Gutes Geld

Es gibt in der Kybernetik, der Wissenschaft der Information und Kommunikation, ein sehr einprägsames und logisches Modell, wie Kommunikation funktioniert. Es beruht auf der schlichten Abschichtung der Schritte, die ein Kommunikationsvorgang durchläuft. Dabei gibt es immer einen Sender und einen Empfänger. Der Sender verfügt über die Ausgangsinformation, transformiert sie in einen versandfähigen Zustand und übermittelt dieses Paket an den Empfänger, der es aufnimmt und das Paket aufschnürt, also wieder in den Zustand überführt, der es ihm erlaubt, die Information weiterer Verarbeitung zuzuführen. 

An dieses einfache Modell müssen wir denken, wenn wir verstehen wollen, welche Rolle Geld in unserer Gesellschaft und Zivilisation spielt und warum es bestimmte Kriterien erfüllen bzw. Eigenschaften haben muss, damit es diese Funktion tatsächlich erfüllen kann. Das liegt daran, dass der Austausch von Geld und Gütern eigentlich eine Form der Kommunikation ist, bei der allerdings nicht nur die am Tausch Geld gegen Güter Beteiligten kommunizieren, sondern bei dem auch, einem Radiosender gleich, alle anderen auf Empfang gehen und für ihr Leben wichtige Informationen gewinnen können. 

Um das zu verstehen, müssen wir eintauchen in die Geschichte des Geldes. 

Wie Gold zu Geld wurde

In prähistorischer Zeit verfügte der Mensch nicht über Geld. Nicht weil er arm gewesen wäre (das war er), sondern weil das Geld schlicht noch nicht erfunden war. Wer etwas im Tausch erwerben wollte, musste dem, der das Objekt der eigenen Begierde hatte, etwas anbieten können, das dieser auch wollte, und zwar genau in diesem Moment wollte. Man tauschte also Pfeilspitzen gegen Hühner, Äxte gegen Schafe oder Getreide, Leder gegen Eier. Feste Umtauschverhältnisse dieser Güter gab es nicht, da ihre relative Knappheit stark von der aktuellen Situation abhing und die geringe Menge der Tauschakte keine Transparenz hierüber schaffen konnte. Bei jeder Tauschtransaktion war somit der Erfahrungsschatz der Teilnehmer auf null zurückgesetzt. 

Dies änderte sich mit der Entdeckung eines Gutes, das Eigenschaften aufwies, die es für alle Menschen begehrenswert machten, und das paradoxerweise ohne dass dieses Gut eine unmittelbare Wirkung auf das Überleben des Individuums in einer harten und auf Überlebenskampf eingestellten Umwelt hatte. Dieses Gut waren die Edelmetalle Gold und Silber. 

Die Schwere, der Glanz und vor allem die Seltenheit des Metalls, seine Fähigkeit leicht zu Schmuck geformt zu werden, seine Teilbarkeit, unbegrenzte Haltbarkeit und sein geringes Volumen (was den Transport erleichterte) machten es für jedermann begehrt. Es wurde im Tausch gegen jedes beliebige Gut angenommen, niemand musste davon überzeugt werden, das zu tun, es ergab sich auf Basis vollkommener Freiwilligkeit. So wurde Gold zu Geld. 

Der Motor der Zivilisation

So betrachtet wurde das Geld nicht erfunden, sondern vielmehr „entdeckt“. Es war das Entdeckungsverfahren des Marktes, das die Institution Geld hervorbrachte. Mit einem Schlag änderte sich alles. Die Such- und Transaktionskosten für den Tausch von Gütern wurden drastisch reduziert, es bildeten sich Märkte, auf denen dieser Tausch vonstatten gehen konnte. Sie bildeten die Keimzellen von Städten, ja ganzen Zivilisationen der frühen Menschheitsgeschichte. Ebenso wichtig war jedoch die Funktion des Geldes als Numeraire, also als Zähleinheit für den Wert unterschiedlicher Güter. Diese Zähleinheit kennen wir heute als Preis einer Sache. Da sich dieser Preis im freien Tausch als Ergebnis von Angebot und Nachfrage ergibt, spiegelt er die relative Knappheit jedes Gutes in bestmöglicher Weise wider. 

Diese Sachverhalte haben eine ganze Reihe von Wirkungen auf das Verhalten der Menschen, die alle als vorteilhaft angesehen werden dürfen. Zunächst ermöglicht die Reduktion der Transaktionskosten des Tausches eine sehr viel umfassender und intensivere Tauschwirtschaft, was die Voraussetzung für Arbeitsteilung und Spezialisierung schafft. Beides sind Grundbedingungen für Produktivitätsfortschritt, der wiederum den Menschen aus der Notwendigkeit befreit, 100 Prozent seiner Arbeitskapazität in das nackte Überleben investieren zu müssen. 

