Der Tausch als „binäres Zahlungsereignis“

Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts und im Televisor des Sandwirts: Hier.

Protokolle der Aufklärung #35

Das Aktionsfeld der Wirtschaft ist der Markt. Der Markt ist kein Ort im räumlichen Sinne, sondern ein vielfältiges Gebilde. Ludwig von Mises betonte zurecht, dass es sich hier um einen Prozess handelt. Der Prozess ist bestimmt durch menschliche Bedürfnisse. Die Bedürfnisse steuern die verschiedenen Verkehrsformen des Marktes. Bei diesen Verkehrsformen spielen die Welt-Dinge die Rolle von Gütern. 

Güter im Wirkungskreis eines Individuums können selbstgeschaffene oder fremdgeschaffene sein. Insofern erfordert eine Güternutzung sowohl die Güterherstellung, die Güterschenkung und den Gütertausch. Die Schenkung eröffnet in vielen Fällen (z. B. in Form einer Erbschaft) einseitig den Zugang zum Markt. Andere Verkehrsformen hingegen erfordern ein zweiseitiges Tun. So auch der Tausch. 

So überschaubar sich das Tauschen aufs erste darbietet, so vielschichtig sind seine einzelnen Komponenten. Erst aufgrund genauerer Kenntnis der Komponenten und ihres Zusammenwirkens können ökonomische Sachverhalte genau beschrieben, nüchtern eingeschätzt und kritisch beurteilt werden. 

Tausch und Bilateralität

Der Tausch gilt als Hauptverkehrsform des Marktes. Mises unterscheidet zwei Arten von Tausch, den inneren und den zwischenmenschlichen. Mit dem Begriff „inneren Tausch“ bezeichnet er das Geschehen bei einem Subjekt, also den Tausch zweier Lebenssituationen beim einzelnen Individuum. „Ein weniger befriedigender Zustand [des einen Subjekts] wird mit einem mehr befriedigenden Zustand vertauscht“. Demgegenüber steht der „zwischenmenschliche Tausch“, d. h. ein Zusammenhandeln, „das im Erfolg des Partners ein Mittel zum eigenen Erfolg sieht“. Wir behalten hier nur den zwischenmenschlichen Tausch im Blick, also den Tausch am Markt.

Der Impuls zum Tausch ist die Zentripetalkraft, die den ansonsten eher zentrifugalen (individualisierenden) Kräften menschlichen Lebens entgegenstrebt. Der Tausch bewirkt zwar nur eine spezielle Form der Vergesellschaftung, nämlich die wirtschaftliche. Aber die menschliche Gesellschaft ist im Kern Wirtschaftsgemeinschaft. 

Das Tauschen ist jener zwischenmenschliche Vorgang, bei dem wir am meisten miteinander zu tun haben. Hier bildet das Ich den wohl wichtigsten Teil seiner Beziehung zum Du aus, sowohl in der Arbeits- als auch in der Konsumwelt. Es entsteht das Wir. Am Markt ist das in erster Linie ein physisches Wir. Denn hier steht die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse im Vordergrund. (Über die beiden Aspekte des Wir: physisch und meta-physisch, siehe meinen Sandwirt-Beitrag „Die Gesellschaftlichkeit des Ich“).

Viele machen sich nicht klar, dass sie auch im engsten Lebenskreis (im Privaten) in ein eng geknüpftes Netz von ex- oder impliziten Tauschbeziehungen eingebunden sind. Freundschaften oder karitative Akte, in denen das reine Verschenken von Gütern gepflegt wird, also das Erbringen von Leistungen ohne Gegenleistung, sind eher selten anzutreffen. 

Das wichtigste Tauschgut ist das Geld. Wo bei einem Tausch Geld im Spiel ist, spricht man vom „indirekten“ Tausch im Unterschied zum „direkten“. Beim direkten Tausch wechseln nur Sachgüter die Eigentümer. Auf heutigen Märkten finden fast ausschließlich indirekte Täusche statt. Diese nennt man dann Kaufen bzw. Verkaufen.

Mises sieht im indirekten Tausch den eigentlichen Tausch und hält den direkten für ein „reines Gedankengebilde“, nützlich lediglich für didaktische Zwecke. Die Ökonomen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger sprechen sogar von „wirtschaftswissenschaftlicher Folklore“, wenn von direktem Tausch die Rede ist. Dem ist entgegenzuhalten: Schon die Tatsache, dass über Jahrhunderte hinweg bei vielen Geschäften mit Edelmetall (in Form geprägter Münzen) getauscht wurde, spricht für die Existenz echter direkter Tauschhandlungen. Denn hier fand immer ein Wechsel Sachgut (Edelmetall) gegen Sachgut (Nahrungsmittel) statt. Die sogenannten Tauschringe praktizieren den direkten Tausch noch heute. 

