Der deutsche Leser dürfte den Namen „Chateaubriand“ wohl vor allem mit dem gleichnamigen, 400-600 Gramm schweren und 4 Zentimeter dick geschnittenen Doppellendensteak verbinden, das nur leicht angebraten oder gegrillt und traditionellerweise mit Sauce Béarnaise, Gemüse und gebratenen Kartoffeln serviert wird. Daß diese Spezialität aber tatsächlich ihren Namen erhalten haben soll vom französischen Schriftsteller und Politiker François-René de Chateaubriand, dessen Koch ihn mit diesem Rezept verwöhnte, als er Botschafter in London war, ist nur noch wenigen bekannt (und zudem umstritten, erscheint das „Steak à la Chateaubriand“ doch erst nach seinem Tod in der entsprechenden gastronomischen Literatur).
Doch nicht das Steak, sondern der Schriftsteller soll im Zentrum der folgenden Betrachtungen stehen, ist Chateaubriand (wie das gebratene Fleisch in der Tat ohne das eigentlich erforderliche Zirkumflex geschrieben) doch wie prädestiniert, in unserer Chronik zum „konstruktiven Widerstand“ gegen äußere Unterdrückung aufzutreten.
Kaum noch zu zählen sind die Episoden seines Lebens, in denen das Idol der französischen Romantik immer wieder aus Gründen der Treue und des Gewissens mit der jeweils herrschenden Elite brach und sich in die innere wie äußere Emigration zurückzog, nur um sich dann als Politiker und Literat in immer neuen Anläufen um die Rückkehr der französischen Gesellschaft zu Vernunft, Anstand, Legitimität und Glauben zu bemühen; die Vergangenheit sollte Lehrmeisterin sein, nicht Objekt billiger Verachtung – eine auch in Zeiten der „Cancel Culture“ dringend benötigte Einsicht, oder, um mit Chateaubriand zu sprechen: „Les vivants ne peuvent rien apprendre aux morts; les morts, au contraire, instruisent les vivants.“ („Die Lebenden können den Toten nichts mehr beibringen; die Toten allerdings belehren die Lebenden.“)
Demokrat von Natur, Aristokrat von Gesittung
Sproß einer altadligen, aber verarmten bretonischen Familie, war der 1768 geborene Chateaubriand gerade in den Heeresdienst eingetreten, als die Französische Revolution ausbrach. Wie so viele Franzosen seiner Generation – den König selbst nicht ausgeschlossen – war er von den jüngsten Erfahrungen des wesentlich von Frankreich unterstützten Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs geprägt und der Überzeugung, daß auch die französische Monarchie sich eine liberale Verfassung geben mußte, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden und ihre Autorität nicht auf zunehmend anachronistische Adelsprivilegien zu stützen, sondern auf eine konstruktive Mitarbeit des gebildeten Bürgertums und die Erziehung der Massen zur politischen Verantwortlichkeit.
So formulierte Chateaubriand aus dem Rückblick mit dem Wissen desjenigen, der die Terrorherrschaft erlebt hat: „Démocrate par nature, aristocrate par moeurs, je ferais très volontiers l’abandon de ma fortune et de ma vie au peuple, pourvu que j’eusse peu de rapports avec la foule.” („Demokrat von Natur, Aristokrat von Gesittung, würde ich gerne mein Vermögen und mein Leben dem Volk opfern, wenn ich dabei so wenig wie möglich mit der Masse zu tun haben könnte.“)
Angesichts des zunehmenden Terrors der Revolution wandte sich Chateaubriand allerdings rasch von den Ereignissen ab und emigrierte 1791 für mehrere Monate in die französischen Kolonien in Amerika, wo er sich intensiv mit den Eingeborenen wie auch der unberührten Landschaft des Mississippi auseinandersetzte, um sich nach seiner Rückkehr der Emigrantenarmee anzuschließen und, verwundet, 1793 in London mehr schlecht als recht als Französischlehrer durchs Leben zu schlagen.
Staatsdienst
Nachdem es allerdings Napoleon gelungen war, endlich die Ausschreitungen der Revolution zu brechen und Adel wie Kirche mit der Republik zu versöhnen, nahm Chateaubriand 1800 dessen Angebot einer breiten Amnestie für die Emigranten an und trat in den Staatsdienst ein. Sein 1802 veröffentlichtes Buch „Le Génie du Christianisme“, in dem er nicht nur das Andenken des Christentums rehabilitierte, sondern auch wesentlich die französische Romantik mitprägte, schlug wie eine Bombe ein und machte ihn schlagartig berühmt: Bis heute gilt das Werk als einer der großen Klassiker der französischen Literatur und Verständnisschlüssel des 18. wie 19. Jhs.
Doch sollte die Ermordung des Herzogs von Enghien Chateaubriand schon 1804 zum Bruch mit dem neuen Regime veranlassen und eine längere Zeit der Reisen durch das Mittelmeer bis ins Heilige Land einleiten, deren Erfahrungen in verschiedenste Romane und Reisetagebücher einflossen.
