Es müssen nicht immer große Einzelne sein, die uns als Widerständler für das Wahre, Gute und Schöne zum Vorbild dienen können; manchmal können auch ganze Völker uns wichtige Lehren geben. In dieser Beziehung mag man etwa an den Widerstand der Griechen gegen die Perser, der Nordspanier gegen die Mauren, der Tamilen gegen das Sultanat von Delhi, der Sanfedisten gegen die französischen Revolutionsarmeen oder der „weißen“ Russen gegen die „roten“ während der Oktoberrevolution denken.
Ein zumindest in Deutschland weniger bekanntes, obwohl höchst aussagekräftiges Beispiel ist aber der Widerstand der französischen Provinz „Vendée“ gegen die Machtübernahme der Jakobiner im fernen Paris.
Die Vendée ist seit jeher ein bäuerliches, wenig urbanisiertes Gebiet gewesen, das zudem aufgrund seiner zahlreichen Hecken, Hügel und Moore sehr ungeeignet ist für eine klassische Kriegsführung mit größeren Heeresabteilungen. Zutiefst katholisch und monarchistisch, entging die Vendée weitgehend der antiklerikalen, liberalen und republikanischen Radikalisierung, die sich, ausgehend von den Städten, überall im Frankreich des 18. Jhs. ausgebreitet hatte. Denn der „Aufklärung“ ging es nicht um die bloße Abschaffung veralteter feudaler Privilegien oder um einen echten Pluralismus von Meinungen und Lebensentwürfen: Nichts weniger als ein völlig neuer Mensch sollte geschaffen werden, und wer nicht bereit war, sich diesem Ideal anzupassen, für den galten nicht etwa „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, sondern vielmehr die Guillotine.
In der Anfangsphase verhielt sich die Vendée eher passiv angesichts der großen Umstürze im fernen Paris, zumal die ursprünglich verkündeten Ziele der Revolutionäre durchaus in der Kontinuität zu jenen Reformversuchen standen, die schon seit Jahren in der Luft lagen und vom König Ludwig XVI. selbst durchaus mit Sympathie gesehen worden waren. Doch schon bald zeigte sich die wahre Seite der Revolution.
Der erzwungene Eid auf die Republik trieb viele Geistliche in die Illegalität und erzürnte die Gläubigen, während die Konfiszierung des Kirchenguts und seine Verramschung an das reiche städtische Bürgertum viele Pächter und abhängige Bauern ihrer Lebensgrundlage beraubte. Die Reform des Steuersystems bedeutet de facto keine Erleichterung, sondern eine Erschwerung der Lage der einfachen Menschen, und als schließlich der König und seine Familie exekutiert wurden und die Vendée nicht nur von den schlecht geführten und undisziplinierten Nationalgarden und Revolutionsarmeen heimgesucht wurden, die die Küsten vor einer englischen Landung sichern sollten, sondern auch einem allgemeinen Konskriptionssystem unterworfen wurde, war das Maß voll, und die Vendée sagte sich 1793 im Namen von Kirche und Monarchie von der Republik los.
Terreur
Freilich war der Aufstand, der mit Unterbrechungen bis 1800 andauerte, nie wirklich zentral geführt und verfolgte auch keine übergeordneten nationalen Ziele. Doch sollte gerade diese Schwäche zwar einen langfristigen Erfolg unmöglich machen, sich aber kurzfristig als Stärke erweisen. Denn obwohl die Bewohner der Vendée, die ursprünglich ca. 815.000 Menschen zählte, gelegentlich regional gegliederte Heere aufstellten und durchaus Erfolge gegen die republikanischen Armeen erzielten, vollzog sich der Großteil der Kämpfe doch als eine Art dezentraler Partisanenkrieg.
Immer wieder gelang es den bewaffneten Männern der Vendée, gestützt auf ihre Kenntnis des unübersichtlichen Terrains und ihre Unterstützung durch die Bevölkerung, kleinere Heeresabteilungen der Revolutionäre aus dem Hinterhalt zu überfallen, zu vernichten und zu entwaffnen, bevor sie wieder zu ihren Familien zurückkehrten und mit der Bevölkerung verschmolzen. Drei schwere Kriegskampagnen wurden nichtsdestoweniger parallel zu diesem Partisanenkrieg geführt.
Die erste dauerte von 1793 bis 1795 und stand unter dem Zeichen der Inkompetenz schlecht geführter, schlecht ausgerüsteter und zersplitterter Revolutionsheere, deren Befehlshaber zudem ideologisch von Revolutionskommissaren gegängelt wurden, so daß es nach einem spektakulären Ausbruchsversuch der royalistischen Truppen bis zum normannischen Granville schließlich zum ersten großen Völkermord der Neuzeit kam.
