In einem ihrer Interviews hat Deutschlands Innenministerin, Nancy Faeser, einen Blick auf ihr verfassungsrechtliches Denken zugelassen. Das wirft Fragen auf. Der WELT verriet sie im Zusammenhang mit dem „Rollatorputsch“: „Wir werden unsere harte Gangart gegen Staatsfeinde fortsetzen. Deshalb bin ich sicher: Wir werden noch mehr finden.“
Man könnte spotten, wer suchet, der findet oder will finden, oder sich an Heiner Müllers Stück „Kentauren“, erinnern, in dem es heißt: „Ich erklärs dir/Nur für den Dienstgebrauch Wir produzieren/Ordnung und Sicherheit./Ja und Bewusstsein./Ja und Bewusstsein Richtig Und die Mutter/Der Ordnung ist die Ordnungswidrigkeit/Der Vater der Staatssicherheit der Staatsfeind/Und wenn das Licht in allen Köpfen brennt/Bleiben wir sitzen auf unserm Bewusstsein“.
Denn: „Der Staat ist eine Mühle die muss mahlen/Der Staat braucht Feinde wie die Mühle Korn braucht/Der Staat der keinen Feind hat ist kein Staat mehr/Ein Königreich für einen Staatsfeind“
Doch das gilt eben nicht für den demokratischen Rechtsstaat, sondern einzig und allein für die wie auch immer ideologisch ausgerichtete Diktatur.
Politische Gegner zu Volksfeinden
Obwohl also der Begriff des Staatsfeindes im bürgerlichen Recht nicht vorkommt, erhebt Faeser ihn zur juristischen Kategorie: Sie will Staatsfeinde finden. Doch stellt sich da die Frage, was unter Staatsfeinden zu verstehen ist. Und unmittelbar daran schließt sich der Verdacht an, dass Faeser unter Staatsfeinden recht eigentlich die Gegner der Regierung oder der rotgrünen Weltanschauung meint.
Der totale Staat, so wie ihn Carl Schmitt und Ernst Forsthoff definierten, markiert seine Feinde, weil die totalitäre Ordnung Feinde braucht. Der totalitäre Staat lebt davon, dass er Feinde benennt und Feinde verfolgt, weil sein totalitärer Anspruch ihn für alles verantwortlich macht. Dieser Falle, für alles Verantwortung zu tragen, so auch für die Misserfolge, die notwendige Folge seiner totalitären oder utopistischen Ideologie ist, entkommt er nur dadurch, dass er den Sündenbock erschafft, den Feind, der für die Misserfolge verantwortlich gemacht wird.
Nicht die Regierung trägt die Schuld an den Fehlschlägen, sondern sie sind Resultate des Wirkens des Feindes. Doch wenn es keinen Feind mehr gibt, keinen Klimaleugner, keinen Querdenker, keinen Reaktionär, keinen wirklich Liberalen, keinen wirklich Konservativen, keinen Hasser und keinen Hetzer, keinen Schwurbler, wer trägt dann die Schuld an den Misserfolgen der Regierung, die nur die Antwort der Wirklichkeit auf die utopischen Bemühungen der Regierung darstellt? „Denn kein Fakt ist ein Fakt eh er auf uns hört“, heißt es in Müllers „Kentauren“.
Da die weise Regierung aber nicht irren kann, müssen böse Verschwörer am Werke sein. Es mag ja Zufall sein, dass die Staatsmacht gegen das mächtige Häuflein der Verschwörer unter rechtzeitiger Information grüntragender Medien ausgerechnet an dem Tag zuschlug, an dem die Regierung ein Jahr im Amt war und eigentlich hätte Rechenschaft ablegen müssen.
Stalin hatte jedenfalls seinerzeit die These von der Verschärfung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus aufgestellt. Die Pointe bestand darin, dass umso erfolgreicher der Sozialismus voranschreitet, er umso mehr Feinde haben würde, die dann als Feinde des Volks mit größter Härte zu bekämpfen wären. Wenn es an Wind für die Energiewende mangelt, wer wird daran nach dieser Logik schuld sein? Natürlich die „Klimaleugner”!
Feindproduktion
Wenn sich Faeser auf die Jagd nach Staatsfeinden begibt und jetzt schon sicher ist, „noch mehr“ zu „finden“, dann erweckt sie den Verdacht, nicht nach Staatsfeinden zu suchen, sondern sie zu produzieren. Denn es ist schlichtweg nicht klar, nach wem sie sucht.
