Deutschlands Elite: am Ende

Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft!

I.

Dekadenz beschreibt die Kunst der Elite, auch vom Niedergang zu leben. Lebt die Elite vom Niedergang, heißt sie dysfunktional, weil sie ihrer Funktion als Elite nicht mehr gerecht wird. Je weiter der Zerfall der Gesellschaft voranschreitet, desto heller muss dann der Glanz der Elite die Realität der Verelendung überstrahlen. Zu den Dekadenzphänomenen der Gesellschaft zählen die Dysfunktionalität ihrer Elite, die Irrationalität des Diskurses, die verstärkte Repression, der ungezügelte Nepotismus, die Ersetzung der Evidenz durch Gesinnung und der Information durch Indoktrination, die Verhinderung von Wertschöpfung und die Vernichtung von Wohlstand. 

Ein Blick auf Macron, Merz, Starmer und von der Leyen zeigt das ganze Ausmaß von Europas Niedergang in einem Bild. Europas postdemokratische Eliten leben nach innen von dem ideologischen und dem repressiven Staatsapparat, wie der Marxist Louis Althusser das einmal bezeichnete, und nach außen von ihrer Arroganz, die zum ersten Mittel für die Verdrängung der Realität avancierte. Nur der Kaiser weiß nicht, dass er nackt ist, und wähnt sich in glänzenden Kleidern. 

Wenn das Dasein nicht mehr die Wahrnehmung der Elite bestimmt, bestimmt die Elite die Wahrnehmung des Daseins. Wer gar nichts kann, muss Phrasen können. Die Evidenz der Phrase ist die nächste Phrase, so dass ein Weltbild entsteht, dass ohne Welt auskommt, das nur noch Bild ist, Imago, imaginär und eingebildet.

II. 

Allerdings führt ein fortschreitender Zerfall des Wohlstandes, der Lebensqualität der Bürger, derjenigen, die den Wohlstand erwirtschaften, dazu, dass die Kluft zwischen Elite und Bürger immer größer wird, und schließlich die Gesellschaft an der Überdehnung zerbricht. Der Widerspruch zwischen denjenigen, die erwirtschaften, und denjenigen, die verteilen, wird zunehmend antagonistisch, heißt unauflösbar. 

Versucht die Elite zudem noch migrationsalchemistisch ein neues Volk zu erschaffen – wie in Deutschland – so zerstört diese Elite die Voraussetzung, von der sie lebt. Sie kann sich auf keinen Konsens der Gesellschaft mehr berufen, den man umgangssprachlich Kultur nennt. In Deutschland begann die Elite, die Kultur, von der sie lebt, mittels der sogenannten Willkommenskultur zu zerstören, die nicht Kultur, sondern Dekonstruktion von Kultur ist, denn wer eine „Kultur“ willkommen heißt, verabschiedet eine andere, womöglich seine eigene. Im praktizierten Postmodernismus übersah die Elite vor lauter Aktivismus die einfache historische Wahrheit, dass von jeher die Kultur den letzten Rückzugsort einer Elite im Endstadium ihrer Dysfunktionalität bietet.

Die Macht jeglicher Eliten ruht auf zwei Säulen. Erstens müssen Eliten ihre Legitimität wahren, heißt, sich grosso modo an die vereinbarten Spielregeln halten, denen sie auch ihre Stellung verdanken, zweitens muss ihnen der Interessenausgleich zwischen nicht allen, aber den wesentlichen Gruppen der Gesellschaft gelingen. Da die Elite den Interessenausgleich zwischen wesentlichen Gruppen nicht einmal mehr über die Verteilung lösen kann, obwohl sie immer hemmungsloser Schulden aufnimmt, treibt die Gesellschaft zu dem Punkt, den Lenin „revolutionäre Situation“ nannte. Lenin, der ein exzellenter Techniker der Macht war und es wissen musste, hielt eine revolutionäre Situation dann für gekommen, wenn folgende drei Hauptmerkmale eintreten:

1. Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, daß die „unteren Schichten“ in der alten Weise „nicht leben wollen“, es ist noch erforderlich, daß die „oberen Schichten“ in der alten Weise „nicht leben können”.