Beim Tausch muss jedes Gut einerseits herausgegeben, andererseits angenommen werden. Der Vorgang ist ein Geben und Nehmen: Jeder Tauschpartner gibt, um nehmen zu können. Der Tausch ist ein Akt mit zwei solchen Güterwechseln, also ein doppeltes Geben und Nehmen. Man spricht daher von Bilateralität des Tausches. 

Die Bilateralität (das doppelte Nehmen und Geben), welche nicht nur den Tausch auszeichnet, sondern auch die Marktverkehrsformen Verleih und Kredit, fehlt beim Schenken. Sie ermöglicht, dass bei den gegenläufigen Gütertransfers Symmetrie vorwaltet, im Unterschied zum Schenken, wo diese Symmetrie fehlt. Die Schenkung ist ein monolateraler Akt. 

Die Januskopfigkeit des Tauschobjekts

Beim Tausch gelangen die Güter aus dem Bereich der Güterhortung in den Bereich der Güterbewegung. Dabei bewegt sich ein Tauschgut im Gegenzug zur Bewegung eines anderen: Erdöl gegen Know-how, Know-how gegen Arbeitsleistung, Arbeitsleistung gegen Geld, Geld gegen Fleisch, Fleisch gegen Brot, Brot gegen Geld, Geld gegen Maschinen usw. 

Mit dem Wechsel der Güter aus der Hortung in die Bewegung, d. h. mit der Verwandlung der Güter in Tauschobjekte, geht zugleich eine zumeist unbeachtete Verwandlung einher: Mein Tauschpartner und ich sehen in meinem auf dem Markt befindlichen Gegenstand nicht nur ein Gut, das im Wege des Tausches übertragen werden soll, sondern zugleich eine Schuld. Mein Gut ist meinem Tauschpartner für den Erwerb von dessen Gut geschuldet. Die Schuld entsteht wegen der Vergeltungspflicht dem jeweiligen Tauschpartner gegenüber. Das aus dem Hort (Lager) heraus genommene und zum Tauschangebot mutierte Wirtschaftsgut ist also nicht nur reines Gut, sondern Gut und Schuld zugleich. 

Mit der Entscheidung, eines meiner (gehorteten) Güter zum Tauschobjekt zu machen, verliert das Gut gewissermaßen seine Un-Schuld. Das Gleiche passiert mit dem Gut meines Tauschpartners. Dass ein Gut zur Schuld wird, also „seine Un-Schuld verliert“, verdankt es lediglich dem Entschluss, es als Tauschobjekt auf den Markt zu bringen. Nichts als der Wille eines Individuums ist dafür verantwortlich. Als reines, schuldfreies Gut wechselt ein Objekt seinen Besitzer nur, wenn es verschenkt wird. Daraus ergibt sich: Schulden sind kein Spezifikum der Finanzwirtschaft. Sie sind eine Erscheinung der Marktaktivitäten allgemein und überhaupt. 

Die Bezahlung beim Tausch

Ein Tauschpartner opfert ein ihm gehörendes Gut oder einen Teil davon. Bei aller Begehrlichkeit für den Besitz des Gutes eines Anderen – erst diese Opferbereitschaft ermöglicht den Tausch. Mein Tauschpartner signalisiert mir nämlich klar und deutlich: „Ich will dir nichts schenken. Wenn du mein Gut haben willst, dann kostet das etwas.“ Und ich – als sein Gegenüber – habe kein Problem damit. Ich bin bereit, Güter von mir zum Erwerb von dessen Gütern herzugeben, mit anderen Worten: dafür zu bezahlen. 

Nicht nur Geld, sondern jedes in den Tausch gelangte Gut hat Zahlungsmittelcharakter. Manchmal ist dieser bei Sachgütern sogar wichtiger und effizienter als beim Geld. Man denke an den Goldschmuck und die Zigaretten nach dem letzten Weltkrieg und nach dem Zerfall der Sowjetunion, oder an den Whisky zur Zeit der amerikanischen Prohibition.

Sobald ein Gut in den Tausch, also auf den Markt gelangt, ist es per se Zahlungsmittel. Beim Kauf/Verkauf neigen wir dazu, immer nur ein Tauschgut, nämlich Geld, als Zahlungsmittel anzusehen, mit dem dann ein anderes Gut erworben wird. Das widerspricht der ökonomischen Struktur des Tausches. Seine Bilateralität verlangt, dass jedes Gut zum Zahlungsmittel wird, und zwar immer dann, wenn es auf den Markt gelangt. Das gilt auch für jene Marktvorgänge, bei denen nur Sachgüter getauscht werden. 

