Das Herrschafts-Knechtsschafts-Verhältnis im Wettbewerb

Protokolle der Aufklärung #48

Tausch- oder Leihgüter können von den Wirtschaftssubjekten nicht schlichtweg und ohne Einfluss durch andere angeboten werden. Die meisten Anbieter stehen im Wettbewerb miteinander. Wettbewerb kennzeichnet das Wirtschaftsgeschehen auf freien Märkten. Die Pointe des Wettbewerbs ist, keine Konstellation aufkommen zu lassen, die dem Individuum jene Macht entreißt, die ihm in seiner Rolle als Güterabnehmer natürlicherweise zukommt, nämlich die des „Königs Kunden“. Inwiefern?

Die Wirtschaftssubjekte als „Kunden-Könige“

Beim Wettbewerb kann der Güteranbieter seinen Preis, d. h. den Gegenlieferungswert, nicht unbehelligt durchsetzen. Die Preisbildung am unbehinderten Markt ist zwar prinzipiell frei. Aber schnell wird klar: Sowohl die Mitbewerber als auch die Güterabnehmer zügeln die Anbieter. Der Wettbewerb zerstört Traumpreise. Im Wettbewerb sind die Produzenten „pricetaker“. Dennoch ist der Kinderglaube unausrottbar, der Preis werde von den Produzenten gemacht, und zwar auf der Basis von Herstellungskosten und Gewinnabsichten. 

Am wettbewerbsbestimmten Markt gleichen sich zwar Preis und Produktionskosten einander an. Das verstärkt die Tendenz zur intersubjektiven Preisbildung. Es entstehen Marktpreise. Aber auch die erwachsen aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Dabei haben die Wirtschaftssubjekte in ihrer Rolle als Nachfrager das letzte Wort. Sie haben es deshalb, „weil sie letztlich bestimmen, was, in welcher Menge und in welcher Qualität produziert werden soll“ (Ludwig von Mises).

Bilateralität des Tausches und die Folgen

Ich vernachlässige im Folgenden den Güterverleih und betrachte jetzt nur noch den Gütertausch (den Kauf/Verkauf). Bei jedem Tausch tritt das Wirtschaftssubjekt sowohl als Güteranbieter als auch als Güterabnehmer auf – beides im selben Tauschakt! Alle Tauschpartner spielen beide Rollen zugleich, auch diejenigen, die Geld als Tauschgut annehmen bzw. bereitstellen. Grund dafür ist die Bilateralität des Tausches (s. mein Sandwirt-Beitrag „Der Tausch als ‚binäres Zahlungsereignis‘“). 

Wegen der Bilateralität ist beim Wettbewerb jeder Tauschpartner gewissermaßen Kunde des Anderen. Und jeder ist auch Lieferant des Anderen. Abnehmer von Sachgütern sind zugleich auch Anbieter – in den überaus meisten Fällen Geldanbieter. Und Güterabnehmer sind auch jene Tauschpartner, die Sachgüter in den Handel einbringen und dafür Geld erhalten. Insofern sind sie – aber nur in ihrer Abnehmerrolle – ebenfalls „König Kunde“. Das bedeutet in vielen Fällen: Ein Geldanbieter muss besser sein als die Anderen. Er muss mehr für ein Sachgut bieten. 

Am Markt konkurrieren nicht nur die Verkäufer, sondern auch die Käufer. Überall im Wettbewerb bekommt derjenige von seinem Handelspartner den Zuschlag, der das beste Angebot macht. Bei einer Kunst-Auktion beispielsweise ist das nicht der Sachgutanbieter (Verkäufer), sondern der Geldanbieter (Käufer). „Wettbewerb äußert sich auf dem Markt in der Weise, dass die Käufer den übrigen Kauflustigen durch das Angebot höherer Preise, und dass die Verkäufer den übrigen Verkaufslustigen durch das Fordern niedrigerer Preise bei gleicher Leistung oder durch Erhöhung der Leistung bei gleicher Preisforderung zuvorzukommen haben“ (Mises). 

