#EndTheECB

Warum ich die Zentralbank verachte. Und warum Sie das auch tun sollten …

Hi, ich bin Cassy. Höchstwahrscheinlich kennen Sie mich nicht. Das ist nicht schlimm, sondern normal. Über sieben Milliarden anderen Menschen geht es ebenso. Die allermeisten davon kommen hervorragend ohne mich klar und umgekehrt. Und wenn sie es nicht tun, könnte ich den allermeisten davon genauso wenig helfen wie sie mir. 

Ich bin niemand. Und das ist okay so. Weder bekleide ich ein politisches Amt noch stehe ich abseits privater Social-Media-Posts in der Öffentlichkeit, noch hätte ich irgendeine Expertise, die Sie dazu bewegen sollte, mir Gehör zu schenken. Das alles bin ich nicht. Es obliegt Ihnen, ob Sie mir zuhören möchten oder nicht. 

Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass Sie und ich irgendeine oder mehrere weltanschauliche Gemeinsamkeiten haben, ist nicht besonders gering. Schließlich muss Sie irgendein letztlich meist gar nicht so zufälliger Zufall auf genau den Text gestoßen haben, den Sie gerade lesen. Häufig sind diese Gründe algorithmisch bedingt. Womöglich aber haben wir mit gar nicht mal geringer Wahrscheinlichkeit ziemlich unterschiedliche Lebensrealitäten und ich möchte diese Lebensrealitäten gerne evaluieren, da ich beabsichtige, Sie zu der Conclusio zu führen, dass wir ganz unabhängig von deren Verschiedenheit wahrscheinlich ein gemeinsames Problem haben. 

Hierfür muss ich etwas Kontext bereitstellen. Sollten Sie diesen bereits kennen, entschuldige ich mich für die Trivialität, aber ich verspreche, dass mindestens neun von zehn Bürgern dieser Kontext so nicht oder nicht vollständig geläufig ist und gerade jene will ich eigentlich erreichen. 

Dies ist das erste Mal, dass ich einen Meinungsbeitrag schreibe, der einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird und die Länge von ein paar Tweets übersteigt. Sie sind sozusagen aktuell Versuchsobjekt und Rezensent zugleich. Bitte seien Sie nicht zu streng mit mir.

Da Sie nun einmal hier sind, so gestatten Sie mir doch bitte, mich vorzustellen, denn ich habe gelernt, dass dies gute Sitte sei und möchte, da sie mir einleuchtet, jener Sitte gerne Genüge tun. Allerdings möchte ich Sie mit keinem Ich-mag-oder-mag-nicht-Gedöns langweilen, denn wir sind ja hier nicht im Kindergarten, sondern Ihre Geduld auf andere Weise strapazieren. Indem ich einfach ein bisschen über mich erzähle. Üblicherweise mache ich das gar nicht so gerne, aber in diesem Falle erscheint es mir angemessen, damit Sie eine grobe Idee davon bekommen können, wer ich bin, warum ich denke, wie ich denke und aus welchen Motiven heraus ich schreibe, was ich schreibe. Wollen wir beginnen? Fein. Dann lassen Sie mich doch bitte eine Frage stellen …

Let’s go!

Achttausend Euro. Ist das viel oder wenig? 

Für die viele Leute klingt das erstmal nach einer Menge Geld. Aber ist es das wirklich? Achttausend Euro für ein Fahrrad ist ziemlich viel. Achttausend Euro für einen Neuwagen aber ist wieder ziemlich wenig. Ob eine Summe hoch oder niedrig erscheint, hängt davon ab, was man mit ihr anstellen will und wie die Gesamtsituation aussieht. In Burkina Faso oder Bangladesh dürften 8.000 Euro ziemlich viel sein, während man sie in Dubai oder Monaco eben auch schnell ausgegeben bekommt. 

Ob ein Produkt oder eine Dienstleistung teuer wirkt, hängt kaum vom Betrag ab, den man dafür verlangt, sondern vom Kontext. Der Kontext entscheidet darüber, wie bereit man ist, jene Summe zu bezahlen. Die Erzählung vom vermeintlich wertlosen, aber im entsprechenden Kontext unbezahlbaren Glas Wasser in der Wüste dürfte bekannt sein. Und falls Sie sie nicht kannten – im Prinzip war das auch schon fast die ganze Erzählung. Selbsterklärend.

Dass ich gerade von 8.000 Euro spreche, hat einen Grund. Sonst hätte ich ja auch eine glattere Zahl wählen können. 1.000, 10.000 oder 100.000 Euro. Ich wählte aber 8.000 Euro, weil diese Summe mich verändert hat. Ich bin durch sie zu einem anderen Menschen geworden. Sie hat meine politischen Ansichten erschüttert und letztlich umgekehrt. Sie hat meine Vorstellungen von Gerechtigkeit verändert. Diese 8.000 Euro haben mich zu der Person gemacht, die ich heute bin.

Damals, ja damals …

Durch ihre Abwesenheit. Einfach, indem ich sie nicht hatte. Damals wäre ihr Impact auf mein Leben erheblich gewesen, heute weit weniger. Damals, das war 2009 oder 2010. Damals kam ich nach Deutschland zurück und begann meine Ausbildung. Damals war es sehr schwer für meine Eltern und mich, wieder zu einem friedfertigen Miteinander zu finden, als ich nach zwei Jahren im Ausland wieder in den elterlichen Haushalt einzog. Zuvor wollten sie mich gar nicht gehen lassen, aber damals, als ich wieder einzog, hat dies allen Beteiligten sehr schnell massiv gestunken. Mir, weil ich diesen Rückschritt vor allem als Verlust von Unabhängigkeit empfand, und meinen Eltern, weil sie anfangs ganz erhebliche Probleme hatten, mit meiner inzwischen deutlich klareren und in vielerlei Hinsicht einfach anderen Persönlichkeit zurecht zu kommen, welche mir in den vergangenen zwei Jahren gewachsen war.

Damals bekam ich eine Ausbildungsvergütung von 280 Euro monatlich. Wer auch immer mir erzählen will, dass man davon eine egal wie kleine Wohnung oder ein WG-Zimmer hätte mieten und einen eigenen Haushalt hätte führen sowie einem verbrecherisch schlechten Mobilitätskonzern, den man als Deutsche Bahn kennt, einen erheblichen Teil dieser 280 Euro für überteuerte Tickets gezwungenermaßen in den Rachen werfen können … Wer mir das erzählen will, der kann an genau dieser Stelle aufhören zu lesen und soll meinetwegen zur Hölle fahren. Ich habe ihm nichts zu sagen. 

Ob BAföG in seiner derzeitigen Ausgestaltung gesellschaftlich wirklich eine so gute Idee ist, wäre ein anderes ergiebiges Thema. Ich kann jedoch versprechen, dass es (vermutlich regional- und branchenabhängig) im Jahre 2009 Studenten bisweilen finanziell erheblich leichter hatten als Auszubildende, deren Pendant (BAB) restlos an jeder Realität vorbeilief. Ich habe keinen Grund zur Annahme, das sich dies inzwischen gebessert hätte, aber für meine heutige Lebensrealität wäre es nunmehr auch längst egal.

Damals war ich, so sehr es mir auch missfiel, erneut (oder noch immer, je nach Perspektive) auf meine Eltern angewiesen. Und weil wir in der Unterschicht echte Probleme kennen und wissen, dass Scheiße nicht gleich Scheiße ist, sondern in der Abstufung von Unannehmlichkeiten über Ärger sowie kleine, mittlere und große Katastrophen bis letztlich hin zur Privatinsolvenz oder Inhaftierung viele verschiedene Variationen in Konsistenz, Schmierigkeit und Gestank bestehen, haben wir das gemacht, was wir immer machen, wenn wir absolut keine Wahl haben: Wir haben uns mit der Situation arrangiert. Autoritäten wurden verschoben, Regeln des Miteinanders neu verhandelt. Neuer, gegenseitiger und ebenbürtiger Respekt erwuchs. Wir entwickelten wieder ein liebevolles Miteinander, aber zu behaupten, dies wäre für irgendeine Seite einfach oder irgendwie ein Selbstläufer gewesen, wäre haushoch gelogen.

Irgendwann war meine Ausbildung ja mal beendet. Bis dahin hatte ich wie jeder normale Mensch verschiedenste Momente durchlebt, die einfach nur zum Kotzen waren. Wer aber nicht bereits am Montag fluchend aufstehen muss, um zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes etwas zu tun, das er eigentlich hasst, der hat schonmal ein paar wesentliche Dinge verdammt richtig gemacht. 

