Herr Krall, können Sie uns kurz etwas über Ihren persönlichen Hintergrund erzählen? Woher kommen Sie in Deutschland, und was haben Sie dort beruflich gemacht?
1962 wurde ich in Aschaffenburg geboren, besuchte eine Klosterschule der Benediktiner in Münsterschwarzach und legte das Abitur in Hanau ab. Nach Wehrdienst bei den Pionieren studierte ich Volkswirtschaft in Freiburg (Abschluss magna cum laude) und erhielt anschließend ein Promotionsstipendium des japanischen Wissenschaftsministeriums. An der Kaiserlichen Universität Nagoya führte ich meine Forschungsarbeit zum Thema meiner Doktorarbeit über Aktienbewertung in Japan durch. Danach begann meine 30-jährige Karriere in der Finanzindustrie: zunächst im Vorstandsstab bei der Allianz AG Holding, dann in der Unternehmensberatung (Boston Consulting, Oliver Wyman, McKinsey) mit Schwerpunkt Risikomanagement. Viele Banken nutzen bis heute die unter meiner Federführung entwickelten Kreditrisikomodelle.
Später habe ich die in der Schweiz ansässige Rückversicherung Converium saniert, wobei ich vor allem zwei wesentliche Entscheidungen traf: Abstand von strukturierten Finanzprodukten und die Umstrukturierung des Naturkatastrophengeschäfts – beides erwies sich als erfolgreich. Nach Übernahme des Unternehmens durch SCORE gründete ich eine eigene Beratung mit Schwerpunkt arabische Länder. Der spätere Versuch, eine europäische Ratingagentur aufzubauen, scheiterte am Widerstand deutscher Banken. Nach weiteren Jahren in der Beratung wurde ich von 2019 bis 2022 CEO der Degussa Goldhandel. Parallel begann ich, meine Ideen und Erlebnisse in Buchform zu packen: zunächst 2013 unter Pseudonym („Verzockte Freiheit“), später unter Klarnamen die Bestseller „Der Draghi-Crash“, „Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen“, „Die bürgerliche Revolution“, „Freiheit oder Untergang“ und zuletzt „Die Stunde Null“. Gegenwärtig arbeite ich an Buch Nummer 7: „Götterdämmerung – Der Kampf um die neue Weltordnung“.
Meine ökonomische Grundthese: Durch Nullzinsen und Subventionen sind massenhaft „Zombie-Unternehmen“ entstanden, da Insolvenzen künstlich verhindert wurden. Dies führt nun zu einer großen nachgeholten Pleitewelle und massiver Instabilität. Auch Banken, Staaten und Zentralbanken sind durch diese Effekte „zombifiziert“ und zugleich macht die Wirtschaftspolitik in Europa alles falsch, was man falsch machen kann – unter der Devise „Ökosozialismus statt Marktwirtschaft“. Ich prognostiziere eine deflationäre Krise, erneute Nullzinsen und starke Wirtschaftseinbrüche für Deutschland und die EU.
Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Deutschland zu verlassen, gibt es ein persönliches Schlüsselerlebnis oder eine Erinnerung, die Sie mit diesem Moment verbinden?
Diese Entscheidung fiel an dem Tag, an dem man mit 21 Polizisten und zwei Sprengstoffhunden meine Wohnung in Frankfurt auf den Kopf stellte, weil ich als Zeuge in einem Strafverfahren in Betracht kam. Das war am 7. Dezember 2022. Ich hatte schon vorher viele gute Gründe angesammelt, insbesondere die raubmäßige Besteuerung, die Deutschland seinen Leistungsträgern auferlegt. Die Leute fragen mich immer: „Herr Krall, wo haben Sie sich radikalisiert im Internet?“ Meine Antwort: „Nein, nicht im Internet, beim Lesen meiner Steuererklärung.“
Aber am meisten empört mich die ganze Willkürherrschaft, zusehen zu müssen, wie der Rechtsstaat in Deutschland systematisch in einer dreisten Art und Weise abgeräumt wird, so dass ich sage: Wir sind eigentlich so ungefähr auf dem Level von 1935. Wenn Sie 1935 einen Deutschen gefragt hätten, ob ihm klar ist, dass er in der Diktatur lebt und keinen Rechtsstaat mehr hat, dann hätten 80 Prozent gesagt: Nein, das ist mir nicht klar. So ist es heute wieder.