Weil Geld ein Tauschgut ist wie jedes andere auch, gibt es bei jedem Tausch (Kauf/Verkauf) immer zwei „Kunden-Könige“. Aufgrund der Bilateralität ist jeder Tauschpartner „König“, und zwar nicht in seiner Rolle als Güteranbieter (insbesondere als Geldanbieter), sondern in seiner Rolle als Güterabnehmer (insbesondere als Geldabnehmer). So kommt die „Königs“-Position den Tauschpartnern niemals in ihrer Rolle als Anbieter zu, stets aber in ihrer Rolle als Abnehmer. 

Wir übersehen diesen Sachverhalt oft, weil wir nur immer von den Tauschpartnern als von „Kunden“ sprechen, die mit Geld bezahlen. Als Geldzahler ist man dann überrascht und irritiert, wenn der Sachgutanbieter seine Ware zurückzieht, weil ihm die Tauschmodalitäten seines Gegenübers (des Geldanbieters) nicht passen. Erst so wird bewusst, dass auch der Sachgutanbieter Güterabnehmer ist, nämlich Geldabnehmer, und in dieser Rolle gleichfalls „König“ des Geschäfts. 

Viele machen sich nicht klar, dass sie am Markt, ob als Sachgutabnehmer oder Sachgutanbieter, in vollem Sinne Kaufleute sind. Sie tun alle das Gleiche: liefern und sich beliefern lassen. Die Bezeichnung „Kaufmann/Kauffrau“ darf also nicht auf diejenigen beschränkt bleiben, welche Sachgüter anbieten, sondern muss die Geldzahler einschließen. Die sind ja ebenfalls Güteranbieter.

Das Prinzip „checks and balances“

Weil beim Prüfen und Bewerten des Angebots („checking“) beide Tauschpartner zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Tausch für sie vorteilhaft ist und weil andernfalls jeder den Tausch auch unbeschadet ablehnen können muss, bedeutet das, beim Wettbewerb steht die Marktmacht des einen Tauschpartners mit dem des anderen im Gleichgewicht („balance“). 

Hier dominiert nicht immer nur ein Tauschpartner, sondern es dominieren beide, und zwar in ihrer Rolle als Abnehmer von Gütern – eben auch als Abnehmer von Geld. Es greift überall das Prinzip „checks and balances“. Freie Güterbewertung und Gleichgewichtigkeit in Bezug auf die Marktmacht sind die untrüglichen Merkmale eines gut funktionierenden Wettbewerbs. 

Am Markt ist das für alle gleiche Recht auf freie Lebensentfaltung (Menschenrecht; s. mein Sandwirt-Beitrag „Das Naturrecht der Freiheit“) nur gewahrt, wenn sich überall das Herrschaftsprinzip „checks and balances“ durchsetzt. Macht über mein Handeln habe ich dann, wenn ich bei meiner Auswahl ungezwungen urteilen und entscheiden kann. Als Handelspartner kann ich immer nur in der Rolle des Güterabnehmers Herr sein („König Kunde“). Hier darf auch mein Partner beanspruchen, Herr zu sein, und zwar ebenfalls in seiner Rolle als Güterabnehmer, etwa als Geldabnehmer. Als Güteranbieter hingegen sind wir beide Knechte.

Bei jedem Handel muss ein gegenseitiges Herrschafts-Knechtsschafts-Verhältnis bestehen. Herrschaft und Knechtschaft sollten im Gleichgewicht sein (in der Balance; s. o.). Nur im Wettbewerb ist eine wünschenswerte Machtverteilung unter den Tauschpartnern gewährleistet. Damit ist gesichert, dass keiner den Anderen unterdrückt. 

Der Wettbewerb „ist das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“ sagt Franz Böhm. Er hat „die größte Reduzierung willkürlicher Gewalt mit sich gebracht, die jemals erreicht worden ist“ (Friedrich von Hayek). Er „zerschlägt … die Macht des Menschen über den anderen Menschen“ (Christoph Braunschweig). Wettbewerb koordiniert „das menschliche Handeln bei einem Minimum an Konsens und Zwang“ (Erich Weede). 