In meinem Bundesland gab es mehrere Jahrgänge lang keine Person, welche die von mir so verhasste Institution Berufsschule mit einem besseren Abschlusszeugnis verließ als ich. Und weil ich eben ungefährdet bin, eine Tätigkeit gewählt zu haben, die überhaupt keinen meiner Interessen, Neigungen und Fähigkeiten entspricht, erhebe ich wenig überraschend den Anspruch, auch heute noch gut zu sein in dem, was ich tue. Wäre ich das nicht, würde ich etwas anderes machen. Meine Ausbildung also war beendet, endlich konnte man Geld verdienen und den eigenen Lebensunterhalt bestreiten, endlich wieder unabhängig sein. „Danke, Papa. Danke, Mama. Danke für eure Geduld und alles, was ihr mir beigebracht habt. Ich hab euch lieb. Aber ich muss jetzt wirklich gehen …“

Ich ging also. Diesmal wirklich. Aber etwas hatte sich verändert. Klar war man nochmal etwas gewachsen, etwas älter, etwas reifer, etwas sortierter. Insgesamt aber eine deutlich weniger intensive Persönlichkeitsentwicklung als in den zwei Jahren zuvor. Ja, ich hatte mich in dieser Zeit erneut verändert, aber nicht sooooo sehr. Die Welt hingegen schon. Sie war eine völlig andere geworden. Das aber sollte ich erst später begreifen …

Klüger sein wollen als die Anderen …

Lange bevor ich das erste irgendwie nennenswerte Einkommen verdiente, war ich bereits obsessiv vom Wunsch erfasst, Wohneigentum zu besitzen. Etwas, das mir gehört. My place to be. Vielleicht nicht für immer, aber auf jeden Fall meiner. Ein Ort, der allein mir gehört und den mir keiner nehmen kann. Ein Ort, an dem man mir in schlimmen Szenarien vielleicht Strom, Wasser und Heizung abstellen kann, wenn ich nicht in der Lage sein würde, dafür zu bezahlen, aber aus dem man mich nicht rauswerfen kann. Weil er schlicht mir gehört.

In mancherlei Hinsicht bin ich ziemlich spießig. Das bedeutet nicht ansatzweise, dass ich Probleme mit anderer Leute Lebensentwürfen hätte. Im Gegenteil. Aber für mich ganz persönlich fand ich die Vorstellung eines Einfamilienhauses mit ein paar hundert Quadratmeter Garten dran und einem Hund, der darin tobt, immer ziemlich romantisch. Da hätte ich gerne hin gewollt, aber das geht nicht einfach so über Nacht und das ist auch völlig in Ordnung und richtig so. 

Es sollte nicht gleich das Häuschen im Grünen sein. Nothing fancy at all. Es sollte eine Eigentumswohnung sein. Gerade groß genug für mich oder ggf. ein junges Paar. Sollte das Leben später andere Wendungen nehmen oder es an die Familienplanung gehen, hätte man sie ja veräußern können oder besser: einfach vermieten und ein kleines zusätzliches Einkommen generiert.

Bis es aber so weit sein würde, Nachwuchs in die Welt zu setzen, wollte ich derweil schon gerne den Kostenfaktor der Miete eliminieren. So früh wie möglich. Viele Jahre lang habe ich beobachtet, welchen nicht unerheblichen Teil des Einkommens diese bei meinen Eltern aufgezehrt hat. Das wollte ich klüger machen und stattdessen lieber einen Kredit bedienen, der schließlich irgendwann einmal abbezahlt sein würde. 

Kreditwürdig war ich ja nun und so begann ich, Eigenkapital zu akkumulieren, während ich in Wohngemeinschaften oder zwischenzeitlich in der Wohnung des damaligen Partners lebte. Derweil verfolgte ich wie auch all die Jahre zuvor den Immobilienmarkt meiner Stadt, nur inzwischen eben deutlich intensiver.

Ein Exposé zum Erinnern

Da war diese kleine süße Souterrain-Wohnung mit Terasse. 37m², wenn ich mich richtig erinnere. Etwas dunkel, aber eine sehr angenehme, ruhige Lage mit viel Grünfläche rings umher. Die hatte mir schon 2009 gut gefallen, als ich sie das erste Mal inseriert sah. Inzwischen war sie natürlich längst verkauft. Vielleicht würde ja mittelfristig wieder eine ähnliche zum Verkauf stehen, dachte ich mir. Bis dahin hätte ich ja weiter Eigenkapital bilden können. Klassischerweise wird bei Immobilienerwerb eine Eigenkapitalquote von mindestens 20 Prozent empfohlen. Die wollte ich schon aufbringen, gerne jedoch auch mehr, um schnellstmöglich in die Tilgung zu kommen, statt nur sinnlos Zinslasten zu bedienen.

Ärgerlich, dass es für Sparguthaben so wenig Zinsen gab. Es war noch nicht so lange her, da hatte man aufs Tagesgeld bei einigen Banken bis zu sieben Prozent bekommen – heute völlig unvorstellbar. 

Jene Zeiten waren auch damals bereits vorüber, aber da meine Ersparnisse organisch (Euphemismus für: langsam) wuchsen, tat das nicht besonders weh. Im Umkehrschluss müssten ja wenigstens die Zinsen für Kredite drastisch gesunken sein. So wirklich der Fall war das aber nicht. Ja, sie waren gesunken, teilweise auch deutlich, aber in keinerlei Verhältnis zum Zins, welchen man für ihre Einlagen bereit war, den Kunden zu zahlen. “Raffgierige Banken!”, dachte ich mir. 

Dass nicht die Banken das Problem waren, verstand ich damals noch nicht. Als sie nur noch mit 0,1 Prozent verzinst wurden, habe ich nicht einmal mehr eingesehen, meine monatlichen Rücklagen länger aufs Tagesgeldkonto umzuschichten. Ich empfand das einfach als Unverschämtheit und wollte denen nicht gönnen, mit meinem Geld arbeiten zu können. Im Gegenteil. Stattdessen zog ich meine Ersparnisse nach und nach ab und lagerte sie bar an verschiedenen Orten, die doch hoffentlich nicht alle zugleich ausgeraubt oder niederbrennen würden. Die Anonymität des Bargeldes schätzte ich auch damals schon, aber das ist ein anderes Thema.

Wie lief es derweil auf dem Immobilienmarkt? Der war doch all die Jahre zuvor zwar nicht gerade hyperaktiv, aber doch viel lebhafter gewesen. Warum gab es in meiner Stadt inzwischen eigentlich auf den gängigen Portalen nur die immer gleichen fünf bis zehn Inserate statt wie früher immer mal wechselnde 20 bis 30? Und überhaupt – warum waren die ganzen Angebote eigentlich inzwischen so sauteuer geworden?

Etwas säuerlich also akkumulierte ich weiter Eigenkapital und verfolgte den Immobilienmarkt immer aufmerksamer. Irgendwann würde schon meine Chance kommen und ich würde schneller als die Anderen sein. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler. Die Chance kam nicht. Oder aus der Retrospektive formuliert: Es kamen zwar Chancen, aber ich erkannte sie damals nicht als solche. Meine Maßstäbe stammten noch aus einer Zeit, in der die Welt vielleicht auch nicht perfekt gerecht, aber deutlich weniger asozial war als jene, in der ich inzwischen lebte …

Wohlstandsverlust durch Sparsamkeit

Sparen erwies sich als vollkommen aussichtslos. In dem Maße, in dem ich Eigenkapital bildete, liefen mir die Immobilienpreise davon. Bei einigen Objekten erreichte ich zwar die angestrebten 20 Prozent, aber viel mehr auch nicht. Obwohl ich immer weiter sparte, stiegen die Preise für Bestandsimmobilien dermaßen, dass ich meine Ansprüche immer weiter senkte, aber es gab ohnehin nichts, das ich hätte kaufen können. Der Markt war leergefegt. 

Den Anspruch, schneller als die Anderen zu sein, hatte nicht nur ich ausgerufen. Selbst für zutiefst mittelmäßige Objekte konnten Preise verlangt werden, die sieben Jahre zuvor völlig undenkbar gewesen wären. Was war denn aus der süßen kleinen Souterrain-Wohnung geworden? Ich brauche inzwischen nicht mal mehr einen Kredit. Ich bezahle bar! Wo bist du hin?

