Eine Zensur findet (nicht) statt

Die heutige Überschrift ist Artikel 5, Absatz 1, Satz 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland entnommen – allerdings ist das „nicht“ dort nicht in Klammern gesetzt. Und natürlich ist es nicht so, dass man heute seine Schriftbeiträge vor Veröffentlichung den Behörden vorzulegen hätte, was Zensur im engeren Sinne bedeutet. 

Aber im weiteren Sinne bedeutet Zensur die Unterdrückung von missliebigen politischen Meinungen beziehungsweise die Unterdrückung von missliebigen Theorien oder wissenschaftlichen Methoden, die gesellschaftliche Verbreitung bekommen könnten und somit politische Auswirkungen nach sich ziehen würden, wie etwa die Handlungslogik des herausragenden österreichischen Ökonomen und Sozialphilosophen Ludwig von Mises (1881 – 1973).

Zensur heute

Die Möglichkeiten der Unterdrückung missliebiger Meinungen oder Theorien sind vielfältig. Sie reichen von subtilen Methoden wie ignorieren oder ausblenden bis hin zu Cancel Culture, Shadow Banning, sogenanntem „Faktenchecken“, Deplatforming, dem Abspenstigmachen von Werbekunden, Schmierenkampagnen und Lawfare, also zu Deutsch etwa „juristische Kriegsführung“. Bei Letzterem wird straf- oder zivilrechtlich gegen den Missliebigen vorgegangen – oder ein Medium wird schlicht verboten. Damit sind natürlich nicht die Fälle gemeint, in denen eine offenkundige Verleumdung oder Anstiftung zu einer Straftat oder dergleichen juristisch geahndet werden, sondern solche Fälle, in denen so mancher – auch und gerade Jurist – den Eindruck gewinnt, dass Normen, die zwar prinzipiell auslegungsbedürftig und -fähig sind, für einen außerjuristischen, politischen Zweck zurechtgebogen werden.

Der Aufwand, der betrieben wird, um den „Kampf um die öffentliche Meinung“ zu gewinnen, ist enorm. Dieser Kampf wird ausgetragen in Kitas, Schulen und Universitäten, in Rundfunk, Fernsehen und Internet, in Spielfilmen und Talkshows, bei Familien-Kaffeekränzchen und Kneipen-Stammtischen und so weiter. Es ist ein Spiel, bei dem Milliarden Euro eingesetzt werden, weil es Milliarden Euro zu gewinnen – und zu verlieren – gibt. Menschen werden, wie Immanuel Kant (1724 – 1804) sich ausdrückte, in den geistigen „Gängelwagen“ gesperrt, ihnen werden falsche „Vorurteile eingepflanzt“.

Aufklärung und Zensur

Mit Zensur hatte es auch Immanuel Kant zu tun, der oftmals „zwischen den Zeilen“ schreiben musste. Als Aufklärer war er ein Verfechter der Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung. In seiner berühmten Schrift von 1784 „Was ist Aufklärung“, schrieb Kant: 

„Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“

Und schon zu Kants Zeit war diese Freiheit eingeschränkt. Der Finanzrat sage, so Kant sinngemäß, man solle nicht vernünftig Schlüsse ziehen und urteilen, sondern bezahlen, und die Priester sagten, man solle nicht selbst denken, sondern glauben. 

Auch heute sollen die Menschen glauben, statt kritisch zu hinterfragen. „Folgen Sie der Wissenschaft“, heißt es, oder „hören Sie auf die Experten“ oder „vertrauen Sie den amtlichen Quellen“. Die Experten aus Wissenschaftssparten, die sich mit dem persönlichen Interpretieren von komplexen, nicht-wiederholbaren historischen Phänomenen (z. B. das Erdklima oder der Verlauf von Krankheitswellen) beschäftigen, verbreiten heute Glaubenssätze, deren Kritiker als Schwurbler oder Leugner verunglimpft werden. Zu dieser neuen „Priesterschaft der Intellektuellen“ (Helmut Schelsky, 1912 – 1984) gehören aber auch diejenigen Volkswirte und Historiker, Politologen, Psychologen und Soziologen, also ebenfalls mit komplexen, historischen Phänomenen befasste „Experten“, die ständig mit ihren subjektiven Interpretationen innerhalb ihres Fachbereichs Pseudo-Legitimierungen für den Einsatz von Zwang gegen friedliche Menschen liefern. „Der Geistliche sagt: räsoniert nicht, sondern glaubt!“, so Kant.

„Hier ist überall Einschränkung der Freiheit“, schrieb Kant. „Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich, welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter den Menschen zustande bringen;“

Die Hervorhebung ist im Original, Kant ging es also gerade um den öffentlichen Gebrauch der Vernunft. Wenn die herrschende Meinung verewigt würde, so Kant sinngemäß, wäre alle weitere Aufklärung für immer ausgeschlossen. Man würde sich darauf verschwören, dass es unmöglich werden muss, seine „Erkenntnisse zu erweitern und von Irrtümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiterzukommen“. Kant wird hier sehr deutlich: „Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur.“ Die Nachkommen seien, so Kant ausdrücklich in Bezug auf die Religion, aber sinngemäß auch im Hinblick auf andere Einstellungen und Überzeugungen, stets „vollkommen dazu berechtigt“, die überlieferten Glaubenssätze zu verwerfen.

