Nach der Finanzkrise 2008 gerieten mehrere südeuropäische Länder, allen voran Griechenland, in eine bis dato nie dagewesene Schuldenkrise. Um die Zahlungsfähigkeit dieser Länder vorgeblich zu sichern, beschloss die EU milliardenschwere Hilfsprogramme auf Kosten der Steuerzahler, an denen auch Deutschland maßgeblich beteiligt war. Diese Programme wurden von der Bundesregierung unter Angela Merkel mitgetragen, fanden aber nicht in allen Reihen von CDU/CSU Zustimmung.
Neben Wolfgang Bosbach und Klaus-Peter Willsch aus den Reihen der Christdemokraten regte sich auch in der CSU in persona von Peter Gauweiler und Norbert Geis erheblicher Widerstand. Ihr Argument war klar: Die Euro-Rettungspakete waren ein offener Vertragsbruch und der Beginn einer schleichenden Transferunion. Die No-Bailout-Klausel des Maastricht-Vertrags wurde ignoriert. Statt Eigenverantwortung durften Pleitestaaten munter weitermachen, während Deutschland zur Dauerzahlstelle Europas wurde. Statt notwendiger Reformen gab es Milliardenhilfen, die nicht die Ursachen der Krise bekämpften, sondern marode Haushalte künstlich am Leben hielten. Ein Freifahrtschein für Schuldenmacher – bezahlt von den Steuerzahlern der stabilen Länder.
In diesen Tagen tagen Union, SPD und skurrilerweise auch die Grünen, um eine schwarz-rote Regierung möglich zu machen. Was die Partei um Robert Habeck am Verhandlungstisch zu suchen hat, bleibt ein Geheimnis und ist nur damit zu erklären, dass man am liebsten alles mit den Grünen machen will, koste es, was es wolle. Wobei der Unterschied auch ohne Baerbock und Co. marginal zu sein scheint, übernehmen doch die beiden anderen Parteien willfährig grüne Forderungen.
„Lieber bequeme Schulden als unbequeme Reformen“
In einer beeindruckenden Kehrtwende beweist nun Friedrich Merz, wie simpel seine Versprechen vor der Wahl nach der Wahl auf Kosten der Glaubwürdigkeit ausgehebelt werden. Zunächst behauptete der Sauerländer keine 24 Stunden nach der Wahl, er hätte nie die Absicht gehabt, die Grenzen zu schließen, obgleich er und sein Kader im Wahlkampf Gegenteiliges verlauten ließen. Und nun sieht es danach aus, dass er die Schuldenbremse ausweiten will, vorgeblich um die Ukraine in einem ausweglosen Krieg zu unterstützen – eine Unterstützung, die die USA nach einer denkwürdigen Pressekonferenz mit Selenskyj vorerst einstellt.
Doch sogar in der Union, die immer, wenn das Kanzleramt winkt, eine erschröckliche Burgfrieden-Mentalität ausruft, regt sich Widerstand. „Aus Sicht der jungen Generation ist das ein harter Schlag für Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei Staatsfinanzen, weil die Botschaft ist: Lieber bequeme Schulden als unbequeme Reformen“, sagte der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, gegenüber dem Tagesspiegel. So ist der Politiker der Ansicht, dass dies eine krasse Niederlage für die Union gleich zu Beginn der Verhandlungen mit der SPD sei, da es seitens der Sozialdemokraten keine Gegenleistung gegeben hätte. „Die Union muss bei Migration, Wirtschaft, auch bei der Rente nun liefern“, fordert der JU-Chef.
Schulden machen first – Bedenken second
Ein weiterer Schuldenbremsen-Rebell scheint auch der CDU-Politiker Thomas Heilmann zu sein. Der Jurist hat kraft seiner Profession verfassungsrechtliche Bedenken. Gegenüber The Pioneer bezeichnet er das beschleunigte Verfahren zur Grundgesetzänderung, was Sondervermögen und Schuldenbremse angeht, als „juristisch fragwürdig“ und „verfassungsrechtlich sehr gefährlich“. Sein Hauptgrund zur Kritik ist – was man auch aus der sogenannten Euro-Rettung kannte – die Tatsache, dass die Beratungszeit zu kurz für eine durchdachte Entscheidung ist.
