EU: In Vielfalt frei oder geeint versklavt?

„In Vielfalt geeint“ – so lautet seit dem Jahr 2000 das Motto der Europäischen Union. Von Vielfalt ist in der Realität allerdings wenig zu spüren. Stattdessen herrscht Einfalt: «Brüssel» ist längst zu einer grossen Verbotsmaschinerie verkommen, die das Leben der Menschen vom Nordkap bis nach Sizilien und von der Algarve bis nach Galizien einheitlichen Regeln unterwerfen will.

Diese europäische Gleichmacherei wird vorzugsweise durch Verbote vorangetrieben. Fast täglich kommen neue hinzu. Die Palette reicht von der Drosselung der Saugkraft von Staubsaugern über das Verbot von Glühbirnen, von der Zensur im Internet bis zum Verbot von Verbrennungsmotoren. Und vieles mehr. Was nicht ins Weltbild der Funktionäre zu Brüssel passt, wird verboten. Nur auf das Verbot offener Karaffen mit Olivenöl auf Europas Restauranttischen verzichtete die EU-Kommission nach breitem Protest.

Fürchtet die EU, auch wenn sie Geschenke bringt!

Sogar wenn die EU etwas erlaubt, geht es letztlich um Gleichmacherei. Dass nach dem gelben Mehlwurm und der gemeinen Heuschrecke nun auch zu Pulver verarbeitete Hausgrillen und Larven des Getreideschimmelkäfers künftig im Essen enthalten sein dürfen, ist nicht darauf zurückzuführen, dass von der Leyen und Konsorten plötzlich den Wert individueller Freiheit erkannt hätten. Im Gegenteil: In ihrer „Farm-to-Fork-Strategie” („Vom Hof auf den Teller”) bezeichnen die Technokraten den Verzehr von Insekten als wichtige Massnahme in Ihrem Bestreben, den Planeten zu retten: Weniger Treibhausgase, weniger Wasser- und Flächenverbrauch sowie weniger Lebensmittelabfälle. Es geht also um Umerziehung.

Erst wird ein Missstand – oder besser noch ein „Notstand” – behauptet, und dann werden daraus Massnahmen abgeleitet. Der Politiker-Syllogismus feiert fröhliche Urständ:

Es muss etwas getan werden!

Das ist „etwas”.

Also muss das getan werden!

So kann der von der EU unter dem Schlagwort „Subsidiarität” proklamierte Föderalismus nicht funktionieren. Der Nachweis, dass etwas „auf regionaler oder lokaler Ebene” besser und zweckmässiger geregelt werden kann als durch die Zentrale, ist in der Praxis schlicht und einfach nicht zu erbringen. Zudem kommt den meisten Politikern und Funktionären es sehr gelegen, Verantwortung auf „Brüssel” abwälzen zu können.

Diesem Drang zum Zentralismus liegt ein zutiefst sozialistisches Staats- und Geschichtsverständnis zugrunde. Auch wenn niemand mehr von Klassenkampf, Revolution oder dialektischem Materialismus redet, ist Politik heutzutage praktisch nur noch ein grosser Verteilkampf. Die einen sollen von den Leistungen der anderen profitieren. Und wenn sich Leistung für den Einzelnen nicht lohnt, sinkt die Leistungsbereitschaft der gesamten Gesellschaft.

Sozialismus ist Gewalt …

Natürlich ist nicht jeder Sozialist oder gar jeder Sozialdemokrat ein gewalttätiger Mensch. Aber das Ziel der ewigen Umverteilung bis zur vollständigen Gleichheit muss zwangsläufig auf Widerstand stossen. Damit diese Entwicklung möglichst lange unbemerkt bleibt, muss Wettbewerb ausgeschaltet werden. 

Sehr effektiv sind die „Sozialisten aller Parteien” auf dem Gebiet des Steuerwettbewerbs, der bis anhin der effektivste Schutz vor überbordender Steuerlast bot. Staaten mit einer schlechten Wirtschafts- und Finanzpolitik zwingen Staaten, die es besser machen, Mindeststeuern auf. Plötzlich ist von schädlichem Wettbewerb die Rede, als würde man einem Schnellläufer vorwerfen, dass er schneller läuft. 

