Fachkräftemangel: Sinkendes Boot ohne Ruderer?

Kaum mehr eine Branche aus dem Produktions- und vor allem aus dem Dienstleistungsbereich, die nicht über zunehmenden Fachkräftemangel klagt. Google gibt unter diesem Begriff 14,5 Millionen Treffer aus. Folgende Sektoren sind besonders betroffen: 

  • Pflege
  • technische Berufe
  • Handwerk
  • medizinische Berufe
  • MINT-Berufe (Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften und Technik)

Die Einschätzung von Ursachen und Folgen variiert sehr stark. Nicht wenige behaupten einfach, er existiere gar nicht oder sei erfunden um deutschen Arbeitnehmern mit ausländischer Konkurrenz zu drohen. Andere sind fest überzeugt, dass es genügend Fachkräfte gibt, diese quasi aus dem Boden wachsen, wenn man nur endlich mal anfangen würde sie anständig zu bezahlen. 

Wenn bei Pflegekräften der Endlohn aktuell bei etwa 3.300 Euro liegt, also weit unter dem Durchschnitt, dann mag da was dran sein. Bei Handwerkern und Küchenchefs sieht es etwas besser aus, aber reich wird man da als Angestellter auch nicht. Im Mangelberuf Lkw-Fahrer hat man zwar dank gesetzlicher Regelung mittlerweile die Fahrzeiten weitgehend im Griff und unbezahlte Überstunden sind kein Thema mehr, doch das Gehalt bleibt überschaubar. 

Liegt es also nur am Geld? 

Tückische Demografie

Deutschland ist demografisch nach Japan das zweitälteste Flächenland der Welt. Dabei steht uns die ganz große Verrentungswelle erst noch bevor, denn die stärksten Jahrgänge aus den 1960er Jahren werden erst bis Ende dieses Jahrzehnts ausscheiden, und bis in weit in die 2030er Jahre wird es einen Abgang deutscher Fachkräfte geben, der einem zurecht schon heute Angst machen sollte:

Die triviale Erkenntnis daraus ist: Ohne ausländische Arbeitskräfte bricht die deutsche Wirtschaft (und mit ihr die Gesellschaft) vorhersehbar zusammen. Pflege, Medizin, Handwerk, Infrastruktur, all das ist aus eigener Kraft nicht mehr zu leisten.

Im Folgenden wollen wir daher einmal die Entwicklung in der Kerngruppe der arbeitsfähigen Bevölkerung untersuchen, die hier mit 18 bis 63 Jahren angesetzt wurde, sozusagen das zur Verfügung stehende Reservoir (alle Daten vom Statistischen Bundesamt, vor 1990 alte BRD):

Es ist unschwer zu erkennen, daß der sich beschleunigende Rückgang des deutschen Anteils zumindest zahlenmäßig einigermaßen durch Zuwanderung ausgeglichen wurde. Da sich auch die Gesamtbevölkerung von knapp 80 Mio. auf aktuell 84,2 Mio. erhöht hat, hier nochmal eine prozentuale Darstellung, und da sieht es dann schon weniger gut aus:

Noch unschöner ist die Projektion der nächsten zehn Jahre. Diese lässt sich für die bestehende Bevölkerung recht gut errechnen, der Unsicherheitsfaktor ist im Wesentlichen die Zahl der Ein- und Auswanderer. Demnach würde der Kernanteil der „Arbeitsreserve” nach einem bereits erfolgten Rückgang von um die 65 Prozent auf knapp 60 Prozent sogar noch weiter beschleunigt auf 55 Prozent zurückgehen, auf einen Wert der deutlich unter den Siebziger Jahren liegt.

Mehr Jobs, weniger Stunden

Doch die Arbeitswelt hat sich gewandelt. Der Frauenanteil ist gestiegen, vor allem auch durch die stark ausgeweitete Teilzeitarbeit. Industriejobs mit stetig steigender Produktivität gingen zurück, Dienstleistungsberufe mit wenig Produktivitätszuwachs nahmen zu.

Tatsächlich trotzte der Arbeitsmarkt scheinbar dem Trend der rückläufigen Demografie durch einen höheren Beschäftigungsgrad. Laut Bundesagentur für Arbeit stieg der Anteil der Teilzeitarbeit auf stattliche 38,7 Prozent, die Anzahl der Mehrfachbeschäftigten, also mit Zweitjob, nahm seit 2014 um fast eine Million auf 4,26 Mio. zu. Das gesamte Arbeitsvolumen stagniert aber seit dem Rekord von 2019 mit 62,1 Mrd. Stunden bei zuletzt 1 Milliarde Arbeitsstunden weniger. Das bedeutet also: mehr Menschen leisten trotzdem weniger Arbeitsstunden.