Wir leben in einem Regime. Es ist kein Rechtsstaat mehr. Es ist ein Quasi-Einparteienstaat, der die Opposition verfolgt und der aufmüpfige Bürger schikaniert. Ich war damals an diesem 7. Dezember 2022 gar nicht zu Hause. Meine Tochter und meine Enkeltochter waren in meiner Wohnung, als die Polizei anrückte. Und das, obwohl aus den Akten, wie ich dann später gelernt habe, schon damals hervorging, dass den Behörden vollkommen klar war, dass ich nichts mit der Sache zu tun hatte. Sie haben natürlich gehofft, irgendwas zu finden, wenn sie mir als Zeugen die Bude auf den Kopf stellen. Das nennt man im Polizeistaatsjargon „Beifang“. Natürlich gab es da nichts, was getragen hätte.
Hatten Sie schon vor Ihrer Auswanderung persönliche Verbindungen zur Schweiz (z. B. Familie, Freunde oder berufliche Kontakte)?
Ja, ich habe früher auch schon einmal in der Schweiz gearbeitet: als Vorstandsmitglied und Chief Risk Officer einer Rückversicherung in Zürich. Als Berater habe ich in 40 Ländern der Welt gearbeitet. Dementsprechend habe ich auch in 40 Ländern der Welt immer noch gute Kontakte. Ich habe mittlerweile auch meine Sammlung von 7.000 Visitenkarten von der Staatsanwaltschaft zurückbekommen, die man damals beschlagnahmt hat. Da hat man wahrscheinlich festgestellt, da sind so viele Staatsoberhäupter und Regierungsstellen aus fünf Kontinenten dabei, dass ich das vielleicht doch zurückbekommen sollte. Wobei ich anderthalb Jahre darauf gewartet habe, dass alle meine beschlagnahmten Unterlagen zurückkommen. Und natürlich hatte ich aus meiner früheren Tätigkeit noch vielfältige Kontakte auch in die Schweiz sowie auch private Kontakte, vor allem zu freiheitlich gesinnten Schweizern. Man trifft sich auf den libertären Veranstaltungen.
Was waren die Hauptgründe, warum Sie Deutschland verlassen wollten? Waren es persönliche, berufliche, wirtschaftliche oder politische Gründe?
Ich wusste, dass die Schweiz den Weg Deutschlands nicht mitgegangen war, jedenfalls nicht in dem Umfang. Und ich hatte mich ja, als ich 2006, 2007 hier Vorstandsmitglied bei der Converium Rückversicherung war, schon ein bisschen an die Schweiz gewöhnt.
Gut, die Schweiz hat auch die eine oder andere politische Entwicklung nach links mitgemacht, leider. Aber sie liegt da zum Glück 15 Jahre hinter Deutschland. Und ich hatte schon immer eine gute Meinung von der Schweiz. Vor allen Dingen auch als politisch bewusster und freiheitlich denkender Mensch hat die Schweiz für mich natürlich sowieso immer einen Platz in meinem Kopf gehabt, wenn man so will. Ich schätze ihre freiheitlichen Traditionen. Und ich mag die Geschichte von Wilhelm Tell und seiner Unbeugsamkeit.
Und wenn einer zu mir sagt, das mit dem Wilhelm Tell, das ist ja auch nur eine schöne Legende, dann sage ich: Darauf kommt es nicht an. Es kommt auf das Mindset an. Es kommt nur darauf an, dass dieses Meme in ihrem Kopf ist. Nur darauf kommt es an.
Ob der echt war, erfunden oder schön erfunden, schlechter erfunden, das ist vollkommen egal. Es kommt darauf an, dass er ein Symbol dafür ist, dass man gegen eine Tyrannei aufsteht. Und zwar notfalls auch mit Waffen.
Wie Thomas Jefferson gesagt hat: „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen begossen werden. Das ist sein natürlicher Dünger.“ Das ist in Deutschland bis dato völlig undenkbar; Deutschland ist das Land von „Biedermann und die Brandstifter“ und „Der Untertan“.
Gab es in Deutschland Entwicklungen, die Sie als problematisch empfunden haben, und die Ihren Entschluss bestärkt haben?