Jahre später, 2016 oder 2017, stand sie tatsächlich wieder zum Verkauf. Ich weiß nicht mit Sicherheit, ob es exakt dieselbe war, aber zumindest war es exakt die gleiche. Vielleicht im baugleichen Haus 50 Meter weiter. Kein einziger Parameter war anders als damals, bis auf einen: der Preis. Und genau hier kommen die 8.000 Euro Jahre später wieder ins Spiel, mit denen ich Ihre Geduld anfangs strapaziert habe. Sorry for that.

Inzwischen hatte ich jene 8.000 Euro. Die nämlich waren damals der Kaufpreis für jene Wohnung gewesen. Nicht das aufgebrachte Eigenkapital, nicht die Grunderwerbssteuer, nicht andere Kaufnebenkosten, sondern der reine Kaufpreis. 

Mir ist vollkommen bewusst, dass sich das für einige Leser geradezu grotesk und maximal unglaubwürdig anhören muss, selbst im Kontext von 2009, aber ich schwöre, es ist wahr. Man konnte in meiner Stadt, von der ich hiermit indirekt ohnehin verraten habe, dass sie sich in den neuen Bundesländern befindet, eine für ein junges Paar durchaus okaye Eigentumswohnung, erbaut Mitte der 90er, in nicht einmal schlechter Lage für weniger als 10.000 Euro erwerben. Hätten Sie mal zugeschlagen!

Zugegeben, war das auch bereits 2009 ein echter Kampfpreis, aber wenn ich jetzt berichte, dass in meiner Stadt zu jenem Zeitpunkt 22.000 Euro ein völlig normaler Kaufpreis für ein Objekt mittlerer Größe und guten Zustands in okayer Lage waren, dürfte das unabhängig von Ihrem Wohnort heute absurd wirken. 

Sollten Sie zufällig in Frankfurt oder München wohnen, kommen Ihnen vielleicht auch gerade die Tränen. Als Anmerkung möchte ich kurz darauf verweisen, dass das Einkommensniveau in den neuen Bundesländern eben nach wie vor ein anderes ist als in den alten. Das muss nicht grundsätzlich schlimm sein, auch wenn sich gerne plakativ darüber aufgeregt wird. Ich habe nicht vor, diesbezüglich übermäßig zu jammern. Dafür hatten und haben wir hier auch völlig andere Lebenshaltungskosten (sowie eben auch Immobilienpreise). Wenn alles weniger kostet, ist es auch nicht grundsätzlich schlimm, für die gleiche Tätigkeit weniger Einkommen zu erzielen. Aufs Verhältnis kommt es an. Und das verschlechtert sich immens, aber allerorts. Und das hat Gründe.

Irritation durch intaktes Erinnerungsvermögen

Da stand sie also da, wieder zum Verkauf, die süße, kleine Souterrain-Wohnung. Zum Kaufpreis von 44.000 Euro. Fucking vierundvierzigtausend Euro. Das sind in acht Jahren eine Preissteigerung von 450 Prozent. Als ich jenen Kaufpreis las, war das ein derart wohlplatzierter und nachhaltiger Schlag in die Fresse, dass irgendwo tief in mir drin etwas unwiederbringlich zerbrach. 

Heute bin ich dankbar dafür. Hätte ich ihn doch nur eher erlitten, wären manche Dinge vielleicht anders gelaufen. Damals aber stieß mich das in ein tiefes Loch.

Es war offensichtlich völlig egal, wie fleißig und diszipliniert ich spare. Ich würde niemals Wohneigentum besitzen, nicht einmal bescheidenes. Wie sollte ich jemals mit solchen Preissteigerungen mithalten können? Ist ja nicht so, dass ich diese nicht bemerkt hätte, aber da war es, das identische Objekt, nur fünfeinhalb mal so teuer. Ich weiß ja nicht, ob jemand das Glück hatte, innerhalb einer Arbeitnehmertätigkeit sein Einkommen in weniger als zehn Jahren zu verfünffachen. Mir jedenfalls ist das nicht gelungen, jedoch wusste ich auch gar nicht, dass ich anscheinend danach hätte streben müssen, wollte ich mir meine kleinen Träume erfüllen.

Das Objekt fand selbstverständlich einen Käufer. Hat gar nicht lange gedauert. Vergessen habe ich es nicht. Und es drängte sich eine sehr einfache Frage auf, der ich zuvor aus Ignoranz, intellektueller Bequemlichkeit oder von mir aus auch schlichter Blödheit ausgewichen war: Die Frage nach dem Warum.

Warum eigentlich?

Wie kann es sein, dass ein identisches Objekt nach sieben Jahren 450 Prozent mehr kostet? In meiner Stadt war derweil nichts Weltbewegendes passiert. Es hatte kein großer Konzern eine Niederlassung eröffnet, in der viele hundert Arbeitnehmer plötzlich überproportionale Einkommen erzielten. Es gab auch keinen krassen Zuzug aus anderen Regionen oder der Umgebung oder durch internationale Migration, der mehr absorbiert hätte als das, was demographisch ohnehin weggestorben wird. (Ganz im Gegenteil – die Einwohnerzahl meiner Stadt sinkt trotz Eingemeindungen seit der Wende beständig.) Es ging keine große Wohnungsgesellschaft insolvent oder wurde restrukturiert oder Sonstiges. Und nein, es gab auch keine Hochwasser oder Großbrände oder Giftmüllunfälle, die plötzlich ein Drittel der Stadt unbewohnbar gemacht hätten. Das alles fand nicht statt. Warum kostete das identische Objekt 450 Prozent mehr? Zur Hölle! Warum?! Verdammt nochmal, was war denn passiert?!

Heute weiß ich es. Inflation war passiert. Der größte Raubzug seit der Treuhand hatte sich zugetragen. Direkt vor meinen Augen. Und ich hab’s nicht gesehen. Ich habe ihn gespürt, aber ihn nicht gesehen. Ein demokratisch nicht legitimierter Verbrecher, der inzwischen Premierminister Italiens wurde und vor kurzem zurücktrat, hatte in seiner damaligen Funktion als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Formulierung verwendet, die in die Geschichte eingehen sollte: „Whatever it takes“.

Der lange Weg des Scheiterns

Was geschah zuvor? Der amerikanische Traum drohte zu platzen. Das Versprechen, dass es jeder zu etwas bringen kann, wenn er doch nur hart genug arbeitet, konnte in den USA nur noch bedingt erfüllt werden. Für viele US-Amerikaner impliziert dieses Versprechen aber bis heute fundamental den Besitz der eigenen Immobilie. (Welch Ironie, dass ausgerechnet dieser zutiefst nachvollziehbare Habitus einer der ersten Dominosteine hatte sein sollen, mir Jahrzehnte später meine Immobilie zu verunmöglichen.) 

Für untere Einkommensschichten war zu diesem Zeitpunkt ein Immobilienerwerb oft jedoch nicht mehr darstellbar. Sie bekamen entweder keine oder nur teure Kredite zu hohen Zinsen. Das den Banken anzulasten, greift bei Weitem zu kurz. Zinsen haben verschiedene Funktionen und Aufgaben. In diesem Fall ist der Zins der Preis für ein Risiko. Je höher das Risiko, desto höher muss der Zins sein. Zum einen, um die Kreditnehmer zu disziplinieren und zum anderen, um den Kreditgeber in seinem Gesamtportfolio gegen einen ausgefallenen Kredit abzusichern. Jeder Idiot versteht das.

Die Politik verstand es nicht. Nachdem Nixon 1971 die vom Vietnam-Krieg finanziell angeschlagenen USA von der Goldbindung des US-Dollars löste und somit in einem bis heute einmaligem Menschheitsverbrechen das Geld selbst ermordete, woraufhin sich alsbald unerwünschte Nebeneffekte dieses Mordes aufzeigten, gebar man unter Präsident Carter den Community Reinvestment Act (CRA). Dieser wurde in den folgenden Jahrzehnten wiederholt verbastelt, aber sein Zweck war stets die Vergabe von Krediten durch Banken an Menschen, die von ihrer Bank keinen oder nur teure Kredite bekommen hätten. Kredite, deren Ausfallrisiko nach Einschätzung der Bank in keinem Verhältnis mehr zum Zins standen. Die Risikotransformation von Banken über den Zins aber ist eine der fundamentalen Säulen ihres Geschäftsmodells. Und darum können sie das für gewöhnlich auch. Und zwar erheblich besser als die Politik!

