In einer großen deutschen Wochenzeitschrift war kürzlich zu lesen, der amerikanische Präsident Donald J. Trump sei ein „libertärer Faschist“. Das ist eine contradictio in adjecto, also ein Widerspruch in sich, denn Faschismus ist eine Extremform des Etatismus, also der Staatsverehrung, wenn man so will, wohingegen der Libertarismus nicht zum Etatismus gehört, sondern diesen ablehnt.
Als rhetorische Figur, die verwendet wird, um Aufsehen zu erregen, spricht man in diesem Zusammenhang von einem Oxymoron, wie etwa „trockenes Wasser“, „stummer Protest“ oder – Sie verzeihen mir den Scherz – „redlicher Politiker“, aber ich befürchte, der Autor könnte es sogar ernst gemeint haben und hat hier nicht lediglich ein sprachliches Stilmittel verwendet.
Wie dem auch sei, manche Menschen scheinen den Gegensatz von Faschismus und Libertarismus nicht zu begreifen. Beim diesjährigen libertären Afuerafest in Regensburg beispielsweise fand eine Gegendemonstration der Antifa statt. Ich fragte mich, wieso die Antifa, deren Name von Anti-Faschismus herrührt, gegen eine libertäre Veranstaltung demonstriert, wo doch der Libertarismus als die aktuell populärste Form des Anti-Etatismus per definitionem selbst antifaschistisch ist.
Etatismus
Der Sozialphilosoph und herausragende Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie Ludwig von Mises (1881–1973) schrieb in seinen „Erinnerungen“:
„Um 1900 herum war jedermann im deutschen Sprachgebiet Etatist oder Staatssozialist. Im Kapitalismus erblickte man eine böse Episode der Geschichte, die nun glücklicherweise für immer erledigt sei. Die Zukunft gehöre dem Staate.“
Der Begriff Etatismus leitet sich vom Französischen État, „Staat“, ab, im anglo-amerikanischen Raum spricht man von „Statism“.
Mises definierte den Etatismus in seinem Werk „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“ wie folgt:
„Der Etatismus ist als Theorie die Lehre von der Allmacht des Staates und als Praxis die Politik, die alle irdischen Dinge durch Gebote und Verbote der Obrigkeit zu ordnen bestrebt ist. Das Gemeinschaftsideal des Etatismus ist ein besonders gestaltete[r] […] Staatssozialismus.“
Zum Etatismus zähle ich hier alle obrigkeitlichen und staatsverherrlichenden Ideologien, also nicht nur die extremen und totalitären Ausprägungen wie Sozialismus, Nationalsozialismus, Faschismus oder Kommunismus, sondern auch den „Klassiker“, den Nationalstaat sozialdemokratischer Prägung, wie er sich im Westen im 20. Jahrhundert fast überall durchgesetzt hat. (Von der Erörterung eines nicht-etatistischen Kommunismus, wie ihn etwa Willy Huhn im Sinn hatte, wird hier abgesehen.)
Totalitäre Tendenzen des Etatismus
Im Zeitablauf tendiert auch der demokratische Nationalstaat sozialdemokratischer Prägung zum Totalitarismus, weil der Interventionismus, also das zwangs- und fallweise Eingreifen des Staates in das Wirtschafts- und Privatleben, nicht nur ökonomisch dysfunktional ist, also die Menschen ceteris paribus verarmen, sondern er ist auch ungerecht und unmoralisch. Denn es gibt keine „Legitimation“ für den Interventionismus, der stets zu Win-lose-Situationen führt, also die einen gewinnen auf Kosten und zu Lasten der anderen.
Der Etatismus und die mit ihm einhergehende „Interventionsspirale“ führen dazu, dass der sozialdemokratisch geprägte Nationalstaat zunehmend totalitär wird und er sich einem seiner extremistischen Geschwister annähert, also etwa dem Sozialismus. Der Etatismus verwandelt eine Gesellschaft im Zeitablauf in einen „Zwangserlebnispark“.
Ähnlich wie Mises‘ Schüler George Reisman dies für den Fall des Sozialismus, Nationalsozialismus und Kommunismus beschreibt, neigen deshalb auch spät-etatistische Herrschergruppen dazu, das Volk mit Propaganda von den Missständen abzulenken, die die Regierung verursacht. Sie suchen aus Furcht vor der öffentlichen Meinung Sündenböcke für das ökonomische Scheitern und die paternalistische Gängelung, lenken das Augenmerk auf ausländische Komplotte und Sabotageakte oder führen zu diesem Zweck Krisensituationen bewusst herbei.
Aus Furcht und aus der Notwendigkeit heraus wird die Opposition diffamiert, der öffentliche Diskurs observiert, staatskritische Ideen als gefährlich gebrandmarkt und als „Hass und Hetze“ deklariert. Denn die gefährlichen Ideen könnten dazu führen, „dass die Menschen anfangen, eigenständig zu denken“, so Reismans Worte in Bezug auf den Sozialismus, und dann auch beginnen, über ihre Herrscher nachzudenken – kritisch nachzudenken.
Die Folgen sind bekannt: Unbeweisbare Narrative, wie etwa die Erzählung von der hauptsächlichen Menschengemachtheit des Klimawandels, welche die Legitimität des Etatismus stützen sollen, werden in den Rang von Dogmen erhoben, regierungskritische Dissidenten werden diskreditiert und verfolgt („Lawfare“, zu Deutsch etwa „juristische Kriegsführung“), Cancel Culture und Zensur werden etabliert, auch mittelbar über sogenannte NGOs, und dergleichen mehr.
