Dezentral und neutral

Staaten, gleich welcher Verfassung, sind keine wirtschaftlichen Unternehmen. Im Unterschied zu Letzteren finanzieren sich Staaten nicht durch den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen an freiwillig zahlende Kunden, sondern durch Zwangsabgaben: durch Gewaltandrohung und -anwendung eingetriebene Steuern (und durch von ihnen buchstäblich aus dem Nichts geschaffenes Papiergeld). Bezeichnenderweise haben Ökonomen Regierungen, das heißt die Inhaber staatlicher Gewalt, deshalb auch als stationäre Banditen bezeichnet. Regierungen und alle Personen, die auf ihrer Gehaltsliste stehen, leben von der Beute, die man anderen Personen geraubt hat. Sie führen eine parasitäre Existenz auf Kosten einer unterworfenen und als „Wirt“ dienenden Bevölkerung.

Hieraus ergeben sich eine Reihe weiterer Einsichten.

Naturgemäß bevorzugen stationäre Banditen eine größere Beute gegenüber einer kleineren. Das heißt: Staaten werden stets versuchen ihr Steueraufkommen zu erhöhen und ihre Ausgaben durch Papiergeldvermehrung weiter zu steigern. Je größer die Beute, umso mehr Gefälligkeiten können sie sich selbst, ihren Angestellten und ihren Unterstützern erweisen. Doch sind diesem Treiben natürliche Grenzen gesetzt.

Zum einen müssen die Banditen darauf achten, dass sie ihren „Wirt,“ dessen Arbeit und Leistung ihre parasitäre Existenz ermöglicht, nicht so stark belasten, dass dieser seine Arbeit einstellt. Und zum anderen müssen sie befürchten, dass ihre „Wirte“ – und insbesondere die produktivsten unter ihnen – aus ihrem Herrschaftsbereich abwandern und sich andernorts ansiedeln.

Vor diesem Hintergrund werden eine Reihe historischer Tendenzen und Prozesse begreiflich.

Zunächst wird begreiflich, warum es eine Tendenz zur territorialen Expansion und politischen Zentralisierung gibt: Damit gelingt es Staaten, immer mehr „Wirte“ unter ihre Kontrolle zu bringen und deren Abwanderung in fremde Territorien zu erschweren. Man erwartet dadurch eine größere Beutemenge. Und es wird einsichtig, warum der Endpunkt dieses Prozesses, die Einrichtung eines Welt-Staates, mitnichten ein Segen für die ganze Menschheit wäre, wie oft behauptet. Denn aus einem Welt-Staat kann man nicht auswandern, und insofern gibt es keinerlei Möglichkeit, sich staatlichen Beutezügen durch Abwanderung zu entziehen. Deshalb ist es zu erwarten, dass mit der Einrichtung eines Welt-Staates Umfang und Ausmaß staatlicher Ausbeutung – indiziert unter anderem durch die Höhe staatlicher Einnahmen und Ausgaben, durch Geldinflation, Anzahl und Umfang sogenannter „öffentlicher Güter“ und im „öffentlichen Dienst“ beschäftigter Personen – über jedes bis dahin bekannte Maß hinaus weiter ansteigen wird. Und das ist gewiss kein Segen für die „Wirtsbevölkerung“, die diesen staatlichen Überbau zu erwirtschaften hat!

Zweitens wird ein zentraler Grund für den Aufstieg des „Westens“ zur weltweit führenden Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturregion begreiflich. Im Unterschied insbesondere zu China war Europa seit dem frühen Mittelalter bis in die jüngere Vergangenheit hinein durch ein hohes Maß an politischer Dezentralisierung mit hunderten oder gar tausenden unabhängigen Herrschaftsgebieten gekennzeichnet. Manche Historiker haben diesen Zustand als „geordnete politische Anarchie“ beschrieben. Und es ist heute unter Wirtschaftshistorikern gängig, in diesem quasi-anarchischen Zustand einen wesentlichen Grund für das sogenannte „Europäische Wunder“ zu erkennen. Denn in einem Umfeld mit einer großen Vielfalt unabhängiger kleinräumiger Herrschaftsbereiche in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander ist es vergleichsweise einfach, mit den Füßen abzustimmen und sich den Räubereien staatlicher Herrscher durch Abwanderung zu entziehen. Zur Abwehr dieser Gefahr und um ansässige Produzenten bei der Stange zu halten, stehen diese Herrschaften darum ständig unter hohem Druck, sich hinsichtlich ihrer Ausbeuterei zu mäßigen. Und diese Mäßigung befördert umgekehrt das wirtschaftliche Unternehmertum, die wissenschaftliche Neugier und die kulturelle Kreativität.