Deutschland ist leider wieder in der Tyrannei daheim. Seit dem Hambacher Fest ist da nichts Wesentliches mehr passiert, jedenfalls nicht von innen heraus. Man merkt es allerorten. Das politische Klima ist vergiftet, die Menschen haben Angst, frei ihre Meinung zu sagen, Social-Media-Postings führen zu Hausdurchsuchungen morgens um 6 Uhr. Der Verfassungsschutz geriert sich als Stasi, Menschen werden für die falsche Meinung gefeuert, gemobbt, bedrängt, „de-banked“ und in Meldeportalen „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ denunziert. Das Ganze schmeckt nach DDR 2.0.
Wie haben Sie die Einreiseformalitäten, die Bürokratie und die Integration in der Schweiz empfunden? War der Prozess einfacher oder schwieriger, als Sie erwartet haben?
Das läuft hier alles sehr professionell und unkompliziert. In der Schweiz geht es mir mit den Behörden viel besser als in Deutschland. Mein Unternehmen habe ich hier gut etabliert und bin auch recht happy damit. Wie es läuft, da kann ich mich nicht beklagen, auch in allen anderen Dingen; die Behörden sind hier wirklich hilfreich. Also ich habe mit Behörden bisher überhaupt keine Probleme gehabt. Das hat auch Gründe, die in der Attitüde der Behördenmitarbeiter liegen.
Die Behörden sind viel kundenorientierter, bürgerfreundlicher. So etwas habe ich in Deutschland nur bei ganz kleinen Gemeinden und dann zuletzt vor langer Zeit erlebt, dass die dem Bürger so zugewandt sind.
Bisher kann ich sagen: Mit Behörden und mit den Gemeinden und auch mit dem politischen Leben hier in der Schweiz habe ich nur die besten Erfahrungen gemacht.
Ich war zum Beispiel eingeladen auf der Albisgüetli-Tagung der SVP, das war ganz wunderbar, der freiheitliche Geist, den man da erleben darf. Man kann sich wirklich nicht beschweren, dass die Schweizer nicht offen wären. Im Haus der Freiheit durfte ich schon vor zwei Jahren, also noch vor meinem Umzug in die Schweiz, referieren und mit ganz aufgeschlossenen und zugleich bodenständigen Menschen ohne die in Deutschland üblichen Tabuzonen diskutieren. Davon gab es ein Video, das auf YouTube 260.000 Mal angeklickt worden ist. Eine ganz tolle Stimmung war da.
Gibt es etwas, was Ihnen nicht gefällt an der Schweiz, was Sie zum Beispiel stört?
Da ist bisher nicht viel und selbst das muss man im Kontext betrachten. Ich habe meine Wohnung in Frankfurt aufgelöst und bin jetzt seit September 2024 ganz hier. Ich fühle mich hier richtig gut und habe hier mein Unternehmen etabliert. Zwei AGs habe ich hier, eine Holding und eine operative Gesellschaft. Die habe ich jetzt aus administrativen Gründen von Schaffhausen nach Zug verlegt, weil dort meine Wirtschaftsprüfer sitzen. Aber ob das der finale Standort sein wird, weiß ich noch nicht. Eigentlich plane ich, das Unternehmen in den Thurgau zu verlegen. Ich will das aus grundsätzlichen Erwägungen, weil ich hier wohne. Und weil ich mein Unternehmen in dem Kanton haben und dort auch Steuern zahlen will, in dem ich lebe. Aber das ist noch ein bisschen in der Umsetzung. Das Hauptproblem, also eigentlich das einzige Problem, das ich mit meinem Unternehmen bisher hatte, war der Versuch, mich zu „de-banken“.
Als ich es gegründet habe, haben sich einige Banken geweigert, mir ein Liberierungskonto zu geben, was beinahe die Gründung verhindert hätte. Das Problem habe ich dann mit viel Aufwand und Mühe gelöst. Und das war auch kostspielig. Das hat mich sehr verwundert, denn ich vermute, dass hier von Deutschland aus in unbotmäßiger Weise Einfluss genommen wurde. Ich würde mir hier mehr Selbstbewusstsein der Banken wünschen. Das haben die eigentlich nicht nötig.
Welche Rolle spielte die politische Neutralität der Schweiz bei Ihrer Entscheidung, hier zu leben?