Weil Geld ein Tauschgut ist, wie jedes andere, gibt es beim Tausch (Kauf/Verkauf) immer zwei „Kunden-Könige“. Aufgrund der Bilateralität ist jeder Tauschpartner „König Kunde“, und zwar nicht in seiner Rolle als Güteranbieter (insbesondere als Geldanbieter), sondern immer nur in seiner Rolle als Güterabnehmer (insbesondere als Geldabnehmer). So kommt die „Königs“-Position den Tauschpartnern niemals in ihrer Rolle als Anbieter, sondern stets nur in ihrer Rolle als Abnehmer zu. Beide Rollen spielen sie beim Tausch gleichzeitig. 

Wir übersehen diesen Sachverhalt oft, weil wir nur immer von jenen Tauschpartnern als von „Kunden“ sprechen, die mit Geld bezahlen. Als Geldzahler ist man dann überrascht und irritiert, wenn der Sachgutanbieter sein Wirtschaftsgut zurückzieht, weil ihm die Tauschmodalitäten seines Gegenübers (des Geldanbieters) nicht passen. Erst so wird bewusst, dass auch der Sachgutanbieter Güterabnehmer ist, nämlich Geldabnehmer, und in dieser Rolle gleichfalls „König“. 

Wegen der Bilateralität des Tausches sind bei jedem Tausch (Kauf/Verkauf) immer beide Tauschpartner „Zahlmeister“, nicht nur die Geldbesitzer. Die Bilateralität wird durch unsere Rede von „Käufer“ (Geldanbieter) und „Verkäufer“ (Sachgutanbieter) verschleiert. Eine Bezahlung ist immer die Vergütung einer Lieferung, ganz gleich, in welcher Form sie erfolgt. Der Tausch ist insofern stets ein „binäres Zahlungsereignis“, so heißt es z. B. bei dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann.

Verschwindet ein Wirtschaftsgut vom Markt, dann ist es nicht mehr Zahlungs- sondern Wertaufbewahrungsmittel. Es gelangt aus der Bewegungs- in die Ruheposition. Ob ein Gut das Eine oder das Andere ist, entscheidet sich daran, ob es seine „Un-Schuld“ noch hat oder nicht, d. h. ob es noch reines Gut ist oder schon Tauschmittel. Ist ersteres der Fall, kann man in jedem (zumindest haltbarem) Gut ein Wertaufbewahrungsmittel sehen. Im zweiten Fall ist dasselbe Gut Zahlungsmittel. 

Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel zu sein, das sind zwar die beiden wichtigsten Teile der klassischen – der funktionalen – Gelddefinition. Aber wir sehen jetzt, dass diese Definition das Wesen des Geldes nicht trifft, weil sie auf jedes Tauschgut passt – kein Wunder also, dass es bei der Erklärung des Geldphänomens zu mancherlei Ungereimtheit kommt. Klarheit schafft hier – wie auch überall sonst – eine essentiale Definition. Dazu mehr an anderer Stelle.

Aus der Wertaufbewahrungsfunktion der Güter entsteht der Begriff „Kapital“. Alles, was sich an marktgängigem, d. h. bedarfsgerechtem Gut in der Vorratskammer, dem sogenannten Hort befindet, ist Kapital. Kapital ist Potential für künftige Täusche. Dazu zählen besonders Geldvorräte, aber auch Maschinen, angesammelter Rohstoff und nicht zuletzt Arbeitskraft („Humankapital“). Hieraus erhellt, dass die marxistische Wirtschaftstheorie, die von einem Gegenüber und Gegeneinander von Kapital und Arbeit spricht, schon vom Ansatz her falsch ist. Auf diese Ideologie gehen noch heute zutiefst weltfremde, ja geradezu groteske Verschwörungstheorien im Wirtschaftsbereich zurück (siehe zum Beispiel die Werke des Thomas Piketty, von der FAZ als „Marx des 21. Jahrhunderts“ hochgejubelt).

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1 Kommentar. Leave new

  • Hans Kleinke
    18. April 2025 14:29

    Hallo, in der Überschrift heißt es „binären Zahlungsereignis“, im Text wird allerdings der meiner Meinung nach richtige Begriff „bilateral“ verwendet.
    Mit freundlichen Grüßen
    H. Kleinke

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