Auf dem Plattenspieler: Israel Kamakawiwoʻole

Künstler: Israel Kamakawiwoʻole

Song: Somewhere Over The Rainbow – veröffentlicht auf dem Album Facing Future, 1993 Mountain Apple Company

Eines Nachts im Jahr 1988, irgendwann nach Mitternacht, klingelte in einem Tonstudio in Honolulu das Telefon. Der Inhaber, Toningenieur Milan Bertosa, hatte natürlich längst schon Feierabend. Doch er nahm ab – vielleicht aus einer gewissen Eingebung heraus. Denn am anderen Ende der Leitung war nicht irgendwer – es war unerwarteterweise einer der damals größten lokalen Stars auf Hawaii: Israel Kamakawiwoʻole.

Kamakawiwoʻole war dafür bekannt, abends loszugehen, bis in die Nacht hinein durch die Straßen und über die Strände Hawaiis zu ziehen und mit seiner Ukulele vor sich hin zu musizieren. Nicht selten wurde er dabei von einer Horde begeisterter Fans begleitet, die so einen persönlichen Zugang zu ihrem Star fanden. Genau eine solche Nacht ist es also gewesen, in der Kamakawiwoʻole spontan etwas festhalten wollte.

Bereits 15 Minuten nach seinem Anruf saß der Künstler auch schon im Aufnahmeraum Bertosas, schloss die Augen – und spielte in einem einzigen Durchgang ein Lied ein, das viele Jahre später international als eines der berührendsten Musikstücke des späten 20. Jahrhunderts gelten würde. Und nicht nur das: Der Song nahm eine außerordentliche Eigen-Karriere an und wurde im Laufe der Zeit zu einer der (an Verkaufs- und Streamingzahlen gemessen) erfolgreichsten Coverversionen der Musikgeschichte!

Das Besondere an dieser Nummer? Kamakawiwoʻoles Interpretation von Judy Garlands „Somewhere Over The Rainbow“ verschmilzt hier fast unmerklich mit Louis Armstrongs „What a Wonderful World“. Es ist so unscheinbar miteinander verwoben, dass die beiden Originale praktisch kaum mehr herauszuhören sind – vermutlich wissen die wenigsten Hörer überhaupt, dass der Track kein eigenständiges Werk ist; mir war das lange auch nicht bewusst.

„Somewhere Over the Rainbow“ stammt ursprünglich aus dem Film „The Wizard of Oz“ von 1939. Garland singt es hier als Dorothy, ein Mädchen, das ihrem Leben auf der Farm entfliehen möchte – über den Regenbogen; dorthin, wo alles besser ist. Es ist ein Lied voller Sehnsucht, kindlicher Hoffnung, stiller Utopie. 

Louis Armstrongs „What a Wonderful World“ ist 1967 erschienen. Mit seiner warmen, rauchigen und eindringlichen Stimme besang der Ausnahmekünstler die Schönheit der einfachen Dinge – und zwar als leiser Widerstand gegen den Zynismus und die gesellschaftliche Spaltung seiner Zeit. 

Was Israel Kamakawiwoʻole geschaffen hat, ist keine bloße Fusion dieser Songs. Er hat sich die Lieder einverleibt; sie auf eine Ebene gehoben, auf der sie sich nicht mehr wie Cover anfühlen.

Kamakawiwoʻole scheint diesen Track nicht für etwas gesungen zu haben, sondern aus etwas heraus. So klingt es meiner Meinung nach: als hätte er etwas verarbeitet, das tief in ihm saß – und zu groß für Worte war.

Es gibt gar kein Arrangement im klassischen Sinne. Nur eine simple Ukulele-Melodie und zarten, fast flüsternden Gesang. Die Ukulele begleitet Kamakawiwoʻoles Stimme fast wie ein Atem. Es ist eine unvergleichliche Präsenz zu spüren, die dem Hörer näher zu kommen scheint, je konzentrierter er auf das Lied hört – aber keine besondere Technik, keine außergewöhnlichen Effekte, kein „Showbusiness“. „Somewhere Over The Rainbow“ ist das Gegenteil von Performance – und vielleicht gerade deshalb so erfolgreich.

