Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.
Es war seine Großmutter, die er liebevoll „Mamaw“ nennt, der J.D. Vance wahrscheinlich sein Leben zu verdanken hat. Als seine Oma zum ersten Mal realisierte, dass James David mit Kindern unterwegs war, die Drogen nahmen, sagte sie zu ihrem 12-jährigen Enkel: „Hör zu, J.D., entweder hörst du auf, dich mit denen abzugeben, oder ich überfahre sie mit meinem Auto.“
So schien seine Karriere entsprechend seiner Sozialisierung vorherbestimmt. Doch die Geschichte des vielleicht nächsten US-amerikanischen Vizepräsidenten zeigt, dass nichts in Stein gemeißelt ist. Wahrscheinlich kann nicht jeder alles erreichen, aber vieles ist möglich, wenn man an sich arbeitet.
Ein Hillbilly
Vance erblickte 1984 in der kleinen Stadt Middletown das Licht der Welt. Middletown befindet sich im Rust Belt, dem Rostgürtel, der ältesten und größten Industriegegend der USA. „Ich komme aus einer Stahlstadt in Ohio“, machte Vance im Jahr 2016 in einem TED-Talk deutlich. Einer Stadt, die wirklich zu kämpfen habe. Und in der Tat, die Stadt ist bezeichnend für die Kämpfe der weißen amerikanischen Arbeiterklasse. Ob Drogenkonsum, vornehmlich Heroin, oder häusliche Gewalt und Scheidungen: Middletown scheint für einen Teil der Gesellschaft stellvertretend zu sein. Einen Teil, den die Politik längst abgeschrieben hatte, bis Donald Trump kam, um den einst stolzen Arbeitern des Rostgürtels eine Stimme zu geben.
Daher kann man durchaus von einer gewissen Ironie sprechen, dass der jetzige Running Mate J.D. Vance von Trump lange Zeit gar nichts hielt. Und das, obwohl er die literarische Begründung lieferte, weshalb Donald Trump zum ersten und vielleicht nicht zum zweiten Mal Präsident der Vereinigten Staaten wurde. In seinem autobiografischen Roman „Hillbilly Elegy“ befasst er sich durch die Augen seiner Geschichte mit der Kultur der weißen Arbeiterklasse. In der Erzählung geht es nicht nur um die sozialen Probleme wie Drogensucht, Armut oder Gewalt. Vielmehr beschreibt Vance die Dynamiken in der breiten Gesellschaft der sogenannten „Hillbillies“, einem Begriff, mit dem die weiße Unterschicht in den USA bezeichnet wird.
Trump: Vom Hassobjekt zum Förderer
Vance beleuchtet auch den politischen und wirtschaftlichen Niedergang der ländlichen Gebiete. Es wird deutlich, wie die Entfremdung und der Verlust von Chancen bei vielen Menschen zu einem tiefen Misstrauen gegenüber der Elite und der Regierung geführt haben. Insofern ist es nur folgerichtig, dass gerade die Hillbillies Donald Trump ihre Stimme gaben, der zwar alles andere als aus der weißen Arbeiterklasse kommt, aber im Gegensatz zur Washingtoner Politelite ihre Sprache spricht. Das tut auch Vance.
Trotz eines Umfelds aus Alkohol, Heroin und Schlägen und dank seiner „Mamaw“ schaffte es J.D. aus Middletown. Nach dem Abschluss der Highschool trat Vance dem United States Marine Corps bei und diente im Irakkrieg, den George W. Bush im Jahr 2003 begann. Später studierte er Politikwissenschaft an der Ohio State University und absolvierte schließlich ein Jurastudium an der Yale Law School. Es war sein Mentor in Yale, die Juraprofessorin Amy Chua, die Vance ermutigte, „Hillbilly Elegy“ zu schreiben. Das Buch erschien 2016 und avancierte zum Bestseller. Immer mehr zog es den Republikaner in die Politik. 2022 war klar: J.D. Vance tritt in seinem Bundesstaat Ohio an, um Senator zu werden.