Die Neutralität ist aus meiner Sicht extrem wichtig. Ich sage es auch ganz bewusst in dem Duktus, in dem sprachlichen Duktus der Vertreter der Neutralität hier in der Schweiz:
Die ewige, bewaffnete Neutralität. Europa hat erstens sehr viel mehr von der Schweiz, wenn die Schweiz neutral ist, und zwar bewaffnet neutral. Man kann nicht neutral sein, wenn man kein Stachelschwein ist. Entschuldigung, ich meine das nicht herabsetzend. Ich bin jetzt 62 und wahrscheinlich trotz meiner sehr guten Ausbildung an der Waffe nicht mehr sehr nützlich in diesem Sinne, aber ich würde eher für die Schweiz die Waffe in die Hand nehmen als für dieses Großbuntistan, was man aus Deutschland gemacht hat. Also nochmal: Die bewaffnete Neutralität halte ich für sehr wichtig, für Europa, für die Schweiz, und es ist Teil der schweizerischen Identität.
Diese Identität beinhaltet nämlich: Die Eidgenossen sind unabhängig und ein Teil dieser Unabhängigkeit ist, dass sie sich nicht fremde Händel zu eigen machen. Warum sollten sie auch? Also die Neutralität ist ein Element, wenn man so will, ein Sub-Element, eine Teilmenge der Unabhängigkeit der Schweiz. Und die Unabhängigkeit der Schweiz ist einer der Gründe, warum ich hier bin.
Denn die freiheitlichen Gedanken dürfen sich hier deshalb deutlich stärker als in Deutschland entfalten. Hier gibt es natürlich auch den einen oder anderen Linken, der das einschränken möchte, aber die Schweizer lassen sich das in ihrer überwiegenden Mehrzahl, insbesondere wenn sie nicht in den großstädtischen Kantonen sind, nicht gefallen. Es ist definitiv nicht so, dass das voneinander unabhängige Elemente sind: Direkte Demokratie, Neutralität und bewaffnet zu sein sind Elemente, die sich gegenseitig bedingen.
Das sind Elemente, die miteinander verknüpft und verzahnt sind und die die Grundvoraussetzung für eine freie Gesellschaft bilden. Bewaffnete Neutralität heißt für mich: Ihre Bewaffnung ist für die Verteidigung da.Das wiederum bedeutet, dass sie nicht für die Intervention in irgendwelchen komischen und herbeimanipulierten Konflikten da ist. Die Schweizer wussten schon vor 20 Jahren, dass ihre Freiheit nicht am Hindukusch verteidigt wird. Und die meisten Schweizer wissen auch heute, dass ihre Freiheit nicht im Donbass verteidigt wird. Die Tatsache, dass die Schweizer bewaffnet sind und dass das eine Milizarmee ist, die mit dem Boden und mit der Heimat verwurzelt ist, ist sehr wichtig. Das gilt vor allem deswegen, weil nur ein Volk, das bewaffnet ist, und zwar bis an die Zähne, nur das Volk, nicht irgendeine Institution, die man drüberstellt, auf Dauer frei bleiben kann.
Und die Milizarmee ist im Grunde genommen die Steigerung dessen, und zwar deswegen, weil sie nicht nur Handfeuerwaffen, sondern Kriegswaffen in die Hände des Volkes legt. Wenn ich hier an einer Kaserne vorbeifahre, was ja alle naselang passiert, weil das sehr dezentral organisiert ist, dann sehe ich die jungen Schweizer ihren Dienst tun. Die würden sich niemals gegen ihr eigenes Volk richten, denn sie sind ja das Volk.
Und damit kann man diesen Menschen die Freiheit nicht wegnehmen. Das ist der Sinn der Bewaffnung des Volkes. Und wenn man sich das historisch anschaut, im Ländervergleich, dann waren es immer die Länder, in denen das Volk Waffen tragen konnte, die am freiesten waren. Die Freiheit der Briten beruhte darauf, dass vor langer, langer Zeit wegen des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England der englische König seine Langbogentruppen aufstellte. Diese Langbogentruppen waren die Grundlage der strategischen Überlegenheit Englands in diesem Krieg. Jedenfalls so lange, bis der sich aus anderen Gründen zugunsten Frankreichs gewendet hat. Und was diese Langbögen angeht, gab es ein Gesetz, das der König erlassen hat, dass jeder englische Mann einen Langbogen besitzen und regelmäßig mit ihm trainieren musste.