Das reicht aber kaum als Erklärung für den Fachkräftemangel, der längst beim Bürger angekommen ist, wenn die Backfiliale nur noch vormittags öffnet, der Zug nicht mehr pünktlich kommt und Berliner Ämter Monate brauchen für einen Wohngeldantrag. Offensichtlich decken sich Angebot und Nachfrage strukturell nicht.

Die Akademikerschwemme

Schauen wir uns den Ausbildungssektor an, dann kann das kaum noch überraschen. Während Berufsabschlüsse beständig weniger wurden, haben die Hochschulabschlüsse geradezu inflationiert und die klassische Berufsausbildung längst überholt:

Die langfristige Prognose verlängert diesen Trend in Richtung einer Akademikerschwemme für „Bullshit-Jobs”, die niemand braucht, wogegen der zeitgleiche Rückgang an beruflich Qualifizierten geradezu apokalyptisch anmutet:

Wenn das so kommen würde, müssen wir auf uns einen teilweisen Zusammenbruch der Infrastruktur gefasst machen. Dann kommt nicht nur der Zug nicht mehr pünktlich, sondern auch der Rettungswagen. Der Müll bliebe am Straßenstand stehen, der Pflegebedürftige fände keine Hilfe mehr. In der Folge wären die Bürger gezwungen, den Ausfall an Dienstleistungen durch vermehrte Eigenleistung zu kompensieren, sprich ihren eigentlichen Arbeitsplatz zu verlassen oder wenigstens zeitlich einzuschränken. Eine Spirale des Wohlstandsabbaus, die sich immer schneller drehte.

Der Generationenvertrag

Die Situation wird dadurch verschärft, dass der Staat Empfängern von Transferleistungen eine Art Bestandsgarantie ausspricht, während Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft dem vollen Inflations- und Konjunkturrisiko ausgesetzt sind. Aufschlussreich dazu ein Interview mit Finanzminister Lindner (FDP):

WELT AM SONNTAG: Schon 2010 warnte der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle vor „anstrengungslosem Wohlstand“. Was hätte er zu der anstehenden Erhöhung des Bürgergelds um zwölf Prozent gesagt?

Lindner: Dass sie sich aus der Entwicklung der Preise ergibt und das Existenzminimum gesichert sein muss. Aber dasselbe ergibt sich für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Konkret werden wir den Grundfreibetrag um 180 Euro auf 11.784 Euro erhöhen und den Kinderfreibetrag um 228 Euro auf 6612 Euro. Das ist eine weitere steuerliche Entlastung der Menschen um fast zwei Milliarden Euro. Das ist rechtlich zwingend, aber auch moralisch geboten. Die arbeitende Mitte darf generell nicht den Eindruck gewinnen, dass sie mit ihren Interessen und Wünschen vergessen wird. 

Soll heißen, wir verabreichen ein Placebo, das natürlich nicht im Mindesten verhindert, daß die Schere zwischen Transfer und Arbeitslohn nicht noch weiter aufklafft. Dafür plant Lindner nun nach dem Vorbild Norwegen einen staatlichen Rentenfonds mit dem schönen Namen Generationenkapital zur Finanzierung der absehbar explodierenden Rentenansprüche.

WELT AM SONNTAG: Aber eine dauerhafte Haltelinie bei 48 Prozent wird angesichts der steigenden Rentnerzahlen in den kommenden Jahren wahrscheinlich sehr teuer für den Staat.

Lindner: Richtig ist, dass wir davon ausgehen, dass Fachkräfteeinwanderung, Aktivierung von nicht arbeitenden Menschen, Überwindung ungewollter Teilzeit und die Attraktivierung längeren Arbeitens für Ältere gelingen. Diese Annahmen für die Entwicklung des Arbeitsmarktes und die Performance des Generationenkapitals werden wir zu definierten Zeitpunkten prüfen.