Aber die Politik wusste es besser. Und weil Politik immer gern an den Symptomen herumdoktert, statt die Ursachen anzugehen, zwang man über die Jahre somit die Banken zur Vergabe immer größerer Mengen an Krediten, die eigentlich von der ersten Sekunde an faul waren. Subprime-Kredite wurden zur tickenden Zeitbombe …

Heute wird behauptet, der CRA hätte nur zu rund 25 Prozent der emittierten Subprimes geführt. Das widerspricht in vielerlei Hinsicht meiner Intuition. Ich kann es aus mehreren Gründen nicht sauber widerlegen. Zum Einen habe ich keinen Zugriff auf den zur Bewertung dieser Aussage erforderlichen Datenpool. Zum Anderen fehlte mir jedoch auch jegliche Expertise, diesen Datenpool aus- und bewerten zu können. Es drängt sich nur die sehr einfache Frage auf, warum man denn immer wieder so eifrig daran herumschraubte, wenn seine Bedeutung doch angeblich so gering und er ein Anachronismus aus vergangenen Tagen gewesen sein soll … Aber sei’s drum. Meinetwegen war der CRA eben nur für 25 Prozent der Subprimes verantwortlich. Geschenkt. Das machte die Bombe der Subprimes in keinerlei Hinsicht weniger explosiv, egal, wer sie letztlich gebaut hat.

Am 15. September 2008 ging diese Bombe hoch. Im Laufe der Jahre hatte man immer windigere Finanzprodukte um jene Subprimes gebastelt, die zwischen den Marktteilnehmern gehandelt wurden. Dass am Ende noch viele Leute überblickten, womit sie da eigentlich handelten, darf bezweifelt werden. Investmentbanken mussten im Zuge der Immobilienkrise viele Subprimes abschreiben und gerieten In Schieflage. Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac wurden noch gerettet. „Too big to fail“ – Sie erinnern sich vielleicht … Bei Lehman Brothers war dann inzwischen der politische Druck zu groß. Trotz Kapitalerhöhungen erholte man sich nicht von den abgeschriebenen 3,3 Milliarden. Barclays wollte einsteigen, machte aber einen Rückzieher und der Staat sprang erstmals nicht rettend ein. Lehman Brothers ging nach 158 Jahren zurecht pleite, so wie es vor ihr viele andere hätten ebenfalls tun sollen.

Diese Insolvenz jedoch hatte Folgen. Da niemand mehr dem Portfolio des Anderen vertraute, kam das Interbankengeschäft zum Erliegen. Kreditknappheit griff um sich. Spätestens nun war eine eigentlich überschaubare Immobilienkrise zu einer ausgewachsenen Finanzkrise geworden. Eigentlich stiegen die Zinsen für Interbankenkredite aber bereits 2007. Diese Bombe detonierte also keineswegs ohne jede Vorwarnung. Aber solange die Musik spielt, muss man eben tanzen, nicht wahr?

Wenn die Musik nicht mehr spielt …

Unabhängig von ökonomischen Faktoren in den USA und diversen Impacts auch auf Europa hatte dies jedoch einen psychologischen Effekt, der kaum zu bemessen ist: Man war plötzlich wieder kritischer geworden. 

Als die Griechen im Oktober 2009 zugeben mussten, dass ihre Nettoneuverschuldung nicht etwa wie zuvor veranschlagt bereits stolze sechs Prozent, sondern eher das Doppelte betragen würde, reagierten die Märkte darauf überhaupt nicht begeistert. Die Rating-Agenturen wollten sich nicht erneut nachsagen lassen, nicht gewarnt zu haben und stuften Griechenlands Bonität immer weiter herab. Die Zinsen für griechische Staatsanleihen stiegen ins Unermessliche. Im März 2012 betrugen sie zeitweise atemberaubende 38 Prozent. Aber der Reihe nach …

Griechenland hatte sich im Zuge vieler Jahre des Leistungsbilanzdefizits überschuldet und war in eine bedrohliche Staatsschuldenkrise gerutscht. Der Staatsbankrott Griechenlands stand bevor. Das war wahrlich nicht erfreulich, aber nichts, was in der Geschichte nicht bereits passiert wäre. Staaten gehen pleite. Im Schnitt alle 70 Jahre. Das tut weh, führt aber nicht dazu, dass diese Staaten aufhören zu existieren. Man sollte einen Staatsbankrott nach Möglichkeit tunlichst vermeiden, jedoch nicht um jeden Preis. Generell gibt es verdammt wenige Dinge, die man um jeden Preis tun sollte … 

Griechenland hätte pleite gehen müssen. Es wäre ungleich besser für Europa gewesen – Griechenland selbst ausdrücklich eingeschlossen. Ein Staatsbankrott jedoch hätte zugleich das Ausscheiden aus dem Euro bedeutet. Die Eurozone wäre erstmals geschrumpft statt gewachsen und Italien stand bereits damals davor, der nächste Austrittskandidat zu werden, aber es gab ja auch noch Portugal und Irland. Zu diesem Schritt war man nicht bereit. Man befürchtete einen zu großen politischen Schaden für das „europäische Projekt“, wenn man die Griechen in Wechselkurse entlassen hätte, unter denen sie hätten atmen und sich nachhaltig neu sortieren können. Griechenland wurde um den Staatsbankrott betrogen.

Jedoch wurden die gebeutelten Griechen nicht allein betrogen. Sie haben am meisten geblutet. Geblutet aber haben auch andere Bevölkerungen und betrogen wurden diese ebenfalls. Sie wurden betrogen mit einem Märchen vermeintlicher Solidarität. „Wir müssen jetzt mit Griechenland solidarisch sein“, wurde uns erzählt. Falschdarstellungen wie „Die bösen Spekulanten wetten gegen unsere schöne Währung“ wurden verbreitet. Das taten diese nämlich tatsächlich, jedoch völlig zu Recht. Mein persönliches Highlight aus jener Zeit aber ist ein Ausspruch, der aus dem Munde meiner damaligen Kanzlerin stammt. Sie alle kennen ihn: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“

Mal völlig abgesehen von der abgefahrenen Hybris, die Eurozone innerhalb dieses Satzes nicht nur mit der Europäischen Union, sondern mal eben mit ganz Europa gleichzustellen, hätte sie auch inhaltlich kaum falscher sein können. Europa wäre heute verdammt viel besser dran, wäre der Euro damals doch nur gescheitert. Aber hey, schon klar, es hing (und hängt heute noch viel mehr) politisches Kapital daran und niemand möchte der Totengräber sein. Also musste man die Griechen auslösen.

Und auszulösen galt es eine Menge. Die Verbindlichkeiten waren schließlich enorm. Nicht wenige davon wurden übrigens von französischen Großbanken gehalten. Dass Frankreich die vermeintliche Rettung Griechenlands befürwortete, lag also unter Umständen nicht an all der Selbstlosigkeit im Élysée-Palast. Womöglich lag es nicht einmal unbedingt daran, dass man selbst wiederholt als Schuldensünder aufgefallen war und die Maastricht-Kriterien längst gerissen hatte. Womöglich hatte man auch einfach Angst um die eigenen Banken. Aber ich will ja hier nichts unterstellen. Gewiss ging es vor allem um Solidarität. Um was auch sonst …?

Deutsche Putzfrau rettet französische Großbank aus „Solidarität“ mit griechischen Bürgern

Und obgleich wir nun einmal den Franzosen diese für alle Parteien unvorteilhafte Währung zu verdanken haben, weil sie zu viel Angst vor der Wirtschaftskraft eines wiedervereinigten Deutschlands und seiner D-Mark hatten, liegt es mir fern, ihnen irgendeine alleinige Verantwortung anzudichten. Alles in allem war diese über viele Jahre sich hinziehende Shitshow schon eine solide Gemeinschaftsleistung von Brüssel, Berlin, Paris, Rom, Athen und Anderer. 

Und selbstverständlich war auch die immer wieder für negative Schlagzeilen geeignete Deutsche Bank dabei. Nur, falls Sie sich also fragen sollten, wen wir damals eigentlich gerettet haben: Wir haben Banken gerettet, die sich verspekuliert haben. Wir haben Zocker gerettet, die im Casino kein Glück beim Würfeln hatten. Denn den Griechen haben wir ganz sicher nicht geholfen. Denen ging es immer dreckiger. Wir hätten das Geld auch einfach direkt nach Paris oder Frankfurt überweisen können. 

Wären nicht lediglich zwei Prozent der existierenden Euro Bargeld, dann hätte es die Europäische Zentralbank auch direkt zur Deutschen Bank mit der Schubkarre hinüber tragen können. Sie hat’s ja nicht weit. Von der EZB bis zum Frankfurter Westend sind es nur 3 Kilometer. Man wählte aber wohl aus ästhetischen Gründen den Umweg über Griechenland. So hatte das Geld immerhin kurzzeitig mal einen netten Aufenthalt im warmen Süden. Das ist ja auch irgendwie schön. Insbesondere das Steuergeld aus dem doch häufig ungemütlichen und trüben Deutschland hat sich bestimmt sehr über diesen sonnigen Kurzausflug gefreut.