Wohl gemerkt, Faeser hat nicht gesagt, dass „Staatsfeinde“ verurteilt worden sind. Da aus gutem Grund Staatsfeindschaft keine Straftat darstellt, müsste sie schon benennen, nach welchen Straftaten sie konkret sucht, wenn es eben nicht um Gegnerschaft zur Regierung geht. Juristisch besitzt also ihre Suche nach Staatsfeinden (noch) keine Relevanz, jedenfalls nicht im demokratischen Rechtsstaat. Man darf also gespannt sein, wann und mit welcher Begründung diejenigen verurteilt werden, über die die Medien bereits als „Entführer“ und „Putschisten“ berichteten.
Aus gutem Grund muss der Staat das begangene Verbrechen nachweisen – nicht der Bürger steht in der Pflicht seine Unschuld, sondern der Staat muss dessen Schuld beweisen, schließlich beschuldigt der Staat und diese Beschuldigung hat er zu belegen. Wäre es anders, lebten wir bereits in der Diktatur, denn dann befände sich der Bürger grundsätzlich in einem Zustand der Schuld, in einer Art latenter Schuldigkeit, den Forderungen des Staates nicht im genügenden Maße gerecht zu werden, weil der Bürger für den Staat da wäre – und eben nicht der Staat für den Bürger.
Die Unschuldsvermutung ist eine der Säulen des demokratischen Rechtstaates. Gerade diese Bedingtheit stellte Nancy Faeser mit ihrem Ansinnen, die Beweislast umzukehren, in Frage. Anscheinend schwebt ihr vor, das Beamtenrecht zu einem Gesinnungsrecht umzubauen. Hierzu passt das soeben verabschiedete Denunziationsförderungsgesetz, das euphemistisch Hinweisgeberschutzgesetz genannt wird.
Halten wir also fest: Die Innenministerin sucht erstens aktiv nach Staatsfeinden, obwohl höchst unklar ist, worum es dabei eigentlich gehen soll. Zweitens untergräbt die Innenministerin mit der Beweislastumkehr eine der Säulen des Rechtstaates.
Forcierte Übergriffe
Gegen eine weitere Säule, gegen das Grundgesetz verstößt das Infektionsschutzgesetz. Zu den grundsätzlichen Unterschieden zwischen Demokratie und Diktatur gehört, dass jede Demokratie auf einer funktionierenden Rechtsstaatlichkeit basiert, auf der Akzeptanz der Verfassung als Abwehrrecht des Bürgers gegen den übergriffigen Staat.
Übergriffigkeit ist keine Entgleisung des Staates, sondern seine Natur, deshalb wurden starke Freiheitsprärogative des Bürgers im Grundgesetz vorgesehen, die plötzlich von einem fragwürdigen Gesetz unterlaufen werden. Man muss nicht einmal, obwohl dies möglich wäre, eine verfassungsrechtliche Beweisführung beginnen, es genügt, sich an die Äußerungen der Befürworter des Gesetzes in ihrer Missachtung der Freiheit des Bürgers zu erinnern.
So hat die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer am 18.12.2021 geäußert: „Also Ungeimpfte sollen nach unserer Verordnung gar nicht feiern. Die dürfen sich nur mit Ungeimpften treffen im eigenen Haushalt oder mit zwei Personen aus einem anderen Haushalt.“
Und die evangelische Skandalpfarrerin Käßmann hatte bereits dem grünlinientreuen Deutschlandfunk gesagt: „Es gibt kein Recht auf das Weihnachtsfest.“
Erstens hat der Bürger das Recht, jedes Fest zu feiern, das er will, außer diejenigen, die zurecht vom Gesetzgeber verboten sind, wie beispielsweise Hitlers Geburtstag. Zweitens zeigt diese Äußerung der Skandalpfarrerin nur, wie wenig Käßmann mit dem Christentum zu tun hat, wenn sie behauptet, dass niemand das Recht hat, die Geburt des Herrn zu feiern.
