Abendland first?

Zu Beginn dieser kurzen Ansprache möchte ich zwei Dinge klarstellen: Einerseits bin ich als Spenglerianer von der radikalen Gleichwertigkeit aller großen Zivilisationen überzeugt. Andererseits bin ich aber als Hesperialist, d.h. als abendländischer Patriot, ebenso davon überzeugt, dass wir unsere eigene Zivilisation den anderen vorziehen sollten. – Ist das ein Widerspruch? Ich glaube nicht, und ich möchte die folgenden Minuten der Lösung dieses nur scheinbaren Problems widmen, um zu zeigen, dass diese beiden Aussagen nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich vielmehr gegenseitig bedingen.

Sind wir besser?

In der Tat werde ich oft mit wohlmeinenden Patrioten konfrontiert, die ihre Liebe und Fürsorge für unsere Zivilisation mit hyperbolischen Behauptungen rechtfertigen, die sich auf Dinge wie die Leistungen der abendländischen Technologie, die Bedeutung freiheitlich-westlicher Werte oder die Schönheit der europäischen Kunst stützen. Es ist zwar richtig, dass wir diese Elemente mit Stolz hervorheben können, aber man sollte sie nicht überbewerten. 

Stellen wir uns nur einmal vor, eine fremde Zivilisation würde plötzlich bahnbrechende technologische Fortschritte machen, die der Westen nicht mehr einholen könnte – würde das bedeuten, dass wir plötzlich das Recht verloren hätten, unsere eigene Zivilisation zu lieben, oder sogar zu dieser neuen, hypothetischen Zivilisation konvertieren müssten? Und was die westlichen „Werte“ betrifft, so ist unsere Zeit ja gerade durch eine spektakuläre Erosion, ja sogar Perversion dieser Werte gekennzeichnet, denn Freiheit bedeutet inzwischen fast schon Sklaverei, Krieg Frieden und Unwissenheit Stärke. Sollten wir daher also unsere Zivilisation aufgeben, anstatt bis zum Tod um ihr Überleben zu kämpfen? 

Und schließlich, was die Kunst betrifft: Kann jemand, der wirklich und ehrlich versucht, die Schönheit der ägyptischen, griechischen, japanischen oder chinesischen Kunst zu verstehen, behaupten, dass unsere eigene Kunst irgendwie „überlegen” ist? Anders – ganz sicher. Näher an unserer eigenen Gefühlswelt – absolut. Aber „besser”? Dem würde ich entschieden widersprechen.

Unseren Patriotismus auf irgendeine Form der absoluten „Überlegenheit” unserer abendländischen Zivilisation zu stützen, scheint daher mit so vielen Problemen behaftet zu sein, dass wir besser nach anderen Gründen suchen sollten. Sind die prächtigen Fresken der Maya weniger beeindruckend, weil diese weder Rad noch Metallinstrumente nutzten? Ist es, weil die alten Inder nie eine echte Geschichtsschreibung entwickelten, dass ihre philosophischen Überlegungen zum Nichts und zum Sein irgendwie weniger tiefgründig sind? Sind die Reiche der Chinesen weniger grandios, nur weil sie aufgrund der Eigenheiten ihrer Sprache und ihres Schriftsystems nie in der Lage waren, eine formale Logik zu entwickeln? 

Nicht vermischbar

Wir könnten auf diese Weise noch lange weitermachen, aber das Ergebnis wäre immer dasselbe: Alle großen Zivilisationen haben in ihrem eigenen zeitlichen und geographischen Kontext und auf der Grundlage ihrer unnachahmlichen psychologischen Ausgangsvoraussetzungen wunderbare Ausdrucksformen von Menschlichkeit entwickelt; und diese zu vergleichen, um irgendwie eine Hierarchie aufzustellen, ist nicht nur anachronistisch und ungerecht, sondern geht auch am Wesentlichen vorbei: Alle Zivilisationen sind Bestrebungen, einen spezifischen und einzigartigen Aspekt der Transzendenz in die Wirklichkeit zu übertragen, und als solche müssen sie eher als komplementär denn als hierarchisch betrachtet werden.

Daraus ergeben sich drei Konsequenzen.

