Aktivisten des guten Verbrechens

Alles Nazis außer Mutti war gestern. Jene, welche noch vor Kurzem mit dem Finger auf jeden zeigten, der ihre Meinung nicht teilte, präsentieren sich nun selbst als direkte Nachfolger der revolutionären Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts, was nicht weiter überrascht, denn jedem Kundigen war bewusst, dass Faschist und Antifaschist in ihrer imaginären Verklammerung zusammengehören wie zweieiige Zwillinge.

Wenn das Klima, wie seine Jünger nicht müde werden, uns täglich als apokalyptische Johannes-Posaune ins Ohr zu pusten, immer extremer wird, muss kriegslogischerweise zur Bekämpfung dieser drohenden Urkatastrophe auf jene Gewaltexzesse zurück gegriffen werden, die dem „Zeitalter der Extreme“ den Namen gegeben haben.

Frau Prof. Hedwig Richter, die gerade mit Bernd Ulrich ein Buch unter dem Titel „Demokratie und Revolution” geschrieben hat und gelegentlich eine gewisse Leidenschaft an den Tag legt, sich mit decouvrierenden Sentenzen ins Gespräch zu bringen, äußerte kürzlich in einem taz-Talk einen Satz, der es wert ist, erwähnt zu werden, weil er, wie oben schon angedeutet, eine neue Qualität markiert. 

Lassen Sie mich, bevor wir zur anstößigen Sache selbst kommen, zunächst den Rahmen erläutern, in dem das Ganze stattfand.

Von der Vorsehung zur Maßnahme

Die Gesprächsreihe der taz wird mit zwei Begriffen näher qualifiziert: Weiterdenken und Futur zwei. Weiterdenken wird als Königindisziplin eingeführt und soll einen wesentlichen Unterschied zur Geltung bringen, nämlich den zwischen den Weiter- und den Kürzerdenkern. Wenn wir statt Denken das Sehen einsetzen, handelt es sich um den Unterschied zwischen der Vorhut, die zur Auskundung vorausgeschickt wird und dem nachfolgenden Rest der Truppe. 

Schon an dieser Selbstbeschreibung lässt sich ablesen, dass die Voraussehenden den Anspruch erheben, den Kurzsichtigen die Richtung vorzugeben, in der sich die ganze Truppe zu bewegen hat. Je nach Intensität der Kriegführung kann denen, die falsch abbiegen oder gar desertieren ein unerfreuliches Schicksal blühen.

Das ganze hat also mit Demokratie wenig und noch weniger mit Denken zu tun, das, wie Arendt zu Recht vermerkte, immer ein Nach- und gerade kein Weiterdenken, bzw. Voraussehen ist. Wir können konstatieren, dass Weiterdenken nichts weiter ist, als die schwach verhüllte Umschreibung dessen, was bei Lenin die Avantgarde und später die führende Rolle der Partei hieß und in jeder ordentlichen sozialistischen Verfassung an prominenter Stelle zu stehen hatte.

Auch der zweite Begriff verweist in die gleiche Richtung: Futur zwei wird grammatisch mit der Formulierung erläutert: es wird gewesen sein. Das impliziert eine geistige Bewegung, die mehr rennt als denkt, denn man muss ganz schnell nach ganz weit vorne rennen, sehen was ist und dann ganz schnell wieder zurück rennen, um den daheimgebliebenen Kurzsichtigen das Ergebnis dieser fantastischen Reise noch ganz außer Atem mitzuteilen. Es versteht sich von selbst, dass bei dieser ganzen Rennerei für die gegenwärtige Lage keine Zeit bleibt.

Die Sache nun, um die es in genau dieser Gesprächsrunde zu Klimakrise und Öko-Revolution gehen soll, wird vom Moderator mit einer Feststellung von Karl Lauterbach eingeleitet, der nicht etwa als geltungssüchtiger Panikprophet, sondern seriöser Zeitdiagnostiker mit dem Satz vorgestellt wird. „Alle Versuche, die Klimakrise so zu kommunizieren, dass sich genug ändert, sind bisher gescheitert.“ 

Damit ist das Problem ausreichend umschrieben. Nachdem an der Grundlage selbst keine weiteren Zweifel erlaubt sind, geht es um die Frage, wie man Menschen zu etwas zwingen soll, das sie nicht bereit sind, von sich aus zu tun.

Vom Parteiensystem zur Revolution

Frau Prof. Hedwig Richter positionierte sich dazu mit der Aussage, dass die Konsequenzen, die man nach dem Krieg aus dem Nationalsozialismus gezogen hätte – den Stalinismus erwähnte sie nicht – heute hinderlich wären und über Bord geworfen werden müssten. Man müsse heute an die revolutionäre Radikalität von damals wieder anknüpfen. Anders könne man die widerspenstige Bevölkerung nicht von ihrer zerstörerischen Normalität abbringen und auf eine heilsgewisse Linie zwingen. 

