Vor diesem Leben arbeitete ich in der Pflege. Davon abgesehen, dass mir gerade das praktische Arbeiten ungefähr so lag wie John McEnroe auf dem Tennisplatz die Selbstbeherrschung, lernte ich einiges über Humor. Wie Menschen teilweise mit ihrer schweren Diagnose umgingen, imponierte mir zutiefst. Ich erinnere mich an einen Moment in der Kinderklinik, als ein siebenjähriger Junge mich als Angestellten mit einem Witz trösten musste, weil er an einer nicht mehr heilbaren Leukämie litt und ich, im Gegensatz zu dem kleinen Knopf, die Welt nicht mehr verstand.
Humor ist gerade in ausweglosen Situationen der Schlüssel zu einem erträglichen Leben. Für kranke Menschen bedeutet das Lachen über sich selbst nicht selten den Versuch, sich selbst in der dritten Person zu sehen; sich für den Moment von ihrer schlimmen Lage zu distanzieren. Das kann nicht jeder. Doch wer es geschafft hat, ob krank oder nicht, über sich selbst lachen zu können, hat große Chancen, ein trotz allem zufriedenes Leben zu führen. Oder man ist Chirurg und versorgt das Personal mit schwarzem Humor, zum Beispiel so: „Was ist eine ‘englische Verlegung’?“ – Ein Patient, der verlegt wird und dessen Wunde noch blutet.“ (In Anlehnung an ein Steak, das man „englisch“ braten kann, also ziemlich blutig.)
Deplatzierte Anglizismen
Jenseits der Medizin und der Pflege und im Diesseits der herrschenden Politik ist das Thema „Humor“ in Verbindung mit „Ernsthaftigkeit“ aus den Fugen geraten. Oder anders gesagt: Einerseits werden Abgeordnete zunehmend albern, verlieren also die nötige Ernsthaftigkeit; zum anderen aber agieren sie humorlos, wenn es um die eigene Person oder die eigene Partei oder die eigene Ideologie geht.
Was paradox klingt, ist in Wahrheit nur eine folgerichtige Entwicklung einer Politelite, die das Gefühl für das eigene Wirken längst verloren hat. Jahre in der Echokammer bestätigen ihre eigene Unzulänglichkeit, wie ein Durchschlagexemplar die Existenz des Originaldokuments belegt.
Ein jüngstes Beispiel ist die FDP. Wenige Tage vor der ersten sinnvollen Entscheidung von Christian Lindner – nämlich Jamaika zu verhindern, indem er diese vermaledeite Ampel sprengt, wenn auch zu spät –, veröffentlichte Christian Dürr, der Fraktionsvorsitzende der sogenannten liberalen Partei, ein Video auf TikTok. Dabei nutzte der Bundestagsabgeordnete eine Sprache, die der Jugend, der sogenannten Generation Z, nahe kommen soll. Heißt im Klartext: deplatzierte Anglizismen, bis der Doktor kommt. So werde im Bundestag nicht etwa „low key“ gemacht, sondern „full power“. Die Ampel-Regierung konnte er damals schwerlich meinen. Doch es geht noch weiter. So seien Minister die „OGs, die versuchen, die Vibes stabil zu halten“, während die Bockwurst in der Parlamentskantine ein „Gamechanger“ sei.
Sie verhöhnen uns
Als großer Fan der Currywurst – Stichwort Grönemeyer – kann ich den Enthusiasmus für die Legende aus dem Ruhrpott, wahlweise aus Berlin, zwar verstehen, aber es bleibt, wie es ist: Dieser infantile Unsinn macht den Bundestag nicht für Jugendliche attraktiv, er entwertet den Job als Abgeordneter, weil solche Videos so unsagbar peinlich sind, so schrecklich infantil und weder, um bei der alten, ebenso wenig geistreichen Politikersprache zu bleiben, jemanden „abholen“ noch „mitnehmen“. Wohin wollen Politiker eigentlich ständig ihre Wähler „mitnehmen“? Also, da wo Herr Dürr ist, aber auch wo sich Kevin Kühnert oder Emilia Fester befinden, möchte ich nicht mal tot über dem Gartenzaun hängen.
Gedankenexperiment: Leute wie Kevin Kühnert, der vor lauter Anstrengung und einer ominösen und nicht genannten Erkrankung seinen Job als Generalsekretär kurz vor einer weiteren historischen Wahlschlappe der SPD selbstlos zurückgab, oder Emilia Fester, die die Jugend durch eine Impfpflicht gegen Corona „freiimpfen“ lassen wollte, während sie bereits jeden Kontinent betreten hatte und dennoch eine noch restriktivere Covid-19-Politik forderte, freuen sich einen Ast ab. Denn niemals, nicht in 100 Jahren, würden formal sowie – und das ist das Wichtigere – informell Bildungslose zu den Topverdienern dieses Landes gehören.
Sie verhöhnen uns, und sie machen das mit kindischen Kurzvideos, indem sie Nutzern unterstellen, dass sie weder eine hohe Aufmerksamkeitsspanne noch die Bereitschaft, tiefere Botschaften zu empfangen, besitzen. Beides beschreibt das Menschenbild dieser Politiker sehr gut: „Wir trauen den Wählern nichts zu, daher müssen wir das Denken übernehmen.“
Zu welchen Katastrophen dieses paternalistische Verständnis geführt hat, konnte uns zuverlässig die Ampelregierung kredenzen.
Die Befindlichkeiten nehmen zu
Andererseits erleben wir Abgeordnete, die zwar ihre Albernheit kultiviert haben, es mit Humor und Resilienz gegenüber harten Worten aber nicht so genau nehmen. Manche Berufspolitiker wirken wie humorlose Trauerklöße und Jammerlappen. Wenn aufgrund eines Beitrags auf Social Media, Robert Habeck sei ein „Schwachkopf“ – ein Urteil, zu dem man aufgrund der Performance des Wirtschaftsministers durchaus kommen kann – eine Hausdurchsuchung folgt, dann stimmt mit der psychosozialen Arithmetik dieser Protagonisten einiges nicht. Sie haben den Beruf verfehlt, weil sie nicht nur nichts können, dafür aber alles erklären, sondern auch gar nicht in der Lage sind, Kritik auszuhalten und sie vielleicht sogar als Anlass zu nehmen, ihre Art zu arbeiten zu ändern.
Von meiner Arbeit in der Pflege ist, bis auf ein paar schwere Fachbegriffe wie „Singultus“ zu „Schluckauf“, wenig übrig geblieben. Doch eines bleibt sicher: In einer Zeit der zunehmenden Befindlichkeiten und der gleichzeitigen Abwesenheit von Ernsthaftigkeit und Humor benötigen die Politiker von heute die Pflege ihres Egos. Dabei ist es gar nicht systemimmanent, eigentlich sogar egal, wie es dem Abgeordneten denn so geht. Er hat seinen Job zu machen, am besten gut, wobei es genügt, wenn er ihn nicht schlecht ausführt.
Wir sind in Deutschland, was Regierungen angeht, Kummer gewohnt. Und vielleicht brauchen die Festers dieser Welt tatsächlich, was ihr TikTok-Leben angeht, mehr Selbstbeherrschung als der ehemalige Tennisspieler John McEnroe.
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„Moderne westliche Öffentlichkeit: ‚das elende Schauspiel einer Rauferei zwischen Bußpredigern'“
– Carl Schmitt