Erstens haben alle Zivilisationen das Recht, aufgrund ihrer eigenen Besonderheit zu leben und betrachtet zu werden: Es gibt keine „überlegenen” oder „minderwertigen” Zivilisationen, und wenn es auch offensichtlich ist, dass es zwischen ihnen deutliche Unterschiede und bei einigen sogar spektakuläre oberflächliche „Defizite” gibt, müssen diese doch im ganzheitlichen Kontext der allgemeinen Beschaffenheit und Mentalität der jeweiligen Zivilisation interpretiert werden.

Zweitens: Jeder, der sich wirklich intensiv mit einer außereuropäischen Zivilisation beschäftigt, weiß, dass Zivilisationen sich zwar ergänzen, aber nicht künstlich vermischt werden können, ohne sich aufzulösen. In der Tat basieren alle Zivilisationen auf einer einzigartigen Denkweise, von der alle ihre konkreten Manifestationen ausgehen. Diese Manifestationen können freilich gelegentlich andere Zivilisationen inspirieren (auch wenn dies in der Regel eine radikale Neu-, wenn nicht Fehlinterpretation bedeutet), aber ihre Grundannahmen können niemals „gemischt” werden, genau wie radikal unterschiedliche Sprachen wie Chinesisch, Arabisch und Latein nicht einfach „gemischt” werden können.

Drittens – und das ist der springende Punkt dieser Rede – haben wir als Abendländer nicht nur das Recht, sondern sogar die moralische Pflicht, unsere Zivilisation den anderen vorzuziehen und einen vernünftigen, hesperialistischen Patriotismus zu pflegen, und zwar aus mehreren Gründen.

Ein Kompass fürs Leben

Der erste bezieht sich auf das, was oft als „ordo caritatis” bezeichnet wurde. Als Menschen müssen wir uns in einer Hierarchie verschiedener Kategorien der „Zugehörigkeit” verorten: Wir gehören zu einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten Familie, einem bestimmten Ort, einer bestimmten Region, einer bestimmten Nation, einer bestimmten Zivilisation (oft identisch mit einer bestimmten Religion) und natürlich, aber nur als größte und unschärfste Kategorie, zur „Menschheit”. Und da konkrete Solidarität logischerweise auf der Grundlage gemeinsamer Ähnlichkeiten empfunden und gelebt wird, ist es offensichtlich, dass wir das Recht und die Pflicht haben, unsere Zivilisation mehr zu lieben und zu verteidigen, als wir die „Menschheit” oder andere Zivilisationen lieben und verteidigen sollten – nicht, weil sie „besser“ ist, sondern einfach weil sie die „unsere“ ist.

Ein zweiter Aspekt ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass es keine Alternative zur Liebe zu unserer Zivilisation gibt, denn es würde ein lebenslanges Studium und eine langfristige Selbstassimilation benötigen, um wirklich und gefühlsmäßig innerlich an einer anderen Zivilisation teilzuhaben. So etwas ist möglich und wurde auch schon geleistet, aber zu einem enormen Preis und nur als Ergebnis einer aufopferungsvollen Hingabe. 

Natürlich gibt es trotzdem diejenigen, die alle Zivilisationen vermischen, und auch diejenigen, die sich allein auf die „Menschheit” konzentrieren und das Abendland hinter sich lassen wollen. Aber die ersteren bleiben in der Regel in bloßen Oberflächlichkeiten gefangen, oft sogar in gewaltigen Missverständnissen, die aus ihrer mangelhaften Kenntnis anderer Zivilisationen (wie auch ihrer eigenen) resultieren, während die letzteren, indem sie sich im Namen der Menschlichkeit von ihren wahren Wurzeln abschneiden, am Ursprung des gegenwärtigen „woken“ Wahnsinns stehen und damit für die unzähligen Perversionen, ja sogar für die Zerstörung nicht nur unserer eigenen, sondern auch anderer Zivilisationen mitverantwortlich sind.

Was ist die Aufgabe?