2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus.

3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sowohl (…) durch die ganze Krisensituation als auch durch die „oberen Schichten“ selbst zu selbständigem historischem Handeln gedrängt werden.

Dysfunktionalität bestimmt umso stärker die Handlungen der Elite, je mehr sie die Verbindung zu den sie ursprünglich tragenden Schichten verlieren. Das stellt für gewöhnlich den unbemerkten Anfang vom Ende dar. Von da ab wird die zerfallende Autorität durch sich vervielfältigende Formen der Repression ersetzt. 

Für die Eliten in Medien und Kultur gehörte zur eigenen Legitimation bis vor einiger Zeit eine gewisse wenn auch nur zur Schau getragene Unabhängigkeit von den Macht-, Wirtschafts- und Verwaltungseliten, mindestens jedoch eine kritische Distanz. Wenn aber Kultur- und Medieneliten praktisch zu pressure groups der Macht werden, verlieren sie ihre Legitimation, werden sie vom Machtapparat aufgesogen. Sprachlich versinnbildlicht sich das im Begriff des Kulturschaffenden in beiden deutschen Diktaturen. 

Im Begriff des Kulturschaffenden wurde der Schriftsteller, der Schauspieler, der Regisseur, der Maler, der Bildhauer, der Musiker Teil der Staatsmacht. Hinzu trat der Medienschaffende, in dem die aktivistische Tendenz der Mainstreammedien zum Begriff gerann. In der Nichtidentität der Künstler mit der Staatsmacht besteht die Voraussetzung der Kunst. Kunst gegen die Bürger wird zur Pädagogik der herrschenden Elite gegen die Bürger. 

Man kann den Widerspruch in einem Satz zusammenfassen: Kunst und Medien sind konformistisch geworden, obwohl ihr Sinn im Nonkonformismus besteht. 

Die multiple Krise, die eine mentale, eine ideologische, eine wirtschaftliche, eine gesellschaftliche, eine kulturelle Krise ist, die alle Bereiche betrifft, untergräbt die Fundamente der Gesellschaft. Bleibt der Befund: Diese westliche Elite hält sich mit allen Mitteln an der Macht fest, auch wenn Europa darüber zu Grunde geht. 

Giorgia Meloni hat vor kurzem in Rimini von einer Europäischen Union gesprochen, „die immer mehr zur geopolitischen Bedeutungslosigkeit verurteilt zu sein scheint, unfähig, den Herausforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit, die von China und den Vereinigten Staaten ausgehen, wirksam zu begegnen“. 

III.

Allerdings macht man es sich zu einfach und verkennt die ganze, die grundsätzliche Dimension der Krise, wenn man gut plebejisch und natürlich auch berechtigt auf die „da oben“ schimpft, wenn man das subjektive Versagen der Elite von den objektiven Umständen, in der sie agiert, loslöst. 

Das subjektive Versagen der deutschen und der westlichen Elite in einer objektiven Krise weist darauf hin, dass die Dysfunktionalität der Elite ein Dekadenzphänomen ist. Gesellschaften gleiten in die Dekadenz, wenn sie mit der Dynamik ihrer Zeit nicht mehr Schritt halten, sie nicht mehr gestalten, sondern nur noch verwalten. Die Dysfunktionalität der Elite äußert sich in ihrem Anachronismus, im rapiden Zeitverlust, in dem sich stetig vergrößernden Widerspruch, ihre Aufgaben als Elite objektiv nicht mehr erfüllen zu können, gleichzeitig aber noch die Macht in den Händen zu halten. Sie ist der Widergänger einer vergangenen Zeit, die nicht sterben kann. 

Vor der Selbsterkenntnis schützt sie ihre Wirklichkeitsblindheit, ihr Realitätsverlust, der ebenfalls objektive Ursachen besitzt. Die Illusion tritt für sie an die Stelle der Wirklichkeit, während ihnen die Wirklichkeit zur Verschwörung ihrer Feinde wird, denn Feinde benötigen sie, um sich vor der Wirklichkeit wehren und die Illusion aufrecht erhalten zu können. Der Feind ist, frei nach Carl Schmitt, ihre eigene Frage als Gestalt, der Feind ist die Wirklichkeit, deren Fragen sie nicht beantworten können, die ihnen deshalb nur Hass und Hetze zu sein scheinen. Sie leben in Illusionen, weil ihr Zustand illusionär ist. 