Dies setzt Ressourcen frei für Innovation, Forschung und Entwicklung und damit für eine sich immer schneller drehende Kreisbewegung aus neuen Produktionsmethoden, mehr Produktivität, mehr Mehrwert und mehr Mitteln für den Ausbau des Wissens, was wiederum verbesserte Produktionsmethoden ermöglicht. Das ist der Motor der technologischen Zivilisation. Ohne Geld wäre er undenkbar. 

Die Eigenschaften guten Geldes

Die damit einhergehende Verfeinerung des Produktionsprozesses erfordert jedoch ein sehr viel größeres Maß individueller Planung der hierfür einzusetzenden Ressourcen. Diese Planung setzt für ihre Validität voraus, dass die Informationssignale über die Knappheit von Gütern, die von den Preisen vermittelt werden, korrekt sind. Das gilt nicht nur für das zu produzierende Gut, sondern auch für alle Güter, Rohstoffe, Halbfertigprodukte, Arbeitskraft und Know-how, die in den Produktionsprozess einfließen. Auch ihre relative Knappheit muss durch das Preissignal verlässlich gespiegelt werden. 

In einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft wird praktisch unser ganzes Leben von der permanenten Analyse und Verarbeitung dieser Knappheitsinformation bestimmt. Wir bewegen uns geistig in gewisser Weise durch ein riesiges Netz von verwobenen Teilinformationen, die sich in Preisen kondensieren. Es ist die Matrix unseres Lebens. 

Damit diese Matrix funktionieren kann, muss das Medium des Informationstransportes, auf dem sie beruht, bestimmte Eigenschaften aufweisen. Dieses Medium ist das Geld und wenn es die für die Funktionsweise der Tauschwirtschaft notwendigen Bedingungen erfüllt, dann darf man es mit Fug und Recht als gutes Geld bezeichnen. 

Kurz und knapp kann man sagen: Die Eigenschaften guten Geldes sind die gleichen, die dazu geführt haben, warum Gold und Silber das erste Geld in der Geschichte der Menschheit werden konnten. Es sind dies: Knappheit, Beständigkeit (kein Verderb oder Verfall), Messbarkeit im Sinne von Zählbarkeit und Wägbarkeit, Teilbarkeit. Wenn es dann noch schön anzusehen ist, umso besser. 

Die Goldmünze

Gold erfüllt alle diese Bedingungen und seine Lebensdauer als Geld übersteigt die aller anderen Währungen um den Faktor 50 bis 100, nämlich 5.000 Jahre versus 50 bis 100 Jahre. Das muss einen Grund haben. Er liegt nicht allein darin, dass Gold diese Bedingungen konsistent erfüllt, er liegt vor allem auch darin, dass alle anderen Währungen es nicht getan haben. Die Entfernung eines Geldes von den Eigenschaften des guten Geldes ist ein langsamer gradueller Prozess, sowohl historisch wie auch im Einzelfall scheiternder Währungen betrachtet. 

Es war dabei immer die gleiche Eigenschaft, die verloren ging und deren Verlust das Scheitern verursachte: Die Knappheit. 

Gold selbst durchlief eine Evolution als Geld, die darauf beruhte, es in standardisierte Formen zu bringen, die den Tauschvorgang beschleunigen und die Verifikation des Materials erleichtern sollten. Aus Klumpen wurde Draht, standardisierter Schmuck (wie zum Beispiel der phönizische Torque, einem um die eigene Achse gewundenen und zu einem Arm- oder Halsband gekrümmten Stab aus Gold mit festgelegtem Gewicht) und schließlich Münzen, eine Erfindung der lydischen Könige Phanes und Krösus. 

Phanes ließ die erste Münze aus einer Goldlegierung herstellen, die etwa je zur Hälfte aus Gold und Silber bestand, dem sogenannten Elektron, das in den Flüssen der heutigen Türkei, auf deren Territorium sich Lydien befand, gefunden wurde. Sein Nachfolger Krösus hatte Metallurgen, die das Silber vom Gold trennen konnten und so die Prägung der ersten reinen Goldmünze der Geschichte ermöglichten, der Krösus-Stater. Die Aufprägung eines Symbols oder Wappens beinhaltete zugleich die königliche Garantie von Reinheit und Gewicht der Münze. Das erleichterte ihre Akzeptanz und Verbreitung. 