Zwar stimmt es, dass das Grundgesetz in Artikel 76 die Möglichkeit vorsieht, Beratungszeiten von Bundestag und Bundesrat zu verkürzen – doch nur, wenn die Regierungsvorlage „ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet“ werden kann. Dies sieht der Jurist Heilmann nicht, da der aktuelle Bundestag höchstens bis zum 25. März über ein vollständiges Mandat verfügt. Daher sei eine „maximal mögliche Beratungsdauer“ ohne Probleme realisierbar.
Anders gesagt: Das Vorhaben der möglichen künftigen schwarz-roten Koalition versucht, den alten Bundestag dahingehend zu missbrauchen, dass er auf die Schnelle Schulden über Jahre auf Kosten der jungen Generation macht, obwohl der neue Bundestag bereits legitimiert ist und mit dem aktuellen Mandat des Souveräns diese Entscheidung in Ruhe abwägen und prüfen könnte. Diese himmelschreiende Dreistigkeit am Wählerwillen vorbei – denn im neuen Bundestag gäbe es eine oppositionelle Sperrminorität, was grundgesetzliche Änderungen angeht – zeigt einmal mehr die kaum erträgliche Abgehobenheit der Herrschenden. Alles ist möglich, was im ersten Moment legal erscheint. Schulden machen first – Bedenken second.
Die Union regiert zielsicher am Volk vorbei
Seichte Kritik kommt auch vom ehemaligen Euro-Rebellen Wolfgang Bosbach. Doch der CDU-Politiker hat längst kein Amt mehr. Die Union-Rebellchen sind wie ein Papiertiger im Zeitalter der Digitalisierung. Ihre Kritik ist zwar korrekt, aber zu wenig, zu spät, zu leise und zu zaghaft. Merz scheint mit Dobrindt, Klingbeil und – Gott weiß warum – mit Dröge und Haßelmann unter allen Umständen demokratiefeindliche Tatsachen schaffen zu wollen. Damit bleibt die Union das, was sie immer war: ein Kanzlerwahlverein, dessen einziges Ziel er selbst ist – seine Posten, seine Limousine mit Fahrer, seine Macht und sein Ressort.
Dabei handelt Friedrich Merz im Kern nicht anders als sein verhasster Vorgänger Angela Merkel. Merkel war bekannt dafür, dass ihre Politik so gut wie ausschließlich an aktuellen Umfragen festzumachen war. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der ARD halten 68 Prozent der Unionswähler es für richtig, wenn Deutschland „deutlich mehr Schulden“ aufnimmt. Spätestens damit tritt Friedrich Merz in die Fußstapfen der Frau, die ihn einst politisch kaltgestellt hat. Das muss man sich mal vorstellen.
Und so hatten die Euro-Rebellen ebenso wenig Erfolg, was die sogenannte Griechenland-Rettung anging, wie die Union-Rebellchen auch keinen Erfolg haben werden, was die Schuldenbremse angeht. Eines kann sich der geneigte Unionswähler sicher sein: Verlässt man sich auf CDU oder CSU, dann ist die Chance hoch, verlassen zu werden.
Angesichts der innenpolitischen, aber vor allem der außenpolitischen Herausforderungen ist das Vorgehen von Friedrich Merz zutiefst toxisch. Diese Regierung – sofern sie überhaupt zustande kommt – wird es schwer haben. Denn sie regiert zielsicher am Volk vorbei. Und am Ende des Tages, bei der nächsten Wahl, die möglicherweise früher kommt als in vier Jahren, braucht sich keiner zu wundern, wenn die politischen Ränder noch stärker werden.