Karl Marx schrieb in jungen Jahren in einem flott formulierten Aufsatz: „Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.“ 

IV.

Langsam dämmert den Eliten, dass sich die Welt verändert, dass große Umbrüche stattfänden, dass eine Zeitenwende einsetzte, dass man sich deshalb verändern, für die Zukunft kämpfen müsse. Die böse Welt sei schuld daran, dass Deutschland de-industrialisiert werde, plappert Deutschlands Elite mit tiefsinnigem Blick, als habe sie tatsächlich einen Blick ins Weltgetriebe geworfen. Wahr ist, dass in der Geschichte der Menschheit Reiche aufsteigen, während andere Reiche untergehen. Wahr ist, dass Europa auf der Kippe steht. China wird zum bedeutenden Akteur und setzt seinen Aufstieg zur Weltmacht Nummer eins mit großer Klugheit und großer Rücksichtslosigkeit durch. 

Und was unternimmt die deutsche Elite? Sie de-industrialisiert fleißig das Land und leistet durch eine zerstörerische Einwanderungspolitik der islamischen Landnahme Vorschub. Sie vernichtet die Bildung, den wichtigsten Rohstoff des Landes, die innere Sicherheit, die Infrastruktur und feiert, dass Deutschlands Stromsicherheit bis zum Jahr 2030 angeblich gesichert sei. Doch beruht die Stromsicherheit nur auf drei Tatsachen, dass erstens ein Lastenmanagement akzeptiert wird, heißt, dass Strom verbraucht wird, wenn Strom da ist, zweitens, dass Deutschland vom Stromnettoexporteur zum Stromnettoimporteur wird und drittens aufgrund der Abwanderung der Industrie weniger Strom gebraucht werden wird. 

Im krassen Widerspruch dazu steht, dass die Bundesregierung zwar den Hochlauf von KI für die Modernisierung des Staates und für das Wirtschaftswachstum für unerlässlich hält, doch gerade die für die KI nötigen Rechenzentren ausgesprochen energieintensiv sind. Und da die Krise, die keinen Normalmodus mehr zulässt, die Grundlage der Diktatur postdemokratischer Elite stellt, wird der Krisenmodus zum Normalmodus. 

Doch der unlösbare innere Widerspruch besteht darin, dass die Elite einerseits die Krise, den permanenten Ausnahmezustand existentiell benötigt, ihn anderseits aber nicht beherrscht. Nach Carl Schmitt würde man damit die Elite als unsouverän bezeichnen, denn die Elite ist aufgrund ihrer Dysfunktionalität nicht souverän. Deshalb benötigt die postdemokratische Elite die fortwährende Apokalypse-Drohung, die Drohung mit dem Weltuntergang. Damit nicht ihre Herrschaft auf dem Spiel steht, muss alles andere fortwährend auf dem Spiel stehen. Um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, muss sie die Gesellschaft permanent neurotisieren. 

Die deutsche Elite, überrollt und überfordert von der Geschichte, findet sich nicht zurecht und flüchtet in ihre Phrasen und Vorurteile, auch in Beschimpfungen und verfolgt mit Hass und Hetze inzwischen alles, was sie selbst Hass und Hetze nennt. Weder der öffentlich-rechtliche Rundfunk, noch die Mainstream-Presse haben eine kühle Analyse zum Wirken von Donald Trump als Präsident veröffentlicht. Stattdessen wetteifern sie lediglich im Trump Bashing. Man muss Trump nicht schätzen, aber ein Mindestmaß von Verständnis, die Fähigkeit zu verstehen, was der Präsident der USA unternimmt und warum er so handelt, wie er handelt, im Kopf des anderen denken zu können, sollte zu den Voraussetzungen für Politiker, Analysten und Journalisten zählen. 