Libertarismus ist anti-etatistisch
Im Gegensatz zu den Varianten des Etatismus ist der Libertarismus im Kern anti-etatistisch.
In der klassisch-liberalen Konzeption bedeutet dies einen Dreiklang aus (1) „Nachtwächter-Staat“ (nur innere und äußere Sicherheit), (2) Kapitalismus und (3) Demokratie, wobei Demokratie hier nicht nur die Abwahlmöglichkeit der Regierung bedeutet, sondern vor allem Selbstverwaltung, was immer einen wirklichen Föderalismus bedingt und damit echte Souveränität der kleinsten Verwaltungseinheiten. Das heißt, dass sich Dörfer, Städte, Landschaften, Regionen und dergleichen wirklich selbst verwalten, ihre Rechtsakte prinzipiellen Geltungsvorrang vor Staats- oder Bundesrecht beanspruchen und sie sich zur Not auch sanktionslos von einem größeren Verwaltungsverband, dem sie angehören, lossagen können (vgl. Ludwig von Mises, „Liberalismus“, von 1927).
In der von Murray Rothbard (1926–1995), Hans-Hermann Hoppe, aber auch schon von Frédéric Bastiat (1801–1850) proklamierten Variante bedeutet Libertarismus eine wirklich staatenlose Gesellschaft, die auch als „Privatrechtsgesellschaft“, „Anarchokapitalismus“, „Voluntarismus“ oder dergleichen bezeichnet wird.
Faschismus
Wie definierte der „Erfinder“ des Faschismus, Benito Mussolini (1883–1945), den Faschismus? In dem von ihm (zusammen mit Giovanni Gentile, 1875–1944) verfassten Artikel „Il fascismo“ für die Enciclopedia Italiana (1932) schrieb Mussolini:
„Der Faschismus begreift den Staat als ein Absolutes, im Vergleich zu dem alle Individuen oder Gruppen relativ sind, nur in ihrer Beziehung zum Staat zu begreifen.“
Berühmt – besser: berüchtigt – ist dieses Zitat Mussolinis, das angeblich aus einer Rede von 1925 in Mailand stammt und welches das Wesen des Faschismus gewissermaßen auf den Punkt bringt:
„Alles im Staat, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat.“
(Im Original: „Tutto nello Stato, niente al di fuori dello Stato, nulla contro lo Stato. “)
Im Sinne der oben genannten Definition des Etatismus von Ludwig von Mises könnte man den Faschismus also als „Turbo-Etatismus“ bezeichnen.
Als stärkste Form des Anti-Etatismus ist der Libertarismus also eigentlich ein natürlicher Verbündeter des Antifaschismus, wie das nachfolgende Schaubild verdeutlicht. In einem zweidimensionalen Sinne dargestellt befindet sich der Faschismus – zusammen mit dem Nationalsozialismus – in der unteren rechten Ecke: Also maximaler Zwang, minimale Freiheit und rechts außen. (Zwang und Freiheit nehmen jeweils in Pfeilrichtung zu.)

Der Libertarismus befindet sich jenseits des Links-rechts-Spektrums, denn links und rechts sind Varianten des Etatismus – und der Libertarismus lehnt den Etatismus prinzipiell ab.
In einer eindimensionalen Betrachtung, also wenn man nur links und rechts kennt, kann man den Libertarismus zwar wie folgt rechts einordnen:

Aber bei dieser eindimensionalen Betrachtung wären der Nationalsozialismus und der Faschismus als links einzuordnen – was dem heutigen Sprachgebrauch und der allgemeinen politischen Einordnung widerspricht. Auch wenn beispielsweise Mises‘ Schüler George Reisman den Nationalsozialismus als Variante des Sozialismus einordnet, so ist die Einordnung des Nationalsozialismus als „links“ doch schief, denn zum rechten Kern des Nationalsozialismus gehörten vor allem auch Rassismus und Antisemitismus, was mit dem nicht-nationalistischen Sozialismus nicht verbunden wird.
Nach alledem ist der Libertarismus eigentlich am denkbar weitesten entfernt vom Faschismus, wie auch von dessen totalitären Geschwistern Sozialismus, Nationalsozialismus und so weiter. Die Libertären sind also per definitionem Antifaschisten in diesem Sinne.
Schlussfolgerung
Woher dann die Abneigung der Antifa gegen die Libertären? Nun, einerseits kann diese auf Unwissenheit beruhen. In diesem Falle empfehle ich den Artikel „Achtung, Libertarismus! Was das Wort ‚libertär‘ bedeutet, und was es nicht bedeutet“, den der Ökonom Thorsten Polleit zusammen mit mir verfasst hat.
Zum anderen kann es daran liegen, dass die Antifa heutiger Prägung nicht nur antifaschistisch ist, sondern auch pro-etatistisch, pro-sozialistisch und/oder pro-kommunistisch. Ihre Gegnerschaft zum Libertarismus erklärt sich dann nicht aus dem Motiv des Antifaschismus heraus, sondern daraus, dass sie für andere etatistische oder extrem-etatistische Ideologien eintritt und den Libertarismus daher ablehnt, gerade weil dieser fundamental anti-etatistisch ist.
Die Gegnerschaft der Antifa zum Libertarismus ist – aus deren Sicht – also gut nachvollziehbar, denn der Libertarismus ist in der Tat anti-etatistisch. Aber mit Faschismus hat der Libertarismus rein gar nichts zu tun.