Im März 2020 wütete Winfried Kretschmann, in Studententagen Maoist, inzwischen Ministerpräsident von Baden-Württemberg, in der ARD: „Wir verbieten jetzt Versammlungen auf öffentlichen Plätzen, und wir werden das auch sanktionieren. Man darf nirgendwo mehr munter rumlaufen.“
Weil sich die Bürger nicht daran hielten, was Kretschmann und seine Kollegen verfügten, wurden die Maßnahmen verschärft. Mit dem Grundgesetz hatte die autoritäre Orgie nichts mehr zu tun.
Der Ministerpräsident von NRW, Hendrik Wüst, verkündete sogar: „Menschen dürfen ihre individuelle Freiheit nicht über die Freiheit der Allgemeinheit stellen.“
Die Freiheit der Allgemeinheit auf Kosten der Freiheit des Individuums wurde bisher am konsequentesten im Gulag verwirklicht.
Mit dem dreisten Aufruf, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung kein Argument mehr sein dürfte, dass Kontrollen ohne Gerichtsbeschluss in den Wohnungen nicht stattfinden, wäre Lauterbach ein Fall für den Verfassungsschutz, wenn der Verfassungsschutz die Geltung des Grundgesetz und nicht das Wohl der Regierung und den Schutz der Straftaten der „Letzten Generation“ als Pflicht empfinden würde.
Robert Habeck sah im Infektionsschutzgesetz die Möglichkeit „flächendeckend“, 2-G-Maßnahmen, 3-G-Maßnahmen am Arbeitsplatz und „Impfen bis die Nadel glüht“ durchzusetzen.
Die Auflösung der Gewaltenteilung
Sicher könnte man Abwinken und über den Schnee vom vergangenen Jahr grimmig lächeln, doch die Eiszeit für die Freiheit ist kompakter und frostiger geworden. Das Infektionsschutzgesetz gilt noch. Die Pandemie-Maßnahmen sollen als Blaupause für die Klimadiktatur dienen.
Der Jurist Thomas Schomerus warb auf dem Verfassungsblog dafür, aus der Coronakrise für die „Klimakrise“ zu lernen: „Der Kampf gegen das Virus kann eine Vorbildwirkung für die Bekämpfung der globalen Erwärmung haben.“
Um die Einschränkung der Freiheitsrechte zu rechtfertigen, greift Schomerus zum Totschlagargument des drohenden Untergangs: „Im Angesicht der tödlichen Gefahr (…) nimmt die Bevölkerung in einem beispiellosen Akt der Solidarität massivste Grundrechtseinschränkungen in Kauf (…) Diese werden ohne großes Murren hingenommen.“
Politische Willensbildung und demokratischer Diskurs werden en passant als Murren des Bürgers erledigt. Folgerichtig fragt er: „Warum geht in der Corona-Krise, was in der Klimakrise versagt bleibt?“
Warum vertraut der Bürger nicht vorbehaltlos den „Interpretationseliten“ (Lütjen) und nimmt nicht „massivste Grundrechtseinschränkungen“ für die „Bekämpfung der globalen Erwärmung“ hin? Wozu benötigt das Volk, der „große Lümmel“ (Heinrich Heine), überhaupt Grundrechte? Schließlich so Faeser mit Blick auf die vielen Staatsfeinde, die sie noch alle aufspüren will: „Dass es inzwischen bis hinein in vermeintlich bürgerliche, wohlhabende Milieus Parallelgesellschaften gibt mit Menschen, die sich in ihrer Verachtung für unsere Demokratie radikalisiert haben, die Verschwörungsideologien und Umsturzfantasien anhängen und vor Gewalt nicht zurückschrecken – das wissen wir, und das haben wir sehr genau im Blick.“
Im Grunde argumentiert Schomerus mit Carl Schmitt, wenn er das Recht der Exekutive unterordnet. Geschieht das unter Eingriffen in das Prärogativ der Parlamente, kippt die freiheitlich-demokratische Grundordnung in die ökosozialistische Diktatur mit der ökonomischen Konsequenz einer Kommandowirtschaft.
Schomerus‘ Überlegungen entsprechen übrigens Forderungen, die von den Grünen und vom Sachverständigenrat für Umweltfragen erhoben wurden und die auf eine Auflösung der Gewaltenteilung hinauslaufen. Denn ginge es nach ihnen, könnte jede demokratische Initiative unter Hinweis auf den Klimanotstand und die drohende Vernichtung der Menschheit abgeschmettert werden.