Die Nebenwirkung war, dass irgendein staatlicher Raubritter, der mit dem Schwert vorbeikam, nicht mehr die Kasse rauben und die Frau vergewaltigen konnte. Der hatte nämlich dann, und da hat übrigens die Robin-Hood-Legende ihren Ursprung, einen schönen Pfeil zwischen den Augen. Das war es dann halt.
Das war die Basis, dann kam die Magna Carta und die ganze Geschichte, aber da fing es an: Das Volk trägt Waffen. Und als die Sozialisten im 20. Jahrhundert das britische Volk entwaffnet haben, da haben schon viele gesagt: Das ist die Basis für den Raub der Freiheit am britischen Volk. Das sehen wir jetzt, jetzt gerade passiert es. Deswegen macht die Hellebarde auf dem Titelbild der Weltwoche Sinn. Die Landstreitkräfte, also die Infanterie, waren den Reitern von Habsburg zuerst unterlegen. Aber eine Hellebarde holt einen auch vom Pferd.
Mit dem Haken wird der Ritter in der Rüstung vom Pferd gezogen, dann liegt er am Boden wie ein Käfer, der sich nicht mehr bewegen kann. Die eine Seite war in der Lage, die Rüstung aufzuschneiden, und dann konnte der Schweizer Infanterist zustechen. Also ist die Hellebarde eine Waffe der Freiheit? Ja. Letzten Endes, die Schweizer waren ja eine von fünf deutschen Bauernrepubliken im Mittelalter. Nur eine hat überlebt.
Wie empfinden Sie eine Annäherung der Schweiz an die EU und die NATO?
Davon halte ich gar nichts. Die entscheidende Frage in dieser Causa wird sein: Wie weit lässt sich das Stimmvolk manipulieren? Weniger als in Deutschland, denke ich. Es gibt zwar auch hier einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber der ist bei Weitem nicht so verdorben und so heruntergekommen wie der öffentliche Rundfunk der Deutschen. Da bin ich vorsichtig optimistisch. Ich glaube, die Schweizer werden sich im Zweifel auf ihre Traditionen besinnen. Ist das diese Gelassenheit? Wenn ich mit Freunden rede, dann sagen die meistens: „Calm down, bleib cool, es muss alles immer durch das Volk bestätigt werden.“ Die sehen das alles sehr, sehr entspannt.
Und ich hoffe, die sehen das zu Recht entspannt. Meine Beobachtung ist, dass in der Schweiz immer wieder die gleichen Trends auftreten wie in Deutschland, aber 15 bis 20 Jahre später. Und weil diese Trends nach spätestens 25 Jahren zur Katastrophe führen, knallt es in Deutschland, bevor die Schweizer an dem gleichen Punkt sind und dann sagen sie sich: Das war ja jetzt wohl mal wieder nicht der Bringer, was die Deutschen da probiert haben.
Das war 1933–1945 auch so. Hier gab es auch Nazis. Hier gab es richtige Nazis in der Schweiz, kann man kaum glauben, oder? Natürlich gab es die. Die waren nur nie in der Position, Macht zu erreichen oder gar in der Mehrheit. Und die meisten Schweizer haben gesagt: „Na ja, also was die Deutschen da machen, da scheint manches zu funktionieren, aber jetzt warten wir erst mal ab. Schauen wir uns das mal an.“ Und als es dann geknallt hat, haben die Schweizer gesagt. „Ja das haben wir uns gedacht.“ Ich mag das. Langsamkeit kann ein Vorteil sein. In manchen Dingen jedenfalls. Und bei anderen Dingen, wenn es um Innovation geht, sind die Schweizer ja ganz und gar nicht langsam. Wenn Sie sich zum Beispiel im Crypto Valley im Kanton Zug umsehen, oder ganz allgemein, wenn man sich die Top-Schweizer Unternehmen und den starken Mittelstand anschaut, dann sieht man eine Riesenmenge wunderbar innovativer Produkte. Da sind die Schweizer nicht langsam.
Wie kommen Sie mit der Sprache in Ihrem Kanton zurecht?
