Berlin im Jahr 1923: In Kreuzberg wurde ein Kilogramm Brot mit einem sogenannten Butteraufschlag verkauft. Laut Erzählungen verlangte ein Bäcker 6 Milliarden Mark, wenn man „richtiget Brot mit richtijer Butta“ wollte. Ein Kunde soll gesagt haben: „Ick zahl ja fast lieba doppelt so viel fürs Brot, als mir die Butta zu leisten, wa.“
Diese Anekdote, überhöht und symbolisch, signalisiert jedoch etwas Größeres: Wenn Butter knapp und teuer wird, wird ein Grundnahrungsmittel plötzlich zum Luxusgut – und dies ist ein klarer Hinweis auf systemische wirtschaftliche Verwerfungen. Kann man also sagen, dass die Butter ein Krisenindikator ist?
Tatsächlich zeigt ein Blick zurück auf über ein Jahrhundert Butterpreisentwicklung in Deutschland, dass Butterpreise oft mit Krisenzeiten korrespondieren.
Im Jahr 1900 kostete Butter nur wenige Mark, ehe in Kriegs- und Inflationszeiten ab 1914 die Preise rasant stiegen. In der Hyperinflation 1923 explodierte der Preis in Markwerten geradezu, wie in der Eingangsanekdote beschrieben – ein klassisches wie schmerzhaftes Beispiel, wie Währungs- und wirtschaftliche Instabilität das Preisniveau vernichtend verzerren.
In den Nachkriegsjahrzehnten war der Butterpreis dagegen lange, ebenso wie die ökonomische Entwicklung, relativ stabil: Produktion und Nachfrage hielten sich die Waage, der Preis blieb moderat.
Mit der Einführung der gemeinsamen Agrarpolitik der Vorgängerorganisationen der Europäischen Union wuchs jedoch die Milch- und Butterproduktion massiv an, bis die Konsumenten gar nicht nachkamen, diese Buttermassen auf ihre Brote zu schmieren. In den 1970ern und 1980ern entstand der sogenannte Butterberg, ein Überangebot, das interventionistisch, also sozialistisch, aufgekauft und eingelagert wurde.
Butter als Frühwarnsystem
Der Butterberg bedeutete: Überschussversorgung, Preisdruck und Marktverzerrung. Speicherhallen voller Butter statt Marktpreise. Das System existenzsichernder Mindestpreise für Bauern führte paradox zu Überproduktion – das war kein natürlicher Marktprozess, sondern ein politisch evoziertes Ungleichgewicht.
Damit gelten die Butterberge bis heute als das Symbolbild sozialistischer Wirtschaftspolitik im Gewand einer Marktwirtschaft, die bis zur Unkenntlichkeit manipuliert wird. In Deutschland wurde ein anderer Mindestpreis, der Mindestlohn, soeben erst wieder angehoben. Statt Butterberge gibt es nun immer größer werdende Arbeitslosenberge. Traumschön.
Zurück zu den Molkerei-Hügeln: Mit den Reformen ab Mitte der 2000er wurde der Butterberg sukzessive abgebaut: Die Lagerbestände schrumpften, Interventionen wurden zurückgefahren. Fortan reagierte der Butterpreis wieder auf Angebot, Nachfrage und externe Schocks – und genau hier setzt sich seine Funktion als Krisenindikator fort.
Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Ende 2024 erreichte der Preis für ein Päckchen Butter mit 250 Gramm (keine Markenbutter) einen historischen Höchststand von etwa 2,39 €. Ursachen: sinkende Milchfettgehalte, geringere Milchmengen infolge von Tierkrankheiten wie der Blauzungenkrankheit, höhere Energiekosten und gestörte Lieferketten. Binnen weniger Monate sackte der Preis aber wieder ab – als das Angebot sich erholte: Händler senkten die Preise auf rund 1,79 € bzw. sogar 1,59 € für das Päckchen Butter der Eigenmarke. Sie sehen, Butter ist nicht nur lecker und geradezu elementar, das Molkereiprodukt reagiert auch empfindlich auf strukturelle Schocks, sowohl in Landwirtschaft als auch auf Energie, Logistik und Marktbedingungen. Diese Sensibilität macht Butter potentiell zum Frühwarnsystem.