Nach dem Sturz Bonapartes und der lange ersehnten Restauration der legitimen Monarchie der Bourbonen stellte Chateaubriand sich in den Dienst Ludwigs XVIII. und Karls X., unter denen er nicht nur als „Pair de France“ Mitglied des Oberhauses wurde, sondern auch als Botschafter in Stockholm, Berlin, London und Rom diente, 1822 Chef-Delegierter auf dem Kongreß von Verona war und sogar kurzzeitig als Außenminister fungierte.
Jenseits des Grabes
Trotzdem blieb er auch in diesen Jahren nicht kurzsichtig, sondern war sich der Fragilität der Restauration ebenso bewußt wie der Tatsache, daß mit der Revolution letztlich ein unumkehrbares Paradigma geschaffen worden war. Die Juli-Revolution 1830 zwang Chateaubriand, der trotz aller Krisen der älteren Linie der Bourbonen treu bleiben wollte, erneut in die innere Emigration, während welcher er vor allem seine umfangreichen, gewissermaßen schon „von jenseits des Grabes“ redigierten, zwölfbändigen „Mémoires d’outre-tombe“ zusammenstellte; er starb 1848 kurz nach der Februarrevolution in den Armen von Juliette Recamier; eine seiner zahlreichen Freundinnen und Bewunderinnen …
Das „Ancien Régime“, die erste Republik, das bonapartistische „Empire“, die Restauration, die Juli-Monarchie, ja sogar die Februarrevolution: Chateaubriand hat sie alle gesehen, einigen gedient, sich mit keiner von ihnen vollauf identifiziert und letzten Endes immer wieder zurückgezogen – eine Art Anti-Talleyrand, der trotz seines politischen Geschicks letztlich immer träumerisch dem Verlorenen nachhing, ohne sich Illusionen zu machen, daß das Vergangene nie mehr wiederkehren würde: „La vieille Europe ; elle ne revivra jamais : La jeune Europe offre-t-elle plus de chances ?“ („Das alte Europa wird nie wieder auferstehen: Aber bietet das neue Europa bessere Chancen?“).
Doch auch die Vergangenheit sah der geniale Aphoristiker kritisch, der die Privilegien und Selbstbespiegelung des Adels zwar mit der Sympathie des Historikers, aber der gerechten Kritik des Humanisten betrachtete, als er schrieb: “On compte ses aïeux quand on ne compte plus.” (Man zählt seine Vorfahren, wenn man selbst nicht mehr zählt“).
Entwurzelt, aber furchtlos
Trotz seiner Kritik am überlebten Adelsregime wie an der neuen Massenkultur und trotz der generell nostalgisch-retrospektiven Natur seiner Aufzeichnungen verfiel Chateaubriand allerdings nie ganz der Versuchung des Ekels und der Menschenfeindlichkeit, die gerade heute wieder eine der großen Verführungen der letzten abendländischen Patrioten ist, wußte er doch: „Il y a des temps où l’on ne doit dépenser le mépris qu’avec économie, à cause du grand nombre de nécessiteux.“ („Es gibt Zeiten, in denen man seine Verachtung nur sehr sparsam schenken darf, da so viele ihrer bedürfen“).
Mut gab ihm hierbei vor allem seine stetige Rückbesinnung auf die Transzendenz und den schönsten Ausdruck, den der Glauben an ein jenseitiges Prinzip nicht nur der Welt, sondern auch unserer Seelen im Abendland gefunden hat: das Christentum. Denn zunehmend wurde Chateaubriand bewußt, daß inmitten der Umbrüche der Moderne und der gewaltsamen inneren Neuordnung Frankreichs und Europas nur noch der Glauben fähig war, all das, was aus der Zeit des „Ancien Régime“ wert war, geschützt und verteidigt zu werden, in die Gegenwart und die Zukunft hinüberzuretten.
Hierbei ging es Chateaubriand weniger um Theologie und Dogma sondern um die einfache Erkenntnis, daß das wahre Distinktionskriterium zwischen Aufbau und Zerstörung, Idealismus und Opportunismus, Verantwortung und Kurzsichtigkeit, Treue und Verrat, Freiheit und Knechtschaft letzten Endes die Haltung des Einzelnen zum Tod war: „L’homme n’a qu’un mal réel : la crainte de la mort. Délivrez-le de cette crainte et vous le rendrez libre.” („Der Mensch hat nur eine wirkliche Krankheit: Die Furcht vor dem Tod. Nehmt ihm diese Furcht, und Ihr macht ihn frei.“)
Gerade heute, wo wir inmitten eines kulturellen und sozialen Umbruchs leben, der wohl demjenigen von 1789 nur wenig nachstehen wird, sollten wir uns an diese Lehre erinnern – und auch an das historische Beispiel jener entwurzelten Generation des späten 18. Jahrhunderts, die in Chateaubriand ihren vollendetsten Ausdruck gefunden hat: Auch sie hat damals Besitz, Beruf, Ansehen und oft genug sogar das Leben verloren, und doch unzählige Menschen hervorgebracht, die sich weder ihre Ehre noch ihren Glauben haben nehmen lassen.
1 Kommentar. Leave new
Lieber David Engels,
Danke für den grandiosen Artikel über den Franzosen!
Die Qualität ist top!
Stefan zu Randegg