Die bucklige Schwester der Zensur

Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.

Als im Mai ein paar wohl situierte junge Menschen auf Sylt eine böse Melodie mit einem bösen Text trällerten und teilweise sogar justiziable Gesten zum Besten gaben, stand die Republik still. Bundeskanzler Scholz fand das Ganze „eklig“, die Bundesregierung zeigte sich „schockiert“ und die Deutsche Bahn wollte nicht mehr in Fahrtrichtung rechts aussteigen. Anschließend gab es Mahnwachen, während das Qualitätsmedium Funk seinen Beitragszahlern erklärte, wie man einen bösen Ohrwurm los wird. Zum Beispiel mit Kaugummikauen. Haben Sie’s gewusst?

Fast die gesamte Politelite fühlte sich genötigt, sich aufgrund dieses Vorfalls zu äußern. Offenkundig funktionierten die politisch korrekten Beißreflexe. Die Tatsache, dass Jugendliche (fragen Sie den Autor ob seiner Jugend!) teilweise per se das Verbotene lieben, den Tabubruch und die Reibung mit der Erwachsenenwelt suchen, verkennt diese Politelite bis zu dem Moment, wenn wieder einmal eine 8-Jährige auf dem Schulhof vergewaltigt wird. Da ist die Chance hoch, dass der eine oder andere, der die Feier-Sylter so scharf verurteilte, Verständnis für die womöglich schwierige Geschichte des Vergewaltigers hat.

Politische Korrektheit ist die bucklige Schwester der Zensur. Doch sie kommt geschmeidiger daher, da sie zunächst nicht den Gesetzgeber, sondern moralische Befindlichkeiten auf ihrer Seite hat. Sie teilen ein in „gut“ und „schlecht“. Und wenn du Schlechtes tust, wie eine schlechte Melodie mit einem schlechten Text summst, dann bist du ein schlechter Mensch. Gleiches gilt für schlechte Literatur.

Ein 100 Jahre altes Werk aus Belgien? Ernsthaft?

Ein Keim der rassistischen und damit politisch inkorrekten Literatur bietet der Comicmacher Hergé. Und in der Tat kann man Georges Prosper Remi nicht vorwerfen, besonders progressiv gewesen zu sein. Aufgewachsen in einem konservativen und katholischen Elternhaus erschien in einer rechten, religiösen Zeitung der erste Band einer Serie, die den Belgier weltberühmt machen würde: „Tim im Lande der Sowjets“.

Die Aktivistin Noah Sow, die das Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ schrieb, das mir dankenswerterweise und natürlich als Wink mit dem Zaunpfahl einst zum Geburtstag geschenkt wurde, ist der Meinung, dass „Tim im Kongo“ ein rassistisches Werk ist. So scheint Frau Sow eine insgesamt sehr heiße Spur zu verfolgen: „Die meisten Comic-Darstellungen Schwarzer Menschen hierzulande sind so platt und überzogen, dass sie gar nicht erst als Personen zeigen, sondern als austauschbare Fratzen mit Wulstlippen.“

Frau Sow macht hier das, was sie in ihrem ganzen Buch tut und was sie offenkundig recht gut kann: Propaganda mit Framing. Sie spricht von „Comic-Darstellungen hierzulande“ und nimmt ein Werk aus Belgien, also wohl nicht „hierzulande“, das fast 100 Jahre alt ist. Im Jahr 1930 veröffentlichte Hergé das Comic, damals noch in Schwarz-Weiß. Stereotype mögen damals ausgeprägter gewesen sein, aber die Frage stellt sich: Warum nimmt Frau Sow ein 100 Jahre altes Werk aus Belgien zur Hand, wenn sie doch über Rassismus in Deutschland schreibt?

Akademisierte Debatten 

Immer wieder referenziert Sow auf den Kolonialismus. Weiße Menschen seien zivilisiert, menschlicher und schlicht den Schwarzen überlegen. Was stimmt, ist, dass die belgische Geschichte im Kongo alles andere als rühmlich war. Infolge der extremen Ausbeutung starben über mehrere Jahrzehnte und bis zur Unabhängigkeit 1960 Millionen Kongolesen. Dies ist zu verurteilen und mit Sicherheit verkitscht Hergé die belgische Kolonialgeschichte. Hier sei noch mal auf den Zeithorizont verwiesen und auf die Tatsache, dass ein Comic keine Aufklärungsbroschüre ist und auch keine historische Abhandlung, sondern ein Unterhaltungswerk.

Hinzu kommt etwas, was gerade die Anhänger der postkolonialen Studien nicht gerne hören. Wenn Sow den Belgiern vorwirft, sie würden von Hergé als „zivilisiert“ und überlegen dargestellt, so muss man sagen, dass die Belgier den Kongolesen in Sachen Zivilisation auch überlegen waren. Wie sie diese Überlegenheit genutzt haben, muss man kritisieren. De facto brachten die Kolonialherren eine Menge an Wissen auf den Kontinent, das die Afrikaner ohne den europäischen Einfluss nie hätten erreichen können.

