Die kritische Masse der Corona-Waldgänger steht vor dem Ernstfall. Die Politik aber noch mehr. Wie kann der einzelne in Zeiten existentieller Bedrohung die eigene Freiheit gegen die Welt verteidigen?
Man begegnet ihnen in der Schweiz als «Freiheitstrychler», als «Freunde der Verfassung» oder als Mitglieder von «Massvoll!». In Deutschland sind sie «Querdenker» und «Montagsspaziergänger». Für Medien und Politik sind sie seit Pandemiebeginn einfach nur «Radikale, Extremisten, Rechte und Esoteriker».
Gesichert ist bei all diesen Etikettierungen wie immer nur wenig – außer vielleicht eines: Maßnahmenkritiker und Covid-Impfgegner sind kein monolithischer Block. Sie stellen einen Querschnitt durch die Gesellschaft dar. Und sie werden mehr, je länger die Pandemie andauert. So mancher würde sich wundern, hinter welcher brav-bürgerlichen Fassade noch eine Freiheitsglut lodert und nur auf etwas Wind wartet, um wieder aufzuflammen.
Und dennoch: in den Kreisen der Maßnahmenkritiker begegnet einem am ehesten ein bestimmter Charakter-Typus. Es sind Menschen, die unter keinen Umständen bereit sind, ihre Freiheit aufzugeben. Es sind Menschen, die so verwachsen mit der Sehnsucht nach Leben, Wahrheit und Persönlichkeitsentfaltung sind, dass sie ihre gesamte Existenz für den Kampf um diese Werte zu opfern bereit wären. Sie bewerten das «So-sein» höher als das «Da-sein». Sie sind ungeimpft, unerschrocken, ungebrochen. Sie sind die Pariah von heute und zugleich schon Pfeiler einer Ordnung von morgen. Sie sind alte Unbeirrbare. Und neue Titanen auf Kindesbeinen. Sie sind: «Waldgänger».
Der «Waldgang»: ein Schlüsseltext
Diesem Typus Mensch hat der heute von vielen verfemte, deutsche Schriftsteller Ernst Jünger in einem gut 70 Jahre alten Text ein Denkmal gesetzt. Der Essay «Der Waldgang» ist ein Schlüsseltext auch für unsere Zeit. Ja, im Grunde jeder Zeit, die sich wie unsere auch gerade einer Zeitenwende oder einem Verfallsdatum nähert. Denn der Waldgänger ist eine wiederkehrende Erscheinung jeder Verfallszeit. So wie Hegels Eule der Minerva erst in der Dämmerung ihren Flug beginnt, so ist es der Waldgänger, der sich erst nach Einbruch der Dunkelheit manifestiert. Jünger sah in seiner Zeit einen aktiven Nihilismus am Werk, eine bewusste Umformung der Werte. Die Zeit der «neuen Normalität» wird nach gleichem Muster von oben verkündet, als unausweichliche Notwendigkeit in Form polit-planerischer Weitsicht und Herrschaftswissen. Doch dafür müssen die Planer erst noch an den Waldgängern vorbeikommen.
«Der Waldgang» ist eine Art Vademecum des Widerständlers. Es ist ein Trost-, Inspirations- und Mutmachbuch. Man kann es auch als Anleitung zum Widerstand lesen, als Handbuch aller, die sich seit dem von Dostojewski so verehrten, anti-zaristischen Publizisten und Kleinbürgerschreck, Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski, die Frage aller Fragen kritischer Geister stellen: «Was tun?». Der Text stammt ausgerechnet von einem Autor, der im Spiegel des zeitgenössischen Kulturbetriebs wohl den zweifelhaften Ehrentitel des «ältesten weißen Mannes» bekäme. Doch auch wer in Jünger nur einen Militaristen und Reaktionär sehen will, wird sich diesem Text kaum entziehen können. Wahre Worte müssen nicht aus der Feder eines offenen Widerständlers stammen, um bis heute Gültigkeit und Strahlkraft zu besitzen.
Wenn Institutionen anrüchig werden, beginnt der Machtwechsel
Ob wir heute in vordiktatorischen, autoritären oder neo-totalitären Zeiten leben, werden vielleicht erst Historiker ex post richtig einordnen können. In Zeiten, die Waldgänger hervorbringen, ist auf akademische und offizielle Würdenträger, also auf Juristen, Politiker, Journalisten, Kleriker und sonstige offizielle Bannerträger irgendeiner Institution ohnehin kein Verlass mehr. Man kann nun mehr Wahrheit in einem Gedicht, einem Lied oder Wandgraffito finden, als in Lehrbüchern des Staatsrechts.
Es ist die Zeit des schleichenden Übergangs der Herrschaft, eines Machtwechsels weg von der Politik und hin zu denen, welchen die Maßstäbe menschlichen Handelns erhalten geblieben sind – weil sie durch keine Übermacht zum Verzicht auf menschliches Handeln gebracht werden konnten. Es ist ein Spiel der Kräfte zwischen der institutionellen Macht und der ideellen, freischwebenden Macht, eine Art Mobile, mit einer Machterosion auf der einen und einem Machtgewinn auf der anderen Seite:
«Wenn alle Institutionen zweifelhaft oder sogar anrüchig werden (…) dann geht die sittliche Verantwortung auf den Einzelnen über oder, besser gesagt, auf den noch ungebrochenen Einzelnen.»