Die Revolutionstruppen wandten angesichts ihrer militärischen Mißerfolge das Prinzip der „Terreur“ großflächig auch auf die eigenen Mitbürger der Vendée an und durchkämmten das Land mit Hilfe von „colonnes infernales“, also Einsatzgruppen, systematisch: „Wir müssen alle Männer vernichten, die zu den Waffen gegriffen haben, und sie mit ihren Vätern, ihren Frauen, ihren Schwestern und ihren Kindern zerschlagen. Die Vendée soll nichts anderes sein als ein großer nationaler Friedhof“, lautete die Maxime des Revolutionsgenerals Turreau.
Alleine im Département Maine-et-Loire sollen damals in nur wenigen Tagen 11.000-15.000 gefangengenommene Männern sowie 6.000-7.000 Frauen und Kinder hingerichtet worden sein, tausende davon ertränkt in der Loire – aus „Effizienzgründen“, wie ein Brief erklärt, der stolz in der Pariser Nationalversammlung verlesen wurde: „Weil die Guillotine zu langsam ist, und das Erschießen auch zu lange dauert und Pulver und Kugeln vergeudet, hat man sich entschlossen, je eine gewisse Anzahl in große Boote zu bringen, in die Mitte des Flusses etwa eine halbe Meile vor der Stadt zu fahren, und das Boot dort zu versenken. So wird unablässig verfahren.“
Dazu gehörte auch die systematische Auslöschung des örtlichen Kulturguts, die Deportation unzähliger Familien und die Vernichtung selbst der historischen Erinnerung – nichts sollte mehr an jene Menschen erinnern, die es gewagt hatten, sich der erleuchteten „Aufklärung“ entgegenzusetzen. Selbst das Département wurde in „Vengé“ – also „gerächt“ – umbenannt.
Das Ende des Widerstands
Als in Paris die Jakobiner gestürzt wurden, gelang es ihren Rechtsnachfolgern, dem „Directoire“, durch humanere Kriegsführung und Amnestieangebote schließlich einen weitgehenden Frieden mit den Aufständischen zu unterzeichnen, doch fast unmittelbar danach kam es von 1795-1796 aufgrund der englischen Landungsversuche in Westfrankreich zu einem erneuten Aufflammen des Kriegs, der wesentlich vom berühmten Chevalier de Charette geführt wurde, welcher von Ludwig XVIII. zum Oberbefehlshaber der royalistischen Truppen ernannt worden war, letztlich aber rasch besiegt und exekutiert werden konnte.
Doch auch jetzt sollte der Frieden nicht von langer Dauer sein, denn die Linksradikalisierung des Direktoriums ebenso wie neue Verfolgungswellen von Regimegegnern und die erneute Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, von der die Vendée vertraglich hätte ausgenommen werden sollen, trieben die Menschen seit Herbst 1797 erneut in den Widerstand.
Erst unter Napoleon Bonaparte konnte 1800 ein dauerhafterer Friedensvertrag unterzeichnet werden, der zum einen auf der Versöhnung mit dem Adel und der Proklamation der Religionsfreiheit gründete und einen Schlußstrich unter den atheistischen Aktionismus und proletarischen Egalitarismus der Revolution zog, zum anderen auf einer langfristigen Garnisonierung der Vendée. Diese wurde mit 30.000 Soldaten besetzt und erhielt mit der von Veteranen besiedelten, ganz nach römischem Vorbild angelegten kaiserlichen Musterstadt „Napoléon-Vendée“ (heute La-Roche-sur-Yon) eine neue Hauptstadt und gleichzeitig Zwingburg.
Damit war der Widerstand im Wesentlichen gebrochen, zumal die napoleonische Restauration der Tradition – Monarchie, Katholizismus, geregelte Verwaltung – die schlimmsten Einwände, welche die Bewohner der Vendée gegen die Republik hatten, besänftigte. Trotzdem sollte es noch 1815 während der Herrschaft der Hundert Tage und selbst 1832 nach dem Sturz der Bourbonen zu vorübergehenden royalistischen Aufständen kommen.
Der Krieg soll je nach Zählung die Vendée zwischen 117.000 und 600.000 Einwohner gekostet haben, am Wahrscheinlichsten ist wohl eine Zahl von ca. 300.000 Menschen – mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung der Region.
Die logische Konsequenz des Liberalismus
Was ist abschließend von den schrecklichen Ereignissen zu halten? Eine erste Lehre aus den Ereignissen ist eine praktische, welche die Realität des Bürgerkriegs betrifft und in nicht unähnlicher Form auch auf andere Situationen anwendbar ist. Die Royalisten der Vendée vermochten es zwar, Geländekenntnis, Unterstützung durch die Bevölkerung und hohe Motivation zu ihren Nutzen einzusetzen und einen viele Jahre lang erfolgreichen Partisanenkrieg zu führen. Die mangelnde Koordination der eigenen Kräfte und die ebenso defiziente Zusammenarbeit mit anderen royalistischen Kräften, etwa in der Bretagne, verschaffte den gut organisierten und skrupellosen Revolutionären in Paris schließlich die Oberhand, zumal die numerische Überzahl der Revolutionsarmeen ebenso wie die Taktik der verbrannten Erde und die schonungslose systematische Deportation oder gar Ausrottung der Bevölkerung langfristig die Fähigkeit zum Widerstand lähmte.
