Der Beschluss des Bundestages vom 5. Dezember 2025 zur Wiedereinführung der verpflichtenden Musterung (beginnend mit dem Jahrgang 2008) markiert eine Zäsur. Während die Politik dies als „bürokratischen Verwaltungsakt“ zur „Datenerhebung“ verkauft, formiert sich Widerstand: Die Zahl der Kriegsdienstverweigerungsanträge stieg bereits bis August auf 3.257 und projiziert für das vierte Quartal nach dem Beschluss einen historischen Höchststand. Parallel dazu formieren sich bundesweite Proteste.
Eine freie Gesellschaft kennt Wehrhaftigkeit – aber sie kennt keine staatliche Verfügung über den Körper. Die Erfassung ist die Infrastruktur der Enteignung – der Anspruch des Staates auf das Obereigentum am Menschen. Was hier entsteht, ist nicht mehr der Rechtsstaat, sondern der Körperstaat.
Vom Rechtsstaat zum Körperstaat
Um die moralische Tragweite des Beschlusses vom 5. Dezember zu erfassen, müssen wir die euphemistischen Nebelkerzen der Berliner Republik beiseite wischen. Die „verpflichtende Erfassung“ und die ab Januar 2026 versandten Fragebögen sind kein harmloser Datenabgleich. Sie sind die juristische Vorbereitung der Enteignung. Wer zählt, will verfügen.
Wer erfasst, erhebt Anspruch. Und wer Anspruch erhebt, stellt die Frage nach der Eigentumshierarchie – genau hier beginnt der Übergang vom Rechtsstaat zum Körperstaat.
Libertäre Rechtsphilosophie beginnt mit dem Axiom des Selbsteigentums: Jeder Mensch ist alleiniger Eigentümer seines Körpers, seiner Arbeit und der Früchte dieser Arbeit. Das Habeas-Corpus-Prinzip ist der juristische Schutzwall gegen den Zugriff Dritter. Die Wehrpflicht – und bereits ihre Vorstufe, die Zwangsmusterung – schleift diesen Wall.
Dabei geht es um das sogenannte Obereigentum. Dieser Begriff aus dem Feudalismus meint das höchste Verfügungsrecht über Grund und Boden – oder eben über Menschen. Der moderne demokratische Staat reklamiert hier ein Recht für sich, das er eigentlich dem Bürger garantieren sollte: die Unverletzlichkeit. Die Wiedereinführung der Musterung ist die Re-Etablierung der staatlichen Zugriffsinfrastruktur auf den Leib. Es ist die Suspendierung des Selbsteigentums im Wartestand.
Wenn der Staat den Zugriff auf den Körper erzwingt (und sei es zunächst nur zur „Sichtung“), wandelt er sich von einer forensischen Instanz (Rechtswahrer) zu einer totalen Institution (Menschenbesitzer). Zwangsrekrutierung ist kein Gesetz, sondern ein Herrschaftsmodus.
Die historische Typologie der Macht
Historisch betrachtet ist die Wehrpflicht keineswegs ein Zeichen bürgerlicher Freiheit, sondern ein Symptom imperialer Machtkonzentration. Es gibt eine klare historische Korrelation: Freiheit korreliert mit Waffenrecht und Miliz; Imperium korreliert mit Entwaffnung und bürokratischer Erfassung.
In der klassischen Schweizer Eidgenossenschaft oder den frühen US-Kolonien war das Wehrrecht ein Privileg des freien Mannes. Der Sklave durfte keine Waffen tragen; der Freie musste es, weil er Teil des Souveräns war. Er verteidigte sein eigenes Eigentum, nicht die Ambitionen eines Herrschers.
Die moderne Erfassungsbürokratie hingegen, hervorgegangen aus der napoleonischen Levée en masse (die Lazare Carnot explizit als Totalmobilisierung des Volkskörpers konzipierte) und perfektioniert im preußischen Obrigkeitsstaat, kehrt diese Ordnung um: Nicht der Freie trägt die Waffe, sondern der Staat zählt den Körper. Sie ist keine Bewaffnung des Souveräns, sondern die Inventarisierung der Untertanen.
Dieser Unterschied ist fundamental: Das Milizsystem basiert auf dem Bürger, der dem Staat Grenzen setzt. Das Wehrpflichtsystem basiert auf dem Staat, der den Bürger als Ressource nutzt. Die Zwangsmusterung transformiert den Bürger vom Souverän zum Staatsmaterial.
Das Mises’sche Kalkulationsproblem
Ein oft gehörter Einwand der Etatisten lautet: „Der Ernstfall erfordert Masse.“ Dies ist ökonomisch widerlegt. Wir müssen hier die Erkenntnisse der Österreichischen Schule, insbesondere von Ludwig von Mises, anwenden.