Liberalismus und Meinungsäußerungsfreiheit

Ludwig von Mises schrieb in seinem Buch Die Gemeinwirtschaft (2. Aufl. 1932, S. 166 ff.): „Weil sie Frieden will, fordert die liberale Politik Duldsamkeit gegen jede fremde Meinung.“ Der schöpferische Geist sei ein „Neuerer“, er müsse sich durchringen und durchsetzen, „muss das Alte zertrümmern und Neues an seine Stelle setzen“. Eine Verstaatlichung des geistigen Lebens mache jeden geistigen Fortschritt unmöglich, so Mises sinngemäß. In seiner Gemeinwirtschaft sah Mises vor allem wirtschaftliche Gründe, wieso sich neue Ideen nicht durchsetzen könnten, neben dem Zeitaufwand vor allem die Kosten der Publikation, aber auch die wirtschaftliche Überlegenheit des Staates, der seine Propaganda, also die „offiziellen Richtungen“ zu denken, auf jede Weise fördern könnte und das Neue unterbinden. „Keine Zensur“, so Mises, „kein Kaiser und kein Pabst haben je die Macht zur Unterdrückung der geistigen Freiheit gehabt“, die ein sozialistischer Staat habe.

Heute minimiert der technologische und wirtschaftliche Fortschritt die Kosten für die Publikation neuer Ideen – oder die Wiederauflage in Vergessenheit geratener. Zwar ist es so, dass die Staaten über gigantische Summen und Einrichtungen verfügen, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu hegen. Zudem verfügen die Sonderinteressengruppen, wie beispielsweise die Pharmaindustrie oder der Militärisch-industrielle-Komplex, die staatliche Interventionen zu ihren Gunsten propagieren, über beträchtliche finanzielle Mittel. Aber dennoch gibt es Blogs, Medienportale, X, YouTuber, Influencer und so weiter, und hier und dort gedeihen die zarten Pflänzlein der Ideen des Libertarismus; in einigen Ländern langsamer, in anderen schneller, wie beispielsweise in Argentinien, wo ein bekennender Anarchokapitalist ins Präsidentenamt gewählt wurde, ohne dass der Staat oder die Alt-Medien dies verhindern konnten.

Letztlich hat auch die Zensur den Fortschritt neuer Ideen nicht verhindern können, so Mises sinngemäß in Theorie und Geschichte (1957, deutsche Fassung von 2014, S. 339). Die Philosophen der Aufklärung seien fast einmütig gewesen in ihrer Ablehnung des erblichen Königtums. „Die königliche Polizei zwang sie dazu, vorsichtig in der Äußerung ihrer Ideen zu sein, aber das Publikum konnte zwischen den Zeilen lesen. Am Vorabend der amerikanischen oder französischen Revolutionen hatte die Monarchie ihren uralten Rückhalt in der Denkweise der Menschen verloren.“

Schlussbetrachtung und Ausblick

Es ist es wichtig, zu bedenken, dass der klassische Liberalismus oder Libertarismus keine Ideologie ist, wie etwa Sozialdemokratie, Sozialismus oder Faschismus. 

„Der Liberalismus ist keine abgeschlossene Lehre“, so Mises in Liberalismus (1927, S. 3), „er ist kein starres Dogma; er ist das Gegenteil von all dem: er ist die Anwendung der Lehren der Wissenschaft auf das gesellschaftliche Leben der Menschen.“

Der Libertarismus ist somit wesentlicher Bestandteil der Aufklärung, ist die Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Handlungslogik auf die menschliche Gesellschaft. Dieser klassische Liberalismus ist die Anwendung der praxeologischen Erkenntnis, wie Menschen nach universellen Prinzipien friedlich und freundlich unter wechselseitiger Zunahme des Wohlstandes kooperieren und zusammenleben können. Wie Menschen eine friedliche Gesellschaft bilden können, ohne dass willkürlicher institutionalisierter und systematischer Zwang und Gewalt gegen friedliche Menschen die Gesellschaft in einen Gewalterlebnispark verwandeln, in dem es immer wieder zu Krisen und Kriegen kommt.

Auch wenn die Obrigkeit die Menschen zwingt, „vorsichtig in der Äußerung ihrer Ideen“ zu sein, das Publikum kann lernen, „zwischen den Zeilen zu lesen“. 

Referenzen / weiterführend:

Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? – zu Immanuel Kants 218. Todestag (Andreas Tiedtke)

Der Kompass zum lebendigen Leben (Andreas Tiedtke)

Beitrag teilen …

Der nächste Gang …

Wolfgang Herles Blog

Na Servus! – Das war der April 25

Blog El Observador

Wird Lügen im Internet bald strafbar?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fill out this field
Fill out this field
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
You need to agree with the terms to proceed

Autoren