Geldverschlechterung

Da Edelmetall nicht beliebig vermehrt werden kann, wird die Knappheit bei Gold durch physikalische Bedingungen unserer Umwelt definiert und garantiert. Die Herrscher bzw. die Staaten waren von Anfang an in der Versuchung, die Regeln der Knappheit des Geldes zu ihren Gunsten zu biegen, zu beugen oder zu brechen. Anfangs geschah dies durch die schleichende Verschlechterung des Metalls. Im Römischen Reich gab es in den ersten drei Jahrhunderten des Kaiserreiches nach dem Ende der Republik eine schrittweise Verwässerung der Silbermünzen durch Beimengung nicht edler Metalle durch die staatlichen Münzprägeanstalten des Imperiums. Selbst wenn das Volk diesen Betrug nicht direkt durch Analyse des Metallgehaltes der Münzen aufdecken konnte, so führte dies natürlich zu einer Geldvermehrung und damit dazu, dass nominal immer mehr Geld in Umlauf kam und einer begrenzten Gütermenge hinterher jagte. Das erwartbare Resultat: Inflation. 

Diese Inflation war ein Mühlstein am Hals der Wirtschaft des Reiches und hatte zu Beginn des 4. nachchristlichen Jahrhunderts bereits die einstmals so starken Grundfesten der Wirtschaftskraft Roms erodiert. Die Basis der Macht Roms begann zu bröckeln. Kaiser Konstantin der Große, der nicht nur den Bürgerkrieg gegen seinen Co-Kaiser Licinius in der berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke zu seinen Gunsten entschied (Licinius verlor seinen Kopf, Konstantin gewann das ganze Imperium), sondern auch mit dem Toleranzedikt die Christianisierung des Römischen Reiches von einem fait accompli zu einem offiziell anerkannten Fakt machte, hatte das Problem erkannt und seine Ursache verstanden. Er führte eine Währungsreform durch, ersetzte den Denar durch den Gold-Solidus, einer Goldmünze, die über mehr als 1.400 Jahre in Verwendung blieb (Die letzte bekannte und dokumentierte in römischen Solidi bezahlte Transaktion unter Kaufleuten fand 1792 in Venedig statt). Aus seinem Namen leitet sich unser Wort „solide“ ab, was so viel wie fest, gediegen und wertbeständig bedeutet. Das hat seinen Grund, denn es war streng verboten den Solidus durch unedle Beimischungen anderer Metalle zu verwässern. 

Papier mit Selbstzerstörungsmechanismus

Im 14. Jahrhundert kam der chinesische Herrscher Kublai Khan auf die Idee, das Gold durch kunstvoll bedrucktes und mit seinem kaiserlichen Siegel versehenes Papier als Goldsurrogat zu ergänzen, später zu ersetzen. Aus Papier Geld zu machen, das wie Gold funktioniert, kam seinem westlichen Besucher Marco Polo wie „Alchemie“ vor, also wie das Umwandeln von wertlosem Material in Gold. Da wusste der Mann noch nicht, wie das Experiment knapp 100 Jahre später in einer Hyperinflation und einer kompletten Zerrüttung der chinesischen Wirtschaft enden würde. Natürlich konnten die Nachfolger des Kublai Khan der Versuchung nicht widerstehen, immer mehr Papier in Umlauf zu bringen und so einen Prozess der Entwertung, Inflationierung und schließlich Annahmeverweigerung in Gang zu setzen. 

Kein staatlicher Akteur, keine Zentralbank, kein Bürokrat, keine Regierung konnte in der Geschichte dieser Versuchung auf Dauer widerstehen. Sie alle folgten dem Diktum Oscar Wildes: „Man soll einer Versuchung nachgeben, denn man weiß nicht, ob sie wiederkommt!“

Und so kam es, dass in der mittlerweile 700-jährigen Geschichte des Papiergeldes, dessen Knappheit oder Vermehrung der politischen Willkür anheimgegeben ist, keine Währung länger als 100 Jahre gehalten hat. Die meisten Papierwährungen geben ihren Geist bereits nach 50 Jahren, manche noch früher auf. Am Anfang unmerklich, dann spürbar, am Ende galoppierend verläuft der Prozess ihrer Selbstzerstörung. Das gilt übrigens auch für den Dollar, obwohl Währungen gleichen Namens seit fast 200 Jahren existieren. Den heutigen Papierdollar gibt es erst seit 1971, dem Jahr in dem Richard Nixon die Goldbindung des Dollars mit einem Federstrich abschaffte. 