Nachdem Griechenlands Staatsschuldenkrise schließlich zu einer kapitalen Währungskrise wurde, welche eine Wirtschaftskrise als Begleiterin im Gepäck hatte, die auch alleine aufgeschlagen wäre, jedoch weitaus milder hätte ausfallen können, war Maastricht und die darin zugesicherte maximale Schuldenquote von 60 Prozent, die zwar alle Mitgliedsstaaten unterschrieben, aber auf die alle ohnehin bereits damals wiederholt gespuckt hatten, bereits längst zu Grabe getragen. Wer damals aufmerksam die Nachrichten verfolgte, wird sich vielleicht auch noch daran erinnern: In jenem Zeitfenster starb auch die Million als relevante Einheit. Seitdem liest man im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen nur noch gelegentlich von Millionen. Milliarden wurden die neuen Millionen.

Und diese wurden auch gebraucht. Die Europäische Finanzstabilisierungsfasziliät (EFSF) wurde hastig als Provisorium geschnürt. Sie umfasste sagenhafte 440 Milliarden Euro. Als aber absehbar wurde, dass selbst diese nicht genügen und die Krise auch nicht zeitnah vorüber sein würde, überführte man das vorübergehende Werkzeug EFSF in den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Kommission steuerten bei. 

Aus bereits sprachlos machenden 440 wurden atemberaubende 750 Milliarden Euro (in Zahlen: 750.000.000.000 Euro)! Deutschland garantierte nun mit rund 190 Milliarden. Spätestens, als das Bundesverfassungsgericht am 12. September 2012 jene Klagen gegen den ESM abwies, welche die Souveränität und das nationale Haushaltsrecht Deutschlands gefährdet sahen, war der Drops gelutscht. Am 27. September 2012 wurde der ESM Realität.

Um die Zinslasten von Griechenland und anderen hochverschuldeten Staaten erträglicher zu machen, hatte währenddessen die Europäische Zentralbank binnen nur eines Jahres den Leitzins von 4,5 Prozent im Jahr 2008 auf 1,0 Prozent im Jahr 2009 pulverisiert. Als 2011 der zarte Versuch einer Zinswende von den Marktteilnehmern erneut mit Misstrauen beäugt wurde, ruderte man schnell wieder zurück. 2014 senkte man ihn sogar auf vollkommen lächerliche 0,15 Prozent und 2016 von 0,05 Prozent einfach ganz auf Null.

Null ist noch zu viel

Heute wissen wir, dass selbst bei null noch nicht Schluss sein sollte, obwohl bereits der Nullzins ein Verbrechen am Sparer sondergleichen war. Man drückte den Leitzins tatsächlich noch unter die Nulllinie. In 5.000 Jahren Geldgeschichte hatte es so etwas noch nie gegeben. Nur absolute Hurensöhne konnten auf die Idee kommen, jeden einzelnen Sparer kalt und schleichend zu enteignen, nur damit Politiker, von denen die Zentralbank ja eigentlich unabhängig sein sollte, nicht den Offenbarungseid für ein fehlkonstruiertes Projekt zu leisten hatten. 

Diese Entscheidung war so genuin boshaft, dass sie alles verriet, was man mit den so gerne bemühten „europäischen Werten“ assoziierte, sofern man diese noch nicht längst als völlige Farce abgeschrieben hatte.

Die Zentralbank rechtfertigte ihre kriminellen Zinsentscheidungen mit Strohmännern wie dem Nichterreichen ihres Inflationsziels der legendären „knapp unter zwei Prozent“. Wer sich auch nur einmal kurz damit auseinandergesetzt hat, mit welchen Voodoo-Methoden jene Teuerung überhaupt ermittelt wird, der verspürt nur noch Verachtung ob solcher Scheinheiligkeit.

Ein weiteres Scheinargument zur Rechtfertigung der Enteignung aller Sparer durch Niedrig-, Null- und schließlich Negativzins lautete, die Wirtschaft stimulieren zu wollen, indem man die Kreditvergabe für Banken attraktiver macht. Das war selbst unter der Annahme, dass Unternehmen oder private Haushalte ihre Kreditentscheidungen plötzlich fundamental veränderten, nur weil ein potenzieller Kredit vielleicht ein Prozent günstiger wäre, anstatt diese Entscheidung vielmehr von einem bunten Blumenstrauß an Parametern, welche die generelle Marktsituation bilden, abhängig zu machen, absolut kernbehindert, sofern man denn überhaupt noch bereit war, der Zentralbank eine gute Absicht zu unterstellen. 

Nicht nur wurde diese Strategie jahrelang des Versagens überführt, da jene von der EZB erhofften privaten Investitionen nicht oder kaum getätigt wurden. Neben der Enteignung der Sparer aber hatte diese Strategie zwei weitere Nebeneffekte. Einer war geradezu diabolisch. 

Ich will zuvor der Vollständigkeit halber jedoch jenen Nebeneffekt erwähnen, der an der Bevölkerung vollkommen vorbei ging und von ihr bis heute kaum zur Kenntnis genommen wird: Er schlug sich auf die Cost-Income-Ratios der Banken nieder indem er das Geschäftsmodell der Banken ruinierte. Ein wesentlicher, wenn nicht der Hauptgrund, weswegen europäische Banken heute so viel schlechter dastehen als amerikanische. Banken leben von Zinsen. Banken gehen in einer Nullzinswelt zugrunde. Aber dazu vielleicht ein andermal.

Der Tatsache Rechnung getragen, dass es schwer sein dürfte, Mitleid für europäische Banken zu erwecken, obgleich sie für ihre vergleichsweise schlechte Situation, von Drecksläden wie der Deutschen Bank mal abgesehen, mehrheitlich nicht besonders viel können, will ich es vorerst bei der Benennung belassen. Ich wollte ohnehin auf den zweiten, diabolischeren Nebeneffekt hinaus. Der gesamte Text dreht sich genau darum. Und um ihn in all der Pracht seiner Hässlichkeit wirken zu lassen, müssen wir darüber reden, was 2015 geschah. 

Nachdem mehrere Jahre lang über den Umweg nach Griechenland auch mit erheblichen Mengen deutschen Steuergeldes zwar kaum griechische Existenzen, dafür jedoch mehrere Großbanken, gerettet wurden („Solidarität“), glaubte man 2015, endlich den heiligen Gral gefunden zu haben. Diese ganze Finanzierung über Garantien, die Eurozonen-Mitglieder, die EU-Kommission, den Internationalen Währungsfonds … das war natürlich schon ziemlich lästig. Da man zur Kenntnis genommen hatte, dass es der Bevölkerung offensichtlich scheißegal ist, ob sich an Verträge gehalten wird oder nicht oder wie man mit ihrem Geld verfährt, entschloss man sich zum bis heute abgestrittenen offenen Vertragsbruch und finanzierte marode Staaten einfach direkt. 

Das war eine klare Überschreitung des Mandates der EZB, aber man hatte vollkommen richtig analysiert, dass die Bürger schon lange nicht mehr begreifen, was hier eigentlich vor sich geht und so sagte man einfach: „Nö, das ist schon in Ordnung. Wir überschreiten unser Mandat nicht und wir finanzieren auch keine Staaten“, obwohl man genau das tat. Es brannten im Anschluss weder die Zentralbank noch die Parlamentsgebäude in den Mitgliedsstaaten der Eurozone. Es wurde geschluckt. Die völlig eingelullten und überforderten Bürger duldeten dieses gegen sie gerichtete Verbrechen erwartungsgemäß. Die Geburtsstunde des Quantitative Easing (QE) in Europa.

In welchem Wirtschaftssystem leben wir eigentlich?

Ausgefallene Kredite, die hätten eigentlich abgeschrieben werden müssen und nicht abgeschrieben wurden … Schuldenschnite, die hätten zu Lasten von sich verspekulierenden Investoren getätigt werden sollen und nicht stattfanden … Staatsbankrotte, die finanziell gewaltsam unterbunden wurden und sich hätten zutragen müssen … Sich verzockende Großbanken, die verdient gehabt hätten zu bluten und stattdessen mit Steuergeld von Dachdeckern und Krankenschwestern, von Taxifahrern und Putzfrauen gerettet wurden …

… all das hat eines gemein: Es ist das Gegenteil von Kapitalismus. Es ist die Trennung von Entscheidung und Konsequenz. Es ist die Loslösung des Handelns von der Verantwortung. Es ist das Outsourcing des eigenen Scheiterns auf irgendeine hastig ausgerufene Solidargemeinschaft.

