Menschen und ihre Medien weisen unablässig Schuld zu und erzeugen Feindbilder. Eigene Fehler und Schuld werden meist rasch ausgeblendet, vergessen, verdrängt. Genau dafür brauchen Menschen den Sündenbock, so Immo Sennewald:
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Das älteste und unentbehrlichste Haustier des Menschen ist der Sündenbock.
Dieses Tier besitzt einige erstaunliche Eigenschaften: Es ist praktisch fast überall und jederzeit verfügbar, ohne dass es anwesend sein müsste. Seine Gestalt ist unbegrenzt wandlungsfähig – das dürfte der einzige Grund sein, weshalb es nicht zum Wappentier der Medien erklärt wurde. Vom Sündenbock lässt sich nur eines mit Sicherheit sagen: Er ist schuld.
Niemand hat meines Wissens – und das grenzt in der Ära des quantifizierenden Denkens und seiner statistischen Manie an ein Wunder – genau quantifiziert, wie viel Zeit Menschen im Laufe ihres Lebens mit der Jagd nach dem Sündenbock verbringen. Es ist sehr viel. Denn nicht nur die wirkliche Jagd – etwa auf den Pfuscher am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder in einer Behörde – frisst ja Zeit, auch die Beschreibungen, Analysen, Klassifizierungen seiner politischen, wirtschaftlichen, moralischen Erscheinungsformen müssen dazu gerechnet werden, seine Auftritte auf Bühnen, in Film, Funk, Fernsehen und Computerspielen, in Büchern, Print- und sozialen Medien. Genau genommen sind Menschen und ihre Medien mit wenig anderem so ausdauernd beschäftigt wie mit Sündenböcken. Oder anders gesagt: sie weisen unablässig Schuld zu und erzeugen Feindbilder.
Selbstwahrnehmung – Fremdwahrnehmung
Ich vermute, dass auch Sie leicht etliche „Sündenböcke“ aus Ihrem aktuellen Erleben aufzählen könnten – viel mehr als erfreuliche Zeitgenossen. Nicht nur Menschen nehmen feindliche und behindernde Faktoren eben viel stärker und lebhafter auf und antizipieren sie eher als freundliche. Die Qualitäten anderer Menschen erstrahlen übrigens nie so hell wie – womöglich durch Lob bestätigte – eigene:
„Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabene in den Staub zu ziehn“,
sprach einst Friedrich von Schiller.
Eigene Fehler und Schuld werden meist rasch ausgeblendet, vergessen, verdrängt. Genau dafür brauchen Menschen den Sündenbock.
Deine Splitter, meine Balken
Die Bibel zeichnet das Bild vom Splitter im Auge des Nächsten, den einer sieht, ohne den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen. Es ist nicht die einzige präzise biblische Beschreibung menschlicher Verhaltensweisen, und es ist immer noch ein großer Gedanke, dass ein allerletzter, universeller Sündenbock die Menschen daran hindern könnte, sich selbst und andere weiterhin mit Schuldzuweisungen zu quälen. Alle Schuld, alles Versagen sei durch den Opfertod Jesu Christi am Kreuz abgegolten, und wer tätige Reue übt – also aus Fehlern erkennbar lernt – sei Gott sogar lieber als 99 Gerechte. Im rituellen Abendmahl, bei dem die Gläubigen symbolisch vom Blute ihres Erlösers trinken und von seinem Leib essen, wird die Vereinigung mit dem unschuldig und stellvertretend für alle Sünder gerichteten Religionsstifter vollzogen, die Schuld des einzelnen erlischt. Wahrhaftig: eine befreiende Ermunterung zum Lernen – denn ohne Fehler lernen wir nichts! – und eine Botschaft für den befreiten, verantwortungsbewussten und vertrauensvollen Umgang miteinander.
