligkeit des Schaffens in heutigen deutschen Kulturstrukturen erwartete mich in Georgien eine ungewohnt wie ungeahnt annehmliche Unbeschwertheit. Ich möchte Sie im Nachfolgenden an meinen jüngsten Erfahrungen in dieser fremden Welt teilhaben lassen, wobei der Einfachheit halber die Erkenntnisse aus meiner Wahlstadt Kutaisi ausreichen sollen, um Merkmale des georgischen Lebens zu exemplifizieren.
Straßenhunde und Mülltonnen
Als ich mich schon fest für Kutaisi als wahrscheinlich nächsten Lebensort entschieden hatte, die Flugtickets längst gebucht und die ersten Schritte zur Auswanderung in Deutschland getan waren, brachte ich zu meinem tiefsten Erschrecken in Erfahrung, dass in dieser fremden georgischen Stadt eine Menge Straßenhunde umtriebig sein sollten. Mit dieser Nachricht stellte ich meine lang ersehnte und eiligst getroffene Entscheidung zur Auswanderung in diese wildfremde Domäne vollends in Frage. Streunende, kläffende Straßenhunde waren das Letzte, womit ich mich würde anfreunden wollen. Dazu sei gesagt, dass mir Hunde in Deutschland schon gehörig viele Nerven abverlangt haben, wo allerorts ganze Stadtviertel unter ununterbrochenem Gekläffe der Eingezäunten und Angeleinten auch des Nachts machtlos leiden. Nun denn, ich flog und sollte eine interessante Entdeckung machen.
Doch zuerst zu den Mülltonnen. Jeder Haushalt in Deutschland hat seine eigene, zahlt dafür und ärgert sich in Mehrfamilienhäusern über das verschwenderische Wegschmeißen der Nachbarn, das unweigerlich mitbezahlt werden muss. In der Stadt Heidelberg schmeißt man Restmüll in schwarze, Papiermüll in blaue, Plastikmüll in gelbe und Biomüll in braune Tonnen. Aber wehe Ihnen Sie fahren ein Dorf weiter und sehen sich plötzlich im Rhein-Neckar-Kreis. Dann schmeißt man selbstverständlich Papier und Plastik zusammen in eine grüne Tonne!
Doch weg von den Farben und Trennsystemen haben wir ja noch gar nicht von den Mülltonnenabholkalenderterminen gesprochen. In diesem Dorf Schwarz alle zwei Wochen, Gelb alle drei und Blau alle vier; in der Nachbargemeinde alles zweiwöchentlich außer Blau, wobei Grün nur in kleinen Säcken nicht höher als 50cm und Schwarz nur dann regelmäßiger, wenn extra dafür bezahlt wurde … Steht dann die schwarze Tonne entweder fünf Minuten zu spät oder jedoch über Maß voll an der Straße, dann können Sie zusehen, wo Sie die nächsten zwei Wochen mit Ihrem wegzuschmeißenden Hausrat bleiben.
Wie schwer will und kann man sich das Leben machen? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf überkam mich ungläubiges freudiges Schmunzeln, als ich verstand, dass die großen Müllcontainer, die in Georgien verlässlich an jeder Straßenecke stehen und täglich – auch sonntags – von den stetig umherfahrenden Müllautos geleert werden, für jedermann gebührenfrei zugänglich sind und selbstverständlich alles und zwar wirklich alles, was an Müll anfällt, dort hineingeschmissen werden darf. Und jetzt kommen Sie mit Ihren Farben und Kalendern. Wenn mein Mülleimer voll ist, in den ich blind alles hineinpfeffern kann (auch Pfandflaschen gibt es hier selbstredend nicht und auch Glascontainer sind mir noch nicht untergekommen), gehe ich beliebig runter zur Straße, suche mir einen von den vier großen, meist frisch geleerten Müllcontainern aus und entledige mich meines Abfalles. So einfach kann das Leben sein!
Zurück zu den Hunden und zur nächsten freudigen Überraschung Georgiens. Ich hätte es vorher nicht für möglich halten können, doch die Straßenhunde hier im Stadtzentrum sind die friedlichsten, saubersten und entspanntesten Hunde, die ich je erlebt habe. Ja, ich muss sie sogar als Friedenshüter qualifizieren. Diese Straßenhunde bellen nämlich nur dann, wenn menschliches Fehlverhalten nicht weit ist – etwa bei zu schnell fahrenden Autos. In diesem Zusammenhang ging mir ein Licht auf, denn das ständige unflätige Verhalten der eingezäunten und angeleinten Hunde in Deutschland liegt natürlich an eben jenem Umstand – sie sind entweder eingezäunt oder angeleint und an Besitzer gebunden, deren rücksichtsloses Verhalten sie adaptieren. Ganz anders hier in Georgien, wo die Straßenhunde im Stadtzentrum so leben, wie Hunde seit Jahrzehntausenden unter Menschen gelebt haben: mitten unter einer ihnen vertrauten Gesellschaft, wachend und den Frieden hütend, durch alle gemeinsam verpflegt und an keinen Einzelnen gekettet.