Es ist genuin asozial.

Der ganze Spaß hat jedoch auch einen ganz konkreten, nicht minder asozialen Effekt gehabt. Kein einziger Punkt jener (unvollständigen) Aufzählung war dazu geeignet, die Geldmenge zu reduzieren. Aber verdammt viele davon waren bestens dazu geeignet, sie zu erhöhen.

Wenn Sie sich also fragen sollten, wo eigentlich all das ganze Geld gelandet ist, dass die EZB in Ihrem Namen in den vergangenen 14 Jahren gedruckt hat, dann vergleichen Sie doch einfach mal die Immobilienpreise Ihrer Stadt mit denen von vor zehn oder 15 Jahren. Wer in jenen Jahren mit dem Erwerb einer Immobilie geliebäugelt hat oder ihn hoffentlich möglichst früh in die Realität umsetzte, dem dürfte etwas auffallen, und zwar nahezu egal, wo er wohnt.

Ich bin aber gar keine Bank

Sind wir uns also einig darin, dass die Immobilienpreise nicht etwa nur in Ballungszentren, sondern auch in zutiefst mittelmäßig attraktiven Orten eine Entwicklung nahmen, welche in keinerlei Verhältnis zur Realwirtschaft stand oder die sich in irgendeiner Form mit inzwischen eventuell anderen Standortfaktoren hätte begründen lassen? Denn hier jedenfalls war es so. Und quer durch die Bundesrepublik ebenso. Und dem liegt ein Mechanismus zugrunde. Jener Mechanismus, den ich relativ zu Beginn in meiner damaligen Irritation über den Zinsspread andeutete, auch wenn ich ihn zu jenem Zeitpunkt noch nicht verstand.

Versuchen Sie mal, zu Ihrer Zentralbank zu gehen und nach einem Immobilienkredit zu null Prozent Zins zu fragen. Sie ahnen es: Dieses Vorhaben wird nicht sehr erfolgreich sein. Aber nicht etwa, weil Sie einen unverschämt niedrigen Zins verlangen, nämlich gar keinen. Das ist gar nicht das Problem. Genau diesen Nicht-Zins hielt die EZB lange Zeit für eine hervorragende Idee. Das Problem, das Sie haben, ist ein anderes: Sie sind keine Bank. Und ich auch nicht. Wären Sie aber eine Bank, dann hätten Sie sich bis vor nicht allzu langer Zeit noch unter Nachweis einer quasi nur noch obligatorischen Menge von Eigenkapital in Höhe von wenigen Prozent der Kreditsumme den nahezu kompletten Rest des Geldes von der Zentralbank zinsfrei leihen können.

Wobei „leihen“ ja eine ausgesprochen witzige Wortwahl ist, da sie impliziert, dass irgendjemand irgendetwas zurückzuzahlen habe. Zurück wohin eigentlich? Dieses Geld gab es vorher gar nicht. Es gibt noch immer erschreckend viele Menschen, die dem Irrglauben erliegen, eine Bank A finanziere dem Kreditnehmer B seinen Immobilienkredit über die Guthaben ihrer Kunden C, D und E. Der blanke Wahnsinn! So funktioniert ein Fiat-Geld-System einfach nicht. Diese Annahme ist einfach fundamental falsch. 

Jedoch kann ich hier nicht auch noch zusätzlich das Fass Fiat-Geld aufmachen. Das würde Ihre vermutlich ohnehin bereits arg strapazierte Aufmerksamkeit sprengen. Vielleicht ein andermal …  Für’s Erste genügt, wenn Sie verstehen, dass dort Geld „verliehen“ wird, dessen absoluten Löwenanteil es zuvor gar nicht gab. Das schreibt man dann einfach so auf seine Bilanz. Per Knopfdruck – zack, fertig. Und so steigt die Geldmenge immer weiter und weiter.

Dieser Mechanismus hat zwei genuine Eigenschaften. Eine davon ist die gerne von linken Protagonisten bemühte Phrase vom „Wachstumszwang des Kapitalismus“. Vielleicht widme ich mich diesem Thema zu einer anderen Gelegenheit nochmal. Völlig abgesehen aber davon, dass jener Wachstumszwang eben keineswegs ressourcengebunden ist, womit Degrowther seine Toxizität stets zu belegen versuchen, greift diese Unterstellung auch zu kurz. Im Kapitalismus ist Wachstum kein Zwang, sondern ein angenehmer Automatismus, der aus Wettbewerb mittelfristig nun einmal hervorgeht, weil begrenzte Ressourcen so effizient wie möglich genutzt werden und irgendwann irgendjemand mit einer pfiffigen Idee um die Ecke kommt, wie man es besser machen kann. Ein Automatismus, der Hunderte Millionen Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte aus der Armut befreit hat. 

Der Zwang zum Wachstum entsteht hauptsächlich aus unserem Geldsystem. Kapitalismus möchte keine stagnierende Wirtschaft. Sie widerstrebt ihm zutiefst. Das aber heißt noch lange nicht, dass er mit einer stagnierenden Wirtschaft nicht umgehen könnte. Das kann er, auch wenn sie ihm widerstrebt. Wären Kapitalismus-Kritiker, die inzwischen nur allzu gerne nicht etwa mehr zurechtgebogene soziale, sondern stattdessen ökologische Argumente vortragen, also ehrlich, dann müssten sie unser Geldsystem kritisieren, lange bevor sie über den Kapitalismus auch nur die Nase rümpften. Tun sie aber nicht. Und dafür gibt es exakt drei mögliche Erklärungen: Entweder sind sie dumm oder aber verlogen oder ganz einfach beides. 

Mir aber geht es in diesem Beitrag hier nicht um falsch gelabelten Wachstumszwang. Mir geht es um die zweite Eigenschaft dieses Mechanismus’, der in einem ohnehin schon toxischen Fiat-Geld-System zum tragen kommt, wenn man es um die Komponente Nullzins erweitert. Er bevorteilt jene Marktteilnehmer, die möglichst nah an der Zentralbank sitzen. Davon profitieren dann institutionelle Anleger wie Großbanken und Hedgefonds. Im Anschluss dann vielleicht so mancher Konzern. Womöglich landen noch ein paar wenige Brotkrumen bei den seriös arbeitenden Volksbanken und Sparkassen, die noch nicht jede Ethik restlos über Bord geworfen haben. Wo es ganz sicher zuletzt ankommt: beim mittelständischen Unternehmer, beim Selbstständigen und beim privaten Häuslebauer.

Schütze Arsch meldet sich gehorsamst zum Dienst *hackenzusammenschlag*

Der Häuslebauer sitzt nicht an der Quelle und hat keinerlei direkten Zugang zu ihr. Innerhalb des bestehenden Geldsystems ist er auf ein Medium zwischen ihm und der Zentralbank angewiesen. Er hat gar keine Wahl. Er ist das letzte Glied in der Kette. Er ist Schütze Arsch. Und weil er wie die Mehrheit aller Menschen etwas aus seinem Leben machen möchte, meldet er sich paradoxerweise gehorsamst zum Dienst. Schütze Arsch wird in einem Spiel der Generäle verheizt, das sich Cantillon-Effekt nennt und das tut, was in seinem geringsten Interesse ist, nämlich umzuverteilen. Und zwar von unten nach oben.

Schütze Arsch wollte das nicht. Er wollte einfach nur ein bescheidenes Häuschen im Grünen. Pech für ihn. Was lebt der auch so weit entfernt von der Zentralbank? Er hätte sich ja auch als Oberst Deutsche Bank auf die Welt bringen lassen können. Wie jetzt? Das war gar nicht seine Entscheidung? Dann wäre das natürlich bitter. Das würde ja geradezu bedeuten, dass ein Fiat-Geldsystem sowieso grundsätzlich ungerecht wäre und ob all der zuvor dokumentierten Verbrechen der Euro nur eine besonders prachtvolle Erscheinungsform jener hässlichen Fratze ist …

Ich bin kein Häuslebauer. Im aktuellen Umfeld müsste ich ja geradezu wahnsinnig sein, das zu riskieren. Aber ich bin Schütze Arsch. So, wie Millionen Andere es ebenfalls sind. Ich bin Schütze Arsch und ich habe an meinem ganz individuellen, konkretem Beispiel belegt, wie meine Zentralbank es mir binnen weniger Jahre völlig verunmöglichte, Wohneigentum zu erwerben. Hätte die damals mal die blöden 8.000 Euro real gedruckt und mir in den Briefkasten gesteckt – vielleicht würde ich heute erheblich weniger Stunk machen.

