Der blinde Fleck der sogenannten Kulturschaffenden 

Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts und im Televisor des Sandwirts: Hier.

Der unbestreitbare King of Rap, Kool Savas, sonst eher bekannt für präzedenzlos präzise Punchlines als für peinlich protzige Parlamentsreden, wagte sich vor einigen Jahren politisch aus der Deckung. Doch später distanzierte er sich von dieser Rolle und bezeichnete diese selbst als „pseudopolitisch“. In Interviews sagte er sinngemäß, dass er es bereue, sich öffentlich politisch positioniert zu haben, da er instrumentalisiert worden sei und die Polarisierung ihn abgestoßen habe. 

Kunst ist keine Politik und Politik ist noch viel weniger Kunst, und bei diesem unterirdischen Personal an Apparatschiks dieser Zeiten kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass diese Art von Politikmachen wirklich gar keine Kunst ist.

Leider besitzen nicht alle die Schläue und Tiefe von Savas Yurderi, wie Deutschlands beeindruckendster Sprechsänger bürgerlich heißt. Denn es hätten sich durchaus die Kulturschaffenden, die sich in einem unerträglichen Anfall von Morbus Pathos zu einem offenen Brief mit dem Titel „Lassen Sie Gaza nicht sterben, Herr Merz!“ hinreißen ließen, eine Scheibe davon abschneiden können. 

Die Protagonisten schreiben, dass „Worte allein keine Leben retten“ und politisches Handeln dringend notwendig sei. Sie fordern konkret den Stopp deutscher Waffenexporte an Israel, die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens sowie einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten humanitären Zugang in den Gazastreifen. Zwar verurteilen sie die „grauenvollen Verbrechen der Hamas“, betonen aber zugleich, dass „kein Verbrechen legitimiert (…) Millionen von unschuldigen Menschen kollektiv zu bestrafen“. Kurz: Sie wünschen sich das Ende des jüdischen Staates zugunsten des Tätervolkes in Gaza.

Wie Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Die moralische Feigenblatt-Fraktion der seelischen Spaßgesellschaft nimmt eine große Kelle aus dem Eintopf des Gratismutes. Auf ihren Sendern läuft seichte Unterhaltung mit Gewissenszucker, und wenn sie dann mal „Mut zeigen“, dann so, dass es garantiert nicht wehtut. 

Zwischen Sponsorenvertrag und Sendezeit bleibt gerade noch Platz für ein bisschen gespielte Betroffenheit für gestellte, verhungerte Kinder aus Pallywood. Auch Jürgen Vogel ist dabei, der für ein breiteres Publikum in der Hauptrolle einer wirklich schrecklichen Adaption des Buches „Die Welle“ bekannt geworden war. Einer, der gefühlt in jeder zweiten deutschen Produktion – natürlich nur durch Steuergelder finanziert– das deutsche Elend mimt, aber beim echten Elend nichts sagt, was nicht vorher gegendert und geglättet wurde.

Die Geiseln sind ihnen nicht wichtig 

Katharina Thalbach, Meret Becker und Shirin David reihen sich ebenfalls in die Riege der außergewöhnlichen Gewöhnlichen ein. Eine illustre Runde, die allesamt natürlich weder Nahost-Expertise oder einen projüdischen Bezug aufweisen können, dafür aber viel Gefühl für das gazanische Tätervolk aufbringen. 

Keiner benennt die Täter vom 7. Oktober wirklich. Keiner fordert Konsequenzen für die Hamas. Man will ja nicht anecken. Lieber verkünden sie lautstark, dass sie „nichts bereuen“ – die neue Mutlosigkeit in Zitatform. Für lebende Juden, ob noch lebende Geiseln oder die Angehörigen der Toten, scheint das keine Option zu sein. 