Nach diesem Modell schreibt die EU ihren Mitgliedstaaten einen Mindestsatz der Mehrwertsteuer von 15 Prozent vor. Selbstredend begnügt sich kein einziges EU-Land mit dem Mindestsatz. Die Palette beginnt bei 17 und reicht bis 27 Prozent. Geschützt werden nicht die Bürgerinnen und Bürger, sondern der Fiskus.

Wer daran glaubt, dass sich mit Politik etwas bewirken lässt, dass es für Probleme sowohl gute wie auch schlechte Lösungen gibt, und dass es sozial gerecht ist, wenn die Guten belohnt und die Schlechten vom Leben bestraft werden, der muss Zentralismus ablehnen. Und der muss auch dagegen antreten, dass diejenigen, die sich für die schlechten Lösungen entschieden haben, über einen Finanzausgleich von den Leistungen derjenigen profitieren, die eine gute Ordnungspolitik betreiben.

Es lebe das Kleinräumige!

Zwar ist auch die Schweiz, bzw. ihre Regierung vom EU-Virus befallen, doch ein Blick auf Geschichte und Struktur offenbart das Geheimnis dieses „geopolitischen Undings”, wie sie von Kommissionspräsident Juncker einmal bezeichnet wurde. Sogar der grosse und mächtige Napoleon musste 1803 nach dem Scheitern seiner Helvetischen Republik feststellen: „Je mehr ich über die Beschaffenheit Eures Landes nachgedacht habe, desto stärker ergab sich für mich aus der Verschiedenheit seiner Bestandteile die Überzeugung der Unmöglichkeit, es einer Gleichförmigkeit zu unterwerfen; alles führt Euch zum Föderalismus hin.”

Föderalismus zwingt die Menschen zu Lösungen in ihren kleinräumigen Verhältnissen. Sie müssen gegenüber andern nicht nur bestehen, sondern ständig danach streben, besser zu sein als diese.

In seiner Novelle „Das Fähnlein der sieben Aufrechten” lässt Gottfried Keller einen jungen Mann in einer berühmten Rede zum Wechsel der Schweiz vom Staatenbund zum Bundesstaat ausführen, was Föderalismus ist:

„Ei! was wimmelt da für verschiedenes Volk im engen Raume, mannigfaltig in seiner Hantierung, in Sitten und Gebräuchen, in Tracht und Aussprache! Welche Schlauköpfe und welche Mondkälber laufen da nicht herum, welches Edelgewächs und welch Unkraut blüht da lustig durcheinander, und alles ist gut und herrlich und ans Herz gewachsen; denn es ist im Vaterlande!

So werden sie nun zu Philosophen, den Wert der irdischen Dinge betrachtend und erwägend; aber sie können über die wunderbare Tatsache des Vaterlandes nicht hinauskommen. Zwar sind sie in ihrer Jugend auch gereist und haben vieler Herren Länder gesehen, nicht voll Hochmut, sondern jedes Land ehrend, in dem sie rechte Leute fanden; doch ihr Wahlspruch blieb immer Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe!

Wie zierlich und reich ist es aber auch gebaut! Je näher man es ansieht, desto reicher ist es gewoben und geflochten, schön und dauerhaft, eine preiswürdige Handarbeit! Wie kurzweilig ist es, dass es nicht einen eintönigen Schlag Schweizer, sondern dass es Zürcher und Berner, Unterwaldner und Neuenburger, Graubündner und Basler gibt, und sogar zweierlei Basler! Dass es eine Appenzeller Geschichte gibt und eine Genfer Geschichte! Diese Mannigfaltigkeit in der Einheit, welche Gott uns erhalten möge, ist die rechte Schule der Freundschaft, und erst da, wo die politische Zusammengehörigkeit zur persönlichen Freundschaft eines ganzen Volkes wird, da ist das Höchste gewonnen! Denn was der Bürgersinn nicht ausrichten sollte, das wird die Freundesliebe vermögen, und beide werden zu einer Tugend werden!”

Keller schrieb das mit Blick auf die zusammenwachsende Schweiz. Es gilt aber auch für Europa, das unter der Gleichmacherei der EU zugrunde zu gehen droht.

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