Hat sie aber nicht. Sie hat mir eine Welt vor die Füße gerotzt, in der ich mit der Frage nach der Kaufkraft meines Geldes allein auf weiter Flur stehe. Doch so allein bin ich gar nicht. Nur weil ich keinen davon kenne, hören all die Hunderttausende junger Menschen nicht auf zu existieren, die einen ähnlichen Traum vom Wohneigentum haben wie ich ihn einst träumte.

Mir können Sie meinetwegen vorwerfen, zu spät begriffen zu haben. Diesen Vorwurf muss ich mir schlicht gefallen lassen, weil er wahr ist. Mir können Sie das anlasten, da ich inzwischen nicht mehr so jung bin. Denen aber nicht. Vielleicht waren das damals einfach meine Chancen und ich habe sie nicht genutzt, weil ich ein falsches Mindset oder falsche Maßstäbe hatte. Dann ist das mein Problem. Aber jene, sagen wir, nach 1998 Geborenen, die hatten schon gar keine Chance mehr. Sie haben aber gefälligst eine Chance verdient! Sie haben verdammt nochmal ein Recht auf diese Chance! Sie haben kein Recht darauf, dass sich ihre Träume erfüllen. Niemand hat das. Aber sie haben verdammt nochmal ein Recht auf die Chance, sich diesen Traum erfüllen zu können!

Niemand bei Verstand hat je behauptet, dass das Leben immer fair sei. Oft genug ist es das nicht. Das ist nicht toll, aber okay. Es ist okay. Menschen ziehen qua Geburt ungleiche Lose. Soll ich da jetzt jammern? Dazu habe ich kein Recht. Ich hätte statt als Durchschnittsperson in Europa auch absolut hochbegabt in Burkina Faso auf die Welt kommen können und hätte damit deutlich schlechtere Ausgangschancen gehabt, mein Leben zu gestalten.

Schütze Arsch hat keinen Bock mehr

Es liegt mir fern, über mein Los zu jammern. Jammern ist nicht so meins. Aufregen schon eher. Und ich rege mich auf. Ich rege mich darüber auf, wenn ich ungerecht behandelt werde. Ich rege mich darüber auf, wenn mir jemand etwas wegnimmt, das mir gehört. Ich rege mich darüber auf, wenn ich gezwungen bin, ein unfaires Spiel zu spielen, dessen Regeln mich massiv benachteiligen, weil Mitspieler sie ständig ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend zu meinen Ungunsten anpassen. Ich rege mich darüber auf, wenn jemand mein Leben aus infamen Gründen aktiv zu verschlechtern versucht.

Alles das hat meine Zentralbank getan. Sie sollte der Hüter unserer Währung sein. Sie ist das glatte Gegenteil. Der Nullzins hat nicht nur Firmen am Leben erhalten, die längst hätten sterben sollen, weil sie außerhalb der Nullzinswelt ihre Kapitalkosten nicht länger hätten tragen können und so die Wirtschaft mit Zombieunternehmen verseucht. Das an sich wäre bereits einigermaßen antikapitalistisch. Quantitative Easing aber hat alles pervertiert, wofür die soziale Marktwirtschaft einmal stand. Wir reden von der größten Umverteilung mindestens seit der Wende. Niemals seitdem fanden in solch kurzer Zeit derartige Vermögenstransfers statt. Und jene Transfers fanden statt … Sie ahnen es … von unten nach oben. „Oben“ meint hiermit die oberen 0,1 Prozent. Nur, damit sich niemand irrtümlich angesprochen fühlt.

Wenn Sie sich also fragen, wo denn all das Geld gelandet ist, dass die EZB jahrelang so eifrig druckte, dann schauen Sie sich doch einfach die Immobilienpreise Ihrer Stadt an und versuchen Sie sich kurz daran zu erinnern, wie diese denn vor zwölf Jahren ausgesehen haben. Oder einfach einen nahezu beliebigen Börsenchart dieses Zeitraumes. Wo all das Geld gelandet ist? Dort. Und dieses Kind hat einen Namen. Es trägt den Namen Asset Price Inflation (Vermögenspreisinflation).

Geld findet seinen Weg. Immer.

Erinnern Sie sich an all die Jahre, in denen man uns erzählte, die Zentralbank habe ihr Inflationsziel von „knapp unter zwei Prozent“ erneut nicht erreicht? Nun, sie hat es erreicht. Die ganze Zeit. Und viel mehr als das. Sie hat es übererfüllt. Sie hat jene Inflation mehr als erfolgreich erzeugt. Viele Jahre lang. Bei den Vermögenspreisen. Dort fand all die Inflation statt, welche sie gerne bei den Konsumgüterpreisen gesehen hätte. Aber Immobilien, Aktien, Edelmetalle lagen nicht im statistischen Warenkorb. Also gab es offiziell auch keine Inflation. Kann sich zwar keine Sau mehr eine Immobilie leisten, aber viel schlimmer war ja, dass die Nudeln im Supermarkt leider immer noch nicht teuer genug waren. Wie furchtbar …

Sollten Sie mich also fragen wollen, warum ich meine Zentralbank so abgrundtief verachte, dann lautet meine Antwort: Zum einen, weil sie mir meinen bescheidenen, keineswegs überzogenen Traum vom Wohneigentum und der damit verbundenen Unabhängigkeit zerstört hat. Bitter, aber das könnte ich ja zu kompensieren versuchen, indem ich einfach mein Einkommen optimiere. Das könnte ich vielleicht verzeihen, wenn ich denn wenigstens Reue sähe. Jener Traum jedoch wurde nicht nur mir genommen. Er wurde meiner halben Generation genommen. Und das verzeihe ich ihr nicht.

Die ganzheitliche Verunmöglichung des Vermögensaufbaus für jene Menschen, die ihn am dringendsten nötig hätten, ist mit „genuin asozial“ sehr wohlwollend umschrieben. Menschen wissentlich und willentlich in Armut und Abhängigkeit zu treiben ist eben mehr als asozial. Es ist abgrundtief böse.

Und nahezu unabhängig von Ihrer eigenen Lebensrealität, sollten Sie, fast egal, ob Sie ganz unten oder ziemlich weit oben stehen, insofern Sie nur Ihr Geld mit einer Tätigkeit in der Realwirtschaft verdienen, die in Euro skaliert wird, Ihrer Zentralbank ebenfalls nicht verzeihen. Und jeder, der sich seine eigene bescheidene Existenz aufzubauen versucht, sollte dies auch nicht. Und jeder, der Kinder hat, für die er sich erhofft, dass sie dereinst eine faire Chance auf den Erwerb von Wohlstand haben werden, sollte ihr das ebenfalls nicht verzeihen. 

Niemand, der dieser Welt irgendetwas zu hinterlassen vorhat, sollte ihr diese Verbrechen verzeihen. Einer Institution, die es zu ihrer hochheiligsten Aufgabe erklärt, die Lebensleistungen von Millionen von Bürgern zu vernichten, hat man nicht zu verzeihen! Man hat sie zu verachten. Jene Institution kann froh sein, wenn man sie nicht niederbrennt.

Seid endlich sauer!

Der Euro hat großes Unrecht über die Völker Europas gebracht. Er sollte sie einen und hat sie gespalten, wie sie lange nicht waren. Denn er war zu keinem Zeitpunkt organisch. Er war in jederlei Hinsicht eine gewaltsam erzwungene, fundamentale Missgeburt. Er war der Preis für die deutsche Einheit. 

Wie hoch dieser Preis eigentlich war, merken viele Menschen erst jetzt und noch mehr bemerken es noch immer nicht. Aber sie werden es merken. Versprochen. 

Hoffentlich werden sie auch die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, wenn der Schmerz groß genug sein wird. Ich habe große Angst, dass sie das nicht tun werden und den Rattenfängern vom linken Rand oder vom rechten Rand oder aus der vermeintlichen Mitte anheim fallen werden, denn die Versuchung wird gewaltig sein, die Verzweiflung enorm und der Mut zum Aufbruch gering.

Das war der Zweck dieses Textes. Zu sensibilisieren und aufzuwiegeln. 