Nichts gelernt

Allerlei Theorien wurden erfunden, allerlei Scheinwissenschaft bemüht, allerlei politische, ideologische oder einfach nur dumme Argumente hervorgekramt, um jedem dieser Experimente den Segen einer Gelehrtenklasse zu geben, die wir heute als den akademischen Betrieb kennen, welcher den Anspruch erhebt, die Wissenschaft zu vertreten. Aber wie das so ist mit den Vertretern einer Sache: Eine Lücke klafft oft zwischen Anspruch und Wirklichkeit und in diesem Fall ist sie besonders groß. Immer aufs Neue wurde behauptet „dieses Mal ist alles anders!“ und das Gedächtnis der Menschen in dieser Sache reicht selten weiter zurück als eine, maximal zwei Generationen. So funktioniert der Betrug immer wieder. 

500 Hyperinflationen hat es seit Beginn der Neuzeit gegeben. Deutschland hatte im 20. Jahrhundert zwei davon (1923 und 1948) und bewegt sich mit Siebenmeilenstiefeln auf eine dritte zu, nämlich die des zum Scheitern verurteilten Euro. Die europäische Wirtschaftsgeschichte ist gepflastert mit diesen Ereignissen, aber nicht nur die. Argentinien, Venezuela, Zimbabwe und Russland nach dem Ende der Sowjetunion sind nur die bekanntesten Fälle der letzten 40 Jahre. 

Es scheint, wir haben aus der Geschichte wenig bis gar nichts gelernt. Dabei wäre der Lerneffekt heute nötiger denn je, denn das Fehlen der Geldwertstabilität richtet einen umso größeren Schaden an, je arbeitsteiliger und damit komplexer eine Volkswirtschaft organisiert ist. Durch den technischen Fortschritt und die damit erzwungene immer filigranere Spezialisierung ist die Signalfunktion der Preise für die Knappheit und die Stabilität des Geldwertes für die Durchführbarkeit der Wirtschaftsrechnung heute größer als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Die global organisierten Lieferketten können aber nicht organisiert und betrieben werden, wenn die Wirtschaftsrechnung durch hohe und volatile Inflation ihren einzelnen Gliedern, also Teilnehmern immer höhere Risikokosten der Produktkalkulation aufbürdet. Es gibt einen Bruchpunkt für dieses System und dieser liegt wahrscheinlich eher unter 100 Prozent Inflation als darüber. 

Auf Inflation folgt Krieg

Dass wir in genau dieser Situation mit der größten globalen Gelddruckorgie aller Zeiten über alle relevanten Währungsräume hinweg ein Experiment wagen, die Stabilität dieses fein austarierten Systems auszutesten und das nun auch noch mit Protektionismus, Rufen nach Autarkie und großflächigem Einsatz von Wirtschaftssanktionen als Mittel der Politik kombinieren, werden wir teuer bezahlen, und zwar mit der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten. 

Wie Ernest Hemingway präzise beobachtete, kommt die Verwüstung der Inflation aber nicht allein. Sie hat einen Begleiter: den Krieg. Er fasste die Verwandtschaft dieser beiden apokalyptischen Reiter in dem Zitat zusammen:

„Das erste „Allheilmittel“ eines schlecht regierten Landes ist die Inflation, gefolgt vom Krieg. Beide schaffen vorübergehendende Prosperität und beide enden im Ruin. Und beide sind die Zuflucht politischer Opportunisten.“

Kehren wir zur Kybernetik zurück: Wenn die Kommunikations- und Informationsfunktion des Geldes verloren geht, stottert der Motor der gesamten Zivilisation, die nicht weiß, dass sie genau darauf beruht. 

Dann wird sich ultimativ zeigen, was gutes Geld ausmacht: Es ist die Knappheit, die der Staat und seine Akteure auf Dauer nicht zur Verfügung stellen können, weil sie es nicht wollen. Das kann nur das Gold.

Beitrag teilen …

Der nächste Gang …

Fritz Vahrenholt Blog

Energiekrise beendet? Nein, wir sind mittendrin!

Oliver Gorus Blog

Konstruktiver Widerstand

1 Kommentar. Leave new

  • Ann Helene Schläger
    9. März 2023 17:10

    Man kann sich nicht überall maximal auskennen. Umso wichtiger sind grundlegende Informationen. Für eine Meinungsbildung schier unerlässlich. Ich danke Ihnen mit Hochachtung.

    Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fill out this field
Fill out this field
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
You need to agree with the terms to proceed