Also, das ist natürlich ein bisschen problematisch, weil ich zugeben muss: Mit meinen 62 Jahren sind die kognitiven Fähigkeiten, Schweizerdeutsch zu lernen, schon begrenzt. Ich fürchte, wenn ich jetzt versuchen würde, Schweizerdeutsch zu reden, dann würde mein Schweizer Gesprächspartner denken, ich will mich über ihn lustig machen. Das wäre auch nicht gut.
Also sage ich den Schweizern, mit denen ich zu tun habe: „Redet bitte mit mir Schweizerdeutsch, damit ich ein Gehör entwickeln kann, lernen, damit ihr euch nicht wegen mir umstellen müsst. Und ansonsten verzeiht es mir bitte, dass ich Hochdeutsch, oder jedenfalls das, was ich für Hochdeutsch halte, rede.“ Denn ich will mich nicht lächerlich machen.
Und wenn ich lange genug hier bin, dann wird sich das hoffentlich mal irgendwann von allein anpassen.
Konnten Sie schon einen Freundeskreis aufbauen in der Schweiz? Sind Sie „gut angekommen“?
Ja, sehr umfangreich sogar. Da bin ich sehr dankbar und ich hatte auch schon vorher einige Freunde in der Schweiz und um diese freundschaftlichen Beziehungen herum hat sich dann relativ schnell etwas entwickeln können.
Ich werde in der Schweiz tatsächlich auf der Straße sehr oft angesprochen von Leuten, die mich erkennen und die dann sagen, „Willkommen in der Schweiz“. Das ist schon eine schöne Sache, beileibe keine Selbstverständlichkeit, und es erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich nehme mir dann auch in jedem einzelnen Fall die Zeit für ein Gespräch, wenn meine Zeit das zulässt. Das sind Signale, die, wie soll ich sagen, Streicheleinheiten sind für die Seele, wenn man hier zu Gast sein darf.
Gibt es etwas, das Sie aus Deutschland vermissen?
Nicht wirklich. Ich wollte nicht mehr in der EU sein, denn die EU ist ein Vehikel der Meinungsunterdrückung, das sich in einer immer drastischeren Weise zum bürokratischen Totalstaat entwickelt. Ich bete zu Gott, dass die Schweiz maximale Distanz zu dieser EU hält. Ich habe es in Zürich Kloten auf einer Veranstaltung so formuliert: Wenn der Begriff und die Notwendigkeit eines Ganzkörperkondoms jemals von Bedeutung waren, dann im Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz. Ich fühle mich in der Schweiz politisch und gesellschaftlich freier als in Deutschland. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Deutschland wurde von der Massenmigration und dem Sozialismus so deformiert, dass es sich von seinen eigenen Leistungsträgern und gutwilligen Bürgern desintegriert hat. Von denen jetzt verlangt wird, sie sollen sich in dieses veränderte Land wieder integrieren, während man den Leuten, die man geholt hat und die sich nicht integrieren wollen, die Integration erspart. Und dabei hat man noch ein zweigleisiges Rechtssystem eingeführt, bei dem ein Messerstecher, der einen Polizisten in den Hals sticht, sieben Stunden später wieder frei ist, aber ein alter weißer Mann, der noch nicht mal eine Katze am Schwanz ziehen kann, zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft ist. Also ich kann dazu nur sagen: Ich bin nicht bereit, mich in dieses veränderte System Deutschland neu zu integrieren. Mache ich nicht. Hier hingegen ist Integration leicht, aber auch für mich eine Bringschuld.
Gibt es ein Szenario, in dem Sie nach Deutschland zurückkehren würden?
Also ich denke, dass meine Integration in die Schweiz nicht funktionieren kann, wenn ich mit dem Kopf schon wieder woanders bin. Natürlich ist das Leben kompliziert. Doch wenn ich jetzt die Frage umdrehe: Unter welchen Umständen würde ich nach Deutschland zurückgehen? Dann ist das relativ simpel, was die Umstände sind. Erstens, wenn Deutschland wieder frei ist, und zweitens, wenn ich in einem freien Deutschland gebraucht werde, dann komme ich zurück, um beim Aufräumen zu helfen. Beides ist aber nicht absehbar.
Das Gespräch führte Michael R. Moser




