Künstler: Talk Talk
Album: It’s My Life (EMI Records, 1984)
Die britische Band Talk Talk entstand Anfang der 1980er Jahre im pulsierenden Umfeld der New-Wave-Szene. Gegründet in London von Mark Hollis, dem visionären Sänger und kreativen Herzstück der Gruppe, begann ihre musikalische Reise in einer Ära, in der elektronische Klänge die Popwelt dominierten. Auch Talk Talk setzten zunächst auf den charakteristischen Sound jener Zeit: aufwendig produzierte, tanzbare Melodien und die aufregenden Möglichkeiten der frühen Synthesizer-Technologie. Doch während viele ihrer Zeitgenossen in der schillernden Pop-Ästhetik der 80er verharrten, schlugen Talk Talk einen anderen Weg ein. Bereits mit ihrem zweiten Studioalbum, „It’s My Life“, begannen sie, sich vom kommerziellen „Zwang“ des Mainstreams zu lösen und Popmusik neu zu definieren.
Das Album beeindruckt durch eine einzigartige Mischung aus minimalistischem Synth-Pop, subtil eingewobenen Jazz-Elementen und tiefgründigen Texten, die bewusst auf typische Hit-Strukturen verzichten. Für mich macht genau diese künstlerische Vision „It’s My Life“ zu einem der spannendsten und ausdrucksstärksten Alben seiner Zeit.
Der Titeltrack „It’s My Life“ eröffnet die Platte mit einer klaren, fast trotzig anmutenden Botschaft: Es geht darum, das eigene Leben selbst zu gestalten, unabhängig von den Normen und Vorstellungen der Gesellschaft und des Umfelds. Hier wird das Leben als ein persönlicher, unaufhörlicher Prozess verstanden, der immer wieder neu gestaltet werden muss – ohne Kompromisse:
Funny how I blind myself
I never knew
If I was sometimes played upon
Afraid to lose
I’d tell myself what good do you do
Convince myself
It’s my life
Don’t you forget
Die zweite Single-Auskopplung des Albums, „Such a Shame“, ist ein perfektes Beispiel für die Art und Weise, wie Talk Talk auf diesem Werk mit Kontrasten spielen. Musikalisch stehen die ruhigeren Passagen im ständigen „Dialog“ mit den Klangexplosionen. Es ist, als ob die Musik die inneren Spannungen zwischen dem Bedürfnis nach Ruhe und dem Drang nach Widerstand reflektiert. Der Text beschreibt den oft frustrierenden Versuch, etwas zu finden, das einem Halt gibt, während die Welt um einen herum immer unübersichtlicher wird:
Such a shame to believe in escape
A life on every face
And that’s a change
‚Til I’m finally left with an eight
Besonders faszinierend wird das Album mit der Nummer „Tomorrow Started“, einem Song, der die Spannung zwischen Hoffnung und Enttäuschung einfängt. Der Song beginnt ruhig, fast fragil, und wächst langsam zu einem ausdrucksstarken, emotional geladenen Höhepunkt.
Tomorrow started
But it’s so far away
drückt eine tiefe Entfremdung aus, als ob das Morgen – die Möglichkeit von Veränderung – immer nur ein ferner Traum bleibt. Es ist ein Track, der das Gefühl vermittelt, an einem Wendepunkt zu stehen, an dem alles möglich erscheint, aber gleichzeitig nichts greifbar ist.
In „Dum Dum Girl“ verarbeiten Talk Talk das Gefühl der Einsamkeit in einer zunehmend isolierten Welt. Es geht um den inneren Drang, sich von den Trugbildern der Gesellschaft zu befreien, dabei aber mit den eigenen Unsicherheiten und den Herausforderungen des Lebens konfrontiert zu werden. „Dum Dum Girl“ kreirt eine Atmosphäre der Unruhe und Sehnsucht, die mich irgendwie immer wieder fesselt.
Time probably erased
Distaste
And so she’s left
Where guilt is out of place
I’m no boy
Stealing pennies from the poor
Genauso außergewöhnlich wie das Album „It’s My Life“ war auch die Entwicklung der Musikgruppe Talk Talk selbst. Schon nach diesem Werk begann die Gruppe, ihren Stil immer experimenteller zu gestalten. Mit Alben wie „Spirit of Eden“ und „Laughing Stock“ entfernte sich die Band endgültig vom Synthpop und schuf visionäre Werke, die oft als Vorreiter des Post-Rock gelten. Doch dieser kreative Höhenflug führte auch zum schnellen Ende der Gruppe: Bereits 1991 löste sich Talk Talk auf. Mark Hollis, die treibende Kraft hinter der Gruppe, wagte später noch ein Soloprojekt, bevor er sich endgültig aus der Musikszene zurückzog. Auch die übrigen Mitglieder verfolgten individuelle Projekte, doch eine Wiedervereinigung gab es nie – und das, obwohl die Nachfrage nach ihrem Werk ungebrochen blieb. Der beste Beweis dafür ist vermutlich die erfolgreiche Neuinterpretation des Titeltracks „It’s My Life“ durch die in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren populäre Musikgruppe No Doubt. Ihre Version brachte im Jahr 2003 nicht nur den Song selbst einem neuen Publikum näher, sondern rückte auch Talk Talks Vermächtnis erneut ins Rampenlicht. Doch bis zu Mark Hollis’ Tod im Jahr 2019 blieb das Schaffen der Band ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk, dem nichts weiter hinzugefügt wurde.
„It’s My Life“ bleibt ein prägendes Werk, das heute genauso aktuell ist, wie bei seiner Veröffentlichung. Talk Talk geben Ihnen als Hörer mit diesem Album eine Möglichkeit, innezuhalten und über das eigene Leben nachzudenken. Die Platte ist zudem ein Denkmal für die Unabhängigkeit einer Band, die sich nie von den Zwängen des Popgeschäfts bestimmen ließ. Talk Talk verstanden es meisterhaft, einen Sound zu entwickeln, der jene anspricht, die mehr suchen als nur einen Hit.
Hören Sie hier das Album „It’s my Life“ von Talk Talk in voller Länge auf Youtube.