Die Kirche Christi (eine wirklich altehrwürdige Korporation!) interpretierte diese Botschaft alsbald dahingehend, dass nur die Christengemeinschaft solche Gnade verdient. Ungetaufte und unbußfertige Sünder verfielen über die Jahrhunderte erbarmungsloser Verfolgung. Missliebige Frauen wurden zu Hexen; ihnen schrieb man die Schuld an Missernten und Krankheiten zu. Wissensdurstige und Reformwillige wurden als „Ketzer“ und „Abweichler“ gefoltert und verbrannt, eine Praxis, die alle Religionen und Ideologien ziemlich ausnahmslos bis heute pflegen, auch wenn statt des Scheiterhaufens nur noch der öffentliche Rufmord zelebriert wird.
Sündenböcke des Coronawahns
Dass die Kirche sich am Schmähen und Ausgrenzen „Ungeimpfter“ während der Corona-„Pandemie“ beteiligte, war ein Rückfall in dieses immer noch mächtige Ritual – ein wahrhaft vorsintflutliches Verhaltensstereotyp. Fast alle, die ihm verfielen – voran Politiker, „Wissenschaftler“ und die ihnen dienstbaren Medien – haben ihr Versagen bis heute nicht eingestanden, geschweige bereut oder sich darum bemüht, Ähnliches für die Zukunft abzuwenden.
Das wirft schwerwiegende Fragen an eine Gesellschaft auf, die sich rühmt, Menschenrecht und Menschenwürde zu Grundwerten erhoben zu haben. Es führt auf ein Paradox: Ausgerechnet die geschmähten, an den Rand gedrängten, gar ausgeschlossenen „Schwurbler“, „Querdenker“, „Verschwörungstheoretiker“ leisteten erhobenen Hauptes der kollektiven, mit korporativer Macht bewehrten Jagd auf „Ungeimpfte“ Widerstand. Sie verteidigten die Menschenwürde und fanden Verbündete, die selten öffentlich auftraten, aber wenigstens den schon anvisierten staatlichen Übergriff einer „Impfpflicht“ abwehren halfen, die sinnlose Zwangsmaßnahmen unterliefen und sich heute bemühen, den enormen Schaden zu heilen, den die Jäger verursachten.
Das Klimagift als Brandmal
Kein Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Der alltägliche Kampf um die Macht, um politische Dominanz und Deutungshoheit gebiert einen unstillbaren Bedarf an Sündenböcken; das Prangerritual treibt die Geschäfte der Medien, Parteien, NGO, Konzerne – und das Kohlendioxid ist ein Sündenbock, der den enormen Vorteil hat, noch weniger greifbar zu sein als Viren, Religionen, Gesinnungen, Geldflüsse. Es macht zugleich jeden, der seine Rolle als „Klimakiller“ in Frage stellt, zum möglichen Ziel einer Treibjagd: Er bekommt zunächst eine virtuelle Zielscheibe umgehängt. Sie ist mit Diagrammen markiert, mitten drin eine stilisierte schmutziggraue Sohle mit der Aufschrift „CO2-Fußabdruck“.
Von nun an muss er damit rechnen, bis in den privatesten Winkel seines Lebens daraufhin beobachtet zu werden, wieviel CO2 sein Verhalten freisetzt. Der „social score“ – eine in China weitgehend durchgesetzte Methode digitaler Kontrolle der Lebensführung – hat gute Aussichten, zum Instrument der „Klimaschützer“ zu werden, deren Ziel es ist, den Planeten vorm unvermeidlichen Hitzetod durch CO2-Emissionen zu bewahren.
Das Wetter spielt leider nicht mit. Und es zeigt sich, dass das weltweite Geschehen in der Atmosphäre, in Ozeanen, in Böden auf allen Kontinenten mit einer einzigen Messgröße – der Temperatur – nicht zuverlässig zu beschreiben ist und dass das Kohlendioxid nicht taugt, deren Schwankungen über Jahrtausende, geschweige Millionen Jahre zu erklären. Trotzdem verkaufen die Zielscheiben-Verteiler sehr erfolgreich ihre schuldbeladenen Prognosen.