Wehrpflichtsysteme leiden unter einem massiven Kalkulationsproblem. Da der zwangsrekrutierte Soldat keinen Marktpreis hat (sein Sold wird willkürlich festgesetzt und liegt weit unter seinem Marktwert), erscheint er für die militärische Führung als „kostenloses Gut“. Was nichts kostet, wird verschwendet. Generäle in Zwangssystemen neigen dazu, Menschenleben ineffizient zu „verheizen“, weil sie die ökonomischen Kosten dieses Kapitals nicht spüren.
In einer Marktwirtschaft zwingen Preise zur Sparsamkeit. Eine Berufsarmee oder eine hochspezialisierte Miliz ist „teuer“ (sie muss Marktpreise für Arbeit zahlen), weshalb man mit dem Leben und der Gesundheit der Soldaten vorsichtig umgeht und in Technologie (Drohnen, Abwehrsysteme) investiert.
Der „Körperstaat“ hingegen ersetzt Kapital durch Masse. Das ist im 21. Jahrhundert nicht nur unmoralisch, sondern militärisch suizidal. Moderne Kriege werden durch technologische Asymmetrie entschieden. Die Wehrpflicht ersetzt Preislogik durch Menschenverbrauch.
Die Dekonstruktion der drei Mythen
Der Staat rechtfertigt den Zugriff mit drei großen Erzählungen. Diese halten einer praxeologischen Überprüfung nicht stand.
Der Sicherheits-Mythos: Zwang erzeugt das klassische „Principal-Agent-Problem“. Der Soldat trägt das Risiko (Tod), hat aber kein intrinsisches Interesse am Erfolg seines „Besitzers“. Entscheidend ist asymmetrische Motivation: Wer sein Eigentum und seine Familie verteidigt (Miliz), kämpft immer härter und ausdauernder als derjenige, der für eine abstrakte Staatsräson in einen fremden Graben befohlen wird. Sicherheit entsteht durch Haftung (Skin in the Game), nicht durch Zwang.
Der Gerechtigkeits-Mythos: „Wehrgerechtigkeit“ ist ein sozialistisches Phantom. Faktisch ist jede Form der Dienstpflicht eine extrem regressive Kopfsteuer auf Lebenszeit. Sie trifft disproportional die Unterschicht und jene, die sich nicht durch Ausbildung oder Beziehungen entziehen können. Es ist eine Steuer, die die Schwächsten mit ihrer physischen Unversehrtheit bezahlen.
Der Kohäsions-Mythos: Erzwungene Gemeinschaft ist keine Gemeinschaft, sondern Konformität. Das Argument, der Dienst würde die Gesellschaft „kitten“, ist zutiefst totalitär. Wahre Kameradschaft und Zusammenhalt entsteht in der Zivilgesellschaft durch freiwillige Kooperation, Tausch und Vereine. Ein Staat, der seine Bürger einsperren muss, um sie zu „verbinden“, hat seine Legitimität bereits verloren.

Der Angriff auf Familie und Wirtschaft
Der Mensch ist nicht isoliertes Staatseigentum, er ist eingebettet in vor-staatliche Institutionen: die Familie und die Wirtschaft (die Oeconomia). In einer freien Gesellschaft sind diese Sphären souverän.
Die Wehrpflicht ist ein direkter Angriff auf die Privatrechtsordnung der Familie. Wenn der Staat den jungen Mann (als potenziellen Versorger, Vater oder Unternehmensnachfolger) aus der Oeconomia extrahiert, betreibt er Raubbau am Humankapital der Nation. Kein Land, das seine produktivste Alterskohorte zwangsweise stilllegt, kann gleichzeitig von Fachkräftemangel sprechen, ohne sich lächerlich zu machen.
Die Diagnose des Systembruchs ist eindeutig:
- Die Sphäre der Ökonomie (Wirtschaft und Haus) sorgt in einer freien Ordnung für Produktion, Versorgung und Eigentumsbildung. Der Übergriff durch Wehrpflicht extrahiert Arbeitskraft aus dem Markt. Das verursacht Opportunitätskosten, nämlich einen Verlust beim Bruttoinlandsprodukt und die Schwächung der Familien.
- Die Sphäre der Zivilgesellschaft (Vereine, Kultur) sorgt in einer freien Ordnung für freiwillige Assoziation und Wertebildung. Der Übergriff durch Wehrpflicht erhebt den Anspruch auf totale Loyalität und Lebenszeit. Das verursacht die Verstaatlichung des Gewissens und die Erosion des Ehrenamts.
- Die Sphäre der Politik (Rechtspflege) sorgt in einer freien Ordnung für den Schutz von Eigentum und Freiheit. Der Übergriff durch Wehrpflicht bzw. die präventive Massenerfassung erhebt Eigentumsanspruch an den Körpern und der Lebenszeit der Bürger. Das verursacht den Wandel des Staats vom Rechtsverwahrer zum Menschenbesitzer.