Dieser Brief an Merz ist, wie Savas zu seiner politischen Karriere richtig gesagt hat, ein pseudopolitisches Dokument und ein moralischer Scherenschnitt. Was fehlt, ist wie immer das: eine Spur von Realitätssinn, ein Hauch Selbstreflexion – oder gar der Gedanke, dass weniger die gazanische Zivilisten unter der Lage leiden, sondern dass auf der anderen Seite Menschen verschleppt, gefoltert, erniedrigt werden. Geiseln. Auch deutsche. Doch die sind diesen Kulturschaffenden völlig egal. Anders lässt sich ihre Abwesenheit in ihrer pseudomoralischen Großproduktion kaum erklären. 

Es geht ihnen nicht um die ganze Wahrheit. Es geht um die halbe Wahrheit, die gut aussieht auf Instagram und zu denen die beige Armeefraktion, also die, die nach der zwangsfinanzierten Tagesschau den zwangsfinanzierten Tatort, vielleicht mit Frau Thalbach, dessen Moralempfinden tatsächlich talabwärts geht, schauen, nur nicken werden. Und alle vier Jahre wählt man dann die Grünen und die SPD, denen nichts mehr egal ist, als lebendiges jüdisches Leben.

Und während also diese moralischen Applausmagneten ihre Empörung liken und teilen, passiert im Hintergrund das, was keine Bühne bekommt. Menschen sterben in Geiselhaft. Seit Monaten. Sie leiden tatsächlich an Hunger. Sie werden geschlagen, missbraucht, missachtet. Auch Deutsche sind darunter. Auch Kinder. Auch Senioren. Und niemand dieser ach so aufgewachten Prominenten verliert ein Wort darüber.

Nichts ist selbstverständlich, außer ihr Gratismut

Doch es gibt auch Anlass zur Hoffnung in Deutschland. Frauke Petry hat eine Petition gestartet, in der es heißt: „Die Bundesregierung darf nicht weiter schweigen! Sie muss die diplomatischen und wirtschaftlichen Kanäle nutzen, um die sofortige Freilassung der Geiseln in Gaza zu erreichen.“ 

Man kann förmlich die Wut der Feuilleton-Charakterleichen spüren, ebenso wie die Empörung aus dem Lerchenberg, Köln/Deutz oder aus Köpenick, die nicht glauben können, dass ihre Meinungshoheit ausgerechnet von den fremdernannten bösen Rechten, die gar nicht mal so rechts sind, angegriffen werden. Frauke Petry und die Erstunterzeichner, zu der auch der Herausgeber dieses Mediums und ich gehören, geht es nicht um Moralästhetik, sondern um eine klare Kante für jüdisches Leben.

Übrigens hätte Kool Savas gute Gründe, tatsächlich politisch aktiv zu werden. Mehrere Jahre saß sein inzwischen verstorbener Vater in Gefangenschaft, weil er sich als Aktivist gegen das damalige türkische Regime einsetzte. Der Rapper widmete ihm viel später das Lied „Der stärkste Mann“, welches er im Jahr 2023 gemeinsam mit dem Residenz-Orchester Baden-Württemberg mit vielen anderen Stücken in der Liederhalle in Stuttgart zum Besten gab. Eine Tiefe, die auch über den eigenen Verlust des Vaters hinwegtröstete, jedenfalls ein wenig – die zwangsfinanzierten Zahnlücken- und Schenkelklopf-Comedians niemals an den Tag legen könnten. Deshalb unterschreiben sie ja meist schmerzvermeidende offene Briefe.

Ein Jahr später schloss sich für mich ein kleiner Kreis, als ich in derselben Liederhalle gemeinsam mit vielen großartig-freiheitlichen Menschen ein kleiner Teil des „Bürgergipfels“ war. Nichts ist selbstverständlich, und niemand braucht so naiv zu sein, dass jemand auf einen wartet. Auf Joko und Klaas, Jürgen Vogel und Frau Thalbach haben zu viele jedoch zu lange gewartet, dass sie sich in der intellektfremden Komfortzone der Israelfeindschaft bequem gemacht haben.

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