Auch hier schlägt das Pendel der politischen Korrektheit über das Ziel hinaus. Statt echte Rassismen in der Gesellschaft zu bekämpfen, die es zweifelsohne gibt, akademisiert man die Debatte und abstrahiert sie in den pseudo-intellektuellen Elfenbeinturm. Am Ende hilft die Tatsache, wie schrecklich rassistisch „Tim im Kongo“ ist, keinem Schwarzen, der von Neonazis verprügelt wird. Die haben sehr wahrscheinlich weder Noah Sow noch Tim und Struppi gelesen.

Auf dem Holzweg

Doch nicht nur Hergé, auch Die drei ??? stecken offenbar voll von Fremdenhass. Diesen Rassismus bezeichnet Noah Sow sogar als „gefährlich“, weil „versteckt“. Doch was sie damit meint, lassen wir uns von der Aktivistin selbst erklären: „Die drei ??? sind alle Weiße! Woher ich das wissen will, wo sie ja in den Hörspielen nicht zu sehen sind und ihr Weißsein auch nie thematisiert wird? Die Antwort geben diese Zitate aus Die-drei-???-Folgen, die heute noch vertrieben werden.“

Es folgen verschiedene Zitate, bei denen betont wird, dass ein Protagonist „dunkle Haut“ hat, wahlweise „Schlitzaugen“ oder „dunkelhäutig“ ist. Sicherlich wird man heute das Wort „Schlitzaugen“ nicht mehr verwenden, doch auch hier darf auf die Zeit verwiesen werden. Das Buch der Folge „Der lachende Schatten“, eine sehr lohnenswerte Folge übrigens, erschien 1965. Heute gibt es mehr als 200 Bücher und Hörspiele, aber auch die alten, da hat Frau Sow recht, werden heute noch vertrieben.

Zunächst möchte ich aber das Hauptproblem, das Frau Sow umtreibt, die anscheinend keine tieferen Kenntnisse der Detektive aus Rocky Beach aufweist, ansprechen. Woher weiß man denn, dass Die drei ??? weiß sind? Jenseits der völlig korrekten Aussage der Aktivistin, dass man bei Hörspielen die Gesichter nicht sieht, gibt es ja noch die Cover, die bis zu ihrem Tod die Künstlerin Aiga Rasch anfertigte.

Hier wären einige Illustrationen zu nennen, aus denen hervorgeht, dass Die drei ??? weiß sind. In „Der Doppelgänger“ sieht man Justus Jonas mit seinem vermeintlichen Ebenbild. In „Verdeckte Fouls“ sieht man den Cousin von Justus, der ebenfalls weiß dargestellt wird. Gut, die Chance besteht, dass er theoretisch auch schwarz sein könnte, aber die Wahrscheinlichkeit ist gering. Noch deutlicher wird es bei dem Ableger für Kinder: „Die drei ??? Kids“. Da gibt es nun gar keinen Zweifel mehr. Und wenn ich Ihnen noch sage, welche Hautfarbe die jungen Schauspieler in den Kinofilmen haben, dann wissen Sie Bescheid: Frau Sow ist auf dem Holzweg.

Genügt eine seelische Reformation? 

Es ist schon absurd. Aktivistinnen wie sie, die selbst schwarz ist, reden am allermeisten über Hautfarben. Ehrlich gesagt ist es völlig egal, ob Die drei ??? schwarz sind. Sie sind es nun mal nicht. Es gibt genügend schwarze Literatur, schwarze Helden, schwarze Antihelden. Und wenn es noch nicht genug gibt, kann sich Frau Sow ja mal an einem Roman versuchen. Ihre Fähigkeit zum Fiktionalen hat sie mit „Deutschland Schwarz Weiß“ bereits unter Beweis gestellt.

Das Schlimme an diesen beiden Fällen, Tim und Struppi und Die drei ???, ist weniger ihr absurder Charakter. Es ist der Herrschaftsanspruch, der dahintersteckt. Wenn Frau Sow kritisiert, dass solche Werke auch heute noch vertrieben werden, dann würde sie diese auch am liebsten abschaffen. Was in Teilen ja auch heute der Fall ist. Ob Jim Knopf oder Pipi Langstrumpf: Alles scheint eine Gefahr für die zarten Kinderseelen zu sein, vor denen man sie zu schützen hat.

Doch es bleibt, wie es ist: Die politische Korrektheit ist die bucklige Schwester der Zensur. Während in Sylt gerade noch mal die Machtergreifung der armanibeschuhten Schnösel verhindert wurde, ist man bei anderen Randgruppen nicht so zimperlich. An manchen Universitäten trauen sich Juden nicht mehr, sich öffentlich als Juden zu zeigen, weil die sogenannten propalästinensischen Demos ein veritables Gewaltpotential ausdrücken. Deutsche Universitäten auch: Eine Hochschule versucht gerade einen Studenten zu exmatrikulieren, der auch in Sylt dabei war.

Die politische Korrektheit kennt keine Prioritäten. Sie kennt nur Macht. Die Frage bleibt, ob eine seelische Reformation ausreicht, sich dem Moloch der Gesinnungshüter zu entziehen, oder ob erst schlimme Dinge passieren müssen, bis die politische Elite reagiert und die müde Masse ihre Souveränität wieder erkennt.

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