Sekundiert wurde sie von Bernd Ulrich, dem ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT, der zu bedenken gab, dass das realpolitische Vorgeplänkel der Grünen erkennbar gescheitert sei und man jetzt wieder auf den fundamentalistisch-revolutionären Kern umschalten müsse. 

Damit ist die geplante Marschrichtung: bolschewistischer Putsch. Natürlich distanziert man sich scheinheilig gegenüber der Anwendung von Gewalt, um dann, wie es im Deutschen Herbst in gewissen Kreisen üblich war, insgeheim begeistert zu klatschen, wenn es wieder einen Repräsentanten des Schweinesystems erwischt hatte. „Wo immer die Lebensnotwendigkeiten sich in ihrer elementar zwingenden Gewalt zur Geltung bringen, ist es um die Freiheit einer von Menschen erstellten Welt geschehen“, formulierte Arendt als Konsequenz der Erfahrung der europäischen Revolutionen, die im Terror endeten.

Wer in Erwägung zieht, mit den Grünen zu koalieren, sollte bedenken, dass mit der Absage an grüne Realpolitik auch die Frage Partei oder Bewegung entschieden wurde. Was eine linke Bewegung ausmacht, hat Ulrike Meinhof unmissverständlich klar gemacht: „was wir wollen ist die revolution. das heisst: es gibt das ziel – im verhältnis zu dem ziel gibt es keinen standpunkt, sondern nur bewegung. […] standpunkt und bewegung schließen sich aus“ (letzte texte von ulrike).

Wer sich an Frau Richters Wort von der Suppenkasperfreiheit erinnert, wird zu fragen haben, wer denn hier der intellektuelle Suppenkasper ist, der aus der längst fauligen Brühe der Begründungsontologien sein bereits zigmal aufgewärmtes linkes Revolutionssüppchen kredenzen möchte. Mit ihren regressiv-vormodernen Fantasien von Allwissenheit und Allmacht wollen die grünen Weiterdenker sich zu denen gesellen, die Sloterdijk die Aktivisten des „guten Verbrechens“ nannte, eine illustre Gesellschaft, zu der er Lenin, Stalin, Hitler und Mao Zedong zählte. 

Die intellektuelle Notdurft dieser Nachtröpfler reicht deshalb gerade noch für die Pissrinne, womit nebenbei an merklich fehlende Stimmen wie Georg Schramm erinnert werden soll, dem wir diese unvergessenen Formulierungen für den Zeitgeist der Klofrauen verdanken.

Nachdem Gott als plausible zentrale Begründung weggefallen war, das metaphysische Subjekt und der Weltgeist keinen vollwertigen Ersatz lieferten, entstanden im 19. Jahrhundert die zahlreichen Versuche, im Bereich des Realen einen neuen Grund ausfindig zu machen, auf den sich alles Geschehen zurück führen ließe. Das war bei Marx die Geschichte, die bekanntlich eine von Klassenkämpfen sein soll, bei Darwin die Natur und heute muss das Klima jene Leerstelle füllen, für die die Sterblichen nach dem Verlust göttlicher Vorsehung noch keine politische Antwort gefunden haben, mit der sie ihre Ängste bei aufkommender Orientierungslosigkeit beruhigen könnten.

„Revolution und Demokratie sind gegensätzliche Begriffe“ schrieb Raymond Aron 1955 in Opium für Intellektuelle angesichts der Begeisterung der Linken für Gewaltorgien im Namen revolutionärer Herstellung ganz neuer Normalitäten.

Dass es nicht nur einen Sinn von Revolution gibt, war Hannah Arendt an der ungarischen Revolution von 1956 aufgefallen. Diese hatte die eigentlich moderne Tradition der französischen und bolschewistischen Revolution unterbrochen und damit unwissentlich an die älteren politischen Revolutionen wie z.B. die niederländische wieder angeknüpft, was unter anderem daran lag, dass die Ungarn ihr Ungarn wieder haben und nicht ein Außenlager der Stalinisten werden wollten. Ich gehe wahrscheinlich nicht fehl in der Annahme, dass Arendt, die 1975 gestorben ist, auch die polnische und die baltischen Revolutionen in diesem Sinne beurteilt und geschätzt hätte. 

In einem Interview, das vor wenigen Tagen erschienen ist, positionierte sich Hans-Georg Maaßen gegen die simplifizierende Rhetorik der Radikalität und plädierte für Verhältnismäßigkeit, Maß und Mitte. Das Interview endet mit dem Satz: „Ich möchte mein Deutschland wieder zurück haben.” 

Dem kann ich mich ohne wenn und aber anschließen.

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