Drittens: Transzendenz. Alle Zivilisationen basieren ausnahmslos auf einer bestimmten Auffassung von Transzendenz, und die Verwirklichung dieser Transzendenz stellt die Ausgangsthese in der Geschichte einer jeden Zivilisation dar, während die Aufgabe der Transzendenz zugunsten der Immanenz ihre Antithese und die bewusste, aber kurze rationale Rückkehr zur Tradition ihre letzte Synthese ausmacht, bevor sie gewissermaßen in die Fossilisierung eintritt. 

Die Verwirklichung der Transzendenz ist das wahre, ja sogar das einzige Ziel unserer Existenz, und deshalb müssen wir die christliche Tradition, also jenen Glauben, der so untrennbar mit der westlichen Zivilisation verbunden ist, mit Liebe und Begeisterung als unseren einzig möglichen Weg zur wahren spirituellen Selbstverwirklichung ansehen und annehmen. Dies impliziert auch ein notwendiges, oft übersehenes Korrelat: Nur jene Elemente unserer abendländischen Zivilisation sind unserer Liebe und Unterstützung würdig, die aus unserem kollektiven Streben nach Transzendenz hervorgehen.

Und viertens und letztens gibt es das Schicksal. Wenn wir nämlich (wie wir es sollten) an die Transzendenz glauben, dann sollten wir auch über die Frage reflektieren, warum wir genau zu der Zeit und an dem Ort inkarniert sind, an dem wir uns jetzt befinden: Es ist vorgesehen, dass unser Leben ein Ziel, einen Sinn hat, und daher ist es kein bedauerlicher Zufall, sondern eine Mission, als Abendländer im 21. Jh. zu leben. Das Abendland gegen alle seine äußeren und inneren Feinde zu verteidigen, Mut, Kraft und Weisheit aus den Traditionen unserer Vorfahren zu schöpfen und trotz aller Versuchungen am Glauben festzuhalten, das sind keine bloßen Optionen: Es ist, wozu wir geschaffen wurden.

Lang lebe der Westen!

Nun werden einige Leser wahrscheinlich sagen, dass die historische Morphologie, der ich mich verschrieben habe, doch mit unerbittlicher Präzision die bevorstehende Synthese, den Niedergang und schließlich die Fossilisierung des Westens voraussagt – warum also sollten wir uns dann die Mühe machen, auf einem sinkenden Schiff zu verbleiben, anstatt aus sicherer Entfernung zynisch zuzusehen, wie Rom brennt? 

Meiner Meinung nach allerdings ist das Ende einer Zivilisation nicht weniger wichtig als ihr Anfang, genauso wie das Alter nicht schlechter oder besser ist als die Kindheit: Die Kanonisierung, die Sublimierung und die Weitergabe des abendländischen Erbes an künftige Zivilisationen ist sicherlich eine ebenso wichtige Aufgabe wie die Schaffung seiner ersten Grundlagen; und die Befestigung und Verteidigung einer alternden Zivilisation ist nicht weniger heroisch als die Ausweitung ihrer Grenzen in den Tagen ihrer Jugend. Auch wenn die Zahl der Menschen, die sich wirklich als Westler fühlen und verhalten, von Tag zu Tag dramatisch schrumpft, und unsere kreativen Möglichkeiten weitgehend versiegt zu sein scheinen, ist es immer noch unsere Pflicht als letzte Abendländer, unseren Kindern zu vermitteln, was unsere Vorfahren aufgebaut haben. 

Und schließlich sollten wir nie vergessen, dass sich unsere menschliche Mission nicht auf die Verteidigung unserer Zivilisation beschränkt, sondern im Wesentlichen in unserem persönlichen Streben nach Transzendenz besteht: Selbst wenn wir uns des endgültigen politischen Scheiterns unserer Bemühungen sicher wären – und bis zu einem gewissen Grad ist, wie Tolkien einmal sagte, die gesamte Geschichte in der Tat nichts anderes als eine „lange Niederlage” –, wären wir dennoch verpflichtet, unserem Ideal bis zum Ende zu folgen, da wir wissen, dass die wahre Belohnung und Erfüllung unserer Bemühungen nicht in dieser Welt zu erwarten ist, sondern jenseits.

Dies ist die deutsche Übersetzung eines englischen Vortrags, den David Engels anläßlich der Tagung „National Conservatism“ am 16.4.2024 in Brüssel gehalten hat: https://youtu.be/9qTDFh3Dt-c

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