Dieser Erfolg kam jedoch nicht gerade plötzlich. 1988 aufgenommen, wurde der Track interessanterweise zunächst gar nicht verwertet – die Nummer erschien erst ganze fünf Jahre später, 1993, auf Kamakawiwoʻoles Album „Facing Future“. Als „Somewhere Over The Rainbow“ dann endlich veröffentlicht wurde, entwickelte sich zunächst auf Hawaii ein erster großer Hype um das Lied. Nach Kamakawiwoʻoles Tod 1997 begann es dann nach und nach, „um die Welt zu reisen“ …

Erst wurde der Titel zunehmend in Hollywoods Filmen und Serien platziert. 1998 tauchte es erstmalig auf, im Film „Meet Joe Black“ – in dem entscheidenden Moment, in dem Brad Pitts Figur „in den Tod geht“. In „Finding Forrester“ untermalte es dann die Eröffnungsszene. In Serien wie „Scrubs“ oder „Cold Case“ begleitete es Übergänge. Später folgten unzählige weitere Platzierungen – immer in Szenen, in denen etwas endet, wenn etwas beginnt, wenn etwas nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Dann erfolgte die Verbreitung durch Radio- und Fernsehwerbung: Apple, Ferrero, Telekom – und viele, viele mehr griffen auf den Track zurück. Überall dort, wo man sich auf etwas Ursprüngliches zurückbesinnen oder eine harmonische Atmosphäre erzeugen wollte, nutzten Firmen und Konzerne Kamakawiwoʻoles „Somewhere Over The Rainbow“. 

Schließlich wurde es ein beliebtes Werk bei privaten – und äußerst persönlichen – Anlässen: Menschen hören es bis heute weltweit bei Beerdigungen, auf Hochzeiten, in Geburtsstationen.

„Somewhere Over The Rainbow“ hat wirklich „die Welt erobert“. Es ist ein Lied über das Verlorene – aber zugleich auch eins über das „Unverlierbare“. Über den Wunsch, dass etwas bleibt, was längst vergangen ist – und über die Hoffnung, dass jenseits von allem Bekannten etwas Neues, Gutes wartet. Und Kamakawiwoʻoles Stimme trägt all das, trotz – oder gerade wegen – seiner vollkommenen Ruhe …

„Somewhere Over The Rainbow“ verleiht Menschen Ausdruck in Momenten, in denen sie sich sonst nicht ausdrücken können – und das ist, wie ich finde, ganz große Kunst!

Israel Kamakawiwoʻole selbst war ein Mensch jenseits einfacher Zuschreibungen. Stark übergewichtig – aber er ließ sich nicht darauf reduzieren. Schwer krank, mit Atemnot – aber ohne Opfermentalität. Aktivistisch tätig (für die Rechte der eingeborenen Hawaiianer) – aber ohne Aggression. Spirituell – aber frei von Dogma. Er war, so scheint es mir, ein Mensch, der seine Mitte gefunden hatte. Ein lebendiges Beispiel für das, was Aristoteles in der „Nikomachischen Ethik“ als ethisch beschreibt: das Gute im Maßvollen, im Ausbalancierten, im Selbstbewussten ohne Selbstinszenierung zu verankern. 

Als er 1997 starb, verabschiedeten sich die Bewohner Hawaiis von ihm wie von einem Staatsmann! Tausende begleiteten seine Asche aufs Meer hinaus. Boote formierten sich, Blumen trieben auf den Wellen, seine Musik schwebte durch die Luft – als würde die Insel selbst um ihn trauern. Der letzte Teil des Musikvideos von „Somewhere Over The Rainbow“ zeigt auch Ausschnitte aus dieser Trauerfeier und der Verstreuung Kamakawiwoʻoles Asche im Meer – was nicht zuletzt diese gewisse berührende Wirkung natürlich auch nochmal erheblich verstärkt.

„Somewhere Over The Rainbow“ trägt keine Botschaft – sie ist eine. Sie klingt nicht nach Ende. Sie klingt nach Weite. Nach einem Ort, den man im Diesseits nicht erreichen kann – aber von dem man irgendwie ahnt, dass es ihn geben muss. Die letzte Note klingt nicht nach Schluss, sondern nach „alleine Weitergehen“. Wenn sie verklingt, bleibt ein bemerkenswertes Gefühl von Frieden und Freiheit, das sich beim Hören zuvor still entfalten durfte. Und das ist meiner Meinung nach mit das schönste Erbe, das ein leidenschaftlicher Musiker wie Israel Kamakawiwoʻole der Nachwelt hinterlassen kann.

Hier „Over The Rainbow“ von Israel Kamakawiwoʻole auf Youtube.

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