Bisher mag es nur eine Minderheit sein, welche sich durch diese Zeit herausgefordert fühlt, monströs erscheinende Schlüsse zu ziehen. Haben wir eine Covid-Diktatur, ausgehend von einem Konglomerat demokratisch nicht gewählter Governance-Strukturen, Großkonzernen und Philanthrokapitalisten – mit dem Mainstream-Journalismus als Steigbügelhalter? Fakt ist nur: nichts mögen die Parteigänger des Covid-Regiments weniger, als wenn man sie des Diktatorischen bezichtigt. Zu gerne wären sie bei den Guten. Dabei gäbe es einen einfachen Weg, diesen Vorwurf aus der Welt zu schaffen: Man könnte sich zur Abwechslung mal aufführen, wie in einem demokratischen Rechtsstaat. Jünger wusste:
«In ihrem Aufstieg leben Diktatoren zum großen Teile davon, dass man ihre Hieroglyphen noch nicht entziffern kann.»
«Der Kranke, und nicht der Arzt, ist Souverän»
Der Waldgänger ist immer unzeitgemäß, er muss es denklogisch sein. Doch anders als das Wort vermuten lassen mag, hat diese Figur nichts mit dem Eremiten oder Eskapisten zu tun. Der Wald ist kein Ort, sondern ein unerbittlicher, freiheitlicher und oppositioneller Gedankenzustand. Der Waldgänger sieht der Gefahr ins Auge und geht in die Angst hinein. Er mag sich tarnen und sollte das vielleicht auch; Jünger plädiert immer wieder dafür, sich davor zu hüten, auf irgendwelchen Listen zu erscheinen.
Hellsichtig betont er dies sogar im medizinischen Kontext, in Konstellationen der Erhebungen und Zählungen, der Untersuchungen und Impfungen. Man hüte sich davor, zu viele Informationen von sich preiszugeben, selbst in der vertraulichen Beziehung zum Arzt. Man bleibe stets gegenüber jeder Autorität skeptisch: «Der Kranke, und nicht der Arzt, ist Souverän». Man wisse zudem nie, in welchem Kontext privateste Informationen wieder auftauchen könnten. In der Rückschau war Jünger vielleicht der erste Gesundheitsdatenparanoiker der Neuzeit. Dabei passen seine warnenden Aussagen von damals wie die Kanüle auf die Impfspritze von heute:
«Verdächtig und im höchsten Maße zur Vorsicht mahnend ist der immer größere Einfluss, den der Staat auf den Gesundheitsbetrieb zu nehmen beginnt, meist unter sozialen Vorwänden. Dazu kommt, dass infolge weitgehender Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht bei allen Konsultationen Misstrauen zu empfehlen ist. Man weiss doch nie, in welche Statistik man eingetragen wird, und zwar nicht nur bei den Medizinalstellen. All diese Heilbetriebe mit angestellten und schlecht bezahlten Ärzten, deren Kuren durch die Bürokratie überwacht werden, sind verdächtig und können sich über Nacht beängstigend verwandeln, nicht nur im Kriegsfalle. Dass dann die musterhaft geführten Kartotheken wieder die Unterlagen liefern, auf Grund deren man interniert, kastriert oder liquidiert werden kann, ist zum mindesten nicht unmöglich.»
Jünger vertraut in dunklen Zeiten keiner Institution mehr außer der Herrschaft des Selbst. Er zieht dem Rechtsgläubigen den Zahn der Naivität. Man müsse mit Verfassungsbrüchen am laufenden Band rechnen, mit dem Monstrum des legalen Unrechts, ja mit verfassungsverändernden Mehrheitsentscheidungen sowie mit der Ignoranz der vielen gegenüber diesen Mechanismen. Der Einzelne ist in einem solchen Zustand auf sich selbst zurückgeworfen, er ist auf das wackelige Terrain der Selbstbehauptung und Eigenverantwortung versetzt, auf welchem sich Legitimität nur noch aus höheren Sphären, wie dem Naturrecht und der nach bester Urteilsfindung verantwortbaren Gewissensentscheidung ergeben kann.
Dies ist eine vom Autor persönlich genehmigte Zweitverwertung. Der Text erschien im Original auf dem Blog „Freischwebende Intelligenz” des Autors.
1 Kommentar. Leave new
DAS hat aber auch mit dem herrschenden politischen System zu tun. ICH habe mich von diesem System gelöst.
Das kann aber nur, wer die Nachteile, scheinbaren Nachteile, in kauf nimmt. Und natürlich eine relative Unabhängigkeit hat. Wer vom ‚Broterwerb‘ abhängig ist, und eine Familie ernähren muß, und dazu noch Arbeitnehmer ist, hat es natürlich schwer sich vom bestehenden System zu abzunabeln.
Das darf aber niemanden daran hindern, sich politisch zu informieren. Damit meine ich nicht die derzeitige Politik, sondern wie es dazu gekommen ist.
‚Man‘ kann sich schon mal gedanken machen, warum das Deutsche Reich KEIN Staat ist, IST! Und die Folgen daraus: Weimar -(durch Versailles) eine Treuhand. Die Diktatur des ‚Dritten Reich‘ – daraus entstanden. Die Bundesrepublik VON Deutschland – eine Treuhand der Besatzer/ Sieger (nur eine weitere Folge der Weimarer).
Gruß Karl.