Gottes Untergrund: Die Widerstandsorganisation des Tomislav Kolaković

Er wurde ebenso von der Gestapo wie vom kommunistischen Geheimdienst verfolgt, ertrug Vertreibung, Gefängnis, Verhör und Exil und organisierte inmitten von Weltkrieg und Totalitarismus abenteuerliche konspirative Widerstandszellen, die jegliche Repression überdauerten und 1989 schließlich entscheidend zum Fall der sozialistischen Diktatur in der Tschechoslowakei beitrugen – die Rede ist vom Jesuitenpriester Tomislav Kolaković, dessen Leben und Wirken uns allen gerade heute ein Beispiel sein sollte.

In den letzten Jahren ist Kolaković nicht von ungefähr zunehmend in den Vordergrund des Interesses geraten; nicht zuletzt aufgrund der großen Bedeutung, die er in Rod Drehers neuestem Buch „Live not by Lies“ einnimmt. Daß freiheitlicher Widerstand nicht unbedingt immer auch mit einer libertären Lebensphilosophie einhergehen muß, sondern auch in höchst prominenter Weise gerade von jenen organisiert werden kann, welche ein ganz anderes, traditionelleres Verhältnis zur Frage der Transzendenz pflegen, scheint mir auch für diese Kolumne eine interessante Lektion zu sein: Die Gefahr für die Freiheit ist mittlerweile so groß für uns alle geworden, daß es dringend Zeit für ein Zusammengehen aller Menschen guten Willens geworden ist – heute genauso wie damals, 1989.

Zellen des Widerstands

Vater Kolaković flüchtete während des Zweiten Weltkrieges vor der Gestapo aus Kroatien und fand 1943 in der Slowakei, dem Ursprungsland seiner Mutter (deren Namen er damals übernahm), eine neue Heimat. Was ihn vor allem für uns so interessant macht, war seine prophetische Einsicht, daß die Niederlage der Achsenmächte und der zu erwartende Einmarsch der sowjetischen Truppen nicht etwa Freiheit, sondern viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft bedeuten würden. 

Kolaković hatte am „Russicum“ studiert, dem Pontificalcolleg, das ganz auf das Studium der damaligen Sowjetunion ausgerichtet war, und wußte also nur allzu gut, was in Kürze ganz Osteuropa erwarten würde. Er begriff daher, daß es darauf ankam, jene wenigen Monate des Umbruchs und des Chaos so vollständig wie möglich dazu zu nutzen, resiliente und gleichzeitig dezentrale Strukturen zu schaffen, die auch unter dem kommenden Druck nicht zerbrechen würden und zu Zellen des Widerstands für eine zwar unklare, aber umso wichtigere Zukunft des Kampfes um die Freiheit werden könnten.

Die solchermaßen geschaffene Struktur nannte Vater Kolaković die „Rodina“, die „Familie“, deren Ziel es ausdrücklich war, nicht nur als Gegengewicht zur befürchteten kommunistischen Diktatur zu dienen, sondern auch zur katholischen Kirche, da zu befürchten war, daß diese bald unter großen politischen Druck geraten und wohl auch vom sozialistischen Geheimdienst unterwandert werden würde: Es ging also um ein dezentral organisiertes Netzwerk kleinster christlicher Gemeinden, die ihren Sinn für persönliche wie religiöse Freiheit sowohl gegen den Staat als auch gegen Teile der eigenen Kirche zu verteidigen dachten – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen, die von Diffamierung über Gefängnis und Folter bis zum „tödlichen Unfall“ reichen konnten. 

Menschen guten Willens

Zu diesem Zweck wurden in kleinen konspirativen Zellen mit generell weniger als zehn Personen regelmäßig strategische Treffen, politische Seminare und spirituelle Übungen organisiert sowie illegale Publikationen (Samizdat) diskutiert und verteilt, um grundlegende Fragen des zivilen Widerstands zu besprechen, sich ganz konkret auf Festnahme und Befragung vorzubereiten, Solidarität mit den Familien von Verfolgten und Inhaftierten zu schaffen und auch die geistlichen Voraussetzungen zu legen, im Notfall selbst das Martyrium aufrecht und würdig zu bestehen.

Kolaković und seine Mitarbeiter wurden wie erwartet bald nach dem sowjetischen Einmarsch festgenommen und eingesperrt, Kolaković selbst des Landes verwiesen – es begann eine lange Zeit der Prüfung für die „Rodina“. Trotzdem war es gelungen, die Grundlagen für einen friedlichen Widerstand zu legen, der im Laufe der nächsten Jahrzehnte stetig wachsen und sich verfestigen sollte und schließlich mit Initiativen wie der „Petition der mährischen Katholiken“ 1987 oder der Kerzendemonstration in Bratislava 1988 entscheidend zum Fall des Kommunismus auch in der Tschechoslowakei beitragen konnte.

Es braucht wohl kaum noch besonders hervorgehoben zu werden, wie sehr uns dieses Vorbild auch und gerade 2022 inspirieren sollte: Auch heute ist unsere Freiheit zunehmend bedroht; auch heute steht zu befürchten, daß Sozialkreditsysteme, Überwachungsapparate, Zensur, öffentliche Schmähreden, kollektives Wegschauen und Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit die gegenwärtige Zeit im Rückblick noch als letzten Schimmer der Freiheit vor einer langen Dunkelheit erscheinen lassen werden. 

Welche Konsequenzen sich für alle Menschen guten Willens daraus ergeben, welche fest davon überzeugt sind, daß es Ideale gibt, die höher sind als nur unser eigenes, individuelles und vorübergehendes Wohlempfinden, sollte wohl evident sein. Egal, wo sich der heutige Freiheitskämpfer weltanschaulich oder religiös verortet: Kolaković sollte ihm Lehre und Inspiration sein – solange noch Zeit ist.

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  • Andreas Schneider
    7. Dezember 2022 14:50

    Vielen Dank für die Schilderung dieses bewundernswerten Lebens.
    Aus eigenem Erleben: Ich war als Jungpionier zum Geburtstag einer christlichen Klassenkameradin eingeladen. Der Vater war Pfarrer. Die Wärme, Menschlichkeit und Zugewandtheit dieses Kreises hat den kleinen Andreas damals schwer beeindruckt und sie ist mir bis heute unvergessen. Diese Zugewandtheit hat die Kirche in der DDR so besonders und wirkmächtig gemacht.

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  • Dr. Titus Gebel
    12. Dezember 2022 10:13

    Ich stimme David Engels zu, dass gläubige Christen Verbündete im Kampf gegen Unrechtsregime sein können und ein Fels in der Brandung, so wie seinerzeit in der DDR. Leider sind auch in Deutschland die beiden großen Kirchen inzwischen auf Linie gebracht. Insofern sollten auch Katholiken mal über die Schaffung von Freikirchen nachdenken, mindestens aber über Zellen nach dem Modell von Kolakovic. Ein schönes Beispiel für christlich geprägten Widerstand ist auch der „Berg der Kreuze“ in Litauen. Viermal von den Machthabern mit Planierraupen platt gemacht, ist er doch immer wieder und jedesmal größer erstanden. Vielleicht bekommen wir so etwas auch hin.
    Titus Gebel

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