Mit China wird nicht klug umgegangen, mit Russland auch nicht. Peinliche Großsprecherei und Angeberei statt knallharter Geopolitik. Bluffs auf Schulhofniveau kennzeichnen die deutsche Außenpolitik. 

Ausdrücklich wird nicht von der europäischen, sondern von der westlichen Elite gesprochen, von den postmodernen, sich liberal nennenden Kräften, den arroganten Kindern des Wohlstandes und des Narzissmus, des Westens eben, die in ihrem Solipsismus nicht die tieferen Gründe für die Veränderung der Welt verstehen. Vor lauter Klimapolitik haben sie Geopolitik verlernt. Sie strotzen vor Selbstbewusstsein, ohne ein Bewusstsein ihrer selbst zu besitzen. 

Wäre der Westen stark gewesen, hätte Putin die Ukraine nicht angegriffen. Für die Russen zählt nur wahre Stärke, nicht der Bluff. Nicht finstere Mächte treiben Verschwörungen voran, nicht luciferische Populisten täuschen den dummen arglosen Bürger. Vielmehr befindet sich die Welt in einem grundlegenden Wandel, tiefer noch, grundsätzlicher noch als die selbstverliebte Elite Deutschlands es auch nur ahnt, sie befindet sich in einem Paradigmenwechsel, wie er sich zuletzt im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter und vom Spätmittelalter zur Neuzeit vollzogen hatte. 

Seit nunmehr zehn Jahren schreibe ich das wieder und wieder, hervorgegangen aus der Beschäftigung mit dem großen Paradigmenwechsel am Ende des Spätmittelalters, einer Zeit, die man auch die Renaissance nennt, in der mir die Grammatik des Paradigmenwechsels bewusst wurde. Die Renaissance war übrigens die Zeit, in der Europa sich erfand, eine ungeheure Dynamik entfesselte, zur Herrscherin der Welt aufstieg und die Welt des Islam hinter sich ließ, die es nicht vermochte, gesellschaftliche Dynamik zu entwickeln. 

Doch nun hat es den Anschein, als ob Europa seine ganze Dynamik verloren habe – es ist satt, selbstzufrieden, arrogant, mit gewaltigem Anspruch und mit rapidem Schwinden der Möglichkeit, diesen Anspruch auch nur ansatzweise durchsetzen. Europa wird zu einer Tatsache der Rhetorik. Neue Reiche steigen auf, Europa steigt ab, Deutschland versinkt im Chaos, das durch das Wirken seiner Elite entsteht. 

Stellte Bildung und Wissenschaft, Evidenzbasiertheit, die Methode der Falsifikation die Grundlagen Europas für den Aufstieg zur Weltherrschaft dar, so führen im Gegenteil nun Bildungsfeindschaft, die Umwandlung von Wissenschaft in ein starres System der Ideologie, Evidenzverzicht durch Haltung und die Ersetzung der Falsifikation durch die Verifikation in den Niedergang. Der Rationalismus wird durch den Irrationalismus ersetzt, Descartes „Ich denke, also bin ich“ in „Ich fühle, also bin ich“ verwandelt. 

V.

Die Alternative ist evident: Entweder wird Deutschland mit seiner dysfunktionalen Elite durch einen Prozess der Demokratisierung fertig, oder die dysfunktionale Elite wird mit Deutschland fertig. Dazwischen gibt es nichts, denn die dysfunktionale Elite hat sich als dialogunfähig erwiesen. Wie aber soll es weitergehen?

Wenn als einzige Schlussfolgerung aus dem Elend unserer Tage bleibt, dass dieses alte, gute Land eine neue Elite als conditio sine qua non des Überlebens benötigt, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wo die neue Elite für einen neuen Aufschwung herkommen soll. Darauf gibt es nur eine Antwort – und die klingt zugegebenermaßen nach va banque, nach russisch Roulette, nach Vertrauen in die Geschichte, in die Komplexität historischer Prozesse. 

Denn die neue Elite kann und wird sich nur bilden aus dem Chaos, das die dysfunktionale Elite in ihrem Überlebenskampf als Elite erzeugt. 

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Der nächste Gang …

Oliver Gorus

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