Kognitive Dissonanzen
Wer imstande ist, geschäftsdienliche Propaganda von wissenschaftlichen Sachverhalten zu unterscheiden – so wie im Falle des als Impfung ausgegebenen Gentechnik-Präparats – hat wieder beste Aussichten, sich zum Sündenbock zu machen: Er muss nur auf die Schwächen der als unerschütterliche Erkenntnis ausgegebenen Klimamodelle hinweisen und auf die kognitive Dissonanz von Leuten, die Millionen Tonnen CO2 aus Schornsteinen von Kohlekraftwerken gegenüber einer Energieproduktion mittels emissionsfreier Kernkraft bevorzugen. Es sind dieselben Leute, die Wälder und ganze Landschaften mit gewaltigen Windparks, Böden mit Solarpanels verwüsten, die Ostseeinsel Rügen mit einem Gasterminal entstellen – und das als „Energiewende“ zugunsten der Umwelt ausgeben. Natürlich geht es um Milliardengeschäfte, aber doch nur und ausschließlich, weil die Menschheit einer lichten Zukunft entgegen transformiert werden soll – so die Selbstwahrnehmung.
Freilich: Wo gehobelt wird, fallen Späne, müssen Privatjets die Erde unablässig umrunden, von Kontinent zu Kontinent, während die Milliarden Nutzer von Verbrenner-Autos – also die mit dem abscheulich ausgeweiteten CO2-Fußabdruck – endlich zum Umstieg aufs Lastenfahrrad genötigt werden: Dank einer Bewegung selbstloser Aktivisten.
Lob den Klebern, Schmach den Leugnern
Klimakleber sind Helden; wer von ihnen zum Stillstand seiner Arbeit genötigt, auf einer Autobahn blockiert und seiner Freiheit beraubt wird, denn er kann dort ja nicht einfach aussteigen und weggehen, wer sich über den Irrsinn dieser bezahlten und geduldeten Sabotage der Volkswirtschaft beschwert, gar etwas dagegen unternimmt, der wird umstandslos ins Heer der potentiellen Sündenböcke eingereiht: Er ist schuld, wenn in Südeuropa Wälder brennen, in den USA Tornados wüten, das Ahrtal vom Hochwasser zerstört, in Freibädern toxische Männlichkeit ausgelebt wird, weil die Temperaturen wieder im Durchschnitt um Bruchteile eines Grades Kelvin gestiegen sind.
Der Bedarf an Sündenböcken wächst, mit ihm auch Form und Zahl der Marken, die ihnen ins Fell gebrannt werden, am besten gleich zu mehreren. „Leugner“ ist massenhaft im Gebrauch, ebenso „Schwurbler“, „Rechter“; der „Covidiot“ mit leicht changierender Bedeutung schwindet dahin. „Nazis“ und „Faschos“ sind derart abgenutzt, dass sie nur noch mit großer Schallverstärkung bei Demonstrationen und in Knallmedien auffallen, wo es tatsächlich so etwas wie Oberstempler zu geben scheint, deren Brandeisen von Millionen immer wieder gern begafft wird.
Aber neben den kommunikativen Gattern, wo die Herde blökt, scharfe Hunde bellen, Male verteilt werden, gibt’s die unauffälligen Wege zur Arbeit. Dort genießt mancher als Sündenbock verschrieene mehr, vor allem dauerhaftere Achtung als all diejenigen, deren Bilder tagaus, tagein durch die Medien strömen. Die sich hier als Herren (oder Herrinnen oder Gott weiß, was sonst Herrschaftliches) der Zukunft wähnen, enden dort nicht selten als Sündenbock: überlebensgroß.
1 Kommentar. Leave new
Randbemerkung zu „Klimagift“: daß wir ohne CO2 alle tot sind und das ziemlich schnell, können Schüler bereits im ersten Jahr der Sekundarstufe 1 nachvollziehen. In der 5. Klasse bereits werden nämlich, in einfachen Begriffen, die Grundlagen der Photosynthese und die Bedeutung von Kohlendioxid in diesem Prozess gelehrt.