Während Deutschland in den Sechzigern und Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts gezielt etwa in Italien und der Türkei um Arbeitskräfte für genau umrissene Anforderungen hauptsächlich in der Industrie warb, später vom offenen Binnenmarkt in der Ost-erweiterten EU profitierte, scheint man nun immer noch auf eine Einwanderungswelle an Fachkräften zu hoffen, ohne zu erklären, wo die herkommen soll. 

Die Qualität der Migration

Offensichtlich rührt diese Zuversicht nicht nur aus der anhaltenden Migration aus Nordafrika und Vorderasien. Tatsächlich ist auch der Saldo mit der EU ungebrochen positiv.

Ein Bild, das sich alleine schon aus anekdotischer Evidenz täglich bestätigt. Ich war heute auf einer Bank für eine Kontoanlage. Die eine Mitarbeiterin hatte einen slawischen Akzent, ihre Kollegin war Türkin. Beide freundlich und kompetent. Die Arbeiter, die letztes Jahr bei über 30 Grad im nicht vorhandenen Schatten Kabel in unserer Straße verlegten, kamen aus Polen. Altenheime rekrutieren ihr Personal in Kroatien und anderen östlichen Ländern. 

Nordafrikaner oder Afghanen trifft man an qualifizierten Arbeitsplätzen allerdings so gut wie nie an. Dafür bei der Tankreinigung, oder bei der Ernte in der Landwirtschaft, alternativ auch im Görlitzer Park. Paketfahrer können häufig kein Deutsch mehr, seitdem die Päckchen nur noch vor der Tür abgelegt werden, ist das vielleicht auch nicht mehr so wichtig. 

Offensichtlich haben wir also eine Tendenz zu einer Dreiteilung des Arbeitsmarktes: 

  • Der Biodeutsche konzentriert sich auf die „White-Collar-Berufe”, 
  • die (überwiegend aus der EU eingewanderte) Fachkraft hält mit ihrer Arbeit das Land am Laufen 
  • und der Afrikaner schleppt die Koffer am Flughafen. 

Wenig spricht dafür, dass dieses Konzept auf Dauer trägt. Und aus gutem Grunde hat Lindner das Thema Bildung ausgespart. Denn sonst hätte er sich zwei unangenehmen Wahrheiten stellen müssen: Der Deutsche will sich mehrheitlich die Finger nicht mehr schmutzig machen und der illegale Migrant will und kann mit unserer Sprache, unserer Kultur und unserem Arbeitsethos oftmals nicht mithalten. 

Wir müssen umsteuern

Was es jetzt braucht, ist ein radikales Umsteuern in der Bildungspolitik und in der gesellschaftlichen Anerkennung von gewerblichen Berufen. Natürlich ist das leichter gesagt als getan, aber ohne Zielsetzung kann Politik nicht sinnvoll handeln. Wir müssen:

  • die berufliche Bildung attraktiv machen
  • ausländische Berufsabschlüsse flexibler anerkennen
  • die akademische Bildung auf den Prüfstand stellen
  • MINT-Berufe gezielt fördern
  • die abgehängten, oft muslimischen Jugendlichen fördern, aber auch fordern

Denn Bildung ist der einzige Rohstoff, den Deutschland hat. 

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6 Kommentare. Leave new

  • Eine Frage, die mir bisher noch niemand beantwortet hat ist, wieso diese Arbeitskräftemangel-Pandemie , wenn man so will, erst ganz deutlich nach der Spritze zutage getreten ist. Zugegeben ist das nur mein subjektiver Eindruck, aber es war schon sehr auffällig wie in der Großstadt in der ich lebe, überall bei Geschäften und Unternehmen “…gesucht”- Tafeln überhand genommen haben. Und das ist bis heute so. Vermutlich gibt es dazu keine Statistiken, weil es die nicht geben darf.

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    • Ja, das ist auffallend, betrifft aber in erster Linie Jobs in denen man für wenig Geld maximal gestresst wurde in den letzten Jahren, durch Masken- und Impfpflicht und auch durch genervte Kundschaft. Dadurch haben viele die Ausstiegsentscheidung getroffen, worunter auch ich!

