Künstler: Pet Shop Boys
Album: Actually: Further Listening 1987-1988 (Parlophone Records, 2001)
Nostalgische Sehnsucht nach einer Zeit, die ich nie selbst erlebt habe – das ist das merkwürdige Gefühl, das einige Songs aus den 1980er Jahren bei mir erwecken. Einer der Meister darin, das in mir auszulösen, ist das britische Synthpop-Duo Pet Shop Boys. Chris Lowe und Neil Tennant fangen in ihrer Musik sowohl den Glamour als auch die zu ihrer Zeit vorherrschenden gesellschaftlichen Themen ein und vermitteln somit ein akkurates Lebensgefühl ihrer Ära – das beim Hören ihrer Songs bis heute noch spürbar ist.
Die 1987 erschienene zweite Platte der Pet Shop Boys, „Actually“, leistet das besonders eindrücklich. Die Band hatte sich mit ihrem Debütalbum „Please“ und dem Welthit „West End Girls“ zuvor schon international einen Namen gemacht, doch mit dem Nachfolger startete sie durch. Nicht nur das emotionale Erlebnis beim Hören des Werkes, sondern auch die stetige Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang in den Songtexten, machen „Actually“ für mich so faszinierend. Sie könnten zu jedem Track tanzen und ihn ohne weiteres Nachdenken konsumieren. Doch wer genauer hinhört, entdeckt die scharfsinnigen Kommentare, die in den Songs des Albums enthalten sind.
Es gibt eine Anekdote, die das musikalische Genie hinter „Actually“ unterstreicht: Als die Labelbosse den Song „It’s a Sin“ zum ersten Mal in der Rohversion hörten, waren sie skeptisch, ob die pompöse, fast opernhafte Produktion kommerziell funktionieren würde. Doch Chris Lowe war überzeugt, dass der „fette“ Sound gerade den Reiz ausmacht, und bestand darauf, den Sound sogar noch gewaltiger zu machen. Das Ergebnis: Ein Track, der wie eine Kathedrale aus Synthesizern klingt und in seiner Intensität und Weite keine Grenzen kennt!
„It’s a Sin“ wurde am Ende auch die bekannteste Nummer dieser Platte, einer der größten Hits der Pet Shop Boys überhaupt. Hier verarbeitet Tennant, der den Text geschrieben hat, zum Einen seine Schuldgefühle, die er im Bezug auf einige Entscheidungen verspürt. Zum Anderen durch den sarkastischen Unterton auch seinen Widerstand gegenüber einer Gesellschaft, von der er sich diffus beschuldigt fühlt:
When I look back upon my life
It’s always with a sense of shame
I’ve always been the one to blame
For everything I long to do
No matter when or where or who
Has one thing in common, too:
It’s a sin
Die symbolische Verwendung von Kirchen, Klostern und Schulen als Kulissen des düsteren Musikvideos verdeutlichen die Message noch zusätzlich.
Auch „Shopping“ lebt von diesem speziellen sarkastischen Unterton, der sich durch die Platte zieht. Der Track könnte auf den ersten Blick wie ein harmloser Ohrwurm wirken, der die Faszination der Konsumoptionen in der westlichen Welt beschreibt. Doch er spielt lediglich mit der oberflächlichen Glanzwelt des Konsums:
Our gain is your loss
That’s the price you pay
I heard it in the House of Commons
Everything’s for sale
Einen großen Teil von „Actually“ machen auch Herzschmerz- und Liebeslieder aus. So auch der Titel „What Have I Done to Deserve This?“. Diese Ballade haben die Pet Shop Boys mit der legendären Dusty Springfield aufgenommen. Heutzutage ist ihr Name nicht mehr so geläufig, aber im Zusammenhang mit dem James-Bond-Film „Casino Royale“ wird es bei vielen noch „Klick” machen: Sie sang den Titelsong zu diesem Film-Klassiker. Die Kombination von Springfields warmer Stimme und Tennants sanften Gesang schafft eine besondere, bittersüße Atmosphäre. Die Zusammenarbeit trug nicht nur zum kommerziellen Erfolg der Platte bei, sondern war auch eine Hommage an die Pop-Ikonen der Vergangenheit.
Ein weiteres Liebeslied des Albums, die Nummer „Rent“, ist zugleich bemerkenswert treffende Gesellschaftskritik: Es handelt nicht nur oberflächlich von einer Romanze, sondern ist auch eine scharfzüngige Analyse von Abhängigkeit und Macht in Beziehungen:
We never ever argue, we never calculate
The currency we’ve spent
I love you, you pay my rent
„Always on my Mind“ ist für mich der faszinierendste Song auf „Actually“. Neben dem überragend bombastischen Klang und dem emotionalen Text, vor allem deshalb, weil dieser Welthit eigentlich gar kein Song auf „Actually“ werden sollte: Die beiden Künstler glaubten so wenig an das Lied, dass sie sich zunächst weigerten, es überhaupt zu veröffentlichen. Wohl auch deshalb, weil der Titel lediglich eine Coverversion des 1972 erschienenen gleichnamigen Tracks von Brenda Lee ist (wobei die bekannteste Interpretation von Elvis Presley ist, dem das Original deshalb auch oft zugeschrieben wird).
Erst nach etlichen Diskussionen mit ihrem Label und nachdem „Actually“ auch bereits auf den Markt kam, ließen sie sich überreden, ihn doch zu bringen. Und das Resultat? Es wurde einer der größten Hits ihrer Karriere. Monate nach Albumveröffentlichung stand die Single somit zwar für sich, unterstützte jedoch im Nachgang den Erfolg der Platte nicht unbedeutend. Spannend, wie so etwas manchmal läuft!
Allein dieser Song ist der Grund, weshalb ich die „Further Listening 1987-1988“ Version des Albums gewählt habe, die erst 2001 rauskam – „Always on my Mind“ wurde erst auf dieser Nachgänger-Version von „Actually“ platziert, auf der zusätzlich auch einige Remixe und Bonussongs enthalten sind.
„Actually“ bleibt als eines der erfolgreichsten Alben der Pet Shop Boys in Erinnerung – es erreichte in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, Platz 1 der Charts und lieferte mehrere Top-Hits, die bis heute kommerziellen Erfolg verbuchen. Wenn Sie dieses Album hören, werden Sie feststellen, wie mühelos sich die Pet Shop Boys zwischen Leichtigkeit und Ernst, zwischen Melancholie und Euphorie bewegen.
Es ist nicht nur ein Synthpop-Album, sondern auch eine Zeitreise. Wenn ich dieses Album höre, erinnere ich mich an eine Zeit vor meiner Zeit, die meine Generation nur aus Erzählungen und Filmen kennt. Doch durch Musik wie diese, können wir uns trotzdem mit ihr verbunden fühlen!