Steuern: Der Zehn-Prozent-Götze

Der Zehnt ist nicht bloßer Kultbrauch, er ist ein Souveränitätszeichen. Dieser Satz markiert die Demarkationslinie jeder biblischen Staatslehre. Wer 3. Mose 27 oder 5. Mose 14 liest und darin nur eine antike Spendenquittung sieht, verkennt das fundamentale Prinzip: Der Zehnt ist die göttliche Eigentumsmarke. Er definiert die Kultgrenze der Abgabe an den Souverän.¹

Wenn der irdische Magistrat diesen Anteil fordert – oder gar überschreitet –, tastet er den Raum an, den Gott sich selbst vorbehalten hat. Was folgt, ist daher keine profane Steuerkritik, sondern eine fiskaltheologische Diagnose. Der Zehnt ist kein universales Steuergesetz, aber er ist der naturrechtliche Marker göttlichen Eigentums. Ein Staat, der dauerhaft über diese Marke hinausgreift, verletzt das Lehensrecht Gottes (Bundesordnung). Er missachtet die Privatautonomie, verletzt die Sphärensouveränität der Familie – und erhebt sich selbst zum Götzen, indem er das Eigentum nicht schützt, sondern beansprucht.

Der Staat als „Mann der Abgaben“

Bereits die Weisheitsliteratur seziert die Anatomie staatlichen Raubrittertums. In Sprüche 29,4 heißt es: „Ein König baut das Land durch das Recht auf; wer aber viele Steuern erhebt [wörtl.: ‚ein Mann der Abgaben‘, Ish Terumot], der richtet es zugrunde.“

Die Schrift warnt hier vor dem Ish Terumot, dem Politiker, der Wohlstand nicht schützt, sondern abschöpft. Die historische Realisierung dieser Warnung findet sich im Zerfall des vereinigten Königreiches (1. Könige 12). Als das Volk unter der Last der Abgaben stöhnte und um Erleichterung bat, antwortete Rehabeam mit der Arroganz des absoluten Etatisten: „Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt, ich aber will euch mit Skorpionen züchtigen.“

Das Resultat war nicht Wohlstand, sondern Spaltung und Ruin. Wo Steuern zum „schweren Joch“ werden, wo sie lebensnotwendige Güter – Arbeit, Energie, Nahrung – belasten, dort wird der Staat zum Feind und Zerstörer der Familien. Er belohnt Macht statt Leistung – und züchtet eine bürokratische Kaste, die von der Substanz der Produktiven lebt.

Von Freiheit zu Knechtschaft

Die Schrift reiht ihre Warnungen nicht zufällig aneinander. Sie entfaltet eine Degenerationslinie der Herrschaft – eine Typologie, die zeigt, wie menschliche Macht sich Schritt für Schritt von Gottes Ordnung löst:

  • Freiheit (Der Levitische Bund): Der Zehnt gehört Gott. Er finanziert den Kultus und das soziale Netz (Armenfürsorge). Der Staat (das Schwertamt) hat hier keinen direkten Zugriff auf die Substanz. Die Lex Foederis schützt das Privateigentum als göttliches Lehen.
  • Konkurrenz (Der Samuelische Fall): In 1. Samuel 8 markiert der Wunsch nach dem Königtum den Kipppunkt. „Er wird den Zehnten nehmen …“ (V. 15). Der König ersetzt Gott noch nicht total, aber er tritt in direkte Konkurrenz um denselben Anspruchsbereich. Das ist theologisch keine Ergänzung, sondern der Beginn der Rivalität.
  • Knechtschaft (Das Ägyptische Exil): In 1. Mose 47 verschmelzen Fiskalmacht und Eigentumstitel. Was unter Josef als temporäre Notmaßnahme begann, wird im Licht des späteren Exodus als theologische Blaupause der Fremdherrschaft entlarvt: Der Pharao zieht ein dauerhaftes Fünftel (20 Prozent) ein und wird zum Obereigentümer des Bodens. Das Volk lebt nur noch in Pacht. Die Schrift nennt dieses System unmissverständlich „Haus der Knechtschaft“.

Diese Skala ist zwingend: Wo die Bindung an Gott schwindet, wächst der staatliche Zugriff. Das Maß der Steuern wird zum Maß der Entfremdung.

Vom Kultus zur Privatautonomie

Hier mag der Einwand ertönen: „Wir leben in einer säkularen Ordnung, nicht im antiken Israel. Es gibt keinen Tempel und keine Priesterkaste.“ Dieser Einwand ist faktisch richtig, aber prinzipiell blind. Er verwechselt die historische Form mit der bleibenden Norm.

Natürlich ist der Zehnt im Neuen Bund kein bürgerliches Gesetz mehr. Doch er bleibt als Prinzip unverzichtbar. Er erinnert daran, dass der Staat niemals originären Zugriff auf das Eigentum hat.