Wettbewerb und Freiheit

Das Naturrecht der Freiheit (s. o.) verlangt, dass es im Marktverkehr stets zwei „Kunden-Könige“ gibt – als frei sich Entscheidende. Das ist nur zu erreichen, wenn es auch zwei Knechte gibt, nämlich die beiden Handelspartner in ihrer Rolle als Güteranbieter. Das ist beim Wettbewerb der Fall. Hier ist jeder Handelspartner der Kunde des anderen. 

Auf einem wettbewerbsbestimmten Markt sind die Tauschpartner in ihrer Rolle als Güterabnehmer frei. Sie sind aber zugleich auch Güteranbieter und in dieser Rolle unfrei. Denn sie müssen sich dem Bedarf und den Nutzwertvorstellungen der Abnehmer beugen. Anders können sie am Markt nicht bestehen. In dieser Doppelrolle ist die vielberedete soziale Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs begründet.

Weil die Anderen genau wie ich Güterabnehmer sind und in dieser Rolle frei, treten sie erst dann in einen Tausch mit mir ein, wenn sie einen Vorteil für sich sehen. Deshalb muss ich als Güteranbieter „ein eigennütziges Interesse an der Freiheit der anderen“ haben (Weede). Diese Konstellation, die für die Optimierung des individuellen Lebens aller Marktteilnehmer wichtig ist, diszipliniert den sonst ins Unermessliche wachsenden Machtrausch der Tauschpartner in ihrer Rolle als Güteranbieter. 

Beide Handelspartner müssen die Freiheit haben, ihr Produkt je nach Belieben auszuwählen und zu jedem Angebot auch Nein sagen können. Erst dann sind sie am Markt wirklich frei. „Wenn man dem Einzelnen die Freiheit der Konsumwahl nimmt, nimmt man ihm alle Freiheit“ (Mises). Das ist dann der Fall, wenn kein Wettbewerb herrscht.

Die Aussage „Konkurrenz ist Gift für die zwischenmenschliche Beziehung“ ist vor dem Hintergrund des soeben Gesagten geradezu grotesk. Dass Wettbewerb gnadenlos sein kann, ist wahr. Das ist er vor allem für jene Tauschpartner, die falsche Vorstellungen über den Preis ihrer Leistung bzw. über deren Marktgängigkeit haben. – Gewiss ist die Wettbewerbswirtschaft nicht in jeder Hinsicht vollkommen. Aber „die Vorteile des Wettbewerbs hängen nicht davon ab, ob er ‚vollkommen’ ist“ (Hayek). 

Wettbewerb als Kampf

Freier Wettbewerb ist alles andere als der reinste Friede. Er ist ein regelrechter Kampf der Marktteilnehmer gegeneinander, ein Kampf ohne Waffen. Das ist auf dem Sportplatz so und auch auf dem Marktplatz. In diesem Kampf kommen nicht nur die körperlichen, sondern auch die geistigen, also alle Ressourcen des Menschen zum Einsatz. Sowohl die verfügbaren Güter als auch die vorhandenen Gütererzeugungspotentiale sind im Spiel. Sie sind eine Art Waffenersatz. 

Lediglich der fehlende Waffengebrauch unterscheidet den Wettbewerb vom Krieg. Der Wettbewerb ist gewissermaßen die kultivierte Form des Krieges. Man kämpft zwar ohne Waffen, dennoch mit harten Bandagen. Genau wie im Krieg kann es beim Wettbewerb Sieger und Verlierer geben. Und jeder Sieger muss damit rechnen, über kurz oder lang selbst besiegt zu werden. Wer am Markt die Bedürfnisse der Anderen nicht im Blick hat, geht in diesem Krieg unter. 

Je mehr der freie Wettbewerb als die einzige vernünftige Form des individuellen Kräftemessens in das Bewusstsein der Menschen rückt, desto mehr verlieren Waffengänge ihre Überzeugungskraft. Wo hingegen Wettbewerb verkümmert, tut jeder gut daran, sich zu bewaffnen.Eckardt-Freie-GesellschaftDer Autor dieses Artikels hat in der Edition Sandwirt die Buchreihe „Die freie Gesellschaft und ihre Entstellung, Band 1-4“ veröffentlicht.

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