Die Lust des Erinnerns – 50 Jahre Playboy Deutschland

Wir nehmen Sie mit auf eine opulente Zeitreise durch fünf Jahrzehnte Magazin- und Mediengeschichte“, verspricht PLAYBOY-Chefredakteur Florian Boitin im Editorial eines großformatigen Bildbandes, und damit hat er – zumindest mir – nicht zu viel versprochen.

Die 70er und 80er Jahre waren nicht nur im Westen Deutschlands wildbewegt für junge Männer und Frauen zwischen 20 und 30. In der DDR waren sie zwar physisch, aber durchaus nicht informell völlig isoliert. Abgesehen von grenzüberschreitendem Fernsehen und Radio konnten sie in den Reichtümern der Weltliteratur, von Film, Musik, Theatern, Museen, Naturschönheiten schwelgen, zu denen ihnen nicht Mauer, Stacheldraht und Zensur den Zugang verwehrten. Manchmal rutschte auch ein „Playboy“ illegal durch die Grenzkontrollen, und in Bars, Diskotheken, an FKK-Stränden oder bei Reisen nach Prag, Budapest, in die Hohe Tatra oder ans Schwarze Meer erhaschten sie zumindest einen Zipfel von jenem Leben in Freiheit, um dessentwillen ein geschmuggeltes Heft zum Objekt der Begierde werden konnte.

Der Sog der Träume

„Boy meets girl“, treibt die Jugend immer und überall auf der Welt; außereheliche und gleichgeschlechtliche Liebesabenteuer waren im „Arbeiter- und Bauernstaat“ sogar früher geduldet bzw. legal als in der Bundesrepublik. Vor allem Westberliner jeglicher nationalen Identität wussten den Komfort von Interhotels und die Neugier östlicher erotischer Avancen zu schätzen. Bevor ein Playmate aus diesen Provinzen in Hochglanzfotos erschien, dauerte es freilich bis zum Januar 1990. Danach wurde Deutschland einig Playboyland.

Vermutlich war der Widerstand gegen diese Form des „Anschlusses“ kaum spürbar, weil all die Jahre zuvor das Begehren nach Lifestyle, Literatur – erotischer zumal – ebenso wie nach schnellen Autos, Mode, Interviews mit Stars und Prominenten ununterdrückbar war, so sehr auch marxistisch-leninistische Moralprediger den Kapitalismus und seine Dekadenz verteufelten. Im Gegenteil.

Lesespaß und Augenweide

Es ist schade, dass der Jubiläumsband diese Unterströmungen, auf die er nicht geringen Einfluss hatte, weitgehend auslässt. Allein die Wirkung von „Der dressierte Mann“ – Esther Vilars Sensationserfolg im ersten Jahr des deutschen Playboy – wurde nicht nur im freien Teil des Landes diskutiert. Das Buch wurde herumgereicht, und das Interview mit der 86jährigen Autorin erfreut heute wieder den Leser: Sie passt nach wie vor mit ihrer unangestrengten Offenheit und ihrem Humor ins Konzept liberaler Emanzipation.

Mit Interesse habe ich auch andere Interviews (wieder-)gelesen, und es ist wohl die größte Stärke des Jubiläumsbandes wie auch vieler Ausgaben im Laufe der 50 Jahre, sowohl Begabungen entdeckt als auch bedeutende Künstler – etwa Salvador Dali, Andy Warhol, Helmut Newton – mit ihren Arbeiten präsentiert zu haben. Ein eigenes Kapitel gehört der „Literaturgeschichte“, in der sich neben Stephen King, Ethan Coen, John Updike, auch Quentin Tarantino findet: Ein von Zach Meyer gezeichneter Comic illustriert den Anfang seines Filmes „The Hateful Eight“. In lakonischen Sprechblasen äußern sich Witz und gestische Präzision des Regisseurs.

Natürlich wird sich der Betrachter vor allem von den Aktphotographien, Covers und Centerfolds bestricken lassen, die schöne Frauen ästhetisch bestechend ins Bild setzen. Mancher von ihnen wird vielleicht begreifen, dass in jedem Mann ebensogut ein wenig Playboy steckt, wie in jeder Frau. Der Sog erotischer Träume hat das Magazin zu einem Welterfolg gemacht. 

Das Buch offenbart die wesentlichen Züge darin, die Zeiten und Moden bis heute überdauerten. Es ist eine Schatztruhe, nicht nur wegen des Inhalts, sondern wegen der Anregungen, sich mit den Geschehnissen und Akteuren, mit Künsten, Literatur, Autos, Lebensweise eines halben Jahrhunderts noch einmal näher zu befassen. Was blieb? Was wird bleiben?

Kurs 100 – ohne Limit?

Da wir gerade wieder erleben, wie sich Perspektiven wandeln, leider auch, wie Heuchelei und Prüderie den öffentlichen Raum zurückerobern, stellt sich unvermeidlich die Frage, wie es mit der stilbildenden Ikone Playboy weitergehen mag. Die Präsenz im Internet ist ästhetisch auf der Höhe der Printausgaben; inhaltliche Zugeständnisse an den Zeitgeist – etwa Rankings – gehörten seit je zum Programm. Im Buch spielen sie nur in Bezug aufs „Playmate“ des Jahres, gar des Jahrhunderts mit. Die Webseite ist erfreulich werbefrei, es gibt ein Premium-Abo mit einem Meer von Bildern und Videos – ich werde es niemals nutzen. Ich gestehe, dass ich auch das Heft nur sehr selten in die Hand nahm, selbst als die Mauer weg war. Denn was Politik, Medien und Gesellschaft anlangt, schwimmt der Playboy im Mainstream. Der Markt mag ihm Recht geben. 

Wenn gleichwohl die Publikation künftig auf qualitative Stärken baut, die das Buch zu ihrem fünfzigsten Erscheinungsjahr offenbart – Individualität, Originalität, Kreativität, Mut über bloße Strategien gefälligen Marketings hinaus –, wenn der Playboy Autoren und Lesern mit eigener Sicht auf die Welt, mit Selbständigkeit und kritischem Geist vertraut, könnte seine Geschichte durchaus 100 Jahre dauern. Wer das noch miterleben kann, dem sei die 50-Jahre-Ausgabe als Referenz empfohlen.

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