Das „Stadtbild“ und das Internet
Das „Stadtbild“ – welch sinnlos umstrittene Vokabel – ist hier homogen: Georgier unter Georgiern. Ich bin in heterogenen deutschen Städten großgeworden, wo man sich unruhig umblickt und unwohl fühlt zwischen inkompatibel fremden Verhaltensweisen. Wenn man die Art und Weise der lokalen Kultur hier in Georgien versteht, fügt man sich schnell entspannt in das eigentümliche Treiben, blickt gelassen durch alle Straßen und geht unbedacht durch nächtliche Parks – welch Überraschung, denn das georgische Stadtbild ist – Achtung! – georgisch.
Zum Stadtbild gehört auch das oben bereits angesprochene Thema Müll. Für das deutsch sozialisierte Ohr mag es unterentwickelt klingen, allen Müll unsortiert in eine große Tonne zu werfen, doch lassen Sie sich nicht beirren. Ja, Georgien ist wirtschaftlich unterentwickelt, wenn anstelle von städtischen Straßenkehrmaschinen, die wir aus Deutschland kennen, hier alte Georgierinnen mit – für unser Empfinden – märchenalten Strohbesen und orangenen Warnwesten jede ihren eigenen Straßenabschnitt kehrend reinhält, doch siehe da, es funktioniert. Trotz der vielen Straßenhunde habe ich noch nie einen Haufen auf einem Gehweg liegen sehen – in Deutschland tritt man regelmäßig hinein, wenn man nicht acht gibt, obwohl die Hunde gar nicht frei streunen, sondern meist angeleint geführt werden.
Im hiesigen Stadtzentrum gibt es keine überfüllten Mülleimer, keine verdreckten Gehwege und keine verwahrlosten öffentlichen Bereiche. Die Stadt scheint zu funktionieren – ganz im Gegensatz zu ihren deutschen Pendants. Denn in Nordmitteleuropa zwischen Alpen und Nordsee finanziert „die öffentliche Hand“ lieber das Nichtstun rücksichtsloser Gesellschaftsmitglieder, als sie in sinnstiftende Arbeit zu entlassen. Drückte man jedem nicht arbeitsunfähigen Bürgergeldempfänger einen georgischen Märchenstrohbesen in die Hand, würde jede deutsche Straße glänzen, dass einem die Augen schmerzten.
Gehen wir zu einem deutschen Dauerbrenner über: das Internet. Dem landläufigen „In der arabischen Wüste hat man 5G, aber im ICE zwischen Frankfurt und Hannover nicht einmal einen Balken“ kann ich nun meine georgische Erfahrung beifügen. Während mein niedersächsisches Heimatdorf im Landkreis Hildesheim seit Monaten von jeglichem Netzempfang abgeschnitten ist, habe ich in Kutaisi das beste Internet, das ich je in einer Stadt erleben durfte … und auch das günstigste. Ich zahle umgerechnet keine 20 Euro und habe dafür unbegrenzt mobile Daten mit unbegrenzter Geschwindigkeit. Das Leben kann so schön sein!

Verträge, Nebenkosten und Steuern
Was soll ich sagen, die positiven Überraschungen nahmen und nehmen kein Ende. Schließt man in Deutschland einen einjährigen Mietvertrag (wie in Studentenstädten üblich), dann zahlt man zunächst die Kaution in Höhe von drei Kaltmieten und sodann unumgänglich ein Jahr lang seine Miete. Es hat entsprechend gedauert, bis ich verstanden habe, dass in Georgien, wenn von einem Ein-Jahres-Vertrag die Rede ist, lediglich gemeint ist, zu Mietbeginn die erste und die letzte Monatsmiete zu entrichten, abseits davon aber jederzeit aus dem Mietvertrag aussteigen zu können. Man zahlt hier keine Kaution, sondern leistet dem Vermieter bereits zu Beginn zusätzlich die Mietkosten des zwölften Monats, kann aber jederzeit aus dem Vertrag aussteigen und die Wohnung verlassen, verliert dann also nur die bereits gezahlte Miete des zwölften Monats. Ich glaube die beistehenden Georgier haben gar nicht verstanden, warum ich mich so darüber gefreut habe, nur eine Miete umsonst gezahlt zu haben, für den Fall, dass ich die Wohnung früher verlassen wollte. Und von Kündigungsfristen ist hier übrigens keine Rede. Wenn ich die Wohnung verlassen will, teile ich das dem Vermieter mit, zahle bis zu meinem Auszug und dann kann die Wohnung neu vermietet werden. Das Leben kann so pragmatisch sein!