Nicht unähnlich sollten ja später auch die russischen Bolschewiki den Vorteil der inneren Linie, die Kontrolle über die Hauptstädte und die Bereitschaft zum blutigen Terror einsetzen, um die zerstrittenen „weißen“ Interventionskräfte und Konterrevolutionäre langsam, aber sicher zu erdrücken; und auch die Taktik der Briten in Südafrika gegen die Boeren zeigt zahlreiche Analogien zur versuchten Auslöschung der Vendée.
Dann gilt es natürlich, auf die grausige Aktualität der damaligen Situation in der Vendée aufmerksam zu machen. Immer noch ist gerade der liberale Flügel der sogenannten „Konservativen“ allzu gerne bereit, in der Französischen Revolution letztlich eine bahnbrechende und vor allem positive Entwicklung zu mehr „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ zu sehen und die entsprechenden Ausschreitungen als eine Art bedauerliches, aber unvermeidliches Beiprodukt herunterzuspielen. Nur wenige derjenigen, die sich heute über die zunehmenden Perversionen der woken Ideologie beklagen, begreifen, daß viele jener Probleme sich schon vor mehr als 230 Jahren offenbarten und der moderne Wokismus eben keinen Betriebsunfall des Liberalismus, sondern seine logische Konsequenz darstellt.
Fortschritt in die Katastrophe
Die Abwendung von der Transzendenz, die Abschaffung der Tradition zugunsten des rationalistischen Reißbretts, die Zerschlagung der Familie, die Hybris, bereits im Hier und Jetzt eine soziale Utopie schaffen zu wollen, die menschenverachtende Bereitschaft zum Verbrechen im Namen der „guten Sache“, die Dekonstruktion kleinteiliger gewachsener Einheiten zugunsten des Zentralismus, der blinde Glauben an den Segen des technischen Fortschritts, die Arroganz, andersdenkende Menschen und Völker als minderwertig zu betrachten und sie gewaltsam zu ihrem eigenen „Glück“ bekehren zu wollen, die ideologische Instrumentalisierung von „Wissenschaft“ und „Experten“, begleitet von einer massiven Enteignung des Volks durch die neue herrschende Klasse und ihre Unterstützer – all das ist weder ein trauriges Privileg des modernen Wokismus, noch der zahlreichen Totalitarismen des 20. Jhs., sondern ist bereits in der Französischen Revolution angelegt.
Wenn den Bewohnern der Vendée die ideologische Mechanik der Revolution auch noch nicht explizit bewußt gewesen sein mag, würde es doch viel zu kurz greifen, ihren Widerstand, wie in der modernen Forschung fast karikaturhaft immer wieder betont wird, auf einen bloßen „Wohlstandsverlust“ bzw. die Beeinflussung der „ungebildeten Bauern“ durch eine „reaktionäre“ politische Ideologie zurückzuführen, denn auch mit diesen mentalen Schablonen sind wir im angeblich modernen Europa in den letzten Jahren nur allzu oft konfrontiert worden, um ihnen noch zu glauben.
Den Menschen in der Vendée wird man schon zutrauen dürfen, gespürt zu haben, daß die physische Vernichtung einer jahrhundertealten Elite, die Zerstörung und Enteignung von Kirchen, die einseitige Auflösung altehrwürdiger Sonderrechte, der Einsatz einer wütenden Soldateska, die gezielte Auslöschung der eigenen kulturellen Identität und die genozidäre Abschlachtung von Frauen und Kindern nur wenig zu tun hatte mit dem hochherzigen Grundgedanken von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ – und daß auf die Ideale der sogenannten „Aufklärung“ wenig zu geben war angesichts der Katastrophen, die sich aus ihrer Verwirklichung notwendigerweise ergeben mußten und bis heute immer wieder ergeben: „Wie man einen Baum an seiner Frucht erkennt, so erkennt Ihr sie an dem, was sie tun.“
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„Nur wenige derjenigen, die sich heute über die zunehmenden Perversionen der woken Ideologie beklagen, begreifen, daß viele jener Probleme sich schon vor mehr als 230 Jahren offenbarten und der moderne Wokismus eben keinen Betriebsunfall des Liberalismus, sondern seine logische Konsequenz darstellt. “
Das ist der entscheidende Punkt. Abgesehen mal davon das jedem, der auch nur ansatzweise zu logischem Denken in der Lage ist, eigentlich auffallen muss das „Gleichheit“ und „Freiheit“ ein Oxymoron darstellen.