Wenn der Staat nach der Butter greift
Betrachten wir auch die Marktstruktur: Große Anbieter von Butter, wie Meggle oder Müller, und die marktbeherrschenden Handelsketten als Vertriebspartner formen ein Oligopol beziehungsweise oligopolartige Strukturen. Entscheidende Mengen werden nicht durch bürgerliche Hausmolkereien erzeugt, das war einmal, sondern industriewirtschaftlich verarbeitet. Wenn Fettgehalte sinken, Milchpreise fallen oder Milchmengen schwanken, hat das direkte Auswirkungen auf Butterpreis und Verfügbarkeit. In solchen Strukturen kann der Preis stark verzerrt und weniger volatil sein oder im Gegenteil extrem abrupt ausschlagen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bildet die technische Verarbeitung, etwa die Pasteurisierung. Pasteurisierung erlaubt eine längere Haltbarkeit und industrielle Verarbeitung, senkt aber auch teilweise die Milchfettqualität und beeinflusst damit die letztendliche Butterqualität und den daraus erzielbaren Marktpreis. Technologische Entwicklungen und Modernisierung der Molkereien führen zu Produktivitätsgewinnen, doch senken sie gleichzeitig die Robustheit gegenüber externen Schocks: Die Produktion wird effizienter, aber zentralisiert. Spannend für den ökonomisch Interessierten wird es, wenn Sie „durch die Butter“ die ökonomischen Theorien betrachten.
Eine keynesianische Perspektive würde betonen, dass Nachfrage- und Konjunkturschwankungen in Kombination mit externen Schocks, z. B. explodierenden Energiepreisen, zu Preisschwankungen bei Grundnahrungsmitteln wie Butter führen können. In Krisenphasen wirkt der Butterpreis also als Indikator für rückläufige reale Einkommen, steigende Produktionskosten oder Angebotsprobleme.
Aus der ordoliberalen Sicht wiederum wirkt der Butterberg als warnendes Beispiel: Wenn der Staat durch Subventionen und Mindestpreise künstlich in den Markt eingreift, entstehen Verzerrungen, Überproduktion und ineffiziente Allokation, was letztlich Märkte destabilisiert. Die spätere Abschaffung der Interventionen und die Rückkehr zu marktwirtschaftlicher Preisfindung führten zu marktgerechteren Preisen, ein deutlicher Sieg ordoliberaler Prinzipien. Was uns zur Österreichischen Schule bringt …
Seriöser als Fratzscher
Diejenige ökonomische Theorie, die dem Phänomen, dass Butterpreise Krisen oder wirtschaftliche Stressphasen signalisieren könnten, am deutlichsten Bedeutung zumisst, ist die Österreichische Schule der Nationalökonomie: Sie betrachtet Preise als reines und physiologisches Informationssystem. Wenn also der Preis für ein Grundnahrungsmittel wie Butter deutlich steigt, könnte das frühzeitig ein Hinweis auf Knappheit, Fehlallokation oder Überbeanspruchung von Ressourcen sein. Insofern können Sie festhalten: Ja, aus dieser Perspektive erscheint butterpreisbasierte Krisenwarnung am ehesten plausibel.
Kommen wir schließlich zur Anekdote in Kreuzberg des Jahres 1923 zurück. In Zeiten der Hyperinflation war Butter denknotwendig ein Luxusgut, also ein Zeichen, Stichwort „Informationssystem“, dass das Geld nichts mehr wert war und das Geldsystem versagt hat. Heute könnte ein hoher Butterpreis bedeuten: strukturelle Schwäche, Produktionsprobleme, externe Schocks.
Butter war und ist Grundnahrungsmittel. Wenn sie teuer wird, leidet der Alltag und das ist oft ein frühes Signal dafür, dass die nächste Krise im Anmarsch ist. Ob sie ihn zuverlässig voraussagt? Nicht sicher. Aber zuverlässiger als Marcel Fratzschers Vorhersagen allemal.





1 Kommentar. Leave new
Ihr Beitrag ist wohl zu lange in der Schublade gelegen. Ist Ihnen entgangen , dass Lidl Butter für 99 Cent anbietet ? Sonnenblumenöl für 1,29 € ?