Schließlich wird im Licht der vorstehenden Betrachtungen eine fundierte historische Einordnung und Einschätzung der Europäischen Union (EU) möglich.

Die EU ist ein Musterbeispiel der angesprochenen Tendenz zur territorialen Expansion und politischen Zentralisierung, mit den sich hieraus ergebenden Folgen: einer Zunahme ausbeuterischer staatlicher Maßnahmen und einem entsprechenden Wachstum des parasitären staatlichen Überbaus (Stichwort: Brüssel).

Konkreter: Die EU und die Europäische Zentralbank (EZB) sind der erste Schritt hin zur Einrichtung eines europäischen Superstaats, der schließlich in einer Eine-Welt-Regierung, dominiert von den USA und ihrer Zentralbank, der FED, aufgehen soll. Im Gegensatz zu wohlklingenden politischen Verlautbarungen ging es bei der EU und der EZB nie um freien internationalen Handel und Wettbewerb. Dafür benötigt man keine abertausend Seiten Papier, voll mit Verordnungen und Regulierungen! Vielmehr ging es immer und vor allem um eine Aufwärts-Harmonisierung der Steuer-, Gesetzes- und Regelungsvorschriften sämtlicher Mitgliedsstaaten, um auf diese Weise allen wirtschaftlichen Standortwettbewerb zu verringern oder zu eliminieren. Denn wenn die Steuersätze und die staatlichen Regulierungen überall gleich sind oder immer stärker angeglichen werden, dann gibt es für produktive Personen – die „Wirte“ – immer weniger wirtschaftliche Gründe, ihre Tätigkeiten an einen anderen Standort zu verlegen, und umso ungestörter können die stationären Banditen deshalb in ihrer Tätigkeit des Beutemachens und -verteilens fortfahren. – Hinzu kommt, dass die derzeitige EU, als ein Kartell diverser Regierungen, nur deshalb und nur so lange zusammenhält, wie die wohlhabenderen Banditen, die von einer produktiveren „Wirtsbevölkerung“ zehren können, allen voran die deutschen Regierungen, willens und in der Lage sind, ihre bedürftigeren Kollegen im Süden und Osten, mit ihren weniger produktiven „Wirten,“ dauerhaft und in großem Stil finanziell zu unterstützen. Auf Kosten der heimischen Produzenten!

Abschließend: Die EU und die EZB sind moralische und ökonomische Monstrositäten. Man kann nicht kontinuierlich Produktivität und wirtschaftlichen Erfolg bestrafen, während man Parasitentum, Verschwendung und wirtschaftlichen Misserfolg belohnt, ohne dadurch ein Desaster herbeizuführen. Die EU wird von einer wirtschaftlichen Krise in die nächste taumeln und schlussendlich auseinanderbrechen.

Angesichts dessen erscheint es dringlich, eine klare Vorstellung möglicher Alternativen zum gegenwärtigen Kurs zunehmender politischer Zentralisierung zu gewinnen. Und dabei sollte die Erinnerung an das erwähnte „Europäische Wunder“ wegweisend sein. Um Europa aufblühen zu lassen, ist eine radikale De-Zentralisierung erforderlich. Statt EU und EZB braucht es ein Europa, das aus tausenden von Liechtensteins und schweizerischen Kantonen besteht, die miteinander durch freien Handel und einen internationalen Goldstandard verbunden sind und die miteinander im Wettbewerb darin stehen, produktive Menschen mit attraktiven Standortkonditionen zu halten und anzulocken.

Allerdings: um diesen Zustand nicht nur denkbar, sondern machbar werden zu lassen, ist es erforderlich, dass man Staaten und Politiker nicht länger als das erachtet, was diese von sich selbst behaupten zu sein, sondern als das, was sie tatsächlich sind: stationäre Banditen, Gangster und Gauner. Diese Einsicht war für die überwältigende Mehrzahl der Bevölkerung noch bis vor kurzem undenkbar. Doch das Corona-Regime während der letzten zwei Jahre, mit seinen willkürlichen und widersinnigen Ausgangs-, Kontakt- und Versammlungsverboten und seinen ständig wechselnden Test-, Zertifikats-, und Impfverordnungen bis hin zu Zwangsimpfungen, hat bewirkt, dass inzwischen sehr viele Menschen Politiker richtig als schwer bewaffnete und gewissenlose Gewalttäter erkennen.

P.S.: Erfordern die gegenwärtigen kriegerischen Ereignisse in der Ukraine eine Revision oder Korrektur der vorstehenden Analysen? 

Im Gegenteil.