Ich bin nicht gewohnt zu schreiben. Daher hab ich auch lange benötigt, ihn zu verfassen. Er ging mir manchmal leicht, manchmal schwer aus der Hand. Sollte ich damit jedoch auch nur einen einzigen Menschen dazu gebracht haben, sich vielleicht ähnlich verspätet wie ich es einst tat, endlich die richtigen Fragen zu stellen oder womöglich sogar dazu, lieb gewonnene Feinbilder zu überdenken und zu readjustieren, solange ich auch nur einen einzigen Menschen dazu gebracht habe, im Augenblick der Entscheidung nicht für Knechtschaft, sondern für Freiheit einzutreten, war diese Mühe nicht umsonst. 

Nicht einmal, wenn sie dennoch im Resultat erfolglos gewesen sein sollte. Selbst dann war es den Aufwand definitiv wert. Wenn ich auch nur einen Einzigen von euch erfolgreich zornig gemacht habe, dann war mein Tun nicht vergebens.

Ich will eben nicht, dass ihr duldsam und brav und freundlich seid. Ich will, dass ihr sauer seid. Seid endlich sauer! Denn ihr habt Grund und Recht dazu. 

Ich will aber, dass ihr endlich auf die richtigen Leute sauer seid. Denn Ärger allein bringt nichts, wenn man ihn falsch kanalisiert. Dann wird Ärger schnell zu Wut. 

Und Wut ist toxisch. Wut haut blind Sachen kaputt, die hilfreich sein könnten. Wut differenziert nicht. Wut hat Schaum vorm Mund. Wut ist destruktiv. Wut wartet nur darauf, von irgendjemandem instrumentalisiert zu werden, um sich dann am erstbesten ihr präsentierten Feindbild zu entladen. Wut ist böse. Ich will nicht, dass irgendjemand wütend ist. Im Gegenteil. Ich verabscheue die Wut. Aber ich will, dass so viele Menschen wie möglich endlich zornig sind!

Der Zorn ist der Gegenspieler der Wut. Zorn adressiert. Zorn entlädt sich nicht willkürlich. Zorn ist gerichtet. Zorn impliziert einen sauberen Vektor vom Opfer hin zum Täter. Zorn benennt Ross und Reiter. Zorn ist der Katalysator für das, wofür die Gerechtigkeit nüchtern leider oft zu schwach ist. Und darum ist die Wut ein Werkzeug des Bösen. Der Zorn aber, der ist heilig. Lang lebe der Zorn! Seid nicht wütend! Aber seid endlich zornig!

Die zutiefst ehrbare und edle Idee Europas ist zur völligen Farce verkommen. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ sprach dereinst die gefühlt ewige Kanzlerin, deren größte „Qualität“ ihr exzellenter Machtinstinkt gepaart mit vollkommener thematischer Beliebigkeit waren. Demokratie, Aufklärung, Humanismus, Individualität …  Europa hat viele der großartigsten Ideen aller Zeiten hervorgebracht. Es hat verdammt nochmal was besseres verdient als so eine verlogene Scheiße! Jener Satz könnte gar nicht falscher sein. Die Wahrheit lautet exakt umgekehrt:

Wenn Europa leben soll, dann muss der Euro endlich sterben.

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11 Kommentare. Leave new

  • „Hat jemand ’ne Idee für gute Trennschärfe?“

    Ja: sieh es vor dem letzten Horizont. Irgendwann hast du einen Termin beim Chef; in drei Wochen oder in dreißig Jahren. Dann steht die Frage im Raum: „Wo warst du, Cassy?“

    Antworten
  • Peter Ackermann
    11. November 2022 9:53

    Schöner Text. Freue mich auf weitere.

    Antworten
    • Ich liebe Ihre Texte, sie sind so brutal ehrlich und gleichsam so poetisch geschrieben. Wie dieser Spagat immer funktioniert ist mir schleierhaft. Danke und ja, ich bin zornig. Sehr sogar!

      Antworten
  • Hat mir gefallen 👍🏼

    Antworten
  • Michael Gaedicke
    23. November 2022 9:29

    Lob, für die verständliche Beschreibung. Kritik, an die Länge und teilweise doppelten Ausführungen. Fazit: Ich bin zornig. Bitte weiter machen…

    Antworten
  • ein geiler Text. Und: ich bin zwar alt, aber trotzdem zornig.
    Es sollte aber mehr von Ihrer Sorte geben, vermutlich wäre dann ein Potential zur Änderung verschiedener Sachen vorhanden.
    Ist es aber IMO nicht. Viele der jungen Leute heulen lieber mit den Wölfen und wundern sich dann in späteren Jahren. Und die, welche die Fehler im System bemerkt haben, IMO vor allem in “Osten”, sind eh alle Nazi….

    Antworten
  • Danke für Deinen sehr guten Artikel, Cassy!
    Was kann man also tun, bis der Euro abgeschafft wird oder von selbst auseinanderfliegt und vorher noch mehr zur Lira verkommt, als er es eh schon tut?:
    Financial Literacy bilden, also als Bürger die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu haben, seine Finanzen selbst in die Hand zu nehmen und der finanziellen Repression widerstehen zu können. Der Staat kümmert sich nicht darum, zB in Schule und Ausbildung/Studium den Nachwuchs zu selbständigen Bürgern zu machen. Er legt den Kleinanlegern dabei nur Steine in den Weg. Also ganz wichtig: Jeder muss sich selbst darum kümmern und auch um die Bildung seiner Kinder in diesem Bereich.
    Statt das Geld auf dem Konto zu halten für Minizinsen, welche nicht mal das Ausfallrisiko der Bank widerspiegeln, hätte man so viel wie möglich in Aktien investieren sollen. Im Vergleich zu Immobilien geht das schon mit kleinen gesparten Beträgen und man ist flexibler (kein Klumpenrisiko und man auch schnell wieder verkaufen, wenn die Kurse fallen und Cash dann temporär die bessere Rendite hat). Aktien sind volatil aber nicht unbedingt risikoreicher als Cash, welches garantiert entwertet wird.
    Hab das selbst auch sehr spät erkannt und gelernt. Es ist aber nicht zu spät, jetzt noch seine Finanzen in die Hand zu nehmen. Ich sage nicht, dass genau jetzt ein guter Zeitpunkt ist, alles Geld in Aktien zu stecken, auch nicht, das Aktien stets die beste Anlage sind. Auch ist Investieren ein Lernprozess, der auch schmerzhaft ist und bei dem jeder mal auf die Schnauze fallen wird bzw. muss, um die Erfahrung zu haben. Statt mit Gewinnhoffnungen besser mit Risikomanagement anfangen.
    Ich könnte noch sehr viel zum Thema schreiben…

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  • Wirklich ein sehr schöner Artikel.
    Als “Wirtschaftswissenschaftler” (zumindest laut meinem Studium) muss ich leider berichten, dass selbst in meinem akademischen Umfeld (im beruflichen ebenfalls, hier hausen vor allem “Unternehmens- und Steuerberater) die gravierende Mehrheit gar nichts von der Thematik begreift, bzw. begreifen will.

    Sehr erfrischend geschrieben, zukünftig aber ggf. etwas auf die Länge achten. Das hindert die Mehrheit der Menschen sicherlich daran, sich hier direkt weiterzubilden. Ich weiß gar nicht genau wie lange ich nun insgesamt gebraucht habe, aber es war sicherlich der längste einzelne Artikel seit langer Zeit; ansonsten kann da nur ein gewisser fahrradliebender Bayer auf einer populären Nachrichten-Seite mithalten.

    Antworten
  • Schöner Artikel!
    “Was ist eigentlich Geld?”
    Für mich augenöffnend zum Thema war damals das hier: “Das Schein-Geld-System – wie der Staat unser Geld zerstört” von Murray Rothbard, deutsche Neuauflage von 2000. Kurzes Büchlein von einem renommierten Ökonom; erkärt den Mechanismus der Inflation, den Regierungen schon immer genutzt haben, um an das Eigentum der Bürger zu gelangen.

    Antworten
  • Klasse Artikel, den ich voller Länge sehr genossen habe. Er zeigt wunderbar auf, wie wir mit diesem Finanzsystem verarscht werden. Leider wollen sich die Menschen, auch die meisten, die ich kenne, damit nicht befassen und den Beschiss nicht wahrhaben. Zorn ist eine “negative” Emotion, die Kraft kostet, die wollen die Meisten nicht mobilisieren deshalb belassen sie es lieber beim Schulterzucken und denken sich die Welt eben schön.

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  • Großartiger Text! Und ein herrlicher Stil. (“Le stile c’est l’homme”) Thank you!

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