Selbstdelegitimierung
Der Hinweis auf den Klimanotstand ist nichts anderes als der von Faeser in Anspruch genommene Staatsnotstand. So wird aus der Verfolgung der „Staatsfeinde“, aus der Kombination des Infektionsschutzgesetzes, des Demokratieförderungsgesetzes, das linke und linksradikale NGOs als Vorfeldorganisation des Staates mit teils quasi-hoheitlichen Aufgaben versehen finanziert, und dem Hinweisgeberschutzgesetz eine Art Ermächtigungsgesetz der Ampel und der ihr folgenden CDU/CSU gebastelt, das im Widerspruch zum Grundgesetz steht.
Selbst die Stalinsche Verfassung und die Verfassungen der DDR besaßen liberale Passagen bspw. zur Meinungsfreiheit, nur wurden die durch spezielle Gesetze wie den berüchtigten Paragraphen 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR oder den Paragraphen 220 StGB der DDR, der als Delikt die „Staatsverleumdung“ definierte, in der gesellschaftlichen Praxis ausgehebelt.
Angeregt von diesen Paragraphen oder auch nicht hat nun das Bundesamt für Verfassungsschutz den Beobachtungsbereich „Delegitimierung des Staates“ gebildet. „Diese Form der Delegitimierung“, so der Verfassungsschutz, „erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Hierdurch kann das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden.“
In Kurzform: wer die Regierung kritisiert, wer seine demokratischen und grundgesetzverbrieften Rechte in Anspruch nimmt, delegitimiert den Staat. Wer entscheidet darüber, was Kritik und was „Agitation“ ist? Zumal die Entscheidung keinem Bundesamt und keinem Richter zusteht, denn „Agitation“ ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Jeder Bürger hat dass Recht zur Agitation. Sie gehört sogar zu seinen demokratischen Rechten.
Laut Verfassungsschutz erfolgt die Delegitimierung des Staates also nicht über das Infragestellen der Demokratie, sondern durch „Agitation“ – das aber ist demokratisches Verhalten. Die Frage lautet nun: Sind Demokraten für Nancy Faeser Staatsfeinde?
Es bleibt nur eins, dass jeder Bürger sich seine grundgesetzverbrieften Rechte nicht abhandeln lässt, dass er wieder und immer wieder protestiert und „agitiert“ und demonstriert. Freilich, was nottäte, wäre, dass eine Partei der Freiheit sich gründet, die ohne wenn und aber sich für die bürgerlichen Freiheiten und für die Reaktivierung der sozialen Marktwirtschaft einsetzt, die von einer entstehenden Staatswirtschaft und von Enteignungsorgien tagtäglich stärker aufgelöst wird.
Hierbei darf man keine großen Hoffnungen auf die Wirtschaft richten, denn genügend Manager und auch Unternehmer glauben immer noch, durch geschicktes Verhalten auch unter grüner Ägide ihren Schnitt zu machen. Was die Demokratie dringender denn je benötigt, wäre ein Bündnis für die Freiheit.
Kann man auch nicht auf die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit rechnen, so würden schon einige Unternehmer und Manager mit bürgerlichem Bewusstsein genügen, wenn sie sich mit anderen Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft in diesem Bündnis für Freiheit träfen.
2 Kommentare. Leave new
Ein exzellenter Artikel. Er analysiert präzise, wie verräterisch die Sprache von Faeser, Habeck, Haldenwang et al. ist: Ziel ist die Paralyse grundgesetzlich garantierter Rechte der Bürger gegenüber dem Staat. Dass Faeser Staatsfeinde produzieren muss – die Zitate aus Heiner Müllers Spätwerk belegen es, ebenso der Verweis auf Paragraph 220 StGB in der DDR – charakterisiert den Weg ins totalitäre Regime. Corona- und Klimapolitik sind Etappen, wem am Erhalt von Freiheit und Rechtsstaat liegt, muss sich dagegen wehren. Sei’s um den Preis, als „Staatsfeind“ etikettiert zu werden wie in Zeiten von Erich & Erich.
Eine Begriffsgeschichte des „Staatsfeindes“ ist sehr aufschlussreich, sie belegt, dass sich sehr oft die Regierung mit dem Staat verwechselte und der Gegner zum Feind erklärt wurde.