  • Der theologische Marker (Gott vor Staat): Auch ohne Tempel gilt: Gott hat den Erstanspruch auf das Leben, die Zeit und die Frucht der Arbeit. Wenn der Staat beginnt, diesen „ersten Teil“ zu verschlingen, konkurriert er nicht mit einem irdischen Priester, sondern mit der direkten Verantwortung des Menschen vor seinem Schöpfer. Je tiefer der Staat in diesen Bereich greift, desto mehr imitiert er göttliche Herrschaft.
  • Die Cäsar-Schranke (Imago Dei vs. Imago Caesaris): Oft wird Jesu Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ (Markus 12,17) als Freibrief für staatliche Zugriffsmacht missbraucht. Das Gegenteil ist wahr. Die Münze (Denar) trug das Bild des Kaisers und war das Instrument zur Finanzierung der Besatzungsmacht. Jesus sagt faktisch: Gebt ihm sein Machtmittel zurück.

Die theologische Pointe ist radikal: Cäsar hat keinen absoluten Eigentumsanspruch, sondern lediglich ein Recht auf Alimentierung für seinen Dienst am Recht (Römer 13). Die Münze ist der Lohn des Dieners, nicht der Tribut an einen Eigentümer. Er bekommt das tote Metall, um sein Schwertamt zu finanzieren. Aber er hat kein Anrecht auf den Menschen (Gottes Bild).

  • Die Trennung der Sphären: Die Anwendung für heute ist radikal. Der moderne Wohlfahrtsstaat hat Aufgaben an sich gerissen, die historisch durch den Zehnten finanziert wurden, aber nicht in die staatliche Sphäre gehören. Eine biblisch informierte Ordnung fordert: Der Staat (Schwertamt) beschränkt sich auf Justiz und Sicherheit. Dies ist mit einer Quote von weit unter zehn Prozent finanzierbar. Die Gesellschaft (Nächstenliebe) organisiert Bildung, Soziales und Kultur in ihrem eigenen Verantwortungsbereich – in Freiheit und Freiwilligkeit.

Die Häresie der Gegenwart

Überträgt man diese Skala auf die Gegenwart, wird das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Die moderne Steuerquote ist kein rein ökonomischer Wert, sondern ein metaphysisches Signal für den Wechsel von der Lex Foederis (Rechtsschutz) zur Lex Imperii (staatliche Allzuständigkeit). Wer ehrlich rechnet, erkennt, dass wir die ägyptische Sklavenquote längst verdreifacht haben:

  • Lohnlüge und Enteignung: Zur Einkommensteuer treten Zwangsabgaben, bei denen euphemistisch ein Teil als „Arbeitgeberanteil“ verschleiert wird. Faktisch ist dies vorenthaltener Lohn.
  • Substanzbesteuerung: Mehrwertsteuer, Energiesteuern und Grundsteuern schöpfen das bereits versteuerte Netto-Einkommen erneut ab. Der Staat bestraft die nackte Existenz.
  • Inflation als unsichtbare Steuer: Die Geldentwertung durch das Fiat-Money-System ist Enteignung der Sparer zugunsten des staatlichen Schuldners. Sie ist der strukturelle Bruch des biblischen Gebots, keine „falschen Gewichte und Maße“ zu nutzen. Wer die Geldmenge manipuliert, fälscht die Waage des Marktes – zugunsten des Staates und zulasten der Sparer.

Dies ist keine soziale Marktwirtschaft mehr, sondern Häresie. Der Staat sieht sich nicht mehr als Diener, sondern als Quelle des Guten – als pseudoreligiöse Kultinstanz, die die Rolle des Eigentümers usurpiert.

Der Rückruf zur Freiheit

Der Reflex „Ohne Sozialstaat geht es nicht“ ist kein Argument, sondern ein Bekenntnis – ein religiöser Vertrauensakt in den Staat als Heilsinstanz, der die vorstaatlichen Ordnungen (Familie, Gemeinde) verdrängt hat. Wir leben in einer hyper-ägyptischen Ordnung, in der der Leviathan den Platz Gottes besetzt.

Doch die biblische Logik weist auch den Ausweg. Wahre Freiheit beginnt dort, wo Menschen erkennen, dass sie nicht Vasallen des Staates sind, sondern Vasallen Gottes – und dass ihre erste Loyalität dem wahren Suzerän gilt. Wir müssen wieder unterscheiden zwischen der göttlichen Ordinatio (staatliche Autorität als Dienst am Recht) und der menschlichen Usurpation (staatliche Macht als Selbstzweck).

Freiheit beginnt mit Bekenntnis: Der Staat ist Diener, nicht Herr der Geschichte.

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