Der Staat stiehlt der Wirtschaft die Kraft und der Familie den Schutz. Er schwächt die produktive Basis, um den unproduktiven staatlichen Überbau zu stützen.
Naturrecht statt Positivismus
Eine liberale Einordnung muss die Grenzen des Staates definieren. Das Naturrecht (siehe Rothbard oder Locke) besagt: Niemand kann Rechte delegieren, die er selbst nicht besitzt. Da kein Nachbar das Recht hat, den Sohn seines Nachbarn mit Waffengewalt zu entführen und in einen Krieg zu schicken, kann er dieses Recht auch nicht an einen Staat delegieren.
Der Staat operiert legitim nur dort, wo er Eigentum schützt und Verträge durchsetzt (retributiv). Er hat kein Mandat, den Menschen zu „formen“ oder als Ressource zu nutzen. Wenn der Staat Körper erfasst, überschreitet er sein Mandat im Naturrecht: Er beansprucht ein Eigentumsrecht an Personen. Das ist per Definition Sklaverei. Eine Obrigkeit schützt Eigentum; ein Staat, der Menschen besitzt, ist ein Unrechtsstaat. Ein Gewaltmonopol ist nur legitim, wenn es nichts beansprucht, was es nicht auch lassen kann.
Die Alternative: wehrhafte Freiheit
Wenn wir den Zwang ablehnen, bedeutet das keinen Pazifismus. Die Alternative zum Körperstaat ist die wehrhafte Freiheit einer bewaffneten Zivilgesellschaft.
Das historische Vorbild ist nicht die Kaserne, sondern die dezentrale Miliz:
- Das Miliz-Prinzip: Die Waffe gehört ins Haus des Bürgers (nach Schweizer oder US-Vorbild), flankiert von technischer Ausbildung.
- Dezentralität: Sicherheit wird „privat“ und kommunal koproduziert.
Ein Volk, das wehrhaft ist, weil es Eigentum besitzt, ist schwer zu besiegen, aber auch schwer zu unterdrücken. Genau davor fürchtet sich der moderne Zentralstaat. Er will keine wehrhaften Bürger, er will weisungsgebundene Soldaten.
Der Weg in die Knechtschaft
Wir müssen wachsam sein. Friedrich August von Hayek warnte im „Weg zur Knechtschaft“, dass die wirtschaftliche Planung zwangsläufig zur totalitären Kontrolle über das Leben führt. Die Wehrpflicht ist die ultimative Form dieser Planung: die Planwirtschaft über Menschen.
Die bürokratische Erfassung junger Männer ist der erste Schritt auf diesem Weg. Sie markiert den Moment, in dem der Mensch vom Subjekt des Rechts zum Objekt der staatlichen Verwaltung wird – gelistet wie Inventar. Es geht hier nicht um eine platte Gleichsetzung, sondern um eine strukturelle Identität in der Logik der Macht: Ein Staat, der Körper beansprucht, bereitet den Weg für Systeme, die am Ende alles fordern.
Ziviler Ungehorsam als Bürgerpflicht
Der Staat darf Recht sprechen, aber keinen Menschenkörper besitzen. Wo er diese Grenze überschreitet – sei es durch Zwangsmusterung oder Zwangsdienst –, aktiviert er das Recht auf Widerstand.
Historisch kennen wir das Konzept der Interposition (Magdeburger Bekenntnis): Wenn die Zentralgewalt Recht bricht, ist es die Pflicht der niederen Ebenen (Bürgermeister, Landräte, Landesregierungen), sich schützend vor die Bürger zu stellen. In föderalen Systemen bedeutet Interposition heute: Verwaltungsakte können verweigert, Vollzug kann ausgesetzt, Erfassungen können blockiert werden.
Doch der Widerstand beginnt beim Einzelnen. Die über 3.000 Kriegsdienstverweigerungsanträge, die allein bis August 2025 eingingen, sind ein klares Marktsignal: Die Bürger entziehen dem Staat das Vertrauen. Die Antwort auf die Fragebögen 2026 muss daher lauten: Keine Erfassung ohne Einwilligung!
Denn ohne Einwilligung gibt es keinen Bürger, sondern nur Besitz. Wo der Staat den Leib beansprucht, tritt er an die Stelle des Eigentümers. Dies ist der Moment, in dem ziviler Ungehorsam zur Bürgerpflicht wird. Denn am Ende triumphiert nicht der Etatismus, sondern die Freiheit.





1 Kommentar. Leave new
Ist mir zu hochgestochen.
Wehrpflicht und allgemeine Mobilmachung sind ja keine neue Erfindung. Und es ist beileibe keine deutsche Stabilität. Was zB die Schweiz oder Israel mit der Wehrpflicht machen, kann ich loben.