Der deutsche Elefant im europäischen Porzellanladen

Wenn Merz oder von der Leyen oder die Grünen von der regelbasierten Ordnung sprechen, die Russland verletzt oder verlassen hatte, muss man dazu sagen, dass die regelbasierte Ordnung ein schimmernder Begriff ist, eine Schimäre, denn in der „regelbasierte Ordnung“ existieren nur die Regeln, die von Eurokraten am Brüssler Hof von Ursula von der Leyen geschaffen, die bei Bedarf geändert, bei Bedarf in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn es der Durchsetzung und der usurpatorischen Erweiterung der eigenen Herrschaft nutzt. 

Vor ein paar Tagen führte die EU diese Regel, dass es nur ihr zukommt, Regeln zu erschaffen, sie zu vergessen, sie zu verbiegen oder neue Regeln aufzustellen der Öffentlichkeit mit großer Kaltschnäuzigkeit vor. Über das weitere Einfrieren der Vermögenswerte der russischen Zentralbank und vor allem über die Enteignung der Vermögenswerte sollte nicht mehr einstimmig beschlossen werden, sondern es sollte künftig die qualifizierte Mehrheit ausreichen. 

Vom Plan der Einstimmigkeit ging man ab, weil Ungarn, Tschechien und die Slowakei gegen den Plan von der Leyens und der deutschen Regierung votieren wollten, getreu dem Motto: Die Regeln werden in Brüssel bestimmt! 

Euro News berichtete: „Die langfristige Immobilisierung wurde am Donnerstagnachmittag von den Botschaftern gemäß Artikel 122 der EU-Verträge vereinbart, der lediglich eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten erfordert und das Europäische Parlament umgeht.“ 

Doppelter Rechtsbruch

Obwohl das europäische Parlament ein zahnloser Tiger ist, wird selbst die letzte gewählte Instanz umgangen. Das ist ein doppelter Rechtsbruch, in der Form und in der Sache, denn die EU hat in der Sache nicht das Recht dazu, die russische Zentralbank zu enteignen, und kann sich hierfür in der Sache nicht auf den Artikel 122 des EU-Vertrags berufen. Der Notstand, auf den sich die EU-Aristokratie beruft, existiert nicht, denn im Artikel 122 heißt es: 

„(1) Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten. 

(2) Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen, dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren. Der Präsident des Rates unterrichtet das Europäische Parlament über den Beschluss.“ 

Weder ist die Ukraine ein Mitgliedsstaat der EU, noch ist der Krieg in der Ukraine eine „Naturkatastrophe“, nach drei Jahren Krieg auch kein „außergewöhnliches Ereignis“ mehr, zudem geht es bei den Kriegskrediten nicht um den „Energiebereich“ bei 115 Milliarden Euro für Kiews Rüstung und bei 45 Milliarden Euro als Rückzahlung für einen Kredit. Nichts im Artikel 122 trifft auf die eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu. Dementsprechend reichte die russische Zentralbank Klage gegen Euroclear bei einem Moskauer Gericht ein. 

Merz verliert

Italiener und Franzosen bevorzugten ohnehin eine gemeinsame, also im Endeffekt deutsche Verschuldung. Weil Merz nicht die allerletzten Positionen räumen wollte, als ob es bei ihm darauf noch ankäme, suchte er einen anderen Weg. 

Von der Leyen kam den Italienern und Franzosen sogar entgegen, indem sie entscheiden ließ, dass die Garantien Frankreichs und Italiens nicht auf ihre Staatsverschuldung angerechnet werden würden. Doch Frankreich wollte kein Präjudiz für die russischen Vermögenswerte schaffen, die bei französischen Banken liegen, die sich Frankreich zudem weigert zu benennen. Da hatte Merz die russischen Vermögenswerte, die deutsche Banken verwalten, schon eilfertig zur Disposition gestellt. Der Mann lässt eben nichts aus, um gegen deutsche Interessen zu agieren. 