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  • Karl aus Oberschlesien
    12. Oktober 2023 11:51

    Vor einiger Zeit hatten ‘wir’ das Gespräch über ” …. es war schön dort, aber auch die (Restauration) haben Probleme mit dem Personalmangel…..”. Mein Einwand, das es möglicherweise nur am Lohn liegt, wurde hinweggefegt mit, bei 2500€ + Verpflegung + Logie, würde ‘er’, wenn er jünger wäre sofort anfangen.
    Dem guten Manne halte ich mal zugute, das er ‘dort’ Urlaub gemacht hat; und scheinbar die Arbeitsbedingungen gar nicht kennt- in der Gastronomie.
    Zum Artikel wäre zu bemerken, das der Verfasser seine Infos von der federal republic OF Germany hat. Nachdem ich diese, und andere, nicht mit einer Herkunft verwiesenen Quelle, gezeigten Bilder aussen vor lasse, bleibt NUR, das die Menschen hier verblödet werden; indem ‘man’ die Bedingungen für einen Schulabschluss erleichtert- hat.
    Und die ‘hochqualifizierten’ ausländischen Mitarbeiter, die kompetent in einer Bank arbeiten, wäre zu erwähnen, das bei meiner Kontoeröffnung mir die Angestellte (mit scheinbar türkischem Akzent) zwei Kreditkarten und diverse andere Leistungen untergeschoben hat. Natürlich weil ich nicht gut genug aufgepasst hatte. Ich habe schon gefragt, wozu die ganzen Unterschriften. Muß angeblich sein.
    Später habe ich die ganzen ‘Leistungen’, samt Kreditkarten, rückgängig gemacht. Was blieb? Nur das Girokonto.
    Aus irgendeinem Grund hat ‘die’ mir eine Nachricht zukommen lassen – wo noch nicht einmal mein Familienname richtig geschrieben war. Man könnte mich der Lüge bezichtigen- aber diese Notiz habe ich aufgehoben. LOL.
    Das, mit dem Arbetskräftemangel, ist die Lüge überhaupt.
    Nach der Jahrtausendwende kam ich von einer, eh, langen Bootsfahrt zurück. Auf Arbeitssuche, im Jobcenter(?), keine Stelle. Wobei ich 2 (zwei) abgeschlossene Berufe, Schmied und Industriekaufmann nachweisen konnte. Wie das?
    Nachdem nichts kam, ausser Absagen, ging ich auf die Suche im Handwerk. Irgendwas um 5,95 €/h wurde mir angeboten. Da war mir klar, das es einen Facharbeitermangel gab. Vor der Jahrtausendwende habe ich schon über 20,- DM/h verdient.
    In der Bundesrepublik gibt es KEINEN Facharbeitermangel, sondern zu viele Menschen. Weshalb die Unternehmer sich die Rosinen für kleines Geld herauspicken wollen/ können.
    Irgendwo habe ich gelesen, das Inder hier mit der Bezahlung nichteinverstanden sein sollen, und ins Ausland (wohin wohl?) abgewandert sind (abgeworben?!).
    Wir werden von der ReGIERung nur belogen- schon in der Schule.
    Gruß Karl

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  • Immo Sennewald
    12. Oktober 2023 12:37

    Der Artikel belegt sehr deutlich, dass nur Schwachköpfe glauben, die wirtschaftlichen Folgen insuffizienter Bildung, inkompetenter Entscheider, organisierter Verantwortungslosigkeit dank wuchernder Politbürokratie seien mit Geld zu heilen. Danke an den Autor.

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  • Ralf Schmidt
    12. Oktober 2023 16:11

    Erkennen der Realitäten kann den Weg zur Lösung von Problemen erleichtern. So manche schon vorgebliche Problemlösung erweist sich in Wirklichkeit als Wunschdenken oder anderes.
    Unbezahlte Überstunden sind auch Realität, auch wenn man sie jetzt offiziell nicht mehr so sieht. Problematische Arbeitsbedingungen sind in gerade in einigen Mangelberufen der Hauptgrund für diesen Mangel. Man könnte auch mal die staatlichen Eingriffe in diese Bereiche in diesem Zusammenhang betrachten. (Weniger Staat = weniger Mangel)

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    • Korrekt, da beisst sich die Katze in den Schwanz, und dieser Effekt wird sich zu einer Lawine entwickeln (wenn er das nicht sogar schon tut, etwa in der Pflege). Der Abgang der einen bedingt die Überlastung der anderen, die dann irgendwann mal nicht mehr können oder wollen. Unlängst schrieb mir auf Twitter jemand in den Kommentar: Was wäre denn schlimm daran, wenn die Bevölkerung schrumpfen würde auf frühere Zahlen? Nun, ganz einfach: ‘Früher’ kamen auf einen Rentner 4 Einzahler, bald nur noch 1,6.

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