Zunächst: Nicht die Russen, die Ukrainer, die Deutschen oder die Amerikaner sind die Verursacher von Kriegen, sondern die Banditenbanden, die Russland, die Ukraine, Deutschland oder Amerika beherrschen und die die Kosten eines Krieges auf die jeweilige Zivilbevölkerung abwälzen können.

Dann: Kleine Staaten beziehungsweise Banditenbanden führen allenfalls kleine Kriege gegen kleine Gegner. Große Staaten dagegen, die aus erfolgreichen früheren Kleinkriegen hervorgegangen sind, sind generell kriegsfreudiger und führen nicht nur kleine, sondern auch größere Kriege gegen große Gegner. Und der größte und mächtigste aller Staaten, die USA samt ihrer in der NATO versammelten Vasallenstaaten, ist am kriegs- und expansionsfreudigsten. Allein das ist schon ein Grund für Kleinstaaterei und Dezentralisierung.

Schließlich: Wenn ein kleinerer Staat sich dem Expansionsdrang und der Bedrohung eines größeren gegenübersieht, hat er grundsätzlich zwei Optionen: er kann sich unterwerfen oder er kann versuchen seine Unabhängigkeit zu bewahren. Und um dieses Ziel zu erreichen und dabei einen Krieg zu vermeiden beziehungsweise das Kriegsrisiko zu minimieren, gibt es für ihn nur ein erfolgversprechendes Rezept: die Neutralität. Man mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Großmacht ein und man bedroht oder provoziert sie nicht. Auch eine Großmacht kann nicht einfach in ein anderes Land einmarschieren. Dafür bedarf sie immer auch einer Rechtfertigung gegenüber der eigenen Bevölkerung, die die Lasten eines Krieges zu tragen hat. Und je kleiner ein Staat, umso schwieriger ist es, sein Verhalten als eine Bedrohung oder eine Provokation darzustellen. (Wer fühlt sich von Liechtenstein bedroht?!) 

Und dies Neutralitätsgebot gilt umso mehr, wenn man wie im Fall der Ukraine sich gleichzeitig zwei Großmächten mit rivalisierenden Ansprüchen gegenübersieht und die Parteinahme für eine Seite eine zusätzliche Bedrohung für die andere bedeutet. Der gegenwärtige Krieg ist das Resultat einer mehrfachen Missachtung dieses Gebots durch die Regierung der Ukraine. Hätte die durch einen von den USA orchestrierten Coup 2014 an die Macht gelangte Regierung ausdrücklich auf einen Beitritt zu NATO und EU verzichtet, so wie zum Beispiel die Schweiz, und hätte man die beiden daraufhin abtrünnigen russischsprachigen Provinzen im Osten des Landes gehen lassen, anstatt sie zu schikanieren und terrorisieren, und hätte man so die potentielle Bedrohung für Russland reduziert, wäre es mit großer Sicherheit nicht zur gegenwärtigen Katastrophe gekommen. 

Auf anhaltenden Druck der USA, kombiniert mit eigener Dummdreistigkeit, tat die ukrainische Regierungsclique nichts dergleichen und forderte weiterhin eine NATO-Mitgliedschaft. Damit wäre die Militärpräsenz der USA bis unmittelbar an die Grenze des zum Feindstaat erklärten großen Russlands ausgedehnt worden. Niemand konnte deshalb daran zweifeln, dass das Verhalten der ukrainischen Regierung von russischer Seite aus als ungeheure Provokation und ernsthafte Bedrohung wahrgenommen würde. Das tatsächliche, mittlerweile vorliegende Ergebnis dieser Provokation war zwar nicht vorhersehbar, aber es war durchaus vorhersehbar, dass das eigene Verhalten auch eine russische Reaktion wie die tatsächlich erfolgte wahrscheinlicher machen würde. 

Der Krieg in der Ukraine, wie so oft in der Geschichte, hat also keineswegs nur einen Vater, Putin, sondern mehrere. Die derzeit überall im Westen verbreitete, völlig einseitige anti-Russland Hysterie und Hetze ist deshalb nicht nur faktisch inkorrekt, sondern sie soll vor allem von der eigenen Rolle in dem gegenwärtigen Drama ablenken. 

Und sie soll uns vergessen machen, dass die USA und ihre NATO-Vasallen während der letzten 30 Jahre weit mehr Kriegstote und Kriegsschäden zu verantworten haben als Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und gegenwärtig in der Ukraine.

Dieser Artikel erschien erstmalig am 9. März 2022 auf Mises.de, der Website des Mises Instituts Deutschland, und ist dort auch als Podcast abrufbar.

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