Dennoch erlitt der Merz-Plan eine Niederlage und es wurde genau das beschlossen, was Friedrich Merz nicht wollte, nämlich Euro-Bonds, eine gemeinsame Verschuldung der EU.

Taxation without representation

Ursprünglich sollten nach dem Von-der-Leyen-Merz-Plan 210 Milliarden Euro für die Ukraine locker gemacht werden, besichert durch die russischen Vermögenswerte in Europa. Nun wurde der Finanzbedarf der Ukraine für die Jahre 2026/2027 auf 134 Milliarden beziffert. Laut Beschluss vom 19. Dezember bekommt die Ukraine 90 Milliarden Euro. Die Anleihen sollen durch den sogenannten „Headroom“ besichert und die anfallenden Zinsen über den Spielraum des mehrjährigen Finanzrahmens (Differenz zwischen der vom Deutschen Bundestag ratifizierten Eigenmittelobergrenze und den tatsächlichen EU-Ausgaben in einem Jahr) beglichen werden. 

Worauf das hinausläuft ist klar: Der deutsche Steuerzahler wird massiv zur Kasse gebeten. Man spricht von ca. 700 Millionen Euro pro Jahr, das sind aber eher konservative Schätzungen. 

In Kreisen der Unionsfraktion heißt es, dass die Regelungen von der EU so gestaltet werden, dass der „deutsche Haushaltsgesetzgeber“, also der Bundestag, nicht darüber zu entscheiden hat, die Ukraine-Finanzierung und deutsche Finanzmittel also am deutschen Bundestag vorbeigeführt werden. Damit wird der Bundestag schlicht entmachtet. 

Aber schon unter Merkel wurde das Königsrecht des Parlaments, nämlich die Budget-Hoheit, zerstört. Auffällig ist, dass Merz und von der Leyen auf außerdemokratische Lösungen an den Parlamenten und am Einstimmigkeitsprinzip der EU vorbei setzen.

Die Ukraine erhält den Kredit zinslos und muss ihn auch nicht zurückzahlen, sondern man stellt sich vor, dass Russland nach verlorenem Krieg Reparationen zahlt oder die eingefrorenen russischen Vermögenswerte doch noch geraubt werden. Wie Merz und von der Leyen auf die Prognose kommen, dass Russland den Krieg verliert, bleibt ihr Geheimnis. 

Die Zeche zahlen … Sie!

Allerdings gibt es noch einen 45-Milliarden-Euro-G7-Kredit. Der EU-Beitrag (MFA-Darlehen) zum ERA-Kredit (Außerordentliche Einnahmenbeschleunigungskredite für die Ukraine) der G7-Staaten belief sich auf 18,1 Milliarden Euro. Die letzte Tranche wurde im November 2025 ausgezahlt. Zur Finanzierung des MFA-Darlehens nahm die Kommission Mittel an den Finanzmärkten auf und verlieh diese zinslos an die Ukraine weiter. 

Das Bundesministerium der Finanzen antwortete auf eine parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten René Springer (AfD): „Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurden Vermögenswerte der russischen Zentralbank in den G7-Jurisdiktionen bzw. den EU-Mitgliedsstaaten sanktionsrechtlich immobilisiert. Der überwiegende Teil dieser Vermögenswerte liegt beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear. Durch das Management der Barbestände fallen bei Euroclear Nettogewinne („windfall profits“) an. Seit 2024 werden die in der EU anfallenden „windfall profits“ von der EU abgeschöpft und der Ukraine zur Zins- und Tilgungszahlung der sog. G7 Extraordinary Revenue Acceleration (ERA)-Kredite zur Verfügung gestellt.“ 

Springer kommentierte den Brüssler Beschluss: „Was in Brüssel beschlossen wurde, ist kein Solidaritätsakt, sondern ein Kriegskredit mit offenem Ausgang. Wer Milliarden vergibt, die durch einen militärischen Sieg über Russland ‚zurückgezahlt‘ werden sollen, entscheidet sich bewusst gegen Verhandlungen und für Eskalation. Friedrich Merz koppelt Deutschlands Zukunft an einen fremden Krieg – zahlen werden am Ende die deutschen Steuerzahler.“

Den letzten beißen die Hunde

Ungarn, die Slowakei und Tschechien beteiligen sich nicht an dem Kredit, sie wollen nicht in eine Politik hineingezogen werden, die die EU auch praktisch zur Kriegspartei macht.