Jetzt kommt ein dickes Brett – die Nebenkosten. Ich warte übrigens noch auf meine deutsche Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2024. Niemandem brauche ich aufzuzählen, welche Komplexität wir in Deutschland in diese Thematik geschleust haben. Ein Jahr lang zahlt man Betriebskosten im Voraus, wartet dann bis zu einem weiteren Jahr auf die nachträgliche Abrechnung und muss dann meistens nachzahlen. Stromlieferungsverträge jedoch schließt man als Mieter meistens selbst ab, hat jedoch auch hier einen Monatsabschlag zu entrichten, bis nach einem Jahr die Abrechnung erfolgt. Ich erspare mir Ausführungen zur Betriebskostenverordnung, der Unverschämtheit oder Unwissenheit vieler Vermieter, dem handwerklichen Ungeschick vieler Hausverwaltungen und der Unüberblickbarkeit kleinstteiligster Abrechnungsprozesse … ich habe in Heidelberg in einem Haus mit 80 Parteien gelebt – Sie können die Ausmaße der dortigen Betriebskostenabrechnung erahnen.
Wie läuft das in Georgien? Eine Warmmiete, also eine Betriebskostenpauschale oder etwaige Vorauszahlungen gibt es nicht. Jährliche Abrechnungen einer Hausverwaltung gibt es ebenfalls nicht. Ich zahle lediglich für Verbrauchskosten, nämlich Strom, Wasser und Gas, und zwar wie folgt: Zu Beginn eines Monats wird der Verbrauch des letzten Monats per Fernablese festgestellt und zugleich dessen Bezahlung fällig gestellt. Sodann kann ich in meinem georgischen Bankaccount online die IDs der Verträge, die über meinen Vermieter zur Wohnung gehören, eingeben und sogleich die tatsächlich angefallenen Verbrauchskosten begleichen.
Das liest sich noch zu kompliziert … Meine Vermieterin schickt mir eine WhatsApp, dass der Verbrauch des letzten Monats in Rechnung gestellt wurde. Ich klicke in meinem Bankkonto auf „Nebenkosten“ und kann dann jeweils bei Strom, Wasser und Gas eine Nummer eingeben, über die meine Wohnung und damit mein Verbrauch identifiziert und aufgerufen wird, und sofort die Kosten bezahlen. Bisher habe ich es übrigens noch nicht geschafft, über 20 Euro kumuliert für alle drei Verbrauchskategorien überweisen zu müssen. Währenddessen zahlt die Nachmieterin meiner Wohnung in Heidelberg eine monatliche Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 175,00 EUR, die wahrscheinlich nicht reichen wird, bei einer Wohnungsgröße von einem Drittel meiner jetzigen.
Wie zahle ich meine ein Prozent Steuern? (Wenn Sie interessiert, wie es möglich ist, nur ein Prozent Steuern zu zahlen – und zwar auf ein Einkommen bis zu 170.000,00 EUR –, dann lesen Sie unbedingt meinen letzten Artikel „Die Ein-Prozent-Steuer-Option“.)
Alle in Deutschland Steuerpflichtigen erschaudern derweil bei diesem Begriff. Mir hingegen geht das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Bis zum 15. eines Monats gebe ich in einem Online-Portal ein, was ich im Vormonat als Einzelunternehmer eingenommen habe. Ich rechne dazu meine Rechnungsbeträge zum Rechnungsdatum von Euro in Georgische Lari um, tippe die Zahl in das Feld und sende das Formular ab. Daraufhin erscheint im Portal meine einprozentige Steuerschuld (oder wie ich es nenne: Spesenrechnung). Wiederum direkt über das Portal kann ich mich zu einem Bezahlportal leiten lassen, wo ich meine Bankkartendaten eingeben und die „Spende“ direkt überweisen kann. (Steuern als „Spende“ zu bezeichnen, klingt für unsere heutigen Ohren ziemlich zynisch, aber selbst in deutschen Landen war die Steuer tatsächlich einstmals eine freiwillige, „erbetene“ Abgabe, die sogenannte „Bede“ oder „Beede“.)
Zack, Steuern bezahlt. Das Leben kann so viel Spaß machen! Was ärgert sich mein Bruder als Einzelunternehmer in Deutschland rum mit seinem Steuerberater und monatlich vollgestopften Ordnern an anrechnungsfähigen Rechnungsbelegen. So ein unproduktiver im Abyss der Bürokratiegespinste verschwindender Unsinn.
Eine einfach schöne Welt
Von Straßenhunden und Mülltonnen über das Stadtbild hin zu Nebenkosten und Steuern … das Leben kann so einfach sein. Georgien ist eine pragmatische Welt und es ist eine schöne Welt. Wenn Sie mehr von dieser Welt und insbesondere der Ein-Prozent-Steuer-Option erfahren möchten, dann schreiben Sie mir gerne eine E-Mail an: georgien@hartje.ge
Ich freue mich auf Ihre Nachrichten und sende herzliche Grüße in die zentralistisch gegängelten Deutschen Lande!