Der Autor galt als absoluter Außenseiter. Dennoch zog seine Kandidatur die Aufmerksamkeit auf sich, nicht zuletzt, weil er von jemandem Unterstützung bekam, den er Jahre zuvor noch als „Idioten“ und „Hitler der USA“ bezeichnet hatte: Donald Trump.
Bei seiner Nominierung erklärte Vance das so: „Ich habe nicht geglaubt, dass er ein guter Präsident sein würde. Er war ein großartiger Präsident. Und das ist einer der Gründe, warum ich so hart daran arbeite, dass er eine zweite Amtszeit bekommt.“ Fortan gilt Trump als Förderer des heute 40-Jährigen.
Für klassische Familienwerte
Und so setzte sich Vance in einer völlig überfüllten republikanischen Vorwahl gegen namhafte Konkurrenten durch, darunter der ehemalige Finanzminister von Ohio, Josh Mandel. Es war vor allem die Basis, die sich für Vance einsetzte. Im November 2022 trat er in der General Election gegen den Demokraten Tim Ryan an. Mit 53 Prozent gewann Vance gegen seinen Kontrahenten und vertritt seither als Senator seine Heimat Ohio.
Das erkennt man auch an seinen politischen Positionen, die mehr nach Middletown als nach Washington klingen. So setzt sich Vance für eine wirtschaftspolitische Ausrichtung ein, die sich stark auf den Schutz der US-Arbeiterklasse fokussiert. Er spricht sich gegen Freihandelsabkommen aus, die seiner Meinung nach den Verlust von Arbeitsplätzen in den USA begünstigen. Er unterstützt eine Politik, die die heimische Produktion fördert und sich gegen Outsourcing wendet. In sozialen Fragen ist er dagegen klassisch konservativ. So ist er gegen Abtreibungen und unterstützte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, „Roe v. Wade”, eine Grundsatzentscheidung für Abtreibung, aufzuheben. Vance sieht die Familie als zentrale Institution und befürwortet traditionelle Familienwerte.
Authentisch für die Arbeiterklasse
In der Außenpolitik kommt der Senator ganz nach seinem Förderer Trump. Er kritisiert die US-Einmischung in ausländische Konflikte, wie z. B. den Ukraine-Krieg, und setzt sich dafür ein, dass die USA ihre militärische Präsenz im Ausland reduzieren. Auch beim Thema Kulturkampf scheint zwischen Trump und Vance kein Blatt zu passen. So sind beide Kritiker des sogenannten „woken“ Liberalismus und positionieren sich gegen linke Identitätspolitik. Er lehnt Maßnahmen ab, die er als übermäßige politische Korrektheit oder als Einschränkung der Meinungsfreiheit ansieht. Ferner steht Vance für strengere Einwanderungsgesetze und unterstützt den Bau einer Grenzmauer sowie Maßnahmen, um illegale Einwanderung zu bekämpfen. Für den 40-Jährigen ist unkontrollierte Einwanderung die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit und den Arbeitsmarkt. Auch das dürfte er mit Donald Trump gemein haben.
Wie die Wahl auch ausgeht, mit J.D. Vance gewann Trump einen Running Mate, der aus tiefster Überzeugung die weiße Arbeiterklasse vertritt, eben weil er aus dieser kommt und den Schmerz und die Demütigung hautnah miterlebt hat. Man muss nicht alle seine politischen Forderungen teilen, um zu wissen, wie ernst die Lage im Rust Belt und den Appalachen ist.
Dies belegt auch dieses Zitat: „You see, for most people, the American Dream is about living in a house with a picket fence. For people like me, it’s about getting out of where we came from.” („Für die meisten Menschen bedeutet der American Dream, in einem Haus mit einem Gartenzaun zu leben. Für Menschen wie mich geht es darum, dort herauszukommen, woher wir kommen.“)
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