Selbst der große „Europäer“ Emmanuel Macron bekam noch in den Morgenstunden des 19. Dezember überraschend schnell kalte Füße. Bisher wollten die „Europäer“ Wladimir Putin isolieren und nicht mit ihm sprechen. Kaum jedoch war der Kriegskredit beschlossen, meldete sich Macron zu Wort: „Ich denke, es wird wieder sinnvoll sein, mit Wladimir Putin zu sprechen.“ 

Vor einer Woche spottete ich bereits, dass Macron der erste sein wird, der Putins Telefonnummer hervorkramt. Dass es dann doch so schnell gehen würde, dachte ich nicht. Macron sucht für sich persönlich und für Frankreich einen Ausweg aus dem Automatismus, der am 19.12. in den frühen Morgenstunden in Gang gesetzt wurde. 

Wenn die Eskalation voranschreitet, wird das dahin führen, dass Deutschland als Kriegstreiber und allein dastehen wird, weil sich Frankreich und Italien elegant aus der Affäre gezogen haben werden. Und das heißt, dass Deutschland unabhängig von der EU nächstes Jahr fast 12 Milliarden Euro an die Ukraine überweist, Exportkreditgarantien für die Ukraine in Höhe von rund 690,1 Millionen Euro erteilt, was nur geht, weil man die Regeln gebogen hat, und schließlich mit dem 90-Milliarden-Euro-Kredit und den Entschädigungsklagen für die „windfall profits“ ansitzen wird. Friedrich Merz führt Deutschland in die Isolation und in die Katastrophe. 

Die Langfristperspektive

Es ist jetzt nicht die Zeit, die Kriegsschuldfrage zu diskutieren, es ist Zeit, Frieden zu schließen. Einen „gerechten Frieden“ wird es nicht geben. Die Fortführung des Krieges jedoch wird nicht nur die Ukraine, sondern auch Deutschland weiter schwächen und die EU auseinandertreiben. 

Über den Verlust von Elsass-Lothringen durch die Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 soll der französische Staatsmann Leon Gambetta gesagt haben: „Niemands drüber reden, aber immer daran denken!” – Nach dem I. Weltkrieg ging Elsass-Lothringen wieder an Frankreich.

Die Schwäche von Merz und Co. und der Politik der „Europäer“ besteht in dem kurzen, reflexhaften Denken, in der Unfähigkeit, Strategien und lange Linien zu folgen. Hierin sind Putin und Xi Jingping den „Europäern“ überlegen. 

Das Beispiel Leon Gambettas zeigt: Das liegt nicht in der Mechanik der Demokratie, sondern in der Dysfunktionalität der Alt-Eliten Europas, die nur noch in den Kategorien des eigenen Machterhalts zu denken und zu handeln vermögen. 

Wenn Deutschland wieder ein ernst genommener Player in der Welt werden will, dann muss sich viel ändern: eine andere Migrations-, eine andere Wirtschafts- und Energiepolitik, eine Reform der Sozialsysteme, eine andere Bildungspolitik und: Frieden. 

Deutsche Außenpolitik darf nicht abstrakten Werten folgen, sondern muss deutsche Interessen vertreten. Und sie muss auch Außenwirtschaftspolitik sein!

Beitrag teilen …

Der nächste Gang …

Hubert Geißler Blog

Jacques Baud – ein neuer Tell?

Georgien: eine pragmatische Welt

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fill out this field
Fill out this field
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
You need to agree with the terms to proceed

Autoren